Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Kapitel.

Unser Häuschen.

Wir wohnten in der großen Stadt in einer Weise, die noch jetzt als das wunderlieblichste Idyll in mir nachklingt.

Auch die Residenz hatten einst Mauern umzogen, an denen Gärten und Gemüsefelder lagen oder gar Getreideland anstieß. Allmählich wandelte sich die ganze freie Weite in Stadt um. Wo sich keine Straßen zogen, entstanden Villen oder Fabriken. Von den Feldern blieb nichts übrig, von den Gärten wenig; zuletzt mußte selbst die alte, ehrwürdige Stadtmauer fallen. Aber noch war hier und dort das Häuschen eines Gärtners stehengeblieben und wohl auch der Garten, der nun inmitten hoher, düsterer Wände recht wie ein freundliches, grünes Eiland dalag; auch wie ein solches von dem rauschenden und tosenden Gewühl der Großstadt umbrandet.

Ein derartiges, trauliches Asyl war meiner Kindheit und ersten Jugend zur Heimat beschieden. Das kleine niedere Haus lag ganz von Grün umgeben und war bis zum Dach von Efeu umsponnen; im Juni blühte ringsumher hochstämmiger Holunder, und ein prachtvoller Nußbaum überschattete es. Eine schmale Holztreppe führte vom Garten zu dem einzigen Geschoß des Häuschens hinauf. Vor der Tür gab es einen kleinen Altan, den tief überhängende Weinreben zu einer Laube machten. An jedem sonnigen Tag zog sich das Leben des Hauses ins Freie hinaus. Unter Blumen bildete die Mutter ihre Blumen; auf der Türschwelle saß Luise, las das Gemüse oder rührte ihren ewigen Strickstrumpf, indessen ich ab und zu lief, die kleine Brust voller Kinderlust, die mir gewiß aus den Augen strahlte, hell wie der Sonnenschein selbst. Dann wiederum konnte ich stundenlang dasitzen, der Mutter zusehen oder in den leuchtenden Tag hinausträumen, wie dieser auf den Rebenblättern und dem Laub des Baumes seine goldigen Lichter tanzen ließ. Oder ich saß da, die Schreibtafel auf dem Schoß, emsigst deren glänzendes Schwarz mit Hieroglyphen füllend; auf dem Schoß lag auch das Büchelchen, daraus zur stillen Freude der Mutter und zum lauten Entzücken Luisens mit lauter Stimme vordeklamiert wurde.

»Nein, was das Ding gescheit ist! Solch ein Kind, wie unseres, gibt's gar nicht mehr. Was aus dem wohl noch einmal werden wird!?«

Zu solchen und ähnlichen Ausrufen einer völlig fanatischen Bewunderung meiner hübschen, klugen und wohl auch recht liebenswürdigen, kleinen Person war die Getreue zu jeder Zeit bereit. Es mußte denn sein, daß sie sich gerade in der Stimmung befand, in welcher sie mit großer Entschiedenheit die unbestreitbare Behauptung aufstellte, daß »man doch auch ein Mensch sei«.

Unsere gute Luise! Mit feuchten Augen muß ich lächeln. Sie war eine hoch aufgeschossene, überaus schlank gewachsene Jungfrau, schwarzhaarig und schwarzäugig. Von Antonios Wiege waren die Grazien nur fern geblieben; wären diese Huldinnen durch einen unglücklichen Zufall an die Wiege unserer Luise geraten, darin dieses merkwürdige Wickelkind mit hochrotem Gesicht (das sie zeitlebens beibehalten) die Welt anschrie – die entsetzten Göttinnen hätten sich sicher wehklagend geflüchtet. Zu der glücklichen Zeit, da ich die Vortreffliche als »meine Luise« liebte und – fürchtete, führte sie zwar mit ihrer ehrlichen Hand Samstags kräftig genug den Besen; aber daß dieselbe Hand des Sonntags jemals zu karessieren verstanden, wage ich nicht zu behaupten.

Sie war aus demselben Dorf, wie mein Vater, den sie vergötterte, und dem sie, schon damals, eine Person in den gesetztesten Jahren, in der Stadt die kleine Wirtschaft führte, Freude und Leid der Familie nicht als Dienerin, sondern als Freundin tragend. Sie hatte mich in die Wiege gelegt, den Vater in den Sarg und war mit den Jahren so sehr zu »unserer« Luise geworden, daß ich mir damals die Welt ohne sie gar nicht zu denken vermochte.

Sie war eine schlichte, rechtliche und kräftige Natur, gedankenlos, aber mit ungemeiner Heftigkeit der Empfindung, die sie auf die leidenschaftlichste Weise auszudrücken pflegte. Von den Menschen dachte sie lieber Schlechtes als Gutes, war immer ahnungsvoll, immer mißtrauisch, witterte überall Hinterlist und Tücke, befand sich stets gegen alle Welt in der Defensive. Mit höchstem Pathos bejammerte sie fortwährend die Armen, beneidete sie fortwährend die Reichen, wobei sie sich feierlichst als eine »Demokratin« erklärte. Sie war natürlich sehr fromm, hegte eine leidenschaftliche Vorliebe für alle geistlichen Vereine und Bibelgesellschaften, hielt sich dann und wann für eine arge Sünderin, schluchzte bei jeder Predigt und kritisierte nebenbei den neuen Hut ihrer Nachbarin. Sie glaubte an Geister und Träume, war stets voller »Ahnungen«, prophezeite für jeden Tag in der Woche ein Unglück, buk meisterhaft Schmalzkuchen und machte unübertrefflich Salzgurken ein. In ihrer Küche erhielt der Sonntag noch dadurch eine besondere Weihe, daß sie, eine mächtige Hornbrille auf die stattliche Nase rückend, unter lautem Gestöhn eine Bußandacht abbuchstabierte. Nie hätte sie einem Bärbelchen verziehen, einem Gretchen noch weniger.

Trotz solcher gestrengen Sinnesart hatte sie ihre großen Schwächen, deren größeste wohl meine kleine Person war: ihre Rolla! Dann kam die Mutter: » ihre Frau«! Dann die Küche: » ihre Küche«, bis zum letzten blitzblanken Kessel darin: » ihre Kessel«! Auch auf die stets reinlich leuchtenden Fußböden und schneeweißen Gardinen war sie ganz unchristlich stolz, und, was die ersteren anbetraf, auch wohl christlich unduldsam.

Sie besaß eine bedenkliche Neigung für die lebhaftesten Farben, die sie womöglich alle an ihrem eignen Leibe unterzubringen suchte. Mit besonderem Entsetzen entsinne ich mich einer hochroten Flanelljacke, nur um eine Nuance heller als Gesicht und Hände. Da ich sie tagtäglich behaupten hörte, daß jeder Mensch seine Eigenheiten habe, hielt ich bewußtes Konglomerat von Farben: die ihrer Jacke und die ihres Gesichtes für Luisens angeborene Eigenheit und ergab mich darein.

Natürlich war nicht die Mutter Herrin und Beherrscherin unseres kleinen Reiches, sondern Luise, Was diese wollte, geschah, was diese nicht wollte, geschah nicht. Sie gebot und wir waren gewöhnlich sehr glücklich und dankbar, wenn es unserer gestrengen Dienerin beliebte, guter Laune zu sein, oder einmal Gnade vor Recht ergehen zu lassen.

Mit mir trieb sie eine Art von Götzendienst. Ich war für sie nämlich ein so schönes, so kluges, so wunderbares Kind, daß mein Dasein sie geradezu fassungslos machte. Offnen Mundes staunte sie das Wunder meiner Existenz an, mit unerschütterlichem Glauben prophezeiend (die gute Seele hatte von ihren Märchen profitiert!), daß sicher noch einmal etwas »Großes« aus mir werden würde; zum Beispiel eine Prinzessin. Ihrer durchaus maßgeblichen Meinung nach brauchte ich nur zu wollen, um mich eines schönen Tages per goldener Kutsche auf irgendeinen gerade vakanten Königsthron befördern zu lassen. Kurz diese »böse- gute, liebe-schlechte« Luise verwöhnte mich gründlichst.

Ihr schönen, glücklichen Zeiten! Ihr verklungenen Klänge, noch einmal klingt in mir nach!

Kindheit! Kindheit! Ist es denn möglich, daß die Sonne so hell scheinen, eine Blume so duften kann?! Kindheit! Kindheit! Du schönstes Märchen, du wundersamstes Gedicht, bist du auch mir jemals erklungen? Noch immer mit braunem Haar, kann ich kaum noch begreifen, wie der gramvolle Mensch je ein fröhliches Kind gewesen sein soll, das junge Herz so voll Sonnenscheins, daß ihm die trüben Tage nicht dunkler deuchten als die heiteren. Kindheit! Kindheit! Ich erlebe dich wieder und mir wird so wohl, mir wird so weh! Ich schließe die Augen, um einzuschlafen und noch einmal so selig zu träumen. Ein Meer von Strahlen steigt wirbelnd aus dem Dunkel auf. Töne umbrausen, Melodien umrauschen mich. Still, weckt mich nicht!


 << zurück weiter >>