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Achtes Kapitel.

Ein Freund und ein Arzt

Es geschah nach einer Vorstellung, in der ich zum erstenmal Maria Stuart spielte.

Wie an jedem Abend, wenn ich auftrat, hatten sich auch an diesem unsere Studenten im Theater befunden. Stets sehr taktvoll in ihren Beifallsbezeugungen, ließen sie sich zum erstenmal zu einer Art von Ovation hinreißen. Nach dem dritten Akt ward mir ein großer Lorbeerkranz mit weißer Atlasschleife geworfen, auf der in Goldschnitt mein Name stand. Es war dies im Akademietheater ein unerhörter und eigentlich ganz unerlaubter Fall. Daran dachten aber weder die guten Jünglinge noch die Gefeierte selbst.

Mein erster Lorbeerkranz – – Man wird vielleicht begreifen, daß ich das dunkle, ernste Laub inbrünstig an meine Lippen drückte, daß mir der starke Duft dieser geweihten Blätter als berauschende Glut in die Seele drang.

Als ich, von der aufgeregten Luise begleitet, zu Hause ankam, fand ich unsere ganze Wohnung erleuchtet und eine Festtafel gedeckt. Man empfing mich und meinen Kranz mit lautem Jubel.

Es ward ein froher Abend, an welchem der jungen Tragödin zum erstenmal der bacchantische Schaum des Champagners floß. Übrigens war die ganze Huldigung recht harmlos.

Aber auf mein strahlendes Glück fiel ein Schatten. Den Mann, den ich vor allen ehrte, hatte, als man ihn zu der kleinen Feierlichkeit aufgefordert, kurz und schroff abgelehnt. Er sollte im Theater gewesen sein; zurückgekehrt, hatte er sich sofort in sein Zimmer begeben. Er mußte das Gläserklingen und unsere fröhlichen Stimmen deutlich vernehmen. Luise war entrüstet, selbst die Mutter glaubte, ihn entschuldigen zu müssen. Ich fühlte mich schmerzlich berührt, aber nicht gekränkt, noch weniger beleidigt. Ohne mir eines Unrechts bewußt zu sein, hatte ich doch die Empfindung eines solchen.

Am andern Mittag traf ich bei Tisch mit Fernow zusammen. Er grüßte höflich wie immer, ich dankte freundlich wie immer. Die Mutter, neben der er saß, zeichnete ihn in ihrer gewöhnlichen Weise aus.

Die Unterhaltung an diesem Tag war keineswegs geistreich. Die Herren sprachen von nichts anderem als von meinem gestrigen ›genialen‹ Spiel. Fernow sagte mir kein Wort darüber. Da mir die exaltierten Lobeserhebungen überaus peinlich waren und ich eine gleiche Empfindung bei der Mutter vermuten mußte, versuchte ich dem Gespräch eine andere Wendung zu geben. Zufällig sah ich den Doktor an und begegnete dabei einem seiner ernsten, forschenden, seltsam aufleuchtenden Blicke. Ich wandte die meinen nicht sogleich wieder ab.

Als wir vom Tisch aufstanden, trat ich auf Fernow zu und sagte zu ihm, laut, daß es alle hörten: »Ich möchte Sie gern sprechen. Könnten Sie mich heute nach Ihrem Kolleg vielleicht in meinem Zimmer aufsuchen?«

Er antwortete nicht, aber verneigte sich.

Ich verbrachte einen unruhigen Nachmittag. Ermüdet und abgespannt von den Aufregungen des gestrigen Abends, ward mir selbst das Studium meines geliebten Schiller schwer. Ich hatte die Eboli begonnen und war schlecht zufrieden mit mir.

Es dämmerte bereits, als es klopfte und Fernow eintrat. Ich stand auf und ging ihm entgegen, nicht ohne Befangenheit.

»Ich danke Ihnen herzlich, daß Sie kommen. Schon längst wollte ich Sie um diese Unterredung bitten. Sie sind der einzige Mensch, dem ich völlig glaube. Meine gute Mutter versteht ja nichts davon.«

Ich hatte mich wieder auf meinen Sitz begeben, Fernow nahm mir gegenüber Platz. Nach einer Pause erwiderte er: »Ihr Vertrauen freut mich herzlich. Aber ich möchte Sie doch bitten, es mit aller Vorsicht anzuwenden. Solcher Glaube könnte Ihnen leicht gefährlich werden und das würde mir sehr leid tun. Überhaupt müßte mein erster, freundschaftlicher Rat sein: hüten Sie sich vor dem Idealisieren! Sie scheinen mir darin ein wahres Genie zu besitzen. Auch mich überschätzen Sie.«

Ich konnte ihn jetzt völlig ruhig ansehen und ebenso gelassen sagen: »Ich kann nur meine ersten Worte wiederholen.«

Da er stumm blieb, fügte ich hinzu: »Mir kam zuweilen vor, als ob Sie mir freundschaftlich gesinnt wären, ja als ob Sie Teilnahme für mich hätten. Sonst würde ich Sie selbstverständlich nicht um diese Unterredung gebeten haben.«

»Sie haben sich nicht getäuscht. Ich bin in der Tat Ihr Freund.«

»Und ich bedarf eines Freundes,« sagte ich mit einem tiefen Atemzuge. »Ach, Sie glauben nicht, wie sehr!«

Er warf mir einen fragenden Blick zu; ließ mich aber weiter sprechen.

»Mir ist, als stünde ich vor einer ganz anderen Gefahr, als diejenige ist, die Sie vorhin andeuteten. Nennen kann ich sie nicht; aber ich fühle, daß sie da ist. Ein Freund könnte mich davor bewahren.«

Ich glaube, fast flehend sah ich ihn an.

Wieder ließ er mich auf Antwort warten. Den Kopf geneigt, saß er gedankenvoll, überlegend vor mir. Dann sah er auf. Er sagte: »Sie sollen mich nicht minder ernsthaft und ehrlich finden, als Sie selbst es sind. Worin kann ich mich als Ihr Freund erweisen?«

»Durch unerbittliche Wahrheit. – – Wo Sie Ihre Teilnahme schenken, muß dafür irgendeine ernste Ursache sein. So werden Sie denn wohl erkannt haben, wie ernst ich es mit meiner Kunst nehme.«

»Das habe ich erkannt und Sie haben mir sehr leid getan. Wenn Sie mich heute nicht gerufen hätten, wäre ich morgen wahrscheinlich von selbst gekommen.

Auch mir liegt es schon längst schwer auf dem Herzen.«

Ich fühlte, daß ich erbleichte.

»Ich habe Ihnen leid getan. Warum? Etwa weil – ich konnte es kaum über die Lippen bringen – weil Sie sahen, wie ich mich mit voller Seele einer Kunst hingebe, für die mein Talent nicht genügt, meine Fähigkeiten nicht ausreichen?«

»Nein,« versetzte er schnell und stark, »Ihr Talent ist groß.«

Ich war aufgestanden. In heftiger Bewegung rief ich: »Jetzt können Sie mir alles sagen, jetzt kann ich alles hören!«

»Daran habe ich nie gezweifelt,« versetzte Fernow, wie mir schien nicht ganz in seiner sicheren und überlegenen Weise, mit dem tiefen Wohllaut in seiner Stimme, den er jedesmal hatte, wenn ihn eine Sache erregte. »Sie müssen nämlich wissen, daß ich Sie für ungewöhnlich mutig halte.«

»Und doch konnte ich Sie dauern?«

»In tiefster Seele! Ihre ganze jetzige Lage ist geradezu ein Unglück für Sie.«

»Sie meinen, daß meine Erfolge verfrüht seien? Weiß ich doch, daß Sie gestern selbst jenen harmlosen Lorbeerkranz mißbilligten; ebenso die kleine Feier unserer Herren für sehr überflüssig hielten.«

»Ich müßte mich sehr täuschen; aber auch Sie schienen mir durch diese unverdienten Auszeichnungen – ich gebe Ihnen gleich ein abschreckendes Beispiel meiner rauhen Offenheit! – nicht gerade überschwenglich entzückt zu sein.«

»Und doch möchte ich mich dazu bekennen.«

Fernow lächelte. Sogleich mußte ich ihn unwiderstehlich liebenswürdig finden.

»Und doch bin ich meiner Sache sicher! Sie können sich ja schon heute nicht mehr so rein darüber freuen, wie Sie es eigentlich müßten.«

Diesmal half es mir nichts: ich mußte ihm recht geben. Seltsamerweise war ich gar nicht besonders unglücklich darüber.

»Werden wir uns vor allen Dingen ein wenig übereinander klar, liebe Freundin. Da mögen Sie denn gleich das Ärgste an mir erfahren: nämlich meine leidige Angewohnheit, nicht nur ein bescheidenes kleines Etwas von den Körpern der Menschen wissen zu wollen, sondern auch von ihren Seelen. Welche unziemliche Neugierde, nicht wahr? Das nur so nebenbei. Was nun Sie anbetrifft, so werden Sie sogleich einsehen – denn ich kenne Sie! – daß Sie sich auf dem besten Wege befinden, Ihre ganze Künstlerschaft zu ruinieren. Was Sie bis jetzt gespielt haben, war gar nichts wert.«

Ich fühlte, wie ich dunkelrot ward, wandte mich ab und brauchte meine ganze Selbstbeherrschung, um möglichst ruhig sagen zu können: »Bitte, fahren Sie fort.«

»Alles, was Sie bei Ihrem Sprachmeister und in jener Akademie gelernt haben, müssen Sie daher so schnell als möglich wieder verlernen. Das scheint Ihnen eine schwere Zumutung; aber bei Ihrer Kraft – –

Ich wandte ihm mein Gesicht zu.

»Überzeugen Sie sich selbst von meiner Kraft. Ich, die ich mich vorhin rühmte, alles hören zu können, habe gleich im Anfang geweint!«

»Das tut auch im vierten Akt die Heldin, die im fünften mit erschreckender Großartigkeit stirbt. Und nun sind wir tapfer!«

Er reichte mir seine Hand.

»Das sind wir,« bestätigte ich. »Seien Sie also ganz strenger, rücksichtsloser Arzt.«

Er stand auf und ging im Zimmer umher. Als er wieder zu mir trat, erschien er mir noch bleicher als sonst.

»Wie vermag ich mich zu einer tüchtigen Künstlerin auszubilden?«

»Einfach dadurch, daß Sie in Ihrer Kunst dasselbe werden, was Sie als Mensch sind: eine Natur.«

»Das klingt mir so geheimnisvoll. Sie müssen es mir in meiner Sprache sagen.«

»Ohne auf Goethes Definition dieses mystischen Ausdruckes zurückzugreifen, möchte ich bei einem Menschen dasjenige seine Natur nennen, was sich in ihm entwickelt und gedeiht in derselben notwendigen naturgemäßen Einfachheit, mit derselben rücksichtslosen Vollkraft, mit der die Natur selbst wirkt und ihre eigenen Gesetze erfüllt. Auf den Menschen angewandt, scheint man mir damit nichts anderes bezeichnen zu wollen, als einen ganzen, vollen urkräftigen Menschen. Gebraucht nun solch eine kräftig ausgestattete Menschennatur zu ihrer Veredlung künstliche Mittel, so pflegt sich das gewöhnlich schwer zu rächen. Sie trägt so viel Krankes in sich, entwickelt so vielen Krankheitsstoff! Ein ehrlicher Arzt muß seinen Kopf dazu schütteln und besorgt der modernen Menschheit den Puls fühlen. Sie fiebert!

Da sind vor allem unsere modernen Frauen. Wollte man heutzutage mit unseren kranken, schönen Unnaturen ein Spital füllen – es müßte ein Riesengebäude sein!

Und denken Sie sich: wenn ich auch Sie als Patientin aufnehmen müßte.«


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