Louis Weinert-Wilton
Die Panther
Louis Weinert-Wilton

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22

Das alte einstöckige Haus Mr. Johnsons in Limehouse verschandelte die ganze Umgebung. Es sah nicht gerade baufällig oder verwahrlost aus, aber es paßte mit seiner Winzigkeit, seiner verwitterten Fassade und seiner altväterlichen Vortreppe nicht zu den modernen Riesenbauten, die rings um seine Mauern emporgeschossen waren. Es klebte in seiner Unscheinbarkeit höhnisch in einem ungeheuren modernen Häuserblock, und die Leute sagten, daß dies dem alten Johnson ähnlich sehe. Er sollte für seinen bescheidenen Besitz geradezu phantastische Angebote erhalten, aber aus reiner Bosheit ausgeschlagen haben, um seine Nachbarn gründlich zu ärgern.

Die wenigsten allerdings kannten Johnson, denn er wurde in seinem Rollwagen nur hie und da einmal außerhalb des Hauses spazieren gefahren, aber eben deshalb sprach man um so mehr von ihm. Gutes war es nicht, aber für das Schlechte hatte man eigentlich keine Beweise. Johnson kümmerte sich weder um seine Nachbarschaft noch um sonst jemanden, und seine Hinfälligkeit war so arg, daß er sich ohne Hilfe des Dieners überhaupt nicht zu bewegen vermochte. Seine Beine schienen völlig gelähmt, und auch mit seiner Sehkraft stand es bedenklich, da er die Augen durch eine dunkle Brille und außerdem noch durch einen grünen Schirm schützen mußte. Nahm man dazu noch das hagere, fleckige Gesicht, das ein ungepflegter Bart umrahmte und den spitz zulaufenden Schädel mit dem wirren Haarschopf, so bot der alte Johnson gerade keinen sonderlich sympathischen Anblick.

Und ebenso unliebenswürdig wie sein Äußeres war sein Wesen, das wohl infolge seines Zustandes nur zwei Stimmungen kannte; Brummige Einsilbigkeit oder bissige Gereiztheit. Trotzdem sah das kleine Haus ziemlich viele Besucher, die allerdings immer bald wieder gingen, und man brachte dies mit den üblen Geldgeschäften in Zusammenhang, die der Alte betreiben sollte. Aber in der langen Zeit, die er nun schon hier hauste, war in der Öffentlichkeit nie etwas von einem bedenklichen Fall bekannt geworden, und das Leben Johnsons und seines pockennarbigen Dieners schien mit der eintönigen Regelmäßigkeit eines Uhrwerks abzulaufen.

Colonel Rowcliffe hielt mit seinem Wagen in einer Seitengasse etwa fünfzig Schritte von dem alten Haus. Er fand es unnötig, daß das wartende Auto irgendwelches Aufsehen erregte, wie er überhaupt jeden Besuch in Limehouse in tunlichster Eile und Heimlichkeit abtat. Er war ein sehr vorsichtiger Mann, der stets an alle Möglichkeiten dachte, und diese schienen ihm bei dem sonderbaren Alten zuweilen sehr bedenklicher Art.

Hearson, der an seiner Seite schritt, war sichtlich noch nervöser und zappeliger als sonst, und wenn er nicht an seiner Brille herumfingerte, so ließ er ein kurzes Räuspern hören, als ob er sich auf eine längere Aussprache vorbereitete.

»Wenn es nicht wirklich so dringend wäre, so hätte ich diesen Schritt auf keinen Fall unternommen«, sagte er halblaut, als die Stufen des Hauses in Sicht kamen. »Ich habe Johnson lange Jahre nicht gesehen, und bei ihm bin ich überhaupt noch nie gewesen. Er dürfte nicht wenig überrascht sein, aber eben das muß ihm sagen, wie wichtig die Sache ist, und ich hoffe, daß Sie mich mit allem Nachdruck unterstützen werden. Wir müssen ihn heute unbedingt herumbekommen. Die alten Baracken, die unsern ganzen Strand verschandeln, müssen um jeden Preis fallen, und wir können dabei noch ein glänzendes Geschäft machen. Ich habe um zwölf Uhr wegen einer anderen Sache eine Sitzung mit einem großen Baukonsortium, und wenn hier alles klappt, kann ich dort gleich Verhandlungen einleiten.«

Dem Colonel war diese Angelegenheit weit weniger wichtig als seine eigene, und er hörte daher nur mit halbem Ohr zu. Wenn ihn Johnson im Stich ließ, geriet er in eine Lage, die auszudenken selbst seiner Abgebrühtheit arges Unbehagen bereitete.

Mr. Johnson blieb in allem unmodern, und man mußte einen vorsintflutlichen Türklopfer in Tätigkeit setzen, um Einlaß zu finden. Nach wenigen Augenblicken erschien ein gut angezogener Diener, und da der Colonel öfter kam, öffnete er in ehrerbietiger Haltung, aber in seinem knochigen, zerrissenen Gesicht spiegelte sich einige Ratlosigkeit. Er hatte heute das gewisse Zeichen aus dem Zimmer seines Herrn noch nicht erhalten und begann daher eines der für diese Fälle vorbereiteten Sprüchlein herunterzuleiern.

»Ich weiß nicht, Sir«, meinte er zögernd, »ob Mr. Johnson zu sprechen sein wird. Er hat nachts einen sehr schweren Anfall gehabt, und ich mußte einen Arzt holen, der ihm eine Injektion gab und strengste Ruhe verordnete. Aber«, setzte er beflissen hinzu, als er die enttäuschten Mienen der Besucher bemerkte, »ich werde sofort nachsehen. Manchmal pflegt sich Mr. Johnson rasch zu erholen, und wenn er nicht schlafen sollte, werde ich Sie jedenfalls anmelden. – Colonel Rowcliffe und Mr. . . .?«

Er sah bescheiden fragend auf Hearson und dieser zwirbelte ungeduldig an seinem Spitzbart.

»Hearson aus Chesterhills. Sagen Sie Mr. Johnson, es handle sich um eine äußerst wichtige Sache.«

Der Diener öffnete einladend die Tür zu einem etwas altmodisch eingerichteten Empfangsraum, und während der Colonel sich mit verkniffenen Lippen in einen der schweren Stühle fallen ließ, begann sein Begleiter unruhig umherzulaufen.

»Zu dumm«, stieß er halblaut hervor. »Ich hatte mir alles schon bis ins kleinste zurechtgelegt und war überzeugt, daß wir diesmal Erfolg gehabt hätten. Aber noch dürfen wir nicht alle Hoffnung aufgeben«, fügte er mit einem leichten Seufzer hinzu, sah jedoch bereits in der nächsten Minute ängstlich nach seiner Taschenuhr, deren Deckel er einige Male mechanisch auf- und zuklappte. »Ein Viertel nach elf«, murmelte er überlegend. »Wenn wir sofort vorkommen, läßt es sich noch machen.«

Sie kamen aber nicht sofort vor, sondern als der Diener nach einer ziemlich langen Weile wieder erschien, sprach aus seinen höflichen Mienen lebhaftes Bedauern.

»Mr. Johnson ist noch nicht wach«, meldete er. »Wenn die Herren vielleicht später wiederkommen oder solange warten wollen, bis . . .«

»Unmöglich«, fiel Hearson verzweifelt ein und blickte neuerlich nach der Uhr. »Ich habe zwanzig Minuten zu fahren und muß pünktlich sein. Es geht auch dort um ein wichtiges Geschäft.« Er nahm seinen Hut und Stock wieder auf und trat zu dem höchst mißmutigen Colonel, um sich von ihm zu verabschieden. »Wenn ich mich zu einer Sache so schwer entschließe«, flüsterte er ihm zu, »läuft es niemals glatt ab. Aber da läßt sich nichts machen. Bitte, bestellen Sie Mr. Johnson, daß ich mit Ihnen hier war und im Lauf des Tages noch einmal vorsprechen werde. Vielleicht gegen drei Uhr. Und bereiten Sie ihn entsprechend vor, damit ich etwas leichtere Arbeit habe.« Rowcliffe nickte zerstreut, und Hearson verließ, von dem Diener bis zum Tor geleitet, in seiner gewohnten geschäftigen Eile das Haus.

An der Schwelle machte er einen Augenblick halt, um sich mit seinen kurzsichtigen Augen die Stufen genau zu besehen, bevor er den Fuß darauf setzte, und Murphys Gehilfe Spang, der auf der anderen Straßenseite dünn und harmlos unter einem Torbogen lehnte, geriet in arge Ratlosigkeit. Er hatte seit dem frühen Morgen draußen in Stratford, wo die Landstraße von Chesterhills einmündete, auf der Lauer gelegen, um den Colonel abzupassen, und als der Zweisitzer wirklich gekommen war, hatte er sich mit einer klapprigen Hansomdroschke geschickt und zäh an seine Räder geheftet. Wenn Spang etwas tat, so tat er es gründlich, und wenn sein Kopf auch nicht auf das Ergründen von rätselhaften Tatsachen und auf scharfsinnige Folgerungen eingestellt war, auf eine Fährte gesetzt, entwickelte er eine ganz außerordentliche Findigkeit und Verschlagenheit. Ihn von den Fersen zu bekommen, war ebenso unmöglich, wie den eigenen Schatten loszuwerden, und seit dem Augenblick, da der Colonel die Unvorsichtigkeit begangen hatte, in seinen Gesichtskreis zu geraten, war der kleine dürre Mann hinter allem her, was nur irgendwie mit Rowcliffe zusammenhing. Er hatte stundenlang um dessen Londoner Wohnung herumgeschnüffelt, war sogar in das Parisiana-Theater und in das Haus von Jetta Ormond geraten und hatte eine Unmenge von Dingen zusammengetragen, die er alle ungesiebt in seinem fabelhaften Gedächtnis verstaute. Dabei war ihm sogar noch Zeit geblieben, sich in dem kleinen Hotel in Bermondsey eingehend nach dem verschwundenen Fremden aus Java zu erkundigen, und mit dem Fetzen Papier, der nur die Worte » . . . der kleinen Lady mit der Pantherkatze . . .« enthielt, ungezählte Schreibmaschinenhandlungen und Anwaltsbüros abzulaufen. Und nun war er wieder hinter dem Colonel her und entschlossen, ihn nicht aus den Augen zu lassen, aber das plötzliche Erscheinen von Mr. Hearson brachte ihn etwas aus dem Konzept. Bezüglich dieses Mannes hatte er zwar keine Weisung, aber schließlich war jener mit Rowcliffe gekommen, stand also mit ihm in Verbindung, und es konnte jedenfalls nicht schaden, ihm auch einige Aufmerksamkeit zu schenken. Weit wollte sich Spang aber von seinem Beobachtungsposten auf keinen Fall entfernen. Er folgte dem schlanken Herrn mit den Blicken, bis dieser in die erste Gasse hinter dem Häuserblock zur Rechten einbog. Dann schlenderte er so weit, daß er in die Gasse Einblick bekam, und als Hearson sich dort plötzlich nach links wandte, zog es auch den Gehilfen Murphys ganz mechanisch bis zu der Ecke, um die der andere verschwunden war. Er sah ihn flott und elastisch dahinschreiten und am oberen Ende der Gasse rasch wiederum nach links einbiegen.

Der Sergeant stand eine Sekunde mit verdutzt vorgestreckter Nase, dann schob er blitzschnell die Hände in die Taschen seines engen Jacketts und schnellte mit Riesensätzen wie ein eiliger Schneider dahin.

Er war kein Kirchenlicht, aber daß der Mann drei Ecken genommen hatte, um in eine Gasse zu gelangen, die er auf einem viel kürzeren Weg hätte erreichen können, wenn er sich sofort nach links gewandt hätte, gab ihm zu denken.

Er kam gerade noch zurecht, um zu sehen, daß Hearson im letzten Eckhaus zur Linken verschwand, und wenige Augenblicke später saß Spang wieder gegenüber den Steinstufen und kaute beruhigt und traumverloren an einem belegten Brot, weil er sich vergewissert hatte, daß der Zweisitzer noch immer in der Seitengasse hielt.


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