Louis Weinert-Wilton
Die Panther
Louis Weinert-Wilton

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29

Grace Wingrove hatte den Schreck des verflossenen Tages überwunden, aber ihre Befangenheit war geblieben.

Rayne war diesmal pünktlich zum Frühstück erschienen und gab sich wirklich alle Mühe, ihre frühere Laune zu wecken, aber es wollte ihm nicht gelingen. Das junge Mädchen lächelte höchstens verträumt und ein bißchen wehmütig, gab kurze, fast schüchterne Antworten und vermied es vor allem, ihn anzusehen, so sehr er sich auch anstrengte, einen Blick aus ihren dunklen Augen aufzufangen. Es gab immer wieder lange Minuten, in denen das Gespräch völlig stockte, aber nach solch einer ungemütlichen Pause hob Grace plötzlich den Kopf, starrte irgendwohin in den Park und begann nervös mit den schlanken Fingern zu spielen.

»Was ist mit dem Mann, von dem Sie mir gesprochen haben?« fragte sie, aber ihre Wißbegierde gab sich lange nicht mehr so trotzig und befehlend, wie noch vor wenigen Tagen. Es fiel ihr vielmehr sichtlich schwer, von der Sache zu sprechen, und die Worte kamen immer langsamer und leiser von ihren Lippen. »Der mich angeblich hierher bringen ließ und von dem es abhängen soll, was mit mir geschieht. Einmal muß sich das ja endlich entscheiden«, schloß sie apathisch, und Rayne sah höchst betroffen in ihr müdes Gesichtchen, in dem es verdächtig zuckte.

»Gewiß, Miß Wingrove«, stimmte er lebhafter bei, als es sonst seine Art war. »Ich hoffe sogar schon heute. Der Mann war schwer krank, aber nun dürfte man sich mit ihm vielleicht bereits verständigen können.«

»Wer ist es?« forschte sie, aber aus ihrer Frage klang kaum mehr als ein geringes Interesse.

Rayne war längst entschlossen, der Geheimniskrämerei ein Ende zu bereiten, soweit er dies vermochte, und das junge Mädchen erhielt diesmal keine ausweichende Antwort.

»Ein Mr. Al Evans aus Java. Er liegt in dem Zimmer unter dem Ihren und ist der Kompagnon von Mr. Forge.«

Er hörte plötzlich ein leises, belustigtes Lachen, und als er überrascht nach Grace blickte, konnte er für einige Sekunden ihre Augen erhaschen.

»Es ist so komisch, daß der arme, gute Mr. Peter ein Kompagnon ist«, meinte sie heiter. »Ich bitte Sie, wovon? – Und Sie sind wohl der Dritte im Bunde?«

Er freut sich, sie in etwas fröhlicher Stimmung zu sehen und schlug einen scherzhaften Ton an, um sie in dieser Laune zu erhalten.

»Sehen Sie, so kann der Schein trügen, Miß Wingrove. Dieser arme, gute Mr. Peter trägt einen Depotschein von über zwei Millionen unter seinem nicht immer ganz sauberen Hemd. Allerdings in holländischen Gulden, aber auch in Pfunden macht das eine ganz nette Summe aus.«

»Hundertsiebzigtausend Pfund«, rechnete sie prompt im Kopf aus, weil sie einmal auch in einem Wechselgeschäft tätig gewesen war, und konnte sich vor Staunen nicht fassen. »Womit kann man soviel Geld verdienen?«

»Dort drüben mit allem möglichen, und die beiden Männer haben es auch getan.«

»Und Sie?« fragte Grace nach einer langen Weile leichthin.

»Ich gehöre nicht dazu«, erklärte er, »aber ich verdanke den beiden braven Leuten sehr viel. Sie haben mich und Tom nach einem verunglückten Ausflug aufgelesen und gesundgepflegt. Und dann hat es sich so geschickt, daß wir zusammen herübergefahren sind. – Das heißt, Mr. Evans ist später nachgekommen.«

Grace Wingrove hatte noch eine Frage auf dem Herzen, aber sie kämpfte lange mit sich, ehe sie sie in Worte kleidete. »Und warum haben sie die Panther mitgebracht?« Es sollte gleichgültig klingen, kam aber stockend und tonlos heraus.

»Das weiß ich leider nicht«, gab er mit einem Achselzucken ehrlich zurück. »Offengestanden habe ich mich auch schon oft darüber gewundert. Es sind ja gewiß keine Tiere für einen englischen Haushalt. Aber Mr. Evans wollte sich auf keinen Fall von ihnen trennen. Da Sie es wünschen, werde ich ihn darüber befragen.«

Damit sollte ihm jedoch ein anderer zuvorkommen.

»Mr. Murphy«, meldete Tom steif und förmlich unter der Tür. »Er läßt sich nicht abweisen, obwohl ich ihm sagte, daß Sie um diese Stunde nicht empfangen.«

»Nein«, sagte der Oberinspektor unverfroren, indem er auch schon sein feistes, strahlendes Gesicht ins Zimmer steckte, »das können Sie mir nicht antun, Mr. Rayne. Ich bin zufällig mit meinem Auto« – er nahm mit dem Wort den Mund so voll, als ob es sich um einen riesigen Rennwagen gehandelt hätte – »hier vorübergekommen und habe mir gedacht, daß wir eigentlich doch noch Verschiedenes zu besprechen hätten.«

Er gewahrte plötzlich das junge Mädchen, umfaßte sie mit einem raschen Blick und machte ihr dann eine ehrerbietige Verbeugung.

»Oh, Verzeihung, daß ich so eingedrungen bin, Mrs. . . .«

Grace errötete bis unter die Haarwurzeln und wollte sich scheu und eilig zurückziehen, aber der Mann mit den angegrauten Schläfen blieb trotz seiner Empörung über den zudringlichen Gast Herr der Situation.

»Gestatten Sie, Miß Wingrove«, sagte er mit ausgesuchter Höflichkeit, »daß ich Ihnen Mr. Murphy vorstelle.«

Der vierschrötige Mann dienerte neuerdings, Grace neigte das Köpfchen, und diesmal ließ Rayne sie ungehindert gehen. Die Dinge, deretwegen dieser Mann kam, waren unbedingt nicht für ihre Ohren bestimmt, und er wußte selbst noch nicht, worum es diesmal gehen würde. Es konnte wieder die Sache mit Evans sein, aber auch die Geschichte von heute nacht in Chesterhills.

Murphy saß bereits ohne Aufforderung in einem bequemen Stuhl, schnaufte, als ob er einen Dauerlauf hinter sich hätte, und wischte sich umständlich die Stirn. Aber kaum hatte sich die Tür hinter dem Mädchen geschlossen, als er das Taschentuch energisch einsteckte, ein Bein über das andere schlug und mit einemmal alle Mätzchen sein ließ.

Rayne sah ein Paar blitzende Äuglein in einem gespannten Gesicht und einen dicken Daumen, der nach der Tür gerichtet war.

»Die Lady mit der Pantherkatze . . .«, sagte der Oberinspektor halblaut, und der junge Mann richtete sich unwillkürlich blitzschnell halb auf, als er diese Bezeichnung zum erstenmal aus dem Mund eines Fremden hörte. Er war so überrascht, daß er nicht wußte, was er erwidern sollte, aber Murphy überhob ihn der Verlegenheit, indem er kurz, abgehackt und bestimmt weitersprach. »Gut, das ist mir eine Beruhigung. Ich habe es mir zwar gleich gedacht, aber es ist besser, man weiß so etwas ganz sicher. Nun kann ich danach meine Maßnahmen treffen. Schließlich ist die Dame für mich zehntausend Pfund wert. Oder eigentlich nur acht, weil der blöde Spang . . . Aber das macht immerhin gegen vierhundert Pfund Zinsen im Jahr.« Er drohte schon wieder, ins Uferlose zu geraten, stoppte jedoch noch im letzten Augenblick. »Ich sage Ihnen das nur, Sir, damit Sie begreifen, wie sehr mir an der Sache gelegen ist, von meiner verdammten Pflicht und Schuldigkeit natürlich ganz abgesehen. – Und sie ist ein wunderschönes Mädchen. Finden Sie nicht auch?«

Murphy schien gerade auf diese ganz unwesentliche Frage eine Antwort zu erwarten, denn er sah den eleganten Mann erwartungsvoll an, aber dieser begnügte sich mit einem leichten Neigen des Kopfes. Er hatte bisher nicht ein Wort von dem verstanden, was der Oberinspektor hervorgestoßen hatte, und war nur begierig, wo das hinaus sollte.

Der seltsame Detektiv trommelte mit den Fingern einen schottischen Marsch, bevor er seinen Faden wieder aufnahm. »Nun heißt es aber verdammt aufpassen, damit nicht noch im letzten Augenblick ein Malheur geschieht. Die Burschen werden das Äußerste wagen, denn es steht für sie dabei zuviel auf dem Spiel. – Hoffentlich kennen Sie die Verantwortung, die Sie auf sich genommen haben, als Sie Miß Wingrove hierherbrachten?« schloß er nachdrücklich.

»Nein«, gab Rayne etwas unsicher zurück, und der Oberinspektor schnellte wie ein Ball empor.

»Nein?« Er schlug entsetzt die Hände zusammen, daß es durchs ganze Haus schallte und rannte mit großen Schritten auf und nieder. »Allmächtiger«, murmelte er verstört, »was daraus hätte entstehen können!«

»Es war der Wunsch eines Bekannten«, glaubte sich Rayne entschuldigen zu müssen, »und ich bin ihm nachgekommen.«

»Mr. Rayne«, sagte er dann bestimmt, »ich muß mit Mr. Evans sprechen. Machen Sie keine Ausflüchte und foppen Sie mich nicht wieder mit Ihrer hübschen Maschinerie, denn ich weiß schon längst, daß er hier ist. Kommen Sie mir auch nicht etwa mit formalen Einwänden, denn wir haben keine Zeit, und es geht um das Mädchen. Eigentlich sollte man sie hinter Schloß und Riegel setzen, bis alles vorüber ist.«

»Sie wird seit gestern sorgfältigst bewacht«, erklärte der junge Mann mit einiger Befangenheit, und der Oberinspektor hörte etwas heraus, was ihn stutzig machte.

»Warum seit gestern?«

Rayne wußte nicht, was ihn dazu bewog, aber er gab einen kurzen Bericht über die Ereignisse. Als er davon sprach, wie die Burschen die Stiege hinuntergeflogen waren, nickte Murphy lebhaft und befriedigt, aber schließlich schüttelte er mißmutig den Kopf.

»Ganz brav, aber natürlich nur halbe Arbeit«, meinte er. »Wie immer bei den Dilettanten. Nachdem die Halunken so hübsch im Keller lagen, wäre es doch die reinste Spielerei gewesen, jedem ein paar verläßliche Handschellen anzustreifen. Oder wenigstens einen soliden Strick. Aber die Hauptsache überläßt man eben immer der Polizei. Die kann sich jetzt nach der Bande die Beine ablaufen.«


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