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Einundzwanzigstes Kapitel.

Der kranke Königssohn

Am Hofe lebte ein Prinz, dem Königshause nahe verwandt. Noch sehr jung, war er bereits mit einer fremden Prinzessin verlobt. Er war ein zarter, schöner Jüngling. Ganz der Etikette zuwider, trug er seine schwarzen Locken bis auf die Schultern herabfallend. Für sein blasses Gesicht mit den großen, unirdisch glänzenden Augen schwärmten alle Mädchen.

Er war der Liebling des Königs und das ganze sorgenvolle Glück einer überzärtlichen Mutter. Sein Vater war, dem Gerücht zufolge, an der Auszehrung gestorben. Man befürchtete, daß der Sohn die schreckliche Krankheit geerbt habe. Damals war er gerade zwanzig Jahre all.

Im Publikum wurde über diesen Prinzen viel gesprochen. Seine Schönheit, sein Leiden, sein Verhältnis zur Mutter, seine Liebenswürdigkeit und viele Züge, die von einer idealen, etwas überschwenglichen Natur sprachen, machten ihn der Menge interessant. Der arme Jüngling hatte seine Braut noch nicht einmal gesehen; man wußte, daß er diese Verlobung verabscheute.

Er hatte seinen Aufenthalt in einem alten Lustschlosse genommen, das inmitten großer Gärten und weiter Waldungen in der Nahe der Residenz lag. Hier hielt, so erzählte man sich, der junge Schwärmer auf eine seltsam phantastische Weise Hof. Von seiner Mutter vergöttert, von den Ärzten absichtlich in edle Zerstreuungen gezogen, führte er in jenem köstlichen buen retiro ein Leben, das ihn der Nüchternheit der Zeit sowie der Welt gänzlich entrückte.

Seine Erziehung sollte ihn tief in griechisches Wesen eingeführt haben. Er lebte in griechischer Geschichte, Dichtung und Kunst.

Er hatte sich seine nächste Umgebung aus einigen jungen Adligen gewählt; vor allem aber aus jüngeren Gelehrten, Künstlern und Dichtern. Seine Mutter war in diesem Kreise die einzige Frau. Es ging die Sage, daß der Prinz mit seinen Gefährten einen »Griechenbund« bildete. – – In einer Marmorhalle versammelte man sich. Diese war nach dem Vorbild von Platos Akademie eingerichtet und auch wie diese benannt: Akademia. Antike Statuen waren darin aufgestellt, die Wände schmückten vortreffliche Kopien pompejanischer Wandgemälde. An gewissen Festtagen erschien man in griechischen Gewändern. Es wurde griechische Philosophie getrieben, es wurden die griechischen Dichter gelesen. Man disputierte. Abends war die Tafel ein Symposion. Man lag auf Polstern, speiste auf der Antike nachgebildeten Geschirren, Wirt und Gäste trugen Rosenkränze. Zum Schlüsse erschien die fürstliche Mutter, aus Liebe zu ihrem Sohn in die edle Laune desselben eingehend und nicht die würdevolle Gewandung einer griechischen Matrone verschmähend. In Gegenwart der hohen Frau erteilte der Erzieher des Prinzen gewisse Themata, über welche die Versammelten frei sprechen mußten. Dem Vortrage folgte wiederum eine Disputation.

Der Prinz liebte leidenschaftlich das Schauspiel. Doch Gefahr für seine erregbare Phantasie fürchtend, verboten ihm die Ärzte den Besuch des Theaters. Um seine heftige Sehnsucht zu befriedigen, fanden in dem Theater des Lustschlosses dann und wann kleine Aufführungen statt; ja zuweilen studierten die jungen Leute unter sich auf einer griechischen Scena diesen und jenen Akt von Sophokles oder Äschylus ein.

Ich hatte den Prinzen nur einmal gesehen und das in einer Vorstellung des Tasso, wo ich Leonore von Este spielte. Da sein Erscheinen im Theater ein Ereignis war, wurde er mir gezeigt.

Durch das Loch im Vorhang betrachtete ich ihn mir genau. Sein blasses Antlitz mit den edlen, schönen Zügen, von langen, dunklen Locken umwallt, kam mir unendlich rührend vor. Alles, was ich von ihm wußte: sein ungewöhnliches, hochpoetisches Wesen, seine unglückliche Brautschaft, sein sicherer früher Tod verursachte, daß der Anblick des Jünglings mich tief erschütterte. Ich fühlte unsägliches Mitleid mit ihm.

Im fünften Aufzug, bei der großen Szene mit Tasso, verursachte eine Bewegung im Hause, daß das Spiel fast gestört wurde. Ich sah auf. Mein Blick fiel auf die große königliche Loge mir gerade gegenüber. Dort sah ich den Prinzen stehen. Er war dicht an die Brüstung herangetreten und schien wie entgeistert auf die Bühne hinabzustarren. Im nächsten Augenblick trat seine Mutter zu ihm. Sie wollte ihn sanft niederziehen; aber erst nach einer Weile trat er wieder zurück.

An diesem Abend wurde bei uns viel über den jungen Prinzen gesprochen. Die Mutter war ganz außer sich vor mütterlicher Teilnahme. Auch ich ward heftig bewegt, als Fernow uns mitteilte, daß der edle Jüngling wahrscheinlich in kurzer Zeit dahinsiechen würde. In den nächsten Tagen verbreitete sich das Gerücht, daß er nach der Vorstellung des Tasso erkrankt sei. Ich vermochte nicht eher wieder ruhig zu sein, als bis ich von seiner Besserung vernommen.

Einige Zeit nach diesem Vorfall besuchte mich der Intendant. Seine Exzellenz überraschte mich durch seine Liebenswürdigkeit. Zweck seines Besuches war, mir mitzuteilen, daß ich die Ehre haben würde, auf der Privatbühne seiner königlichen Hoheit die Antigone zu spielen. Bereits in den nächsten Tagen sollte das Drama auf dem Lustschloß vorgelesen werden.

Die Mutter war freudig überrascht, Fernow, als er es hörte, auffallend nachdenklich. Ich dachte an nichts anderes, als daß ich die Antigone spielen sollte. Noch an demselben Abend besprachen wir die wundervolle Gestalt.

Bis zu dem Tage der Vorlesung beschäftigte ich mich mit nichts anderm. Fernow hatte mir eingehend die antike Bühne geschildert, so daß ich in ihrem Charakter bewandert war wie ein junger Student. Wie kam mir dies zum Verständnis des Ganzen zustatten! Wie kam mir jetzt zustatten, daß ich wußte, was griechische Kunst sei! So gelang es mir denn auch, den erhabenen Ton der Rolle zu treffen. Von der köstlichen Klarheit der Gestalt ging es in mein Wesen über und zum erstenmal konnte Fernow mein Maß und meine Ruhe loben. Ich war still und glücklich.

Die Mutter begleitete mich in die Leseprobe. Wir wurden zuerst der Prinzessin vorgestellt, die den Handkuß der Mutter nicht litt, und mich auf die Stirn küßte. Gleich bei dem ersten Anblick fühlte ich eine tiefe Verehrung für die hohe Frau. Auf ihrem klassisch schönen Antlitz lag ein Ausdruck tiefster Trauer, deren Ursache ich zu kennen glaubte. Sie führte uns in den Saal, wo der Prinz mit den anderen bereits versammelt war. Ich verneigte mich tief. Er stand auf, ging uns entgegen und richtete in einer überaus liebenswürdig-schüchternen Weise einige freundliche Worte an meine Mutter. Mich begrüßte er stumm.

Alsbald begann die Vorlesung.

Man saß um eine Tafel, ich dem Prinzen gegenüber. Seine Mutter saß neben ihm. So oft ich vom Buche aufsah, begegnete ich dem Blick des Prinzen, mit einem Ausdruck auf mir ruhend, der mir das Herz beklemmte. Die Fürstin hatte ihre Hand auf den Arm des Sohnes gelegt, als müsse sie ihren Liebling vor irgendeiner Gefahr schützen. Nach der ersten Abteilung wurde eine längere Pause gemacht; wir erhoben uns, Lakaien brachten Erfrischungen. Die Prinzessin kam auf mich zu und sagte: »Mein Sohn ist entzückt, liebes Fräulein.« Und dann zu meiner Mutter gewendet: »Was sind Sie für eine glückliche Mutter!«

Was bist du für eine unglückliche Mutter! mußte ich denken.

Sie führte mich nun selbst zum Prinzen, der mir seltsam befangen vorkam. Auch er sagte mir mit unsicherer Stimme ein paar Worte über meinen Vortrag: nicht Phrase, sondern Empfindung. Darauf stellte er mir einige Herren vor und das Gespräch ward allgemein. Es handelte sich natürlich um das Stück und die Aufführung. Die Bühne sollte in streng griechischer Weise hergerichtet werden. Da man mich in die Unterhaltung zog, gab auch ich meine Meinung ab. Ich sagte nicht viel; aber der Prinz schien doch davon betroffen zu sein.

Die beiden Mütter saßen unterdessen zusammen auf einem Ruhebett im eifrigen Gespräch. Als ich mich zu ihnen wandte, verstummten sie. Meine Mutter hatte feuchte Augen, die Fürstin war wieder sehr gütig.

Wir lasen weiter.

Sehr wider mein Erwarten und Wollen gestaltete sich die Leseprobe für die Darstellerin der Antigone zu einem vollständigen Triumph. Da die Fürstin sich immer liebenswürdiger gegen mich benahm, der Prinz sich in wahrhaft beängstigender Weise begeistert zeigte, mochten es die Kavaliere für ihre Pflicht halten, mir geradezu zu huldigen.

Nach der Vorlesung wurde im Palmengarten zur Tafel gegangen. Ich saß neben dem Prinzen. Sein Gesicht war weniger bleich, seine Augen glänzten. Er schien gesund und glücklich zu sein. Durch das Schauspiel angeregt, kamen wir auf griechische Literatur und Kunst zu sprechen und waren beide bald so in dieses Thema vertieft, daß wir darüber unsere Umgebung vergaßen. Die lebhafte Freude des Sohnes hatte sich der Mutter mitgeteilt: lächelnd blickte sie zu uns herüber. Als wir uns empfahlen, umarmte sie mich.

Ich war zu erregt, um gleich zu bemerken, wie still die Mutter an meiner Seite im Wagen saß; erst als wir zu Hause angekommen, erkannte ich, daß ihr etwas geschehen sein müsse.

»Mutter, was ist dir? Was hast du?« rief ich erschrocken.

Aber in einer Bewegung, die ihr zu sprechen verwehrte, verließ sie mich. Später suchte ich sie in ihrem Schlafzimmer auf. Sie schloß mich in ihre Arme und stammelte, wie sie schon einmal getan: »Mein armes, armes Kind.«

Ich verstand sie nicht.

 

Es lag eine drückende Stimmung im Hause, die mir meine Unbefangenheit nahm. In den nächsten Tagen fehlte auf dem Frühstückstisch die Zeitung. Da ich danach fragte, wurde mir irgend etwas entgegnet. Als ich am dritten Abend in meine Garderobe trat, hatte eine menschenfreundliche Hand, wie mir schien, sämtliche Zeitungen der Residenz auf dem Toilettentische aufgelegt. Das, was ich lesen sollte, war schön rot angestrichen. Arglos nahm ich ein Blatt zur Hand und las – –

Ein Feuilletonartikel: Die Leseprobe der Antigone bei seiner königlichen Hoheit. Ich las und las – – Das Blatt entsank meinen Händen, ich schlug sie vor mein Gesicht. Welche Welt!

Die Klänge der Ouvertüre schreckten mich auf. Hastig kleidete ich mich an, der Inspizient kam. Ich trat heraus und spielte – Emilia Galotti.

Ich hatte nie so ruhig gespielt, nie so kühl. Fernow und die Mutter waren im Theater.

Das Publikum benahm sich an jenem Abend auffallend zurückhaltend gegen mich, sogar kalt. Nun, ich kannte die Ursache. Trotzdem war man hinter den Kulissen ungemein höflich gegen mich. Seine Exzellenz zeichnete mich mit Ostentation aus. Einige Kolleginnen, zweiten und dritten Ranges, die sich bisher die Freude gemacht hatten, mich anzufeinden, wo sie nur konnten, zeigten sich beinahe liebenswürdig. Dagegen war unsere vorzügliche Tragödin, die Orsina, die mich nicht gerade liebte, hoheitsvoll.

Ich blieb durchaus gelassen, bemerkte und beobachtete alles und dachte wieder: Welche Welt! Diesmal jedoch ohne Schmerz.

Ich weiß nicht wie es kam; aber ich spielte den letzten Akt durchaus anders als sonst: viel zu unbewegt, viel zu römisch virginenhaft.

Das Publikum machte diese völlig neue Auffassung stutzig. Aber nicht nur, daß es beim Schluß lebhaft applaudierte: es bereitete mir eine völlige Ovation. Ich wußte auch davon den Grund.

Ohne die ganze Reihe der übrigen Blätter berührt zu haben, begab ich mich nach Haus. Fernow war da. Die Mutter schloß mich zärtlich in die Arme. Dennoch herrschte zwischen uns nicht die alte, innige Stimmung.

Da Fernow nicht von meinem Spiel sprach, sprach ich davon.

»Trotzdem haben Sie falsch gespielt,« erwiderte er ruhig. »Die Tochter des alten Republikaners Galotti ist weit mehr Weib, als die Tochter des Römers Virginius es war. Emilia Galotti wird den Prinzen lieben und weiß das sehr wohl; wie sie auch sehr wohl weiß, was daraus entstehen wird. Der Dolchstoß des Vaters ist völlig motiviert. Emilia Galotti hat nur die Wahl: entweder die Geliebte des uneigentlichen Mörders ihres Gemahles zu werden, oder zu sterben.«

»Mag es falsch sein,« erwiderte ich ebenso gelassen. »Heute abend dünkte mir diese falsche Auffassung die richtige. Sie wird den Prinzen nicht lieben. Bei der nächsten Vorstellung werde ich wieder zu meiner alten Auffassung zurückkehren.«

Die Mutter seufzte, Fernow lenkte das Gespräch ab.

Eine Zeitlang schien es, als solle die Vorstellung der Antigone nicht stattfinden. Durch die Zeitungen erfuhr ich scharfsinnige, nein: pikante Andeutungen des Warum und Weshalb. Ich las sie so, wie Fernow es für eine Schauspielerin unumgänglich notwendig hielt: ohne darüber meinen Kaffee kalt werden zu lassen. Der Mutter konnte ich diese häßlichen Dinge verbergen.

Als ich bereits glaubte, daß die Antigone wirklich unterbleiben würde, ward ich auf das Schloß zur ersten Probe befohlen. Die Mutter wollte mich begleiten; ich bat sie jedoch, mich allein fahren zu lassen. Sie war mehr schmerzlich bewegt als beunruhigt.

Ein Kavalier empfing mich. Die Sache nahm ihren Verlauf, weder die Prinzessin noch der Prinz erschienen.

Da die artistische Leitung außer dem Regisseur auch noch einem Gelehrten und einem Künstler übertragen worden war, so genoß ich die hohe Freude, die Einstudierung mit einer von mir ungeahnten Vollendung betrieben zu sehen. Die viele Mühe, die es kostete, war wahre Lust für mich und gern ging ich mit dem guten Beispiel voran, mich nicht ermüden zu lassen. Die erste Probe dauerte bis spät in die Nacht hinein. Obgleich recht erschöpft, fühlte ich mich doch sehr glücklich.

Es war für uns Schauspieler eine Tafel aufgestellt worden, ich empfahl mich jedoch. Da durch ein Mißverständnis mein Wagen nicht gekommen, fand ich die Equipage des Prinzen auf mich warten.

Jetzt folgte Probe auf Probe. Zuweilen sah ich die Fürstin, die wahrhaft mütterlich gegen mich war; seltener traf ich mit dem Prinzen zusammen. Er schien von neuem recht leidend zu sein. Seine blassen Wangen, seine brennenden Augen boten einen unsäglich traurigen Anblick. Trotz aller ihrer Haltung vermochte die Fürstin nicht, ihre wachsende Sorge um den Sohn zu verbergen.

Er kam nicht auf die Bühne; aber ich wußte, daß er von einer dunklen Loge aus dem Spiel zusah. Manchmal war mir, als sehe ich auch die Gestalt der Mutter an seiner Seite – – war mir, als vernehme ich ein Flüstern, das wie flehende Bitte klang.

Ahnungslos, wie die Dinge in Wahrheit standen, hatte ich, nachdem mir mein Ansuchen, daß unsere Tragödin meine Rolle übernehmen möge, abgeschlagen worden war, eine fingierte Krankheit verschmähend, mir vorgenommen, gleich nach der Aufführung um einen längeren Urlaub einzukommen. Von fast allen deutschen Residenzen, wie auch von Wien waren mir glänzende Anerbietungen gemacht worden. Nach Fernows Wunsch und meiner eigenen Einsicht zufolge hatte ich beständig abgeschlagen. Jetzt jedoch konnte ich weder ihm noch mir helfen.

Ich kann hier nicht unterlassen, dem Benehmen der Gesellschaft gegen mich in dieser Zeit flüchtig Erwähnung zu tun. Plötzlich schien ich geradezu in Mode gekommen zu sein. Hatte man mich bis dahin mit Auszeichnung behandelt, so ging dieser höfliche Ton in einigen Salons fast in Huldigung über. Ich war überrascht, von neuem verwirrt und kehrte wieder in meine Zurückgezogenheit zurück, alle Einladungen ablehnend. Fernow, mit dem ich darüber sprach, hatte statt aller Antwort nur ein Achselzucken und ein Lächeln, das mir durchaus nicht gefiel: es war schmerzlich und spöttisch zugleich.

So kam denn die Generalprobe.

Ich kleidete mich zu Hause an. Ein nicht allzufeiner weißwollener Stoff war zu einem länglichen Tuche zusammengenäht worden und dieses in einfachster Weise um mich geschlagen. Ein schwarzer Schleiermantel vollendete das schöne Kostüm. Diesmal begleitete mich die Mutter.

Bereits bei dieser Aufführung hatten wir ein zahlreich geladenes Publikum. Als ich auf die hell erleuchtete Bühne trat, begegnete ich dem Prinzen. Er sah mich an wie tödlich erschreckt, faßte sich, begrüßte mich und bat um Erlaubnis, mir im Namen seiner Mutter eine Erinnerung überreichen zu dürfen. Es war eine große antike Gemme in einen kostbaren Byrill eingeschnitten: ein Antigone. Den wundervollen Stein umschloß die edelste – die einfachste Fassung. Er wollte die Spange selbst an meine Schulter heften; aber seine Hand zitterte derartig, daß er die Gemme fallen ließ. Ich befestigte dann damit die schwere Faltenmasse des Mantels an dem Untergewand.

Diese letzte Probe fiel vortrefflich aus. Was bei der Aufführung selbst nicht stattfinden durfte, geschah jetzt: die Künstler ernteten reichlichen Beifall. Dem nun folgenden Bankette konnte ich mich nicht ausschließen; auf den ausdrücklichen Wunsch des Prinzen blieben Schauspieler und Chor in ihren Kostümen.

Zwei Tage darauf fand die Festvorstellung statt. Anwesend waren König und Königin, sämtliche Prinzen und Prinzessinnen, die Gesandtschaften und die ganze hohe Aristokratie. Das kleine prächtige Theater strahlte im Glanze der Lüsters. Die Seidenroben rauschten, auf den weißen Nacken funkelten Diamanten, ein feines Parfüm verbreitete sich durch das ganze Haus. Der Prinz erschien in der Uniform seines Regiments. Er führte die Königin.

Ich spielte mit beinahe statuenhafter Ruhe.

Nach dem ersten Aufzug kam der Prinz auf die Bühne, um uns zu danken, nach dem zweiten der König. In den Pausen begaben sich der Hof und die Geladenen in das Foyer, welches in einen Palmengarten mit Kaskaden und Fontänen umgewandelt worden war.

Der Vorstellung schloß sich ein Galadiner an. Für uns Schauspieler ward die Tafel in dem kleinen Bankettsaal serviert.

Ich hatte Toilette machen müssen und trug eine mattgelbe Atlasrobe, mit braunroten Blattgewinden besteckt, als einzigen Schmuck die Gemme des Prinzen. Wir hatten zur Tafelmusik ein eigenes Orchester.

Nach der Tafel wurden wir den Herrschaften vorgestellt. Wieder führte der Prinz die Königin, der König die Fürstin.

Die Königin ignorierte mich völlig. Ich sah, wie dem Prinzen das Blut ins Gesicht stieg; er warf mir einen fast flehenden Blick zu. Der König unterhielt sich längere Zeit mit mir und ich mußte Seiner Majestät meine Mutter bringen. Die Fürstin war in ihrem gütigen Ton gegen mich unverändert.

Nachdem diese Zeremonie vorüber, ward uns gestattet, dem Balle der hohen Herrschaften zuzusehen. Ich wollte nach Hause. Wie ich mich nach der Mutter umschaute, fand ich diese nicht. Ich begab mich fort, um sie aufzusuchen. Mein Weg führte mich durch die Gartensäle. Über die Palmendickichte, die Kamelienbosketts, die Rosengänge und Grotten ergoß sich ein matter Glanz wie Mondschein. Es war hier einsam. Eine Fontäne plätscherte; geisterhaft schimmerten durch das dunkle Laub die Statuen, aus dem Ballsaal rauschten die Töne herüber. Es war so schön, daß ich einen Augenblick verweilen mußte. Tief aufatmend kreuzte ich die Arme über der Brust und blieb regungslos stehen. Da hörte ich einen leisen, leichten Schritt hinter mir. Ich wandte mich um, ich wollte mich entfernen – ich stand dem Prinzen gegenüber.

Da ich sah, wie er durch meinen unerwarteten Anblick verwirrt wurde, wie er nach Fassung rang, achtete ich nicht des Zeremoniells und redete ihn an.

Er erwiderte nichts. Sein Auge starr auf mich geheftet, ergriff er meine Hand und stammelte verzückte, leidenschaftliche, trunkene Worte.


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