Louis Weinert-Wilton
Die Panther
Louis Weinert-Wilton

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4

Der Mann in der Brook Street sah sehr vornehm aus, und ebenso vornehm war jedes Stück seiner Umgebung, aber Murphy hatte seine Erfahrungen und gab auf derartige Äußerlichkeiten nicht viel. Wesentlicher war für ihn das glatte männliche Gesicht mit der etwas starken geraden Nase und den scharfen grauen Augen, die ständig nur unter halbgeschlossenen Lidern hervorblickten, aber der Teufel sollte da klug werden, wenn weder in dem einen noch in dem anderen ein Ausdruck lag.

Dieser Mr. Aubrey Rayne trug eine geradezu steinerne Maske, und der phlegmatische Oberinspektor begann nervös zu werden. Er hatte geglaubt, daß die Nennung seines Namens genügen würde, den andern unruhig oder neugierig zu machen, aber der Mann mit dem tadellosen Scheitel, in dem es hie und da bereits etwas silbrig schimmerte, tat nichts dergleichen. Er blies den Rauch seiner Zigarette mit gespitzten Lippen vor sich hin und wartete mit höflicher Gelassenheit, was Scotland Yard von ihm haben wollte. Murphy kannte diese Taktik und hielt sehr viel von ihr, aber nun, da sie sein Gegenüber anwandte, wurde sie ihm höchst unsympathisch. Der Mann schien sehr viel Zeit zu haben, mehr als er selbst, und war imstande, stundenlang unerschütterlich verbindlich dreinzusehen.

Der Oberinspektor zerrte an seinen dicken Daumen, daß sie knackten, und beschloß, einen Schritt weiterzugehen.

»Es handelt sich bloß um eine kurze Information, Mr. Rayne«, sagte er bieder und bescheiden. »Sie sind wohl Ausländer?«

»Nein, ich bin Engländer«, erklärte der Herr mit dem kalten Gesicht und sah angelegentlich auf seinen eleganten Straßenschuh.

»Um so besser«, stieß Murphy aufs Geratewohl hervor, um das Gespräch, das schon wieder ins Stocken zu geraten drohte, in Fluß zu erhalten. »Aber Sie kamen wohl erst kürzlich aus dem Ausland?«

»Allerdings. Ich habe die letzten drei Jahre auf Java verbracht.«

»Java! – Sehen Sie, da haben wir's. Ein schönes und interessantes Land. So ganz anders, als unsere langweilige Insel. Und die Leute dort mögen wohl auch von einem etwas kernigeren Schlag und nicht so schreckhaft sein, wie hierzulande.« Er blinzelte nach dem Herrn des Hauses, und als dieser noch immer kein Interesse verriet, rieb er sich verzweifelt das Kinn.

»Ich kann mir ganz gut vorstellen, daß man sich zum Beispiel auf Java ein paar Panther hält, wie bei uns ein paar Hunde, und daß dies dort weiter nichts ausmacht. Aber bei uns . . .«

Zum erstenmal sah der gefürchtete Mann von Scotland Yard die grauen Augen voll auf sich gerichtet und hielt unwillkürlich inne. In dem Blick lag etwas, was er sich nicht sofort zu deuten wußte.

»Sie wollen von den Tieren in Spittering Farm sprechen? Hat es irgendeinen Anstand gegeben?«

Murphy war froh, daß er endlich dort war, wohin er gelangen wollte, und hob abwehrend beide Hände.

»Einen Anstand? Keine Spur«, erwiderte er lebhaft. »Die Pantherchen sollen ja gut verwahrt sein, wie ich mir sagen ließ, und sich tadellos benehmen. Aber unsere Landbevölkerung hat zu solchen exotischen Tieren leider keine Beziehungen und traut ihnen nicht recht. Einem Javaner macht es gewiß gar nichts aus, mitten unter diesen netten Katzen spazieren zu gehen, aber so ein Engländer aus Maldon oder Chesterhills bekommt es schon mit der Angst zu tun, wenn er nur hört, daß so etwas irgendwo in der Nähe hinter Gitterstäben hockt.«

»Ist eine Beschwerde eingelaufen?« forschte Rayne mit seiner ruhigen Stimme weiter, und der Oberinspektor stellte fest, daß sie ganz zu dem seltsamen Blick paßte.

»Eine Beschwerde war es gerade nicht«, erwiderte er, »aber man wollte wissen, ob so etwas erlaubt ist. Natürlich habe ich entschieden ›ja‹ gesagt, denn wo kämen wir hin, wenn wir auf die übertriebene Ängstlichkeit gewisser Leute Rücksicht nehmen wollten. Da könnte nächstens einer sagen, daß er sich vor meinem Hannibal fürchtet und verlangen, daß dieses herrliche Tier umgebracht werden soll. Das gibt es natürlich nicht, ob es sich nun um einen Hund oder ein paar Panther handelt. Solange Ihre javanischen Haustiere hübsch in ihrem Käfig bleiben, darf ihnen nichts geschehen. Und deshalb habe ich mir eigentlich erlaubt, Sie aufzusuchen. – Sie lassen sie doch hoffentlich nicht hie und da ein bißchen auslaufen?«

Murphy machte eine kleine Pause. Er hatte in sein gemütliches, harmloses Gewäsch wieder einmal eine wichtige Frage eingeflochten und war begierig, was der zugeknöpfte Mr. Rayne darauf wohl erwidern würde. Aber die Antwort brachte ihn nicht weiter.

»Ich denke nicht daran.«

Der Oberinspektor entschloß sich, mit verständnisvollem Gesicht zu nicken, war aber weit davon entfernt, locker zu lassen.

»Sehen Sie, das habe ich mir gleich gedacht. Das wäre wohl auch keine so leichte Sache. Wenn ich meinem Hannibal von Zeit zu Zeit ein bißchen Freiheit gebe, so pfeife ich einfach, wenn ich glaube, daß es genug ist, und der Hund ist da. Oder manchmal auch nicht, weil er zuweilen seinen eigenen Kopf hat, aber schließlich kommt er doch. Nun kenne ich mich zwar in den Lebensgewohnheiten von Panthern nicht recht aus, aber ich glaube, daß diese sich nicht auf den Pfiff dressieren lassen und überhaupt nicht mehr kommen, wenn sie einmal draußen sind. Man müßte sie also wohl an der Leine führen«, fügte er nachdenklich hinzu und schob die dicke Unterlippe vor. »Kein Spaß, so etwas, aber wenn man mit den Tieren umzugehen weiß, ist vielleicht gar nicht so viel dabei.« Er faltete die Hände über dem Bauch und sah den andern mit kindlicher Naivität an. »Halten Sie das für möglich?«

Er erhielt nur ein kühles Achselzucken zur Antwort und war darüber sehr enttäuscht.

»Deshalb bin ich nämlich auch gekommen«, erklärte er niedergeschlagen. »Ich möchte, daß Sie mir als Mann, der in solchen Dingen erfahren ist, etwas helfen. Die Leute behaupten, daß außerhalb Spittering Farm Pantherspuren entdeckt worden seien. Ein Forstwart soll das aufgebracht haben, aber was versteht so ein Kaninchenjäger schon davon. Der hat in seinem Leben höchstens die Fährte einer wildernden Katze oder eines Fuchses zu Gesicht bekommen. Da hätte ich natürlich nicht das mindeste darauf gegeben. Aber nachdem man mir auch im Zoologischen Garten gesagt hat, daß es die Tatze von einem Panther sei, kenne ich mich nun nicht aus.«

Er schnaufte tief auf, und das viele Sprechen schien ihn so angestrengt zu haben, daß er für eine Weile erschöpft die Augen schließen mußte. Nur die Spitzen seiner Ohren bewegten sich unmerklich.

»Ich kann mir die Sache ebensowenig erklären«, sagte Aubrey Rayne, und es klang so gelassen und bestimmt, daß der Oberinspektor rasch die Äuglein wieder aufriß. Aber in dem beherrschten, hochmütigen Gesicht war nichts zu lesen, und Murphy dachte verzweifelt an das neue Blatt seiner Kartothek.

»Dieser Mann wird uns noch viel zu schaffen geben«, knurrte er, als er einige Minuten später zu dem wartenden Spang wieder in die Droschke kroch. »Nicht viel mehr als dreißig, aber abgebrüht wie der älteste Galgenvogel. Merken Sie sich das Haus, und wenn Sie einen Mann herauskommen sehen, den Sie für einen Gardeoffizier halten, das ist er.«

 

»Dieser Mann von Scotland Yard spricht zuviel, und das gefällt mir nicht«, sagte fast in demselben Augenblick Aubrey Rayne zu dem Diener mit dem würdigen weißen Haarkranz um die schimmernde Glatze, der ehrerbietig vor ihm stand. »Die Sache wird nicht so glatt ablaufen, wie wir gehofft hatten, denn man weiß, daß die Tiere draußen waren. Da muß es natürlich Lärm geben.« Er schien etwas ärgerlich und marschierte mit großen Schritten auf und ab. »Wo sind die Kleider, die ich Samstag nachts getragen habe?« fragte er dann plötzlich.

»Ich habe sie sorgfältig gereinigt und aufgebügelt.«

»Das ist zu gefährlich, denn gewisse Spuren lassen sich wahrscheinlich trotzdem nachweisen. Verbrennen Sie sie sofort«, entschied Rayne, »in einigen Stunden könnte es vielleicht schon zu spät sein. Und dann lassen Sie in Spittering Farm wissen, daß man dort alles bereithalten soll. Die Sache mit dem Mädchen muß in Ordnung gebracht werden, bevor man uns von irgendeiner Seite in die Quere kommt.« Der große breitschultrige Mann sprach bestimmt und mit einer Ruhe, als ob es sich bei seinen Anordnungen um die alltäglichsten Dinge handelte. »Wird sich das heute noch machen lassen?« Er warf einen raschen Blick nach der Uhr, und zum erstenmal klang aus seiner Stimme eine leise Ungeduld. »Es ist knapp vor eins. Bis Sie die gewissen Dinge hier besorgt haben, wird es zwei Uhr werden. Können Sie das Mädchen jederzeit erreichen?«

Der Diener verneigte sich bejahend, und in seinem ehrlichen Schafsgesicht zeigte sich ein verschlagenes Lächeln.

»Unsere Leute sind sehr geschickt und zuverlässig, Sir. Sie lassen die Lady seit einer Woche nicht eine Minute aus den Augen, und wenn Sie den Befehl geben, wird er in kürzester Zeit ausgeführt sein.«

Rayne sah aus den halbgeschlossenen Lidern auf den Mann hinab.

»Ohne jedes Aufsehen, Tom!« sagte er nachdrücklich. »Schärfen Sie das den Burschen gehörig ein. Und sagen Sie ihnen, daß ich ihnen das Genick breche, wenn sie vielleicht Gewalt anwenden sollten.«

Tom gestattete sich, leicht die Hand zu heben.

»Dazu wird es nicht kommen, Sir. Ich weiß, daß es sich um eine Lady handelt, und es wäre einigermaßen unverantwortlich, sie diesen ganz tüchtigen, aber etwas rauhen Leuten zu überlassen. Ich werde daher die Sache selbst übernehmen.«

»Wissen Sie auch, daß nach dem englischen Gesetz mindestens fünf Jahre darauf stehen?«

Auf den kleinen Mann schien das wenig Eindruck zu machen, denn er schlug die etwas vorstehenden Augen auf und lächelte. »Ich habe doch schon Dinge gewagt, bei denen es um den Kopf ging, Sir«, bemerkte er bescheiden.

»Wie Sie wollen«, sagte Rayne kurz. »Natürlich ist es mir lieber, weil ich weiß, daß ich mich auf Sie in jeder Hinsicht verlassen kann. Aber ich habe es Ihnen nicht geheißen. Ich werde mich auch bemühen, Sie herauszuhauen, wenn die Sache schief gehen sollte, aber das kann eine sehr geraume Zeit dauern, und ein englisches Gefängnis ist kein angenehmer Aufenthalt.«

»Man muß sich an alles gewöhnen, Sir«, meinte Tom phlegmatisch, und sein Herr zuckte kurz mit den Achseln.

»Vergessen Sie nicht die Kleider und dann verständigen Sie Mr. Forge, daß ich unterwegs bin.«

In der nächsten halben Stunde tat Tom mit pedantischer Genauigkeit alles, was ihm befohlen worden war. Er trennte Knöpfe und Schnallen von einem Bündel von Kleidern und schob dann Stück um Stück in den zugigen Küchenofen. Als er endlich fertig war, öffnete er für alle Fälle das Fenster und den Luftschacht und ließ sogar einen elektrischen Ventilator spielen.

Wenige Minuten vor zwei Uhr verließ der nett gekleidete ältere Herr das Haus. Er sah mit seinem Widdergesicht und den großen abstehenden Ohren zwar nicht sonderlich hübsch aus, aber er machte einen sehr vertrauenerweckenden Eindruck, und darauf kam es schließlich vor allem an.


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