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Zweites Kapitel.

Auf nach Rom!

Es war bestimmt worden, daß wir den Winter in Rom zubringen sollten. Die Fürstin begleitete uns, vom Hofstaat ging nur der Leibarzt mit. Wir reisten sehr langsam: durch die Schweiz, über Mailand und Florenz.

In der schönsten Stadt der Erde fanden auch wir keine Ruhe. Der Name, der solchen Donnerklang hat, zog auch uns nach jener einzigen Stätte hin, wie Glockengeläute den Gläubigen zur Kirche. Auf der alten klassischen Straße hörten auch wir den berühmten Ruf: Eccola, Roma! Wir ließen die Pferde halten. – Mitten in der erhabenen Öde der Campagna stieg es vor uns auf: die Peterskuppel.

Wir bezogen eine Villa in der Nähe der Laterans. Das Landhaus war in die Aquädukte des Nero sozusagen hineingebaut. Zu beiden Seiten türmte sich das gewaltige Gemäuer empor; aber man gewahrte nur einen riesigen Wall von Efeu. Hölzerne Treppen führten zur Höhe hinauf. Wo einst ein Strom von Appennin gefangen nach Rom geführt wurde, saßen wir unter Efeubäumen und blickten rings auf Stadt und Land herab.

Ein köstlicher Garten umgab Ruinen und Haus. Über immergrüne Rasenflächen hinweg, auf denen das ganze Jahr hindurch die Blumen nicht verblühten, sah man die alte aurelianische Stadtmauer, mit der Kirche Santa Croce und der Ruine des Rundtempels der Minerva Medica; sah man das esquilinische Trümmerfeld und den wunderbarsten Platz: wo vor dem königlichen Palast des Heiligen auf grüner Wiese Pinien und Eichen stehen, darunter Herden weiden. Über die Mauer hinweg führte es sodann den entzückten Blick in die schimmernde Ferne zum Appenin hinüber und dem schönen Albanergebirge. Am Monte Gennaro glänzte Tivoli auf, an dem tuskulanischen Bergrücken die Palaststadt Frascati. Aus den Vignen und Gärten hervor stiegen die bunten Landhäuser, inmitten der unübersehbaren Weideplätze erhoben sich die braunen Ruinen – inmitten der Wüsteneien lagen wie Oasen die Ölwälder und Pinienhaine mit vereinzelten Tenuten. Darüber hinaus ward die Landstraße immer freier, immer erhabener. Worte sagen es nicht.

Unser Landhaus ward berühmt durch seine Rosen, Es schien in der Tat ein in Rosen versenktes Märchen zu sein. Rosen umrankten das Haus, Rosen durchschlangen die Lorbeergänge und die Efeumassen, Rosen umwanden die Säulen, die Statuen, die Trümmer.

Der Garten war ein Museum. Jeder Blick fiel auf antike Marmorreste, jeder Schritt stieß auf eine Bildsäule, einen Sarkophag, ein Kapitäl, eine Kaiserbüste, eine Inschriftstafel. Sogar ein kleines Kolumbarium befand sich bei dem Besitz.

Der Prinz reiste im strengsten Inkognito unter dem Namen eines Grafen von Fürstenstein. Der Gesandte machte seine Aufwartung, sonst wurde in der ersten Zeit niemand empfangen. Jeden Vormittag brachten wir eine Stunde in einer Galerie zu, jeden Nachmittag fuhren wir in die Campagna hinaus. Abends wurden am Kaminfeuer die Eindrücke des Tages besprochen, von mir aufgezeichnet und Goethes italienische Reise gelesen. Außerdem las mein Gemahl uns Frauen an besonders guten Tagen aus Tacitus vor.

Erst als der Prinz sich allmählich mehr und mehr erholte, sahen wir etwas Welt bei uns; ausgezeichnete Männer und Frauen aller Nationen, die sich in Rom jeden Winter zusammenfanden. Auch viele Künstler kamen. Es war ein Salonleben, von dem liebenswürdigsten Geiste durchdrungen.

Eines Abends sah ich die Ristori spielen.

So verging uns der Winter – traumhaft genug. Plötzlich läuteten über Rom die Osterglocken. In jeder der dreihundert Kirchen Roms war dem Herrn ein Grab bereitet worden. Unter den Klängen des Miserere ward der gekreuzigte Gottessohn begraben – unter Posaunengeschmetter und Jubelchören erstand er wieder.

Wir hatten am Charfreitag in der Sistinischen Kapelle den berühmten Lamentationen beigewohnt. Als unter Palästrinas herzdurchwühlenden Klängen eine Kerze nach der andern erlosch und in der Dämmerung über Papst und Kardinälen die Riesenleiber von Michelangelos Auferstandenen sich zu dem gewaltigen Christus hinaufrangen – da mußte ich einen Schrei des Grausens ersticken. Ich faßte den Arm meines Gemahls und hätte ihn am liebsten sogleich hinausgeführt, wo die Sonne schien und das Leben war. Weh, in der Welt war der Tod – auch Christus war gestorben.

Und nun läuteten sie in Rom die Auferstehung.

Aus den Kirchen hatte die düstere Pracht des Todes weichen müssen, von den Leibern der Heiligen war der Trauerflor herabgesunken, in Kerzenglanz und Goldschmuck erstrahlten die hohen Hallen wie Festsäle. Über die Gruft des Heilands waren Blumenhügel geschüttet und Knabenstimmen jubelten wie Engelchöre.

Im Sankt Peter las der Papst die Ostermesse. Umgeben von der ganzen Majestät der Kirche thronte er auf goldenem Stuhl mit umleuchtetem Haupt. Es war die Sonne, die ihn beschien, aber das Volk, das zu Tausenden die marmornen Weiten erfüllte, hielt es für Glorie. Ich sah Pius IX. am Ostersonntag den großen Segen austeilen und staunte über die erhabene Komödie. Mit dem Bewußtsein, daß es ein Schauspiel sei, ward ich, die Schauspielerin, davon hingerissen.

Auferstehung! – – Selig, selig die, so da glauben können.

Wir fuhren am Ostersonntag auf der Via Appia in die Campagna hinaus. Nach dem festlichen Gewühl in der Stadt wirkte die feierliche Öde um uns desto mächtiger. Nur in Rom sind solche Gegensätze möglich.

Wir ließen den Wagen halten und schritten über das einsame Feld. Meinen Gemahl führte seine Mutter. Als ich die beiden vor mir wandeln sah: die Mutter ihren Sohn stützend, der, fast noch ein Jüngling, so bald sterben sollte – da überkam mich, einer Offenbarung gleich, jene Glückseligkeit der Hoffnung, die von allen Religionen nur das Christentum als Glück und Segen ohnegleichen zu geben vermag: Sei getrost, Mutter, dein Sohn lebt.

Meine Seele stammelte ein Dankgebet: nicht für mich, sondern für sie, die da glauben konnte.

Noch nie hatte mir der Gesang der Lerchen ein so überirdischer, wahrhaft himmlischer gedünkt wie an diesem Osternachmittag. Diese Jubeltöne, hoch über uns in den Lüften, waren die Melodien, die der auferstehenden Natur erklangen. Und siehe: auch hier war das Grab, aus dem das erwachte Leben stieg, mit Blumen geschmückt.

Die Fürstin und ich pflückten große Sträuße. Mein Gemahl sah uns zu und wollte wie ein Knabe immer mehr haben. Wir blieben bis zum Sonnenuntergang.

Als Himmel und Erde in einem Farbenspiel erglühten, welches kein Maler malen, kein Dichter dichten kann, flüsterte mein Gemahl mir zu: »So wird auch mein Tag in Glanz und Gluten erlöschen. Die Sonne, die mir den Tag brachte, warst du und deine Liebe. Die Nacht, welche meiner wartet, mag kommen.«

In den nächsten Tagen weilten wir viel auf einem Lieblingsplatz meines Gemahls. Es war dies San Onofrio. Wenige Schritte von der Lungara entfernt, umgibt den Spaziergänger tiefste, klösterliche Stille.

Nichts Eigentümlicheres, als der nahe Anblick der Stadt dicht unter sich bei dieser Weltentrücktheit des Ortes.

Noch vor dem Kloster stehend, glaubt man sich bereits von dessen Mauern umschlossen. Von den Gärten der stolzen Lungara steigen die schwarzen trauernden Zypressen empor und Palmen erschließen ihre königlichen Kronen dem Sonnenschein. Auf dem kleinen Platz wuchert Gras, um stark duftenden Thymian schwirren Käfer und Bienen. Ein langhaariges Schaf weidet in dem blumigen Kraut. Seine Hüterin ist ein altes braunes Weib, das unter den Arkaden des Klosters kauert, wo in sanften, lichten Farben Domenichinos Heilige die Andacht erwecken.

Die Kirche steht offen.

Ganz einsam ist's, wo der große, arme Dichter schläft. Unter ihm ruht auch eine Tote: Roma, die erhabenste Leiche der Welt. Ihr Auferstehen hatte der Dichter des befreiten Jerusalem mit seinen schönsten Klängen gefeiert. Aber Roma antika blieb tot. Tassos Herz ward vom Leben gebrochen und über des Sängers gebrochenem Herzen liegen welke Lorbeerkränze, auf deren braunem Laub die Mittagssonne funkelt. Pinturicchios verklärte Gestalten umgeben das einsame Dichtergrab und zuweilen kommt an den stillen Ort ein Mensch, der es auch so still in der Brust trägt. Dieser wird an dem verlassenen Grabe stehen, von der Empfindung durchschauert: wie der Schoß der Erde Tote empfängt, die nicht des seligen Auferstehens teilhaftig zu werden brauchen, um dennoch unsterblich zu sein.

Durch ein Seitenpförtlein durfte ich jedesmal in den Klostergarten einschlüpfen. Wie lieb war mir das Broccolifeld geworden, durch das wir zu dem schönsten aller Ruheorte gelangten, wo die Mönche des heiligen Hieronymus ihr Amphitheater errichtet, von dem aus sie auf das erhabenste und zugleich tragischste Schauspiel der Welt blickten: auf das ganze unter ihnen liegende Rom mit seiner Landschaft. Längst überwuchern Gras und Blumen die verfallenen Sitzreihen. Mit vom Blitz zerschmettertem Stamm steigt darüber die Eiche auf, unter welcher der kranke, schwermütige Dichter so viele Male gesessen hat. Dann mag er wohl sehnsuchtsvoll nach dem Kapitol hinübergespäht haben, dem großen Altar Roms, auf dessen Trümmern auch Tasso die Krone empfangen sollte: das heilige Laub der Dichter und der Helden.

Wir sahen im warmen Lenzsonnenschein und blickten schweigend auf Rom. Majestätisch ruhte es im Schoß seiner sieben Hügel: die Niobe der Städte, aber noch immer die Königin der Welt. Hundert Kuppeln ragten unter uns auf. Großartig und ehrwürdig zugleich bedeckte die Stadt der Ruinen, der Kirchen und Paläste ringsum alle Höhen und Tiefen. Dort wölbte sich das Dach, wo:

»Künstliche Himmel ruh'n auf schlanken jonischen Säulen
Und den ganzen Olymp schließt ein Pantheon ein.«

Einst leuchtete es im Glanz seiner vergoldeten Bronzeziegeln zum Jani(?)ulus hinüber.

Und zu Füßen lagerte sich mit seinen von Arkaden umschlossenen Höfen und hoch aufsteigenden Gärten die graue Masse des Corsinipalastes. Mit einem düsteren Lorbeerhain an seiner Seite, erhebt sich am Strand des gelblichen Stroms, schön wie ein steinernes Traumgebild, Chigis Gartenhaus, in dessen Saal Amor und Psyche im Olymp ewig Vermählung feiern werden. Ehemals lagen hier die Gärten der Agrippina, später schwelgten hier Leo X. und Raffael. Wo einst die Barken Beros gelandet, ließ Agostino Chigi die goldenen Schüsseln und Becher, darin er seinen Gästen Pfauen von Samos und Falerner vorgesetzt, in den Tiber werfen. – – Jetzt war es dort öde und still.

Und drüben am anderen Ufer: Roms stolzester und schönster Palast, so trotzig und gewaltsam, wie das Geschlecht war, das ihn baute; auch ebenso königlich prunkend wie dieses. Das Gesims Michelangelos wie eine Krone über Rom emporhebend, wird der Palast der Farnese dauern, wie das Kolosseum gedauert hat, aus dessen steinernen Riesenwällen er aufgebaut worden, ein Denkmal, das seine Herren für alle Zeiten ihrer Zeit setzten.

Grün und schön und freudig erstreckte oberhalb Roms der Pincio seine eleusinischen Gärten Hinter der Villa der Mediceer stieg der borghesische Pinienwald auf, ein wunderbarer Vordergrund in dem Bilde des römischen Gebirges, das seine schneebedeckten Gipfel in das leuchtende Blau emporträgt: den Gennaro mit seiner schimmernden Felspyramide und über blaues Hügelland die königliche Lionessa. Und wer kann in Rom sein, ohne den Soracte schauen und – lieben zu müssen.

Rechts und links zog es den Blick in die öde Weite hinaus. Hier ist die von Trümmern übersäte Ebene mit dem wundersamen Albanergebirge und dem pränestinischen Gefilde; dort über das Mausoleum des Hadrians hinweg das vejentinische Land. – – Schimmerndes Bild, so oft gesehen und bestaunt, wie erscheinst du mir wieder in dem grauen Tag meines Daseins, daß ich, in deinen Anblick verloren, diesen vergesse. Aber ach, du zerrinnst!

Unter der Tasso-Eiche lasen wir aus dem befreiten Jerusalem und Byrons Childe Harold.

Als wir zum letztenmal dort waren, legten wir aus Tassos Grab eine Palme nieder. Dann begab sich mein Gemahl ins Kloster, um noch einmal Leonardo da Vincis Madonna zu betrachten.

Das Kloster verlassend, sagte er: »In dieser frommen Stille der Krone des Kapitals zu entsagen und dafür die Palme des Friedens zu erhalten, muß schön sein.«

Ohne zu wissen, daß es mein Abschiedsgruß sein sollte, verließ ich den lieben Ort mit unseres Dichters Weihespruch:

– – Die Stätte, die ein edler Mensch betrat ...

 

Mein Gemahl fühlte an jenem Tage heftige Sehnsucht nach der Sistinischen Kapelle. Wir begaben uns also hin; nur er und ich.

Es war Mittag, und da die Kapelle eigens für uns geöffnet worden, befanden wir uns ganz allein. – – Von Sonnenglanz überflutet, erstanden Michelangelos Tote, rangen sie sich zum Himmel auf, wurden sie gesegnet und verdammt, stiegen sie ein in die Kreise der Verklärten, stürzten sie hinunter in die ewige Pein. Und unter dem triumphierenden christlichen Jupiter, an dessen Knie sich die zitternde Mutter schmiegte, stießen die Cherubime in die Posaunen, während über ihm die Scharen lichter Jünglinge des Himmels mit den Marterwerkzeugen angestürmt kamen.

Wir saßen da, von neuem überwältigt und niedergeschmettert von der Gewalt des Genius, als seien wir zwei jener Unseligen, die niemals die Nähe des Göttlichen erreichen sollten. Starren Auges sah mein Gemahl auf das ungeheure Gewühl der Leiber. Lange rührten wir uns nicht. Dann sprach er so leise, daß ich mich zu ihm hinneigen mußte, um ihn zu verstehen.

»Daß ein Mensch dies erdacht und gestaltet hat! – – Wenn einmal die Posaunen erdröhnen, die Gräber aufbersten, die Toten aller Welten und Zeiten auszuspeien und die Massen der Erstandenen gen Himmel drängen, um verdammt ober gesegnet zu werden – so muß dieser ungeheure Vorgang geschehen, wie er hier geschieht: wie Michelangelo ihn gesehen und gebildet hat. Christus ist hier vor allem der grimmige, gerechte Gott, ein Heros des Himmels, der mit eigener Faust die Sünder und die Schuldigen niederschmettern könnte. Kaum, daß die Mutter zu bitten wagt.

Welche Schuld darf vor diesem Richter auf Gnade hoffen?

Nur ein Riesengeist, der mit den Völkern der Erde Krieg führte, dabei aber in den Fesseln eines starren, fürchterlichen Glaubens lag, konnte dergleichen Übermächtiges ersinnen. Um an diesen Gott Michelangelos zu glauben, und sich nicht von ihm vernichten zu lassen, muß man ein Michelangelo sein. Wehe uns Kleinen und Schwachen! Wir können nicht bestehen vor ihm.

Sieh dort, wo die Toten der Erde entfahren und aus ihren Gräbern sich wühlen, das Weib, welches den Mann aus der Gruft zerren will. Aber Dämonen halten den Unglückseligen bei den Füßen gepackt und werden ihn wieder hinunterreißen. Es mögen Gatte und Gattin sein. Nur das Weib wird selig werden.

Vom Rand jenes Hügels schwingt sich eine jammernde Gestalt einsam hinauf. Dort siehst du sie die Lüfte durchsausen: in ein Leichentuch gehüllt, in unendlichem Jammer die Hände ausgestreckt, das Gesicht erhoben, dessen verbundene Augen die Herrlichkeit Gottes nicht sehen wollen, da sie sie allein schauen sollen. Aber es ist eine Gerechte und sie wird selig gesprochen werden. – – Dort steht sie zur Rechten Christi, stehend erhebt sie die Hände und blickt hinter sich, wo Gatte und Gattin sich wieder gefunden haben und sich einander zur ewigen Vereinigung in die Arme sinken. Sieh, wie ihre verklärten Leiber sich umfangen, wie ihre seligen Seelen im Kusse zusammenschmelzen.

Furchtbar! Die einen Gatten für ewig vereinigt, die anderen für ewig getrennt! Was für ein entsetzlicher Glaube, in welchem das geschehen kann, in welchem ein Gatte nicht den anderen von seiner Schuld loszubitten vermag?!«

Er war außer sich. Ich konnte ihn nicht beruhigen und mußte ihn hinausführen. Mit Heftigkeit forderte er Raffael zu sehen. Wir gingen zur Disputa und vor diesen schönen, seligen Gestalten besänftigte sich der Aufruhr in seiner Empfindung. Er warf sich an meine Brust und weinte. Raffael war die Erlösung.

 


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