Louis Weinert-Wilton
Die Panther
Louis Weinert-Wilton

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7

So kam es, daß Grace Wingroves erster Blick auf ein gutmütig lächelndes sommersprossiges Frauengesicht fiel, und dieser Anblick hatte etwas so Beruhigendes, daß das junge Mädchen wenigstens die ärgsten Besorgnisse schwinden fühlte.

Sie war während der fast zweistündigen eiligen Fahrt ein Spielball der wahnsinnigen Gedanken und tollsten Pläne gewesen, aber schließlich hatte sie doch immer wieder eingesehen, daß ihr nichts anderes übrigblieb, als sich vorläufig in die seltsame Lage, in die sie geraten war, zu fügen.

Es hatte eine ziemliche Weile gewährt, bis sie erkannt hatte, daß sie blindlings in eine geschickt gestellte Falle gegangen war. Die Vorgänge auf der Probe und die Szene auf der Straße hatten sie derart mitgenommen, daß sie wenigstens eine Viertelstunde teilnahmslos und mit geschlossenen Augen in der Ecke des Wagens gesessen hatte, bevor sie sich dessen bewußt wurde, was eigentlich vorging. Sie schrak auf und streifte den stummen Mann an ihrer Seite mit einem Blick, in dem sich ihr plötzlich erwachtes Mißtrauen widerspiegelte. »Ich danke Ihnen für Ihren Beistand«, sagte sie hastig und gepreßt, »aber nun bin ich wohl in Sicherheit. – Bitte, lassen Sie halten.«

Ihre Augen hingen in ängstlicher Spannung an den Mienen ihres Begleiters, aber sie begegnete nur einem verbindlichen Lächeln. Der vertrauenerweckende Herr mit dem Widdergesicht rührte sich nicht, und das Auto behielt sein rasendes Tempo bei.

In ihrem jähen Schreck versuchte sie den Vorhang an der Scheibe zu ihrer Rechten zu entfernen, um auf diese Weise irgendwie Hilfe herbeizurufen, aber sie mußte entdecken, daß der Stoff eine feste Verkleidung war, die allen ihren Anstrengungen widerstand. Es fiel ihr nun erst auf, daß auch das andere Fenster und selbst die Scheibe zum Führersitz auf die gleiche Weise verschlossen waren, so daß nicht einmal ihr Blick in die Außenwelt dringen konnte. Sie war eine völlig hilflose Gefangene, und so sehr sie sich auch mit der Gedankenschnelle, die die Gefahr zeitigt, den Kopf zermarterte, sah sie doch keinen Weg zur Rettung. Einen Augenblick dachte sie daran, es auf einen verzweifelten Kampf mit dem Mann neben sich ankommen zu lassen. Sie besaß Mut und eine gewisse geschmeidige Kraft, aber auch kühl berechnende Überlegung, die sie in keiner Lage verließ. Und diese veranlaßte sie schon in der nächsten Sekunde, von einem derartigen aussichtslosen Beginnen abzusehen. Selbst wenn es ihr gelang, des einen Herr zu werden, so saß vorne noch ein zweiter, und es gab für sie keine Möglichkeit, sich aus dem fest verschlossenen Wagen, der sich bereits wer weiß wo befand, zu befreien.

Sie machte noch einen letzten Versuch, ohne an einen Erfolg zu glauben.

»Lassen Sie mich aussteigen. Ich will annehmen, daß es nur ein Scherz war.«

Ihre Stimme klang kurz und herrisch, und ihre Hand klammerte sich mit festem Druck um den Arm ihres Begleiters. Aber der Herr mit dem weißen Haarkranz und der roten Widdernase schien ihre Worte nicht zu hören und ihren Griff nicht zu fühlen, sondern hatte wiederum nur sein verbindliches Lächeln, und plötzlich kam ihr der Gedanke, daß sie es vielleicht mit einem Irren zu tun habe. Sie kauerte sich rasch wieder in ihre Ecke und beobachtete ihn scheu aus den Augenwinkeln. Wenn ihre Vermutung zutraf, so wurde dadurch ihre Lage womöglich noch gefährlicher, und sie mußte doppelt vorsichtig sein.

Ein jäher Ruck warf sie plötzlich aus ihrer Ecke, aber bevor sie noch recht wußte, was geschehen war, fiel das Licht des sonnigen Sommernachmittags in das Dunkel des Wagens, und ihr Begleiter stand mit ehrerbietig gezogenem Hut am geöffneten Schlag.

Grace blinzelte einen Augenblick verwirrt und geblendet, dann gewahrte sie die rundliche Frau auf der Treppe, die verlegen die Hände an den Hüften rieb und so etwas wie einen Knix machte, und sie setzte mit verkniffenen Lippen und finsteren Brauen den Fuß auf den Tritt.

Mrs. Fanny war einigermaßen ratlos, aber dann kam ihr der Einfall, daß das Alltäglichste vielleicht das beste sei, und sie setzte ihre Zunge in lebhafte Bewegung.

»Sie werden gewiß müde sein, Miß, und ein bißchen ausruhen wollen. Die Hitze bringt einen ja förmlich um. Und dabei dauert das schon eine volle Woche.« Sie fuhr sich mit dem Handrücken über das glühende Gesicht und wandte sich einladend nach der Tür. »Aber hier drinnen haben wir es hübsch kühl. Und ich werde Ihnen sofort ein Bad bereiten, und dann bekommen Sie den Tee.« Sie war bereits in der Diele und hielt ihre freundlichen Augen über die Schulter ununterbrochen auf Grace Wingrove gerichtet, die zögernd an der Schwelle stand und nach einem Weg zur Fluch suchte. Aber sie gewahrte nur eine hohe Mauer mit einem massiven Tor, das Gewirr eines verwahrlosten Gartens und den Mann mit dem Widdergesicht, der noch immer mit gezogenem Hut wartend hinter ihr stand, und sie mußte sich sagen, daß sie wohl nicht viel weiter als einige Schritte kommen würde. Sie warf trotzig den Kopf zurück und schritt entschlossen hinter der blonden Frau drein, die Holztreppe hinauf.

Wenige Minuten später befand sich Grace allein in einem Zimmer des Obergeschosses, und wenn sie nicht das fatale Geräusch in den Ohren gehabt hätte, das das Umdrehen und Abziehen des Schlüssels verursacht hatte, so hätte sie sich höchst behaglich fühlen müssen. Der Raum mit der durchlaufenden Holztäfelung war nicht sonderlich groß, aber er hatte ein hohes und breites Fenster, durch das Licht und Wärme flutete, und alles roch nach Frische und Sauberkeit. Die Möbel waren durchweg neu und sehr geschmackvoll, und als Grace in ihrer Ruhelosigkeit, mehr mechanisch als neugierig, die zierlichen Schränke öffnete, die mit der Wandverkleidung eins zu bilden schienen, siegte für Augenblicke das weibliche Interesse über ihre Erregung. Es war da, wohl geordnet, mit farbigen Schleifen gebunden und sogar mit säuberlichen Zetteln versehen, eine ganze Wäscheausstattung aufgestapelt, und es fehlte von den Strümpfen bis zu den Taschentüchern auch nicht das winzigste Stück. Unwillkürlich faßte das junge Mädchen mit spitzen Fingern vorsichtig hier und dort nach einem Eckchen der hauchdünnen Gewebe, die sich wie Spinnfäden anfühlten. Sie hatte solche Herrlichkeiten nie in ihrem Leben besessen, und nicht einen Augenblick kam ihr der Gedanke, daß sie für sie bestimmt sein könnten. Auch der zweite Schrank war mit allen möglichen wundervollen Dingen, wie Pyjamas, Morgenkleidern, Hausschuhen und ähnlichem angefüllt, und als sie eine kleine Schiebetür in einer Nische der starken Holztäfelung öffnete, fiel ihr Blick in ein reizendes Badezimmer, auf dessen Toilettetisch es von geschliffenem Glas und silbernen Beschlägen nur so blitzte.

In diesem Augenblick vernahm Grace, wie der Schlüssel wieder ins Schloß gesteckt wurde und, wie bei einem Unrecht ertappt, beeilte sie sich, die Türen rasch wieder zuzuschlagen. Aber die stattliche Frau stand bereits auf der Schwelle und zeigte mit einem strahlenden Lächeln ihre gesunden Zähne. »Haben Sie sich schon ein bißchen umgesehen, Miß?« fragte sie eifrig. »Gefällt es Ihnen hier oder haben Sie noch einen besonderen Wunsch? Hier neben der Tür ist die Klingel, und wenn Sie etwas benötigen, bin ich sofort bei Ihnen. Ich heiße Fanny.«

Sie sprach noch geläufiger als sonst, und alles an ihr war hausfrauliche Geschäftigkeit. Sie stürzte zunächst ins Badezimmer und ließ das Wasser laufen, dann entnahm sie einem der Schränke mit sicherem Griff einen Stoß von Tüchern und Wäsche und schob das junge Mädchen sanft durch die Tür in der Nische. Grace Wingrove kamen diese Stunden mit ihren fast märchenhaften Ereignissen wie ein Traum vor. Kaum hatte sie ihr Bad beendet, als auch Mrs. Fanny schon wieder zur Stelle war und ihr mit der Geschicklichkeit einer vollendeten Kammerjungfer beim Ankleiden half. Plötzlich aber wurden die wasserblauen Augen sehr groß, und die Frau starrte mit förmlichem Entsetzen auf die zarte, runde Schulter des Mädchens, von der sich eine große häßliche Tätowierung abhob.

»Oh, was haben Sie denn da?« entfuhr es ihr, und in diesem Augenblick erwachte Grace aus ihrem wundervollen Traum. Sie bedeckte die Stelle blitzschnell mit der Hand und ihr brünettes Gesicht färbte sich vor Scham und Empörung noch dunkler. Aber die Frau merkte das nicht und mußte ihrer Verwunderung noch beredteren Ausdruck geben.

»Es ist wahrhaftig so ein ähnliches Tier, wie wir sie hier im Haus haben. Haben Sie sie nicht vielleicht schon gehört? Der große Käfig ist dort drüben« – sie deutete durch das Fenster – »und manchmal pflegen sie es ganz schrecklich zu treiben. Aber Sie müssen sich nicht fürchten, Miß«, fügte sie rasch hinzu, als sie dem eigenartigen Blick des Mädchens begegnete, »denn sie können nicht heraus, und außerdem ist der Indianer immer in der Nähe, dem sie wie Hunde folgen. Eigentlich ist es kein Indianer«, stellte sie gewissenhaft richtig, »aber er sieht ganz so aus und ist auch von irgendwo weit her. Aber warum haben Sie so ein grausliges Tier auf Ihrer feinen Haut? Wie sind Sie denn dazu gekommen?«

Während sie so mit sichtlicher Lust und Liebe drauflos plauderte, frisierte sie mit großem Geschick das wellige dunkle Haar, aber nun machte sie eine Pause und schien eine Antwort zu erwarten.

»Ich weiß es nicht«, gab Grace kurz und hart zurück, und Mrs. Fanny schüttelte erst verwundert den Kopf, dann aber kam ihr zum Bewußtsein, daß sie vielleicht eine Sache berührt hatte, die dem schönen Gast unangenehm war, und sie beeilte sich, ihren Mißgriff wieder gutzumachen. Aber zwischen den Brauen des Mädchens stand plötzlich wieder die trotzige Falte, und diese glättete sich auch nicht, als die rührige Frau Grace fürsorglich in einen Fauteuil drückte und den Teetisch mit allen möglichen Leckerbissen herbeischob.

»So, und nun stärken Sie sich, Miß. Ich war heute noch nicht so recht vorbereitet, aber von morgen an sollen Sie alles haben, was Sie wünschen.«

Grace Wingrove fand es an der Zeit, ihre erste Frage zu tun.

»Weshalb hat man mich hierhergebracht? Und wie lange will man mich hier festhalten?«

Sie bemühte sich, ihrer Stimme einen entschiedenen Ton zu geben, aber es gelang ihr nur halb, und die Wirkung ihrer Worte auf die Frau war nicht so, wie sie es erwartet hatte. Sie war darauf gefaßt gewesen, einer verlegenen Ausflucht zu begegnen, aber Mrs. Fanny sah sie mit einem unbefangenen Lächeln an und tat ungemein bieder.

»Das kann ich Ihnen wirklich nicht sagen. Aber ich begreife, daß Sie es gern wissen möchten und werde es Seiner Gnaden ausrichten.«

Das junge Mädchen setzte die Tasse klirrend nieder und hob betroffen den Kopf.

»Seiner Gnaden? Wer ist das?«

»Oh, Sie werden ihn ja gewiß kennenlernen«, meinte die blonde Frau ausweichend, und auf ihrem Gesicht lag ein Leuchten, das verriet, was Seine Gnaden für sie bedeutete. »Nun langen Sie aber ordentlich zu, und dann werde ich mit ihm sprechen.«

Rayne war über die Botschaft, die ihm Fanny mit wichtigtuender Vertraulichkeit überbrachte, nicht sehr erbaut, obwohl er eigentlich darauf vorbereitet war. Schließlich mußte man ja dem Mädchen irgendeine Aufklärung geben, aber er wußte wirklich nicht, was er ihr sagen sollte. Der Mann, den die ganze abenteuerliche Geschichte eigentlich anging, lag bewußtlos auf dem Krankenlager, und er selbst war in die Sache nur bis zu einem gewissen Punkt eingeweiht. Soviel Evans seit einem Jahr auch über seinen Plan gesprochen hatte, sobald die Rede auf die Beweggründe und den Zweck gekommen war, war er immer verschlossen und schweigsam geworden. Rayne hätte ja für seine Mithilfe volle Offenheit fordern können, und er hatte auch einmal die Bedingung angedeutet, aber dabei war in das harte Gesicht des Mannes ein so ängstlich flehender Zug gekommen, daß er davon abgesehen hatte. Er schuldete Evans außerordentlich viel, und da dieser die kleine Lady mit der Pantherkatze auf der linken Schulter um jeden Preis ausfindig machen und in seine Hände bekommen wollte, hatte er sie zur Stelle geschafft, obwohl der Mann augenblicklich mit dem Tode rang und vielleicht nie mehr zu sagen vermochte, was weiter geschehen sollte.

Es war für Rayne keine angenehme Aufgabe, dem Mädchen gegenüberzutreten und ihrer begreiflichen Erregung standzuhalten, aber er mußte sich ihr unterziehen. Vorher wollte er jedoch Peter noch einmal über die Sache ausholen.

In Peters Stube sah es primitiv aus, wie in einem Blockhaus. Er stand eben mit dick eingeseiftem Gesicht beim Fenster, glotzte in einen halb erblindeten Spiegelscherben, und während er mit der Linken vorsichtig seine breite Nase in die Höhe hielt, schabte er mit der Rechten mit einem vorsintflutlichen Messer an der Oberlippe herum. Das gab ein Geräusch, wie wenn eine Sense durch ein Ährenfeld schneidet.

»Sie sind ja so lange mit Evans beisammen gewesen«, sagte der junge Mann etwas ratlos, »daß Sie von ihm sicher dies und jenes gehört haben. – Was ist eigentlich mit dem Mädchen los, und was wollen wir mit ihm beginnen?«

»Weiß ich nicht«, knurrte der vierschrötige Mann unhöflich und gallig und zuckte mit den gewaltigen Schultern. »Über Weiber haben wir nie gesprochen. Und Sie selbst haben mir ja gesagt, daß ich mich um das Mädchen nicht kümmern soll. Meinetwegen machen Sie mit dem Ding, was Sie wollen.«

»Gut«, meinte Rayne gelassen und wandte sich zur Tür, »dann werden wir diese Sorge bald los sein. Mir paßt die Geschichte ohnehin nicht, und ich werde sie so rasch und so glatt wie möglich ungeschehen machen. Ich kann ihr ja sagen, daß es ein Irrtum war, und sie wird hoffentlich keinen Lärm schlagen. Am besten ist es, ich nehme sie gleich wieder mit nach London, denn eigentlich habe ich dann hier auch nichts mehr zu tun. Wie es um Evans steht, kann ich ja auch telefonisch zu jeder Stunde erfahren.«

»Das werden Sie nicht tun, Sir . . .« Peter war wie der Blitz herumgefahren, und sein Blick war ebenso kläglich, wie der Ausdruck seines mit Seife und Blut verschmierten Gesichtes. »Sie können mich doch in diesem verdammten Land nicht allein lassen, und Al auch nicht«, brummte er verstört und fuchtelte verzweifelt mit dem riesigen Rasiermesser in der Luft herum. »Gerade jetzt, wo das Mädchen endlich da ist. Sie können mich auf der Stelle totschlagen, wenn ich weiß, worum es sich dabei handelt«, fuhr er kleinlaut und treuherzig fort, »aber ich glaube, Al würde es nicht überleben, wenn die Geschichte schiefginge. – Sowie wir drüben ein bißchen hochgekommen waren, hat es bei ihm angefangen. Er ist an den Abenden plötzlich stundenlang am Tisch gesessen und hat immer wieder seine Banknoten gezählt, und je mehr ihrer wurden, desto versessener war er darauf. Bis mir die Geschichte eines Tages zu dumm geworden ist und ich ihm gesagt habe, daß das ganze Zeug doch nur Dreck sei, weil Leute wie wir damit nichts anfangen könnten. Aber da hat er mich angegrinst und gemeint: ›Das verstehst du nicht‹, und damit hat er auch recht gehabt. Ich habe ja auch einige solche Stöße abbekommen, und es sind immer mehr geworden, aber es ist mir nie eingefallen, mich darum zu kümmern. Nur bei ihm ist es von Jahr zu Jahr ärger geworden, und als wir dann den ganzen Krempel in die Bank schafften, hat er fortwährend herumgeschmiert und gerechnet.« Peter spitzte verächtlich den linken Mundwinkel, aber daran erinnerte er sich noch rechtzeitig, daß das innerhalb von Spittering Farm verboten war und ließ nur ein bedenkliches Schnalzen hören. »Na, und dann haben wir Sie gefunden, und Sie wissen ja, wie er auf einmal davon angefangen hat, daß er jetzt die Sache mit der kleinen Lady mit der Pantherkatze in Ordnung bringen müsse und auch die andere Geschichte. Was das sein sollte, davon hat er nie ein Wort gesprochen, sondern immer nur davon, wo und wie wir das Mädchen finden könnten. Sie haben es ja selbst gehört und wissen auch, daß ihm das keine Ruhe gegeben hat. Manchmal habe ich geglaubt, daß es in seinem Schädel nicht mehr ganz richtig sei. – Und daß wir ihn vor ein paar Nächten halbtot drüben im Busch gefunden haben, obwohl sein Schiff doch erst diese Woche eintreffen sollte, ist auch so eine Sache. Wie ist er herübergekommen?« Rätsel zu lösen, war nicht gerade Peters stärkste Seite. Er fuhr sich zunächst verzweifelt durch die lange Haarsträhne und wischte sich gedankenvoll den trockenen Seifenschaum aus dem halbrasierten, zerschundenen Gesicht. »Aber wo es um Weiber geht«, schloß er giftig, »ist immer der Teufel los.«

Rayne sah ein, daß aus dem Mann tatsächlich nichts herauszuholen war, und es blieb ihm daher nichts anderes übrig, als die Angelegenheit mit dem Mädchen so vorsichtig wie möglich weiterzuführen, um vor allem einmal Zeit zu gewinnen. Wenn Evans aufkam und so weit war, sollte er den sehnlichsten Wunsch, den er ihm so oft und so eindringlich ans Herz gelegt hatte, erfüllt sehen, und dann würde sich ja das Weitere ergeben.

Während Rayne die Treppe hinaufstieg, überlegte er, wie er den unfreiwilligen Gast behandeln sollte. Er hatte das Mädchen bisher noch nie zu Gesicht bekommen, sondern die ganze schwierige Sache hatten seine geschickten und verläßlichen Leute besorgt, und er wußte eigentlich nur, daß Grace Wingrove völlig allein stand, was das Unternehmen wesentlich erleichterte. Vielleicht erwies sie sich deshalb nun auch ganz gefügig. Schließlich hatte er ja selbst dafür gesorgt, daß sie allen erdenklichen Komfort vorfand, und in dieser Umgebung konnte sie es schon einige Zeit aushalten. Und wenn sie selbst noch irgendwelche Wünsche haben oder Bedingungen stellen sollte, so war er selbstverständlich bereit, diese zu erfüllen.

Fanny, die rasch wieder einen Blick ins Krankenzimmer getan hatte, kam mit strahlendem Gesicht hinter ihm drein und steckte den Schlüssel ins Schloß.

»Ich werde Euer Gnaden aufsperren«, tuschelte sie und klopfte. »Seine Gna . . .«, meldete sie dann förmlich, aber die letzten Silben erstarben hinter seiner Hand, die er rasch auf ihren Mund legte.

»Lassen Sie das in Zukunft«, wehrte er leise ab. »Sagen Sie einfach ›Mr. Rayne‹, wenn schon solche Umständlichkeiten gemacht werden müssen.«

»Mr. Rayne«, sprudelte die Frau gehorsam hervor. »Darf er eintreten, Miß?« Sie lauschte gespannt, und als ein kurzes »Ja« zurückkam, öffnete sie die Tür.

Es widerfuhr Aubrey Rayne äußerst selten, daß er auch nur für Sekunden seine überlegene Gelassenheit verlor, aber diesmal bedurfte er einer ziemlich geraumen Weile, um seiner Überraschung Herr zu werden und sich umzustellen. Das schlanke dunkle Mädchen mit dem feinen Kopf und dem etwas herben, schönen Gesicht, das im Licht des Fensters stand und ihn mit einem herausfordernden Blick in den langbewimperten Augen empfing, entsprach so gar nicht dem ungefähren Bild, das er sich von der kleinen Lady mit der Pantherkatze gemacht hatte, von der bisher immer die Rede gewesen war. Er sah sich plötzlich einer erwachsenen Dame gegenüber, in deren Haltung und Mienen soviel Selbstbewußtsein und Entschlossenheit lagen, daß ihm die leichte Art, mit der er die Angelegenheit zu behandeln gedacht hatte, weder passend noch aussichtsvoll erschien.

Auch Grace Wingrove mußte ihre Vorstellungen von der geheimnisvollen Persönlichkeit, in deren Hände sie geraten war, gründlich korrigieren, als der große, breitschultrige Mann mit dem kühlen Gesicht über die Schwelle trat. Aber sie hatte keine Zeit, sich mit solchen Nebensächlichkeiten abzugeben. Sie mußte endlich darüber ins klare kommen, was diese unerhörte Behandlung bedeuten sollte, und was man mit ihr vorhatte. Noch größer als das Gefühl der Angst war die Empörung in ihr, und sie vermochte sich nur mit äußerster Mühe zu beherrschen.

»Sind Sie der Mann, der diesen Schurkenstreich angezettelt hat?« fragte sie schneidend. »Ich erwarte, daß Sie nicht weitergehen werden. Ich habe Sie nie gesehen und weiß nicht, wo ich mich befinde, und ich würde über die Sache hinweggehen, wenn Sie mir den Weg freigeben. Aber sofort.«

Sie blitzte ihn an, ballte die Hände und machte einige hastige Schritte zur Tür, aber Rayne versperrte ihr groß und breit und in seiner alten Ruhe den Ausgang. Er verwünschte in diesem Augenblick den Zufall, der ihn in diese Geschichte verwickelt hatte, aber gleichzeitig wurde diese Geschichte, die ihm bisher völlig gleichgültig gewesen war, für ihn mit einemmal zu einer persönlichen Sache. Dieses Mädchen mit dem Feuer in den Augen und in jeder Bewegung des geschmeidigen Körpers glich ganz der Pantherkatze, mit der sie gezeichnet war. Rayne vergaß völlig die Lider halb zu schließen, wie er es gewohnt war. Erst als Grace unerschrocken und gebieterisch dicht vor ihm stand, kam er wieder einigermaßen ins Gleichgewicht.

»Wollen Sie mich einige Augenblicke geduldig anhören«, begann er höflich und mit einer gewissen Befangenheit, aber sie verspürte nicht die geringste Lust dazu.

»Ich verlange von Ihnen bloß zu hören, ob Sie mich freigeben wollen oder nicht«, stieß sie gereizt hervor. »Alles andere können Sie sich ersparen. Es interessiert mich nicht. Also, ja oder nein?« Sie duckte sich wie zu einem Angriff, und der große Mann verschränkte die Arme und schlug wieder die grauen Augen auf.

»Nein«, sagte er gelassen, aber bestimmt, und sie warf betroffen den rassigen Kopf empor und sah ihm sekundenlang scheu und forschend ins Gesicht. Dann wandte sie sich mit einer brüsken Bewegung wortlos ab und trachtete, möglichst viel Raum zwischen sich und ihn zu bringen.

»Darf ich Ihnen nun vielleicht einige Worte sagen, Miß«, fragte er. »Sie werden zwar an Ihrer augenblicklichen Lage nichts ändern, aber vielleicht werden Sie sich dann etwas leichter darein finden. Es handelt sich gewiß nur um wenige Tage. Wenn der Mann, dem an Ihnen so viel gelegen ist . . .«

Grace horchte gespannt auf, aber so beklommen sie sich auch fühlte, mochte sie es doch nicht merken lassen.

»Also eine ganze Bande«, höhnte sie. »Und Sie sind nicht einmal das Oberhaupt, sondern nur ein Werkzeug, wie der Mann mit dem infamen Schafsgesicht.«

»Lassen Sie das den Armen nicht hören«, sagte er, und um seinen Mund spielte so etwas wie ein Lächeln. »Er heißt Tom, wenn Sie seiner bedürfen sollten, und ist schrecklich eitel.« Sein leichter, etwas spöttischer Ton reizte sie noch mehr.

»Oh, ich werde ihm noch ganz andere Dinge sagen«, brach sie neuerlich los. »Und Ihnen auch. Ihrem sauberen Auftraggeber aber können Sie bestellen, daß er sich hüten soll. Ich bin kein wehrloses Kind.«

Aubrey Rayne hatte schon wieder die Augen offen und lächelte nun ganz deutlich.

»Er scheint Sie aber dafür zu halten.«

»Wieso?« fragte sie aufgebracht.

»Weil er immer nur von der kleinen Lady mit der Pantherkatze spricht.«

Zum drittenmal an diesem Tag wurde Grace Wingrove an das häßliche Zeichen gemahnt, das ihr aufgedrückt war, und sie stand einen Augenblick wie erstarrt. Dann aber ging plötzlich ein krampfhaftes Zucken durch ihren Körper, und sie schlug in Scham und Verzweiflung die feinen, schlanken Hände vors Gesicht.

Der große, breitschultrige Mann fühlte sich dieser Situation nicht gewachsen. Er drückte sich rasch und geräuschlos durch die Tür und ging sogar draußen noch auf den Fußspitzen.

Die dralle Frau drehte wieder den Schlüssel im Schloß, und als sie Rayne eingeholt hatte, blinzelte sie mit fragenden Augen zu ihm auf.

»Ist sie nicht schön, Euer Gnaden?« flüsterte sie vertraulich. Aber Seine Gnaden hatte einen eigenartigen Zug um den Mund und einen seltsamen Blick und schien sie gar nicht zu hören.


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