Louis Weinert-Wilton
Die Panther
Louis Weinert-Wilton

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37

Was der um den Ruf von Chesterhills so besorgte Mr. Hearson schon immer befürchtet hatte, war nun wirklich eingetreten. Auf irgendeine Weise war einiges von den nächtlichen Vorgängen in Spittering Farm in die Öffentlichkeit gedrungen, und die Gäste wimmelten seit dem frühen Morgen um das Strandhotel wie ein aufgescheuchter Ameisenschwarm. Als gegen neun Uhr Murphy sein wunderbares Auto vor das Portal lenkte, um seine Abreise in die Wege zu leiten, wurde der Auflauf noch größer. Alles wollte den berühmten Mann von Scotland Yard von Angesicht zu Angesicht sehen, aber schließlich fand man seinen Wagen bei weitem interessanter. Der Oberinspektor hatte jedoch an dieser Aufmerksamkeit nicht mehr soviel Freude wie ehedem, denn er war entschlossen, sich demnächst von dem Gefährt zu trennen.

Als der dünne Spang die ersten Gepäckstücke vorsichtig angeschleppt brachte, begann sein Chef zum erstenmal davon zu sprechen.

»Einfältig, wie Sie sind, werden Sie nächstens zweitausend Pfund bekommen«, sagte er. »Dann werde ich Ihnen dieses schöne Auto verkaufen. Es ist unter Brüdern hundertzwanzig Pfund wert, aber weil Sie es sind, lasse ich es Ihnen um hundert. Ein Detektiv muß ein Auto haben, wenn er es zu etwas bringen will, und außerdem können Sie Ihre Frau und Ihre Kinder darin spazierenfahren. Einen besseren Wagen für solche Zwecke finden Sie auf der ganzen Welt nicht.«

»Ich habe keine Frau und keine Kinder«, wagte der völlig verständnislose Sergeant schüchtern zu erinnern, aber Murphy tat diesen Einwand mit einer kurzen Handbewegung ab. »Wenn Sie erst zweitausend Pfund haben werden, werden Sie auch eine Frau und Kinder bekommen. – Es bleibt also dabei.«

Auch Ben Kitson ließ es sich nicht nehmen, bei der Übersiedlung seines ehemaligen Herrn behilflich zu sein, und als der Wagen vollgeladen war, erhielt er eine Pfundnote, eine ganze Zigarre und einen wertvollen Rat.

»Wenn es Ihnen einmal wieder schlecht gehen sollte, lassen Sie sich in einer Schaubude sehen, mein Lieber. Sie können damit viel Geld verdienen, denn Sie sind der einzige Mensch, der durch die ›heulende Daumenschraube‹ sein Glück gemacht hat. Aber das nächstemal, wenn Sie mir unterkommen . . .«

Er konnte zur größten Erleichterung Bens nicht vollenden, denn eben nahm ihn Mr. Hearson in Beschlag, der, gefolgt von Inspektor Elliot, geschäftig wie immer, aus dem Portal stürzte.

»Sie haben es ja furchtbar eilig, von hier fortzukommen«, meinte er vorwurfsvoll. »Auf einen so überstürzten Aufbruch war ich nicht vorbereitet. – Aber ich kann mir denken, daß es nun für Sie in Scotland Yard in Hülle und Fülle zu tun geben wird«, fügte er verständnisvoll hinzu, indem er heftig an seiner Brille rückte. »Sie haben einen großen Erfolg gehabt, wie ich mir sagen ließ. Man weiß zwar nichts Näheres, aber es soll eine ganze Bande ausgehoben worden sein.«

»Mit Stumpf und Stiel«, bekräftigte Murphy stolz und nickte dazu lebhaft mit dem mächtigen Schädel, aber Elliot ließ plötzlich ein unangenehmes Räuspern hören.

»Vielleicht doch nicht so ganz, wie Sie glauben, Mr. Murphy«, sagte er spitz. »Sie haben es zwar nicht der Mühe wert gefunden, mich von der Razzia in meinem Rayon zu verständigen, aber ich kenne meine Pflicht und habe auf eigene Faust gearbeitet. Und ich werde mir erlauben«, schloß er herausfordernd, »zu dem Gesindel, das Sie mit Ihrem Massenaufgebot zusammengetrieben haben, in Scotland Yard den Kopf der Bande abzuliefern.«

Der Oberinspektor starrte den Sprecher sekundenlang mit offenem Munde an, dann geriet seine Kinnlade in Bewegung, aber er konnte die Worte nur stoßweise hervorbringen.

»Den Kopf . . .? Was wollen Sie damit sagen?«

Elliot hob etwas mitleidig die Schultern.

»Nun, den Anführer«, warf er selbstbewußt hin. »Wir haben ihn heute nacht abgefangen, als er wahrscheinlich von Spittering Farm in eiliger Flucht nach Hause zurückkehrte.«

»Daß dich der . . .«, murmelte Murphy völlig fassungslos, und sein Gesicht war so erbarmungswürdig, daß Mr. Hearson sich wieder einmal gedrängt fühlte, ihn zu trösten.

»Das kann ja Ihren Erfolg absolut nicht schmälern«, meinte er verbindlich. »Die Hauptsache ist, daß die Herren unsere Gegend gründlich gesäubert haben.«

»Jawohl, natürlich«, stimmte der Oberinspektor lebhaft bei und begann in seiner argen Verlegenheit ergrimmt nach Hannibal zu pfeifen, der umständlich von den zahlreichen Ecken von Chesterhills Abschied nahm.

In diesem Augenblick kam das große Auto von Scotland Yard mit sechs Insassen angefahren, und der Kommandant der Fliegenden Kolonne wechselte mit Murphy einen raschen Blick. Dieser senkte kaum merklich den Kopf und begann dann mit großer Gründlichkeit seine Gepäckstücke abzuzählen. Erst als er dies zweimal getan hatte und der wie immer widerspenstige Hannibal endlich bequem auf dem Rücksitz untergebracht war, durfte sich Spang auf das winzige freie Plätzchen daneben zwängen, und dann machte auch der Oberinspektor Miene, auf seinen Bock zu klettern, wobei ihm Hearson in zuvorkommendster Weise behilflich war. Murphy schüttelte ihm dankbar die Hand, klemmte dann die Lenkstange zwischen die Knie und wandte sich an den Polizeioffizier.

»Sie können vorausfahren, denn Ihr Wagen ist vielleicht ein bißchen schneller als der meine. Nächstens wird das aber wahrscheinlich schon anders sein. Dieses Vehikel taugt für einen verschlafenen Sergeanten, aber nicht für unsereinen«, schloß er mit einem höchst anzüglichen Blick auf den armen Spang.

Er rückte kräftig an einem der Hebel, worauf der Motor ein tiefes Brummen hören ließ, und auch der Polizeioffizier schaltete die Zündung ein, aber es gab noch einen Aufenthalt, da sich plötzlich Inspektor Elliot wieder bemerkbar machte.

»Ich habe Sie doch ersucht, mich mitzunehmen, da ich meinen Gefangenen in Scotland Yard abliefern möchte«, sagte er eisig und winkte dabei irgendwohin mit dem Kopf. »Ich glaube, es wird auch notwendig sein, daß ich persönlich Bericht erstatte.«

Der Oberinspektor verkniff das Gesicht und räusperte sich sehr umständlich.

»Natürlich«, gab er dann süßsauer zu. »Da kann man nichts machen.«

Seine blinzelnden Augen hefteten sich starr auf die kleine Gruppe, die um die Ecke des Strandhotels anmarschiert kam, und je mehr sie sich näherte, desto mehr zog sich sein breites, feistes Gesicht in die Länge. Voran schritt, die Hände fein säuberlich gefesselt und sogar mit einer zolldicken Leine um die Fußgelenke, Bill Short, und hinterdrein kam Elliots Sergeant mit noch einem Polizisten. Es war ein Aufzug, der die in respektvoller Entfernung angesammelte Menge erschauern ließ, und nur der Verbrecher selbst schien der Sache keine sonderliche Bedeutung beizumessen. Sein scharfes Raubvogelgesicht war eine höhnisch grinsende Fratze, und Murphy konnte über diesen unerhörten Zynismus nur den Kopf schütteln.

»Hat man Sie also endlich doch erwischt, Bill Short?« meinte er, und auch sein breiter Mund verzog sich plötzlich zu einem Grinsen.

»Sozusagen auf frischer Tat«, schnarrte Elliot stolz und klopfte auf seine Tasche. »Wir haben ihm eine Waffe abgenommen, aus der kurz vorher zwei Schüsse abgegeben worden sind.«

Der ängstliche Hearson zuckte zusammen und warf dem gefährlichen Häftling durch seine scharfen Brillengläser einen entsetzten Blick zu, und der Oberinspektor nickte bedächtig mit dem Kopf.

»Zwei Schüsse«, murmelte er, »ganz richtig. – Habe ich Ihnen nicht gesagt, daß Sie mit der verdammten Schießerei noch in des Teufels Küche kommen werden?« feixte er dann den Einsiedler von Englemere an, aber dieser befand sich bereits in den Händen der Polizeimannschaften, die ihn auf den Wagen beförderten.

Endlich war nun doch alles soweit, und der Polizeioffizier wartete nur mehr auf das Zeichen Murphys, als dieser sich plötzlich an die Stirn schlug und auch schon wieder vom Wagen kletterte. »Das kommt davon, wenn man alt wird«, brummte er, um sich dann, unten angelangt, vorwurfsvoll an den auf dem Wagen thronenden Elliot zu wenden, »und wenn man durch solche Albernheiten ganz konfus gemacht wird. – Fast hätte ich vergessen, weshalb ich eigentlich nach Chesterhills gekommen bin.« Er stand mit einem gelenkigen Sprung, plötzlich vor dem völlig überrumpelten Hearson, und ebenso plötzlich tauchten vier Polizisten hinter dem Herrn mit der Brille auf.

»Mr. Hearson, alias Mr. Johnson, recte Mr. Gardiner«, sagte der Oberinspektor gemütlich, »kommen Sie mit. Nachdem wir Ihnen heute nacht das seetüchtige Motorboot in Ihrem wunderbaren Schlupfwinkel ausgeführt haben, müssen Sie schon mit einem Polizeiwagen vorliebnehmen.«

Hearson hob rasch die Hand, aber nur bis zur Brille, an der er nervös herumfingerte.

»Pech«, sagte er mit einem stoischen Achselzucken. »Aber einmal mußte es wohl sein. – Als ich hörte, daß Sie sich mit dem Fall beschäftigen sollten, hatte ich gleich das Gefühl . . .«

»Keine Schmeicheleien, Mr. Hearson«, wehrte Murphy höflich, aber entschieden ab. »Sie wissen sehr gut, daß ich sie nicht verdiene. Sie hätten wahrscheinlich auch diesmal das Spiel gewonnen, wenn Mr. Short nicht gewesen wäre. – Sie kennen ja Mr. Short? Das heißt, diesen Namen hat er von seinen Tanten angenommen, weil Sie seinen eigentlichen etwas diskreditiert hatten. Sein Vater, in dessen Diensten Sie standen, war das erste Opfer Ihrer erfolgreichen Laufbahn, und seit einigen Jahren war der Junge deshalb dicht hinter Ihnen her. Und er hat mich jetzt immer herausgehauen, sooft Sie mich schon zu haben glaubten. – Aber darüber können wir uns ein andermal unterhalten.«

Während Hearson mit würdevoller Fassung auf dem Polizeiwagen Platz nahm und Short von seinen Fesseln befreit wurde, schwang sich der Oberinspektor, diesmal äußerst behende, wieder auf sein wunderbares Auto und ließ seinen Blick nochmals über den wimmelnden Platz vor dem Strandhotel gleiten. Dabei winkte er dem Einsiedler von Englemere mit einem lebhaften Augenzwinkern freundschaftlichst zu und konnte gerade noch den Inspektor Elliot gewahren, der eiligst um die Ecke bog.

»Mr. Elliot«, rief er scharf, und als dieser sich umwandte, deutete er einladend auf den Platz neben sich. »Sie können auch so mit nach London kommen«, raunte er dem arg enttäuschten Mann zu. »Man ist dort sehr begierig, Sie kennenzulernen.«

Während das wunderbare Auto gemächlich auf der Landstraße dahinrollte, bekam Inspektor Elliot von seinem Kollegen von Scotland Yard einige Dinge zu hören, die ihn noch mehr herabstimmten.

»Ich glaube, man wird Sie in einen Rayon stecken, wo Sie Ihre Ausbildung vervollständigen können«, meinte Murphy bedächtig. »Golf, Tennis, Polo, Kartenspiel und was sonst noch ein Chefkonstabler notwendig hat, treffen Sie ja bereits, aber mit dem anderen hapert es noch etwas. Sonst hätten Sie sich nicht mit einer solchen Gesellschaft, wie dem Colonel und diesem Hearson einlassen können.« Er verkniff die strahlenden Äuglein und zuckte vergnügt mit den Ohrenspitzen. »Wissen Sie, was ich in meine Kartothek eingetragen habe, als der abgefeimte Bursche mit der albernen Geschichte von den Panthern in Spittering Farm zu mir kam? – ›Einer der niederträchtigsten Schurken, die je ihre kalte Schnauze in mein Büro gesteckt haben‹. – Jawohl, das habe ich geschrieben. Sie können es in meinem Büro schwarz auf weiß lesen. Das heißt, Sie werden es nicht lesen können, aber das macht nichts. Die Hauptsache ist, daß ich die richtige Nase gehabt habe. Und die muß unsereiner haben, wenn er etwas ausrichten will. Der gute Mann wollte mich von Anfang an dumm machen, und ich habe ihm den Gefallen getan. Aber schließlich« – seine Mienen wurden sehr bedenklich und seine Unterlippe sank tief herab – »wäre ich ihm doch auf den Leim gegangen. Man soll sich nie zuviel zutrauen. Und wenn dieser Teufelskerl von einem Bill Short nicht gewesen wäre und mein altes Glück . . .«

Er vollendete nicht, sondern klopfte an das Holz seines wunderbaren Autos, und Inspektor Elliot saß steif und starr wie ein Stock und sah düster nach dem rauchigen Himmel der Riesenstadt, der sie immer näher kamen.


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