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Neunzehntes Kapitel.

Die Flut steigt

Welche Zeit! In diesem unseligen Frühjahr, das so früh kam und strahlend anbrach, wie keines seit Menschengedenken, reißen empörte Fluten noch anderes mit sich fort, als friedliches Ackerland und die Wohnstätten der Menschen. Durch alle Länder rast die Windsbraut, rüttelt an Thronen, zerrt an Purpurmänteln, zerschmettert Kronen, reißt Kirchen und Staatshäuser um, wühlt Gerüste auf, begräbt Menschen und Dinge, fegt über alles Bestehende dahin, daß Europa erbebt.

Revolution!

Das Volk wächst riesengroß. Über die Köpfe der Könige und Fürsten hinweg steigt das schreckliche Haupt empor und erstarrt den, der es anblickt. Aber die blutbesteckte Hand weist gen Himmel.

Und bis zum Himmel bäumt sich die Sturmflut des empörten Menschengeistes. Auch die falschen Diener der beleidigten Gottheit trifft die Vernichtung. Aus dem Gewölk, das die Ewige Stadt umlagert, zuckt Bannstrahl auf Bannstrahl. Aber die Menschheit schüttelt die Blitze von sich ab, lachend und übermütig wie ein Götterjüngling, nach dem man mit Rosen wirft.

Unter dem, was erbebt, befindet sich auch ein hochaufragendes, gewaltiges Haus, das sich einsam und feierlich über der Ewigen Stadt erhebt.

Das Geheul seiner Gläubigen erstickt den Jubelruf Tausender.

Die Länder treiben ihre gefährlichsten Feinde aus: die Jesuiten müssen fliehen! An ihrer Menge erkennt man erst, wieviel ihrer gewesen, welche Scharen von Todfeinden die Länder beherbergt, überallhin haben sie sich verkrochen, überall werden sie hervorgejagt. Das ist ein Siegesjauchzen: Freiheit, Freiheit!

Immer höher steigt der Blutstrom, durch den die Revolution schreitet, nicht immer als Heldin und Göttin. Immer höher und höher steigen die Fluten.

Auch in unserem Tal wird es losbrechen. So eng uns auch die Felsen umschließen und von der Welt abschneiden, sind wir doch nicht eingekerkert genug, um nicht den Frühlingsodem dieses Freiheitsjahres herüberwehen zu fühlen. Was bei uns glüht, ist freilich nur ein Funken der Flammen, die jetzt ganz Europa durchlodern.

 

Heute kam unser Freund zu uns geeilt.

»Die Südtiroler wollen das Land vom Reich losreißen. Wir sollen Welsche werden.«

Sein Grimm ließ keinen Schmerz aufkommen. Der Priester sah aus wie ein Held.

»Was werden die Tiroler tun?«

»Tiroler sein und bleiben,« lautete die stolze Antwort. »Kennen die da drüben unsere Art so wenig. Sie ist deutsch: treu und stark. Jetzt fürchte ich nichts mehr. In der Seele des Tirolers wohnen zwei Dinge, um derentwillen er sich das Herz herausreißen ließe: Gott und Vaterland! Das eine mag er sich verzerren und entstellen lassen, an das andere darf keine Hand rühren. Sie sollten das wissen. Der Tiroler hat seine Geschichte mit seinem Herzblut geschrieben. Ehe wir aufhören, Tiroler zu sein, muß es kein Land Tirol mehr geben. Laßt sie kommen! Wir haben unsere Felsen, die wir für sie herabreißen können.«

»Und die Dorfleute?«

»Die Elenden! Sie sind ihres Namens nicht wert; sie haben vergessen, was sie sind. Aber ich werde sie daran erinnern. Ich werde es ihnen zudonnern; wenn es sein muß, mit dem Schwert in der Hand, anstatt mit dem Kreuz. Fast alle befinden sich im Lager des Feindes. Eben jetzt will ich gehen, sie zurückzuholen. Wehe ihnen, wenn sie zaudern.«

»Wir begleiten Sie.«

»So kommt.«

Ohne noch ein Wort zu sagen, verließen wir das Schloß. Draußen fragte Axel den Pfarrer: »Sie haben doch eine Waffe bei sich?«

»Nein.«

Wir schlugen die Richtung nach der Wasserfallalp ein. Bei einer Biegung des Weges sahen wir hinter einem Fels eine Frau hervortreten und unbeweglich unsere Ankunft erwarten.

Es war Veronika.

Ich warf einen Blick auf den Pfarrer, in dessen Gesicht eine mächtige Bewegung arbeitete. Doch sagte er nichts.

Als wir dicht bei ihr waren, trat sie vor und blieb vor ihrem Bruder stehen. Axel und ich wollten vorübergehen, um die Geschwister allein zu lassen, wurden jedoch durch einen flehenden Blick Veronikas zurückgehalten. Wir hörten folgendes Gespräch: »Du willst auf die Wasserfallalp?«

»Ja.«

»Was willst du dort?«

»Meine Pflicht tun.«

»Sie hören dich nicht.«

»Sie werden mich hören.«

»Du kennst ihn nicht.«

»Wenn du den Jesuitenpater meinst – –«

»Ihn meine ich.«

»Ich kenne ihn. Er kann sie auf mich hetzen und sie können ihren Pfarrer niederstoßen. Mehr können sie nicht und hören müssen sie doch.«

Ein Stöhnen entrang sich Veronikas blassen Lippen.

»Geh nicht!«

»Willst du mich etwa zurückhalten?«

»Nein, nein!«

»Also – –«

»Ich gehe mit.«

»Willst du mich etwa schützen?«

Er sprach hart und sah sie mit einem unerbittlichen Blicke an. Dann gebot er ihr: »Du gehst nicht mit, folgst mir auch nicht; sondern begibst dich augenblicklich nach Hause.«

Sie zauderte. Ihre gesenkten Augen, ihr geneigtes Haupt gaben ihr den Ausdruck tiefster Demut. Dann, ohne zu wagen noch einmal aufzusehen, verließ sie uns, langsam davonschreitend.

Ich wollte ihr nacheilen, doch Pfarrer Andreas rief mich gebieterisch zurück. Wir setzten unseren Weg fort.

Es war, als ob wir einem Lager zuschritten. Bewaffnete begegneten uns und Leute, die Proviant hinauftrugen. Meistens waren es Weiber. Sie gingen trotzig an uns vorüber, ohne Gruß, mit feindseligen Blicken.

Wir waren überzeugt, daß uns schon Wächter erspäht, die dem Jesuitenpater unser Kommen meldeten.

Beim Felsentor angelangt, fanden wir es von Mannschaften besetzt, wild aussehenden Gestalten aus den italienischen Tälern. Sie mußten Befehl erhalten haben, uns durchzulassen.

In der Tat konnte man die Wasserfallalm mittels einer einzigen starken Verteidigung der Felsenpforte zu einem beinahe uneinnehmbaren Lagerplatze umwandeln. Der Jesuit schien auch mit Talent und Glück den Feldherrn spielen zu können.

Die Alm gewährte einen völlig kriegerischen Anblick. Rings um die Hütte war aus Tannenästen ein Walddorf gebaut. Das Blockhaus selbst mußte die Wohnung des Paters sein, über dem Dache war ein hohes Kreuz errichtet, das ein rotes Tuch umschlang.

Als der Pfarrer dies sah, verlor er seine ganze Haltung.

»In meinem eigenen Hause!« murmelte er und wollte vorstürzen.

Axel hielt ihn zurück.

Er stand, wischte sich den Schweiß von der Stirn, atmete tief auf und hatte dann wieder die Herrschaft über sich gewonnen.

Bei unserem Nahen liefen die Leute zusammen; überall bildeten sich Gruppen.

Am Saum des Waldes wurden die Männer von dem Pater einexerziert. Wir sahen die zierliche, elegante Gestalt ganz ruhig und sicher vor seiner Kompagnie stehen und hörten ihn mit seiner weichsten Stimme kommandieren.

Er wandte uns den Rücken. Doch mußte er von unserer Ankunft genau unterrichtet sein; denn als wir nur noch in kurzer Entfernung von der Hütte waren, schickte er einen Mann nach uns ab, der nach unserem Begehr fragte.

Auf die Hütte deutend, erwiderte der Pfarrer: »Dieses Haus ist mein Eigentum. Sagt dem, der Euch geschickt hat, daß der Besitzer dieses Hauses gekommen sei und dessen sofortige Räumung geböte.«

Der Mann verließ uns. Pfarrer Andreas schritt mit uns auf die Hütte zu, an deren Eingang wir warteten.

Die Weiber und Kinder rotteten sich um uns zusammen. Der Pfarrer sah unter dem fremden Volk viele aus seiner Gemeinde.

Wir standen bereits eine ganze Weile, als wir den Pater selbst auf uns zukommen sahen, ruhig schlendernd, in nachlässiger Haltung. Er trug hohe Stiefeln und hatte über seinen Priesterrock einen schwarzen Mantel geworfen. Sein dunkler, breitkrempiger Hut saß tief in die Stirn gedrückt. Er sah blaß und leidend aus, seine Augenlider waren tief gesenkt, was seinem Blick etwas Mattes und Müdes gab.

Einige Schritte von uns blieb er stehen, grüßte mich leicht, ohne die anderen zu beachten und erwartete unsere Ansprache.

»Sie haben gehört, wer ich bin und was ich will,« redete Pfarrer Andreas den Pater wie einen völlig Fremden an.

»Der Mann hat es mir allerdings gesagt,« erwiderte der Pater in derselben Weise. »Sie sind der Eigentümer dieses Hauses und fordern dasselbe zurück. Ihr Verlangen ist vollkommen gerechtfertigt; ebenso vollkommen wird meine Besitzergreifung Ihres Eigentums durch die Zeiten entschuldigt. Sie werden das einsehen.«

»Durchaus nicht. Ich bitte Sie also –«

»Ich fürchte, Sie bitten unnütz,« unterbrach ihn der Unverschämte. »Doch sprechen wir später davon. Zuerst mögen Sie das tun, um dessentwillen Sie heraufgekommen sind.

Und sich von uns abwendend, lief er laut über die Wiese hinüber: »Versammelt euch! Dieser Mann hat euch etwas zu sagen.«

Er grüßte wiederum nur mich und schritt davon, wie er gekommen war. Nicht einen Augenblick hatte er während des Gesprächs seine blasierte Manier abgelegt oder einen von uns eines Blickes gewürdigt. Der Mensch hatte uns wie Lakaien behandelt.

»Bleibt ruhig!« gebot uns der Pfarrer. »Es handelt sich jetzt um Größeres. Gott stehe mir bei!«

Er grüßte uns mit den Augen und ging langsam vor, dem Haufen zu, der sich auf Befehl des Paters am Waldsaum gesammelt hatte. In leidenschaftliche! Auflegung ergriff ich Fernows Arm.

»Er wird machtlos sein, er wild sich hinreißen lassen! Ein Unglück wild geschehen! Wenn dieser Wann jetzt ruhig zu reden vermag, ist er kein starker, sondern ein großer Geist.«

»Er wird nie ruhiger gesprochen haben, als wie er jetzt sprechen wird. Aber es scheint mir kaum möglich zu sein, hier etwas zu erreichen. Still, er fängt an.«

»Ihr Männer und Leute! Ich bin heraufgekommen, mit euch zu reden. Ihr habt vergessen, was eure Väter gewesen und was ihr seid – Tiroler! Es ist mein Amt und meine Pflicht, euch daran zu erinnern; denn ihr möchtet es sonst schwer bereuen. Ihr scheint nicht zu wissen, wie es um das Land steht, das euer Vaterland ist und welches eure Väter und Großväter so sehr liebten, daß sie darum den Heldentod gestorben sind. In Tirol ist jeder Berg ein Denkmal der Liebe des Tirolers zu seinem Lande; denn um jedes dieser Alpenhäupter ist das Blut des Tirolers geflossen. Wißt ihr, weshalb ihr von euren Müttern geboren worden seid? Ist dort unter den Frauen keine Mutter, die es ihrem Sohne sagen kann? Wie es scheint, nein. So will ich's euch denn sagen. Eure Mütter haben euch geboren, um treue Tiroler zu sein; ein treuer Tiroler sein, heißt: sein Vaterland lieben. Das tut keiner von euch. Ich schäme mich, es für euch auszusprechen, aber es ist so. Denn wie könnt ihr euer Vaterland lieben, die ihr helfen wollt, es seinem Feind zu überliefern? Eigentlich müßtet ihr mir ins Gesicht schlagen, daß ich wage, euch solches zu sagen. Ich wollte, ihr tätet es.«

Das Murmeln der Menge zwang hier den Pfarrer zu schweigen. Ich drückte krampfhaft meines Gatten Hand.

»Habe ich dir's nicht gesagt?« raunte dieser mir zu.

»Daß seine Schwester ihn höre!«

Die Unruhe unter den Zuhörern wich zu einer andächtigen Stille. Pfarrer Andreas, seine Stimme lauter erhebend, sprach weiter.

»In der Geschichte des Landes Tirol steht es geschrieben, wie der Tiroler sein Land liebte, wie treu der Tiroler zum Reich hielt. So oft es vom Reiche auch losgerissen ward, so oft kehrte es wieder dahin zurück, wohin es gehörte. Eure Väter haben es erlebt, wie man sogar den heiligen Stamm Tirol in Südbayern umwandelte. Die Männer unter euch waren damals Jünglinge, die Jünglinge Knaben. Ihr alle wißt also, wie Tirol sich seinen Stamm zurückholte. Es ging durch den Mund der Völker von Land zu Land und half von Land zu Land die Flamme der Freiheit entzünden. Wenn man damals von großen Taten sprach, so sprach man von Tirol und den Tirolern. Denkt an Haspinger und Speckbacher, denkt an Andreas Hofer! Gedenkt der Tage von Innsbruck, Hall und Sterzingen, gedenkt des Berges Isel! Gewiß ist unter euch keiner, der sich nicht rühmen kann, daß ihm damals ein Sohn oder Bruder für Tirol gefallen. Tiroler, gedenkt des 20. Januars 1810. Die Kugel, die in Mantua abgeschossen wurde, traf das Herz aller Tiroler. Soll das für nichts zu Tode verwundet worden sein? Ihr selbst würdet jeden einen Lügner nennen, der euch das sagte.«

Wieder mußte er schweigen; dieses Mal viel länger. Ich konnte vor Erregung kaum atmen. In der Ferne sahen wir eine schlanke, dunkle Gestalt in dem Tann verschwinden.

Die Männer hatten sich jetzt dicht um den Pfarrer geschart, auch die Frauen drängten näher heran. Mächtig erscholl die Stimme des Predigers über ihren Häuptern dahin.

»Ich sagte vorhin: ihr wüßtet nicht, wie es um Tirol stünde. Was könnt ihr dafür? Keiner hat es euch gesagt. Ihr wißt nicht, daß man Tirol wiederum vom Reich losreißen will. Diesmal soll das arme Land an Welschland hingeworfen werden, denkt euch: an Welschland! An das Welschland, ihr Tiroler, von welchem damals an euch der Mord verübt wurde. Ihr wißt nicht, daß der Kaiser nach Innsbruck gegangen ist, um sich von seinen treuen Tirolern gegen seine Feinde verteidigen und schützen zu lassen. Ihr wißt nicht, daß sich auf allen Bergen, in allen Tälern die Tiroler erheben, daß bereits 20000 Mann unter Waffen stehen, daß ihr von euren Brüdern erwartet werdet. Ich bin gekommen, um euch zu ihnen zu führen.«

Welche Wirkung? Wie ein Brausen durchfuhr es die Luft. Ungehört verhallten die Drohungen, die Verwünschungen einzelner. Die Menge war zur Begeisterung entstammt. Viele erstickten ihre geheime Scham durch laute Ausbrüche ihrer plötzlich erwachten Vaterlandsliebe.

Der Pfarrer wurde durch die Menge unseren Augen entzogen.

Eine Zeitlang war nichts Deutliches zu erkennen und zu verstehen. Einige liefen dem Walde zu, darin sich der Pater befand. Die meisten davon waren Frauen. Wir sahen sie heftig auf die Ihrigen einreden, aber nur mit zweifelhaftem Nutzen. Unser Freund hatte herrlich gesiegt.

»Laß uns gehen,« sagte Fernow. »Wir müssen ihn den Seinen lassen.«

Wenige Augenblicke meines Lebens waren so voll reinen Glückes gewesen wie dieser.


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