Louis Weinert-Wilton
Die Panther
Louis Weinert-Wilton

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11

Angekleidet, wie sie sich in Furcht und Entsetzen auf ihr Lager geworfen hatte, erwachte Grace an diesem Morgen nach einem traumlosen Schlaf der Erschöpfung, und ihr erster angstvoller Blick galt ihrer Umgebung, in der sich auch nicht das geringste verändert hatte. Selbst das Fenster, das sie ganz deutlich immer weiter nach oben hatte gleiten sehen, war da, und der würzige Hauch, der aus dem Park hereinströmte, ließ sie tief und befreit aufatmen. Fast wäre sie versucht gewesen, die aufregenden Bilder und Eindrücke der verflossenen Nacht für Ausgeburten ihrer erregten Phantasie zu halten, wenn sie nicht gar so lebendig gewesen wären.

Sie fand aber keine Zeit, darüber nachzugrübeln, denn kaum hatte sie sich geregt, so stand auch schon frisch, freundlich und gesprächig wie immer, Mrs. Fanny im Zimmer.

»Sie haben sich wohl sehr geängstigt, Miß«, begann sie sofort mit vertraulicher Besorgtheit, »und es wäre eigentlich meine Pflicht gewesen, mich sofort nach Ihnen umzusehen, als das schreckliche Gewitter kam. Aber ich hatte gerade etwas Dringendes zu tun und konnte Sie nicht einmal darauf aufmerksam machen, daß Ihr Zimmer nach unten fahren würde, damit Sie von dem Unwetter nicht gestört werden. Dieser Teil des Hauses ist nämlich so eingerichtet«, erklärte sie unbefangen, als ob es sich um eine ganz alltägliche Sache handelte, »aber wenn man das nicht weiß, muß man natürlich einen gehörigen Schreck kriegen.« Sie wirtschaftete bereits wieder im Badezimmer, und ihre resolute Stimme strömte mit dem rauschenden Wasser um die Wette. »Ich habe ja später zu Ihnen hinein geguckt, doch da haben Sie schon so fest geschlafen, daß ich Sie um nichts in der Welt geweckt hätte. Ihr Kleid werde ich schon wieder in Ordnung bringen, und inzwischen ziehen Sie etwas von unseren Sachen an.«

Grace hatte sich am ersten Tag schroff dagegen gewehrt, auch nur eines der feinen Wäsche- und Kleidungsstücke anzulegen, die in den Schränken vorbereitet waren. Aber heute fühlte sie eine solche Mattigkeit, und ihre Widerstandskraft war so gelähmt, daß sie sich in alles fügte, was die energische Frau für gut befand.

Mrs. Fanny betätigte sich mit geschäftigen Händen und kritischen Blicken wie eine vollendete Kammerjungfer, und als sie dem jungen Mädchen das duftige weiße Sommerkleid übergestreift hatte, vermochte sie ihrer Bewunderung nicht länger Gewalt anzutun.

»Wie eine Prinzessin«, sagte sie strahlend und schleifte Grace kurzerhand vor einen hohen Spiegel, wo sie rasch noch einiges zurechtzuzupfen hatte. »Und wie wenn die Sachen für Sie gemacht worden wären, Miß.«

Das junge Mädchen hatte für ihr Spiegelbild nur einen etwas widerwilligen und mürrischen Blick, aber sie hätte keine Frau sein dürfen, um schließlich nicht doch gefesselt zu werden. Zu dem brünetten Gesicht mit dem dunklen Haar bildete das schimmernde Weiß einen wirkungsvollen Kontrast, und nachdem sich Grace ganz mechanisch einige Male vor dem Spiegel gedreht und gewendet hatte, setzte sie sich sogar mit einigem Appetit an den Frühstückstisch.

Die behäbige Frau sah ihr mit glänzenden Augen zu, aber plötzlich bekam das junge Mädchen wieder die finstere Falte zwischen den dichten Brauen und blickte sehnsüchtig in den Park.

»Das halte ich nicht aus«, sagte sie, indem sie sich mit einem Ruck erhob und die schlanken Glieder reckte. »Ich muß ein bißchen frische Luft und Bewegung haben.«

Ihre Forderung klang sehr bestimmt, und ihr Blick verriet, daß sie gesonnen war, sie noch energischer zu vertreten, aber zu ihrer Überraschung fand sie bei Fanny keinen sonderlichen Widerstand.

»Natürlich, daran habe ich auch schon gedacht. Sie können doch nicht die ganze Zeit wie eine Gefangene im Zimmer hocken. Wenn ich Zeit hätte«, fuhr sie überlegend fort, »würde ich sofort selbst mit Ihnen ein bißchen herumlaufen – aber ich werde es seiner Gna . . .« sie verschluckte hastig die letzte Silbe – »Mr. Rayne sagen.«

»Wer ist dieser Mr. Rayne?« fragte Grace plötzlich rundheraus, und die flachsblonde Frau bekam noch rötere Backen, als sie sonst schon hatte.

»Oh . . .«, begann sie strahlend, aber dann stockte sie und kramte eilig an Stellen herum, wo sie dem jungen Mädchen ihren breiten Rücken zeigen konnte. »Mr. Rayne ist eben Mr. Rayne«, meinte sie einfach. »Sie haben ihn ja gestern schon gesehen. Er ist ein Gentleman und wird Sie sicher gerne begleiten.«

Das paßte Grace gar nicht, und sie ließ darüber keinen Zweifel aufkommen.

»Ich will allein gehen«, erklärte sie scharf, aber Fanny schüttelte ganz energisch den Kopf.

»Das kann nicht sein, Miß. Ich habe Ihnen doch schon gesagt, daß wir zwei schreckliche Raubtiere hier haben, und dann haben wir auch zwei Wilde im Haus, vor denen Sie sich vielleicht ängstigen könnten. Das heißt«, fuhr sie gewissenhaft fort, »der wirkliche Wilde ist eigentlich gar nicht so wild, sondern eine ganz gute Haut, aber der andere, der in Wirklichkeit kein richtiger Wilder ist, ist zum Fürchten. Aber er tut eigentlich auch nichts, und wenn er Ihnen einmal in den Weg kommen sollte, so rufen Sie mich nur, und ich werde ihm mit einem nassen Lappen schon Beine machen.«

Als Grace Wingrove eine Viertelstunde später hochaufgerichtet die Treppe herunterkam, hatte sie für den großen eleganten Mann, der sie in der Diele erwartete und höflich den Hut lüftete, nicht einmal einen Blick. Sie schritt geradeaus der offenen Tür zu, leistete aber gehorsam Folge, als eine gelassene Stimme hinter ihr sagte:

»Nach links, bitte. Ich möchte Ihnen zunächst einmal unsere Tiere zeigen.«

Sie überquerten schweigend den kleinen freien Platz hinter dem Wohnhaus, auf dem Grace in der verflossenen Nacht den sonderbaren Aufzug beobachtet hatte, und kamen dann an ein dichtes Buschwerk, durch das es überhaupt keinen Weg zu geben schien. Aber ihr Begleiter schob das Blättergewirr etwas auseinander, und es zeigte sich ein schmaler Pfad, auf dem er langsam voranschritt. Er bog sorgsam die Zweige beiseite, damit sie nicht hängenblieb, stieß hier und da einen dürren Ast aus dem Weg, aber sonst schien sie für ihn nicht vorhanden zu sein. Er sah mit halb geschlossenen Lidern über sie hinweg, und Grace stellte dies mit einer gewissen Befriedigung fest. Sie war auf eine zudringliche Geschwätzigkeit vorbereitet gewesen, gegen die sie sich mit einem eisigen Schweigen gewappnet hatte, aber wenn er ihr das so leicht machte, um so besser.

Erst vor dem Zwinger, einem ehemaligen Stall, dessen vordere Wand nun ein enges starkes Eisengitter bildete, verstand er sich wieder zu einigen erklärenden Worten.

»Es sind zwei Sunda-Panther. Ein Männchen und ein Weibchen. Etwas über eineinhalb Jahre alt. Wollen Sie, bitte, für alle Fälle nicht zu nahe gehen, denn wenn sie Fremde sehen, werden sie zuweilen sehr ungebärdig.«

Er sprach in dem trockenen Ton eines Mentors und etwas von oben herab, und sein regelmäßiges, männliches Gesicht mit dem energischen Kinn und dem weißen Haar an den Schläfen hatte etwas sehr Gelangweiltes.

Die beiden Panther, die ihr glänzendes Fell in der Sonne gewärmt hatten, waren sofort hoch und äugten mit schillernden Pupillen nach der aufreizenden weißen Gestalt vor ihren Stäben. Dann begannen sie einige Male längs des Gitters hinzustreichen, um plötzlich ihre Pranken in das Eisen zu schlagen und mit weit offenem Rachen erbost zu fauchen.

Grace war so entsetzt, daß sie unwillkürlich zurückwich, und es wäre ein unangenehmer Fall in die Hecken geworden, da ihr Fuß in eine kleine Unebenheit geriet. Aber Rayne hatte sie bereits umfaßt und stellte sie mit einer Leichtigkeit wieder auf die Füße, als ob sie eine Puppe wäre. Bevor sie noch dazu kam, sich gegen diese Hilfeleistung zu wehren, hatte er seinen Arm schon wieder zurückgezogen, und sie vermochte nicht einmal ein kurzes »Danke« herauszubringen. Eine schlanke braune Gestalt war plötzlich dicht am Gitter aufgetaucht, und das Erscheinen des Burschen mit dem tiefschwarzen, in einen Knoten geschlungenen Haar ließ die unfreundlichen Bestien mit einem Schlag verstummen. Sie klappten eilig die Rachen zu und trollten sich wie Hunde in den Hintergrund.

»Das ist Mamed«, sagte Rayne kurz. »Er hat die Tiere aufgezogen, und so unbändig sie sonst sind, ihm gehorchen sie auf den Wink.«

Außer dem Zwinger gab es in Spittering Farm eigentlich gar nichts zu sehen, aber Rayne führte das junge Mädchen trotzdem durch den ausgedehnten Park, in dem offenbar seit vielen Jahren keine pflegende Hand gewaltet hatte. Je mehr sie sich der Parkmauer näherten, desto undurchdringlicher wurde das Gebüsch, und schließlich kamen sie überhaupt nicht mehr weiter und mußten einen großen Bogen machen, um das Ende des Grundstücks zu erreichen. Der Boden stieg hier etwas an, und als Grace sich umblickte, konnte sie das leuchtende rote Dach des Hauses sehen. Es ruhte auf einem eigenartigen fensterlosen quadratischen Aufbau, und erst dann kamen die eigentlichen Hausmauern.

Nachdem sie noch etwa eine Stunde planlos und schweigend herumgeschlendert waren, nahm das junge Mädchen von selbst den Weg nach der Richtung, in der das Haus liegen mußte, aber plötzlich stockte ihr Fuß, und sie suchte mit einer jähen Bewegung an der Seite ihres Begleiters Schutz. Wenige Schritte vor ihnen hatten sich die Zweige bewegt, und Grace hatte ganz deutlich ein Paar lebhaft funkelnde Augen wahrgenommen, die durchdringend auf sie gerichtet waren. Aber Rayne hatte diese Augen schon bemerkt, und als sie scheu zu ihm aufblickte, konnte sie gerade noch gewahren, wie er mit einer unwilligen, herrischen Gebärde den Kopf zurückwarf, worauf die glühenden Punkte blitzschnell verschwanden und durch die Spitzen des Buschwerks ein rasches wellenförmiges Schaukeln lief.

Grace hätte gerne gewußt, was das gewesen war, aber er sprach nach wie vor kein Wort, und sie schritt etwas gekränkt mit fest verbissenen Zähnen neben ihm her.

Als das Mädchen, von Fanny mit einem strahlenden Lächeln empfangen, mit einem kurzen Kopfnicken in der Diele verschwunden war, wartete Rayne auf Peter, um ihm gründlich den Kopf zurechtzusetzen. Er hatte sehr wohl bemerkt, daß dieser die ganze Zeit um ihren Weg geschlichen war, und diese Neugier ärgerte ihn.

Der vierschrötige Mann schien zu ahnen, was seiner wartete, denn es währte ziemlich lange, bevor er auftauchte, und der trotzige Zug in seinem verwilderten Gesicht war etwas unsicher. Sein dünner Schifferbart war wirr und zerzaust wie immer, aber wo gestern noch die langen Stoppeln gestanden hatten, gab es heute nur ansehnliche Kratzer, und das lange Haar heftete so dicht an dem Schädel, als ob es angeklebt wäre. Aus dem rechten Mundwinkel ragte die schwarze qualmende Shagpfeife, und um den linken ging ein bedenkliches Zucken.

»Sie können den Urwald nicht loswerden«, empfing ihn Rayne scharf. »Weder in Ihrem Äußeren, noch in Ihrem Benehmen. Wenn die Sache schlimm ausgefallen wäre, hätten Sie die Verantwortung zu tragen gehabt. Sie können sich doch denken, daß das Mädchen nicht noch mehr geängstigt werden darf. Es mag ihr ohnehin bereits übel genug zumute sein.«

»Ich habe sie nicht geängstigt«, protestierte Peter brummig. »Ich habe sie mir nur anschauen wollen, und das wird wohl erlaubt sein.«

»Nein«, entschied der junge Mann bestimmt. »So lange Sie so aussehen nicht. Hierzulande ist man einen solchen Anblick nicht gewöhnt. Wenn er einem aber nicht erspart bleibt, kommt man auf die schlimmsten Befürchtungen. Deshalb habe ich Ihnen auch verboten, sich blicken zu lassen, und dabei bleibt es, Mr. Forge.«

Peter wandte sich zunächst zur Seite, um seinen linken Mundwinkel zu erleichtern, aber er tat es in möglichst unauffälliger Weise, denn wenn dieser Sir ihn »Mr. Forge« nannte, war die Sache nicht recht geheuer.

»Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen«, grollte er. »Ich habe mich doch rasiert und den Kopf eine halbe Stunde unter das Wasser gehalten, und ein frisches Hemd habe ich auch angezogen.«

»Das genügt noch lange nicht«, sagte Rayne mit einem leichten Zucken um den Mund. »Ich finde wenigstens nicht, daß Sie dadurch weniger schrecklich geworden sind.«

»So«, stieß Peter hervor und sah giftig, aber auch etwas ratlos zu dem andern auf. »Meinen Sie etwa gar, daß man mich für einen Waldmenschen oder einen Affen halten kann?«

»Wenn man nicht sehr genau hinsieht, unbedingt«, gab der große Mann gelassen zurück. »Schauen Sie doch einmal in den Spiegel oder noch besser, machen Sie es einfach Evans nach. Der hat schon auf Java etwas auf sich gehalten.«

Der ungehobelte Forge fuhr sich grimmig in die nassen Haare, daß sie plötzlich nach allen Richtungen starrten.

»Al kann tun, was er will«, fauchte er, »und ich tue auch, was ich will. Jawohl. Und wenn ich hundertmal aussehe, wie ein Orang-Utan, bin ich doch genau so viel wie er. Das wissen Sie selbst am besten, Sir. Aber Sie behandeln mich, als ob ich ein grausliches Vieh wäre oder die Pest hätte. – Ich, Peter Forge, soll mich vor dem Mädchen verstecken! Wo ich mich doch um sie genau so kümmern soll wie Sie. ›Hab ein Aug auf das Mädchen‹, hat mir Al immer wieder gesagt, und Sie waren ja dabei. Wie soll ich das aber machen, wenn ich nicht einmal auf zehn Yard auf sie heran darf?« Er begann mit den gewaltigen Händen in der Luft herumzufuchteln und breitbeinig auf und ab zu marschieren. Plötzlich aber blieb er stehen und sah mit verkniffenen Augen zu Rayne auf. »Aber jetzt weiß ich, was ich tun werde. Sie werden schon sehen, Sir . . .« Es klang wie eine arge Drohung, und als er sich mit geducktem Schädel auf den Hacken drehte und um die nächste Ecke schlug, hätte man ihm wirklich das Fürchterlichste zutrauen können.


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