Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel.

Dämonen.

Die Türen wurden vor mir geöffnet; ich trat in die hell erleuchtete Halle.

Bereits im Vorzimmer hatte ich die fremde tiefe Stimme vernommen und einen Augenblick auf ihren Wohlklang gelauscht. Er stand am Kamin bei der Mutter, blickte, als ich eintrat, herüber und verstummte. Dann kam er mir entgegen.

Fernow stellte mir ihn vor. Wir wechselten einige Worte über die Reise, gleich darauf meldete der Diener, daß serviert sei. Ich ließ mich von Fernow in den Speisesaal führen.

An der Tafel saß er neben mir.

Die Unterhaltung wurde fast ausschließlich von ihm geführt, wir hörten zu. Niemals vorher hatte ich so sprechen hören! Wie ein Zauber umfing mich seine Stimme. Aber er sollte mich nicht gleich zu seinem Geschöpf machen! Mit einer Art von verachtenden Groll gegen mein Geschlecht, dachte er daran, wie es solch einer tyrannischen Persönlichkeit eine Macht über sich einräumt, deren Despotie das Weib zur Sklavin stempelt. Noch einmal beschloß ich, wenn auch nicht größer, so doch jedenfalls stärker zu sein.

Er erzählte von seinem Leben in seinen Weltteilen: Fremdes in einer mir vollständig fremdartigen Auffassung, Großartiges großartig angesehen, in ebensolcher Gesinnung vorgetragen und mit einem wahren Genie der Rede geschildert. Niemals Phrase, war darin eine, die mich wie ein Sturm mit sich fortriß.

Er hatte Gewaltiges erfahren, hatte Meere durchschifft und Wüsten durchwandert, in der Wildnis gelebt und die Menschen kennen gelernt in den ungeheuerlichen Zuständen völliger Unkultur, aber von einer Kraft durchdrungen, wie sie nur den Völkern einer mächtigen Natur innewohnen kann. Zuletzt war er in Südaustralien gewesen, wo er deutschen Auswanderern eine Kolonie hatte gründen helfen. Das Land sei köstlich: jungfräulicher Boden, der Wildnis abgerungen; aber das Klima ein wahrer Würgegeist und die Menschen im Kampf mit diesem Todfeind unglaublich unwissend und hilflos. Wenn die junge Kolonie keinen Arzt bekomme, der freilich ein starker und todesmutiger Mann sein müsse, würden bald nur noch ihre Gräber von den Ansiedlern Kunde geben.

Hier rissen sich meine Blicke von dem Erzähler los zu Fernow hinüber. Dieser hörte mit einer wahrhaft unheimlichen Aufmerksamkeit zu. Da durchzuckte mich ein Gedanke so heftig, daß ich davon mein Herz schmerzen fühlte: Willst du etwa dieser starke, todmutige Mann sein?

Ich saß wie betäubt, bis er mein Hinstarren bemerkte und mir ein Scherzwort zurief. Aber während ich noch gegen den tollen Gedanken rang, ward meine Seele bereits wieder von der Stimme seines Freundes in Banden geschlagen. Er berichtete von einigen Frauen, denen er drüben begegnet; großen, kühnen, freien Naturen, die sich im Denken und Handeln den Männern als ebenbürtige Menschen zur Seite stellten. Er setzte uns seine Ideen über die Stellung der Frau zur Gesellschaft auseinander. O, er dachte groß von meinem Geschlecht! Er sprach ihm die mächtigsten Empfindungen zu, die kühnste Initiative, eine gewaltige Willenskraft und vor allem Leidenschaft, diesen Lebenspuls der Menschheit.

Während seiner Rede mußte ich darüber nachgrübeln, wie seltsam es sei, derartigen Ansichten bei einem Manne zu begegnen, der uns Frauen jedenfalls stets nur von unserer schwächsten Seite kennen gelernt.

Das Gespräch lenkte sich auf die moderne Ehe. Welcher Entrüstung begegnete ich da, welcher Empörung! Er sprach mit mächtigen Worten die Entwürdigung der Frau aus, ihre tiefste Erniedrigung! Als einziges Motiv der Ehe ließ er die Liebe gelten. Die Konventionsheirat, von der Gesellschaft für höchst sittlich gehalten, sei sittenloser als das Konkubinat. Er schilderte das Wesen der modernen Ehe und bewies, wie sich die Korruption in die heiligsten Institutionen der Gesellschaft einschleiche, bis in das Herz der Familie hinein. Er sprach von der Dumpfheit der meisten Ehen und davon, wie viele, die in ihrem innersten Wesen durch und durch angefault und zerstört seien, nur deshalb nicht getrennt würden, weil eine Ehescheidung im Sinn der Menge ein Skandal sei. Lieber lebe man zeitlebens unglücklich miteinander fort, aneinandergeschmiedet gleich Galeerensklaven, als frei den Irrtum zu bekennen.

In derartigen unsittlichen Ehen die Initiative zu ergreifen, sei vor allem Aufgabe der Frau, als des am meisten entwürdigten Teils.

Ein Mann, der mit einer solchen fast weiblichen Zartheit zu empfinden vermochte, konnte kein unedler Mensch sein.

Die Mutter hatte sich entfernt; es war längst Nacht und die Lichter hereingebracht worden. Ich weiß nicht mehr, wie es gekommen war – aber plötzlich hörte ich mich reden, nur mich.

Ich stutzte, ich erschrak über mich selbst. Ich gab aus meinem geheimsten Innern heraus und das mit einer Lebhaftigkeit, einer Begeisterung. – – Ich schwieg und wollte mich sogleich entfernen. Da setzte sich Fernows Freund ans Harmonium und begann zu phantasieren. Die Töne brausten zu den Wölbungen auf und erfüllten für mich die dämmervolle Halle mit Schatten und Geistern. Die Türen, die zur Terrasse führten, standen geöffnet. Von meinem Platz aus sah ich hinaus, wo am dunklen Himmel die Sterne ihre stillen Bahnen dahinzogen. Die kühle Nachtluft wehte herein, die Kerzen flackerten hin und her. – – Er spielte fort, eine Symphonie der Leidenschaft, die über zermalmtes Leben hinweg zustürmt. Und es war doch ein beinahe heiliges Instrument, das er mit so kühner Hand meisterte, geschaffen in Akkorden zu ertönen, deren feierliche Klänge das Gemüt zu offnen Himmeln emportragen sollten. Hier war nichts Himmlisches.

Was war aus mir geworden! Welche dunkle Gewalten bemächtigten sich meiner, welche heiße Wallungen schnürten mir die Brust ein, welche Angst faßte mich, Angst vor jenen Tönen, vor der Seele, die darin aufbebte – Angst vor mir selbst.

Luft, Licht!

 

Nach einigen Stunden stand ich in meinem Schlafzimmer am offenen Fenster. Es ging auf die Terrasse hinaus, wo die beiden Freunde Arm in Arm auf und ab schritten. Da sie gedämpft sprachen, konnte ich bleiben, ohne sie zu belauschen. Nur dann und wann mußte ich ein Wort hören: Es betraf jedesmal die australische Kolonie, welcher der Arzt fehlte.

»Du darfst nicht fort! Du mußt bleiben!« hätte ich laut hinunterrufen mögen.

Ich grüßte stumm hinab – wenn er gewußt hätte, wie schmerzlich! Ach, daß ich dich lieben könnte! Warum kann ich's nur nicht? Warum kann man sein Herz nicht zwingen: Herz! Liebe! Die Frau sollte es doch können; denn was könnte die Frau nicht, wo es zu lieben gilt. So liebe doch, eigensinniges Herz! Wie, du willst nicht, du weigerst dich und weißt doch, daß du glücklich machen und glücklich gemacht würdest?! Dort schlägt das andere Herz für dich, das treueste und stärkste. Ihr zwei zusammen würdet so gute Gefährten geben, so treue Kameraden! Immer würdet ihr zusammen schlagen in Freud und in Leid. Und dann doch nicht! Für einen Schlag Seligkeit willst du unselig werden, sehnst du dich zu brechen? Nun, so geschieht dir recht! So brich denn, du verdienst es nicht besser!

Da fingen die beiden drunten an lauter zu sprechen; sein Freund nannte meinen Namen – da riß ich mich vom Fenster zurück.

Als ich mich umwandte, hätte ich fast einen Schrei ausgestoßen. Vor mir stand meine Mutter, die jetzt in stillem Jammer meine beiden Hände faßte und mich an ihre Brust zog. Obgleich ich recht gut wußte was ihr fehlte, fragte ich doch: »Was hast du, Mutter, was ist dir?«

»Ich wollte dich bitten, morgen mit mir abzureisen.«

»Warum?«

Sie schwieg. Trotzdem sie mir bei der Dunkelheit nicht ins Gesicht sehen konnte, wandte ich meine Augen von ihr ab, löste auch meine Hand aus den ihren.

»Rolla, mein Kind, laß uns morgen abreisen.«

»Noch einmal, Mutter: ich verstehe dich nicht.«

Sie seufzte und antwortete nichts.

»Geh zu Bett, beste Mutter. Es ist schon so spät. Wie kannst du noch auf sein?«

»Bist du es doch auch noch. O Tochter! Tochter!«

»Was, beste Mutter?«

»Hätte er uns doch das nicht angetan!«

»Wen meinst du, und was meinst du?«

»Rolla, Rolla! Es ist das erstemal, daß du deine Mutter täuschen willst.«

»Ich glaube, du täuschest dich, Mutter.«

»Wenn ich es dir nur sagen könnte!« rief die alte Frau verzweiflungsvoll.

»Ich weiß, was du mir sagen willst. Du willst mir sagen, daß Fernow sehr unrecht getan, uns seinen Freund zu bringen, den du für einen gefährlichen Mann hältst. Wenn du dich erinnerst, hielt ich ihn dafür, noch bevor ich ihn kannte. Du willst mir sagen, daß er alle die Leidenschaften der Frauen, über die er heute sprach, wahrscheinlich selber an sich erfahren, daß jene Frauen wahrscheinlich seine Geliebten gewesen, daß er ein Mann ist, der trotz seiner schönen Worte über die Würde der Frauen mit deren Herzen spielt. Also muß er ein sittenloser Mensch sein. Du willst mir ferner sagen, gute Mutter, daß du fürchtest, ich könne diesen Mann lieben. Sei ruhig, Mutter, ich kenne mein Herz. Es wird nur das geschehen, von dem ich will, daß es geschehen soll. – – Also gute Nacht.«

»Du wirst also bleiben?«

»Sollte ich fliehen?«

»Ich habe dich gewarnt.«

»Das hast du.«

»Gute Nacht.«

Sie zog ihre zitternden Arme von mir ab, tat einige Schritte, blieb stehen, wandte sich noch einmal zu mir zurück.

»Ich hoffe, immer eine gütige Mutter gegen dich gewesen zu sein. Solltest du mich heute getäuscht haben, so möge Gott dir verzeihen – ich tu' es nicht.«


 << zurück weiter >>