Louis Weinert-Wilton
Die Panther
Louis Weinert-Wilton

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27

Murphy hatte an diesem Nachmittag nach einem kurzen Schläfchen stundenlang beschaulich auf der großen Terrasse des Strandhotels herumgelungert und mit der Bucht und den umliegenden Hängen geliebäugelt. Die Festwoche von Chesterhills sollte heute mit einer venezianischen Nacht ihre Fortsetzung finden, für die mehrere Dampfer gechartert worden waren, und es gab alle möglichen Vorbereitungen zu sehen.

Auch Inspektor Elliot gondelte geschäftig hin und her, aber als er endlich den Mann von Scotland Yard erblickte, kam er auf die Terrasse, um ihm eine Weile Gesellschaft zu leisten und sich nach seinen Anstrengungen etwas zu erfrischen.

»Wir haben gestern noch eine unangenehme Sache gehabt, von der Sie wahrscheinlich noch nicht wissen dürften«, begann er mit wichtiger Miene. »Miß Ormond ist im Direktionszimmer betäubt und ihres Schmuckes beraubt worden. Ich wollte Sie schon heute vormittag davon verständigen, aber Sie waren leider ausgeflogen.«

»Ich machte einen kleinen Morgenspaziergang«, erklärte Murphy mit verlegener Hast. »In meinen Jahren muß man früh ein bißchen laufen. Wenn ich natürlich gewußt hätte . . . Also, ein richtiger Raub. Schau, schau! Man sollte es nicht für möglich halten, daß solche Dinge in einer so schönen und ruhigen Gegend geschehen können. – Und natürlich wieder keine Spur, wie bei den anderen Geschichten?«

Er blinzelte den schneidigen Inspektor erwartungsvoll an, aber dieser tat sehr kühl und verschlossen und nestelte mit großer Umständlichkeit an seiner fabelhaften Krawatte.

»Ich habe natürlich sofort Erhebungen eingeleitet«, schnarrte er leichthin, »vielleicht . . .« Er ließ es bei dieser Andeutung bewenden, und Murphys enttäuschtes Gesicht bereitete ihm eine große Genugtuung.

Er ließ den armen Oberinspektor sehr niedergeschlagen zurück, und als einige Zeit später Hearson auftauchte, fand er Murphy mit sorgenvollen Falten in dem behäbigen Gesicht. »Etwas Neues?« fragte der lebhafte Mann, wartete aber nicht erst die Antwort ab, sondern kam ebenfalls sofort in geheimnisvollem Flüsterton auf die Juwelengeschichte zu sprechen. »Das ist eigentlich der böseste Fall von allen«, meinte er bedrückt. »Wenn man nicht einmal hier im Hotel mehr sicher ist, droht uns eine Katastrophe. Glücklicherweise konnte ich den Colonel noch im letzten Moment daran hindern, Lärm zu schlagen. Er verdächtigte nämlich einen Gast, der von Spittering Farm herübergekommen war.« Er machte eine kleine Pause und schob seine Brille herum, bevor er etwas zögernd fortfuhr. »Wie Sie sich vielleicht erinnern werden, bin ich wegen dieser Leute vor einigen Tagen bei Ihnen gewesen. Es handelte sich um die Panther.«

»Die Panther . . .«, hauchte Murphy und riß die Äuglein weit auf. »Richtig. Natürlich erinnere ich mich. Sie meinen doch nicht . . .?«

Hearson hob vielsagend die Schultern.

»Ich meine gar nichts«, stellte er dann hastig fest. »Aber es sind doch schließlich die einzigen Leute in der Umgebung, von denen man nichts Näheres weiß, und da ist es nur natürlich, daß alles mögliche über sie gemunkelt wird. Ebenso wie über den Mann von Englemere, der auch erst vor kurzem in der Gegend aufgetaucht ist und wie ein Einsiedler haust. Ich glaube, er heißt Short, und sein kleiner Besitz liegt etwa eine Meile hinter der Bucht. Außerdem soll ihm auch noch eine der Hütten im Ort gehören. – Das sind die einzigen Fremden, die wir hier haben«, schloß er bedächtig und richtete seine scharfen Brillengläser auf den Oberinspektor, der mit hängender Unterlippe und ratlosen Augen dasaß.

»Dieses Chesterhills wird mich noch um mein ganzes Renommee bringen, und das überlebe ich nicht«, seufzte er so verzweifelt, daß Hearson sich gedrängt fühlte, ihn zu trösten.

»Sie werden sicher plötzlich über den gewissen toten Punkt hinwegkommen, wenn Sie sich nicht zu sehr in die Sache einspinnen. Das soll man nicht, denn das trübt den Blick. – Wenn ich vor einer schwierigen geschäftlichen Sache stehe, schlage ich sie mir immer für eine Weile aus dem Kopf und zerstreue mich. Sehen Sie sich also zunächst einmal unser heutiges Wasserfest an. Es wird wirklich sehr hübsch werden, denn wir haben für alle möglichen Überraschungen gesorgt.«

Er sprach sehr lebhaft und eindringlich, aber Murphy schüttelte wehmütig den dicken Kopf.

»Das ist leider nichts für mich. Ich bin rheumatisch und könnte mir dabei das schönste Gliederreißen holen.«

Hearson drückte dem Mann, dem so schwer zu raten und zu helfen war, teilnahmsvoll die Hand und eilte geschäftig davon, um sich wieder in seine Verpflichtungen zu stürzen, während Murphy die großen Hände über dem Bauch faltete und trübselig über das spiegelnde Wasser blinzelte.


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