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Neunzehntes Kapitel.

Ich lebe!

Bevor ich von sehr ernsthaften Stunden zu sprechen beginne, will ich der freundlichen Gänge gedenken, die ich mit Fernow zusammen machte, so oft unser beider Zeit es erlaubte. Sie bezogen sich auf eine neue Lehrmethode des Freundes und führten mich in die Museen und Galerien.

Hier lehrte Fernow mich sehen.

Man lächle nicht über den wunderlichen Ausdruck. Da viele Hunderte in der Tat gleichsam wie ›blind‹ vor Kunstwerken vorbeigehen, so geht daraus hervor, daß es wirklich nicht so leicht ist, vor Kunstwerken seine Augen zu gebrauchen. Mittels meiner eigenen künstlerischen Natur empfand ich vor einem schönen Bilde oder einer edlen Statue in einer sehr dunklen, ahnenden Weise: das ist schön! Jedoch das Warum und das Weshalb: dieses feine Schmecken des Schönen, war mir eine verborgene Wissenschaft, ein mir völlig fremder Genuß. Meine Bewunderung äußerte sich meistens in dumpfem Staunen, ein Gefühl, das mich wenig befriedigte und daher beinahe mehr Unlust als Lust war.

Wie ward mir, als mir von Fernow allmählich die Augen geöffnet wurden! Eine neue Welt erschloß sich mir! Sein Verfahren bei Gemälden und Skulpturen war ganz dasselbe wie bei Dramen. Wir befanden uns dem schönen Gegenstand gegenüber, er sprach mit mir darüber, ließ mich ruhig meine unvollkommene Meinung abgeben, sich von mir sagen, was ich vor mir sah, immer mich ermutigend, nach einem klaren Ausdruck meiner Empfindung und Anschauung zu suchen. Dann erst begann er, mehr unterhaltend als dozierend, mir alles das zu zeigen, was er in dem Kunstwerk erblickte. Worauf sich nun in der Zuhörerin gewöhnlich eine wunderbare Metamorphose vollzog. Indem er mich nur zu dem Besten führte, wußte ich in kurzer Zeit, was das Mittelmäßige sei.

Dadurch wurden mir lange Irrwege erspart, auf welchen ich an dem vermeintlich Schönen vorbei, endlich sehr spät zum wirklich Schönen gelangt wäre.

Von einem jeden Bilde erfuhr ich nicht nur, mit welchen Anschauungen und Mitteln es gemalt; sondern auch in welcher Zeit, welche Schule es repräsentierte; erfuhr ich die Stellung des Künstlers zur Kunstgeschichte im allgemeinen und zu seiner Epoche im besondern. Ohne Buch und ästhetischen Leitfaden entrollte sich so vor meinen Augen ein klares Bild der gewaltigen, überherrlichen Renaissancezeit. Ich lernte ihre Meister kennen, ihie Bedeutung verstehen. Ausdrücke wie: die Venezianer, die mailändische und toskanische Schule – Namen wie Leonardo da Vinci, Raffael, Michelangelo usw. hörten auf, Schall und Klang für mich zu sein. Kurz, ich fing an, mir einige Kenntnisse anzueignen, die mir mein ganzes Leben lang eine unversiegbare Quelle von Glück bleiben sollten.

In unserm Museum befanden sich wenige Antiken, wohl aber die Abgüsse aller berühmten griechischen und römischen Skulpturen.

Wenn Fernow nur von seinen Griechen reden konnte!

An unseren Abenden lasen wir jetzt Sophokles, dessen Erhabenheit mich überwältigte. Dann war es doppeltes Glück, vor den Abgüssen der Niobiden und Parthenon-Skulpturen zu stehen. Antike Skulptur ward mir zur Verkörperung antiker Dichtkunst, mit deren Geist ich mir jene beseelte. Man wird sich schwer die Wirkung davon vorstellen können, als ich in der Kariatyde des Erechteion die Antigone vor mir zu sehen glaubte, als ich in dem Zeus von Otrikoli und der Juno Ludovisi die Götter Homers erkannte.

Weil viele nicht verstehen werden, was diese Studien in der bildenden mit meiner darstellenden Kunst zu tun hatten, sei ihnen gesagt: Während meine Augen den Rhythmus der Gestalten genossen, ging dieser selbst wie schöne Melodien in meine Seele über. Gebärden und Bewegung niemals vor dem Spiegel einstudierend, tat ich das durch den verständnisvollen Anblick aller dieser unsterblich schönen Gestalten. Als später mein junger Ruhm wuchs, bekam ich viel über meine Plastik zu hören. Man bewunderte dabei besonders, daß diese fern von aller Pose sei. Wurde ich gefragt, wie ich das machte, von welcher Fanny Elsner ich das lerne, so erregte meine einfache Antwort: ich sehe mir Kunstwerke an! die spöttische Bewunderung mancher meiner Kolleginnen. Hier sei diesen auf das dringlichste geraten, es mir nachzutun und da die wenigsten das Glück haben werden, einen Freund zu besitzen, wie ich ihn besaß, so mögen sie nicht verschmähen, außer ihren Rollenstudien in diesem oder jenem guten Buch einige bescheidene Kunststudien zu machen. Noch besser wäre allerdings ein edler Verkehr mit Künstlern. Anstatt mit Malern und Bildhauern zu soupieren, sollten wir Schauspielerinnen mit denselben die Galerien besuchen; statt uns von ihnen schmeicheln zu lassen, sollten wir ihre Belehrung suchen.

Bei dieser Beschäftigung mit der bildenden Kunst sei hier auf etwas aufmerksam gemacht. Wenn eine gebildete Kritik voll Lobes den ernsten strengen Stil meiner römischen und griechischen Gewänder hervorhob – wenn meine Kolleginnen der Meinung waren, daß ich diese Wirkung nur durch zahlloses Anprobieren vor dem Spiegel zu erzielen imstande sei, so möge man wissen, daß ich auch diese Eindrücke nur meinen kleinen Kunststudien zu danken habe. Als ich die erste antike Figur spielte, ließ sich Fernow von der Mutter einige längliche Linnenstücke geben und legte mir nach dem Vorbilde der Kariatyde und der Pudicizia verschiedene Gewandungen an, die nicht genäht, sondern mittels Spangen einfach zusammengesteckt wurden. Länger als eine Woche vor der Aufführung ging ich auf Fernows Rat zu Hause in dieser edlen Tracht umher. So läßt sich der Erfolg meines »idealen« Kostüms und meiner Plastik leicht erklären.

Ich trat in keiner Rolle auf, ohne mein Kostüm nach einem historischen Vorbilde gewählt zu haben. Von der Prinzessin Eboli bis zur Luise Millerin suchten wir nach Vorbildern. Da mir die historischen Kostüme geliefert wurden, gab es dabei manchen harten Kampf. Man könne keine Ausnahme machen usw. Auch das Ensemble wurde vorgeschoben, das dadurch gestört werde; kurz, man tat alles, um sich einer höheren Auffassung dieser Frage zu erwehren. Da ich jedoch zäh war, gern auf Pracht verzichtete und man schließlich, nachdem ich es einigemal durchgesetzt, den Erfolg sah, sollte ich, ober vielmehr Fernow, den Triumph haben, nach und nach in dieser Beziehung vielfache Verbesserungen einführen zu helfen.

Ich habe erwähnt, daß ich sehr zurückgezogen lebte; wie sollte ich in meiner Weihestimmung, Gefährtin der Mutter und Fernows, mich nach dem sehnen, was man »Welt« zu nennen beliebt?! Betrachtungen, wie ich sie am Schlusse meiner letzten Aufzeichnung niedergeschrieben, waren wohl mehr Stimmungen als Meinungen. Allerdings wußte ich für gewisse Empfindungen nun einmal die Töne nicht zu finden; wie es mir auch auffallen mußte, daß mir alle Klangfarben der Sehnsucht in einer seltsam starken Weise zu Gebot standen. Das Publikum stutzte; es stutzte die Kritik. Mein Spiel wurde unruhig, ja aufgeregt. Vergebens predigte Fernow: »Mehr Ruhe, mehr Maß!«

Von meinen Kollegen war mir nur mein Faust näher getreten. Er war ein strebender Künstler und liebenswürdiger Mensch, besaß also Eigenschaften genug, um ihn zu schätzen und seine Freundschaft zu suchen. Da ich sehr oft mit ihm zu tun hatte, kamen wir ziemlich viel zusammen. Manche unserer Szenen gelangten direkt aus meinem Zimmer auf die Bühne. Auch Fernow war er sympathisch, so daß wir drei viele gute Stunden miteinander verlebten. Welche unschätzbaren Belehrungen empfing ich durch diesen Verkehr:

»Ich freue mich, wenn edle Männer sprechen,
Daß ich verstehen kann, wie sie es meinen.«

Was meine übrigen Kollegen anbetraf, so ward ich ihnen kollegialisch befreundet, menschlich jedoch blieb ich ihnen völlig fremd. Es befanden sich wahre Künstler darunter, aber leider wenig wahre Menschen, und nur solche konnte ich zu Freunden gebrauchen. Sie zogen mich nicht zu sich heran; ich drängte mich ihnen nicht auf. Aber entschieden wies ich zurück, was aus der »Gesellschaft« mich aus meiner Einsamkeit in das Gewühl und Getümmel reißen wollte.

Das sollte anders werden.

Ich hatte zum erstenmal Hero gespielt und zwar mit einem Erfolg, der den meines Gretchens beinah übertraf. Noch völlig berauscht von der herrlichen Dichtung, befand ich mich nach der Vorstellung mit der Mutter und Fernow in meinem Zimmer. Ich hatte mein liebes weißes Gewand angelegt, ein Schleiertuch um den Kopf geworfen, eine Blüte in das Haar gesteckt. Vor Türen und Fenstern waren die Vorhänge zugezogen, im Kamin brannte das Feuer. Das warf glühenden Schein auf die Blattgewächse und auf den Kopf der Niobe, der hinter meinem Schreibtisch auf einer Marmorsäule stand. Wie der Glanz der Flammen über das blasse Antlitz zuckte! Ich sah es an und dachte: du bist Griechenlands Mater Dolorosa! Wie glücklich war doch Hero! Unterzugehen in der Liebe Wellen, in des Schmerzes Wellen – es ist gewiß nicht das Traurigste.

Wir hatten über die Dichtung und mein Spiel hin und her geredet und schwiegen jetzt. Die Mutter war in ihrem Lehnstuhl eingeschlummert, Fernow beschäftigte sich mit der Glut. Er häufte mit der Zange die Kohlen, legte neue Holzscheite auf – prasselnd flammte es empor. Wir sahen beide hinein. Dann wandte sich Fernow meinem Ruhebette zu und sagte, um die Mutter nicht zu stören, mit unterdrückter Stimme: »Erinnern Sie sich noch, was ich Ihnen an jenem trüben Herbsttage am Grabe unserer Freundin sagte?«

»Dergleichen vergißt man nicht. Sie nannten die Tote eine Künstlerin, die, weil sie deshalb Priesterin war, Vestalin sein wollte und zugrunde ging. Wenn ich Sie recht verstanden habe: an ihrer Tugend.«

»Sie haben mich recht verstanden. – – Und wie wandte ich der Toten Leben und Sterben auf Sie an?«

Ich erbebte innerlich.

»Ich sollte sein wie sie und doch nicht sein wie sie. Ich glaube, es war das.«

»Das war es. Es klang Ihnen damals mystisch. Heute möchte ich mich darüber verständlicher auslassen.«

Ich schloß meine Augen. Es dauerte eine Weile, bis Fernow fortfuhr: »Sie haben heute Hero gespielt und werden in einigen Jahren Sappho spielen: zwei Frauen, die unsere Freundin nicht hätte darstellen können. Als wir von ihrem Sterbebett kamen, sagte ich Ihnen, daß ich Ihnen einmal ihre Geschichte erzählen würde. Sie ist sehr kurz und sie ist diese:

Sie liebte einen Mann, der sie aus irgendeinem, aber gewiß triftigen Grund – denn er war ein Ehrenmann – nicht heiraten konnte. Ich weiß nicht, wie viele Jahre er ihr treu blieb, wie viele Jahre er, sich in dieser Leidenschaft verzehrend, tief unglücklich war. Sie war es nicht minder, denn er war das einzige, was sie jemals geliebt. Da jedoch die kirchliche Zeremonie nicht stattfinden konnte, ward sie niemals die Seine. Der Geliebte mußte sie schließlich verlassen – verfiel in Ausschweifung, nahm ein tragisches Ende.«

Er schwieg.

Nach einer Pause sagte ich, noch immer mit geschlossenen Augen, mit stockender Stimme: »Sie machen ihr also ihre Tugend zum Vorwurf?«

»Mehr als das: ich nenne sie ein Verbrechen!« erwiderte Fernow stark.

Nach einer Weile vermochte ich möglichst ruhig zu fragen: »So hatte sie, da sie nicht seine Gattin werden konnte, seine – Geliebte werden sollen.«

Mit angehaltenem Atem wartete ich auf die Antwort.

»Allerdings hätte sie werden sollen, was Sie kaum den Mut haben, zu nennen. Ich versichre Ihnen, daß sie mir in diesem Fall bewunderungswürdiger erschienen wäre, als in dem andern.«

Ich lag regungslos und wagte nicht zu denken, was er mit seinem Gespräch bezweckte. Da kam er zu mir. Ich fühlte, wie er sich zu mir herabneigte. Jetzt öffnete ich meine Augen.

»Sie haben mir noch mehr zu sagen.«

»Ja, es liegt mir schon längst auf dem Herzen. – – Bleiben Sie ruhig! Schließen Sie auch Ihre Augen wieder.«

Ich tat es nicht gleich. Ich mußte ihn fest und vertrauungsvoll ansehen.

»Sie haben bisher an mich geglaubt und mir damit ein Geschenk gemacht, das ich hüte wie mein Glück. Sie sind mir sehr teuer geworden: eine Schwester, die ihrem Bruder Freundin und Kameradin zugleich ist.«

Er verstummte. Dann hörte ich ihn schwer Atem holen. Ich wußte nicht, wie mir geschah; aber plötzlich dauerte er mich so, daß ich mich zusammennehmen mußte, nicht laut aufzuschluchzen. Endlich sprach er weiter: »Sie haben heute Hero gespielt. Priesterin der Liebe, zerreißt sie das heilige Gewebe, das ihre geweihte Seele verhüllt. Anakreon hat nicht griechischer empfunden, als in diesem Gedicht Grillparzer: Hero ist der süßeste Ausdruck jener antiken, unbewußten Sinnlichkeit, die für uns das Griechentum in so idealer Weise zu dem glückseligen Zeitalter schöner Natur macht. Wie eine griechische Statue nichts davon weiß, daß sie nackt ist, so wenig würde diese Hero von ihrem holden Leibe wissen, wenn sie vor Leander ihr heiliges Gewand fallen ließe. Beim Fest sieht sie ihn und da er kommt, gibt sie sich ihm, so unbewußt mit solcher Naturnotwendigkeit, wie eine Knospe sich dem Sonnenstrahl öffnet.

Sie haben heut jene köstliche Szene gespielt, wie sie vor Ihnen wahrscheinlich noch niemals gespielt worden ist. Ihnen über Grillparzers Hero dozieren zu wollen, hieße demnach Eulen nach Athen tragen. Ich sage Ihnen also nur das: Ihr Spiel hat mir den Eindruck gemacht, als gäbe es auch für Sie keine priesterliche Bande, von denen Sie Ihre Seele, Ihre Frauennatur fesseln ließen.«

Da brach es aus mir hervor.

»Nur Ihrer Theorie zuliebe soll ich, um eine gute Künstlerin zu sein, wohl gar – – «

»Ein schlechtes Weib werden? Ich glaube nicht, daß dies gerade notwendig ist. Kein besonders glückliches Weib, das wäre leicht möglich, das möchte ich, wie Sie wissen, als Ihr aufrichtiger Freund Ihnen sogar nicht anders wünschen. Also hinaus in die Welt, erlebt und gelitten! Betrachten wir einmal Ihren Zustand, wie Sie sich zu dieser Welt, die Sie so scheuen, verhalten – als Künstlerin selbstverständlich.

Da ist vor allem die bürgerliche Gesellschaft. Diese ist die natürliche Gegnerin jeder künstlerischen Extravaganz. Hier ist eine Verständigung, ein Verständnis unmöglich. Hier soll jeder Teil für sich bleiben, seine eigene Sittlichkeit haben, seinen eigenen Prinzipien folgen und in starrer Abgeschlossenheit eine chinesische Mauer um sich her aufführen. Die beiden sind in den gesellschaftlichen Elementen das Wasser und das Feuer: hie Bürgertum, hie Kunst! Was die Gesellschaft an Sittlichkeit und Schicklichkeit fordert, wird in den meisten Fällen der Künstler nicht zugestehen, kann es und soll es auch nicht. Niemals wird das Bürgertum die freie Individualität des Künstlers gelten lassen; immer wird der Künstler sich berechtigt fühlen, diese zu behaupten. Ein kühles Urteil muß seine Meinung dahin abgeben, daß jede der beiden Parteien zu ihren Anforderungen und Anschauungen berechtigt ist, daß jede guttut ihrer eigenen Natur zu folgen und am besten täte, auch die andere ruhig nach ihrer Fasson selig werden zu lassen. Der Künstler wird das immer, sich mit einem Achselzucken über den ›Philister‹ begnügend; das Bürgertum, stets mit einem Anathema bereit, wohl niemals.

Ganz anders verhält es sich mit jener Gesellschaft in der Gesellschaft.

Hier, wo keine Beschränkung und Enge ist, sind auch, in gewissem Sinn, weniger Vorurteile. Da diese Gesellschaft die Kunst protegiert, wird sie sich stets herablassend zu derselben verhalten. Sich als Mäzen fühlend, betrachtet sie die Kunst immer als ihren Klienten. Da sie sich selbst allerlei Freiheiten erlaubt, gestattet sie übrigens solche auch der Kunst. Über Dinge, über welche die bürgerliche Gesellschaft entsetzt die Hände über dem Kopf zusammenschlägt und ein Zetergeschrei anhebt, zuckt jene Aristokratin vornehm die Schultern und macht die Sache mit einer anmutigen Handbewegung ab. Ja, die Künstlerinnen haben in ihren Augen gewissermaßen das Privilegium des Mätressentums. Solange ihre Männer, Brüder und Söhne mit der Kunst vornehm tändeln, ihr Bukette und ihr Billetdoux schicken, begnügt sie sich, von ihrer Loge herab, die Dame zu lorgnettieren. Erst wenn die Sache ernsthafter wird, zeigt man, wer man ist.

Auch hier sind also die Gegensätze so schroff wie möglich. ›Erlaubt ist, was gefällt‹ – das ist Tasso, das ist der Künstler; ›erlaubt ist, was sich ziemt‹ – das ist Eleonore, das ist die Gesellschaft – verstehen Sie recht: das ist die gute Gesellschaft! Ich sehe nicht ein, wie zwischen Tasso und Eleonore ein wirklich sicheres Verständnis herbeigeführt werden kann. Stets wird der Künstler für erlaubt halten, was ihm gefällt, stets wird die Gesellschaft nur das gestatten, was sich ziemt (wäre es auch nur der Form nach). Da solch ein geistiger gordischer Knoten sich mit keinem Schwertstreich durchhauen läßt, erkenne ich keine andere Lösung, als auch hier möglichste Trennung der Gegensätze.«

»Sie stellen also die Kunst außerhalb der Gesellschaft. Ich begreife, daß es notwendig ist und wünsche nur, die eine von der andern gänzlich unabhängig zu machen.«

»Den Klienten unabhängig von dem Mäzen?!« Wieder wallte es heiß in mir auf.

»Sie erniedrigen die Kunst! Was sonst machte sie so stolz und so schön, als daß sie frei ist?!«

»Sie sind ja wohl Hofschauspielerin, liebe Freundin?« ward mir mit einem feinen Lächeln erwidert.

Ich mußte schweigen.

»Nein,« fuhr er fort, »die Konflikte sind nicht zu vermeiden, darauf müssen Sie sich vorbereiten.«

»Weshalb? Wenn ich bürgerlich – wenn ich gesellschaftlich korrekt lebe?«

»Sie sprechen ein großes Wort gelassen aus. Denken Sie an unsere Tote.«

»Sie war unglücklich; könnte ich nicht glücklich sein?« erwiderte ich mit etwas unsicherer Stimme. »Warum könnte ich das nicht?«

»Weil das Leben es nicht zulassen wird. Wie stellen Sie sich denn eigentlich Ihren Zustand vor? Sie selbst sehen ein, daß diese Abgeschlossenheit unnatürlich ist, daß sie aufhören muß. Ohne daß Sie wollen, werden Sie erfahren und erleben müssen. Sie werden in die Welt treten, Sie werden gefeiert, Sie werden geliebt werden – Sie werden lieben. Jung und sehnsuchtsvoll, wie Sie sind, werden Sie das bald. Was soll dann geschehen?«

»Ich weiß es nicht! Wie soll ich das wissen?' murmelte ich.

»Richtig: wie sollen Sie das wissen. Und doch könnte es gut sein, sich in Ihrer Seele darauf vorzubereiten.«

Ich stand auf, auch die Mutter regte sich. Fernow war so bleich, daß mir sein Anblick Schmerz machte.

Diese Nacht schlief ich nicht. Als der Morgen graute, hielt ich es nicht länger aus. Ich schlich mich in das Schlafzimmer der Mutter, setzte mich an ihr Bett – hier ward ich ruhiger.

 

Bald nach diesem Gespräch entriß ich mich der Einsamkeit meines Privatlebens.

»Frisch hinein in den Wogenschlag!« ermutigte mich Fernow. »Es ist kein Meer, darin ein starker Schwimmer untergehen könnte. Je eher Sie damit anfangen, desto schneller kommen Sie damit Zu Ende. Bis jetzt ist noch zu vieles Illusion für Sie. Diese muß durch Erfahrung zerstört werden, denn bei Illusionen solcher Art wirkt selbst die harmloseste verderblich. Sie gibt falsche Begriffe, also Unwahrheiten.«

»Ich denke, daß ich zu sehr Ihre Schülerin bin, um zum Beispiel die Illusion: Gesellschaft, zu besitzen, mein Herr Demokrat. Wenn ich nur deshalb in diese Scylla und Charybdis hinein soll, bleibe ich lieber auf sicherm Lande.«

»Es hilft Ihnen nichts – hinein müssen Sie!« meinte der Unerbittliche. »Also die Augen zu und den Sprung getan.«

»Ich will mutig sein und die Augen lieber offen behalten.«

So geschah es denn auch.

Ich ging in die Welt, ließ mich einführen, gab Karten ab, nahm Einladungen an, besuchte Diners und Soupers, eröffnete selbst einen Salon.

Wie ich in kurzer Zeit der erklärte Liebling des Publikums geworden, so fuhr man auch jetzt fort, über Gebühr liebenswürdig gegen mich zu sein. So mußte ich denn allerdings meine Augen recht offen behalten, um nicht, entweder mit Undank zu sehen, oder mich durch Schein blenden zu lassen.

Ich hatte mir vorgenommen, alles möglichst gelassen zu betrachten. Alles möglichst gemächlich auf mich wirken zu lassen, alles mit Vorsicht, aber ohne Argwohn aufzunehmen. Sehr erstaunt war ich, als mir von verschiedenen Seiten zu verstehen gegeben ward, daß man auch hier wiederum meine ›Routine‹ bewundere. Ich benahm mich zwanglos und natürlich; es war also bei meinem Auftreten nicht die geringste Kunst. Oder glaubte die Gesellschaft, daß sie jedem Neuling imponieren müsse? Imponieren – wodurch? Durch Äußerlichkeiten?! Ohne die Absicht zu haben, mit meinem besseren Wesen zurückzuhalten, mußte ich das doch tun, als ich einsah, daß man dieses Mitteilen meines Ichs durchaus nicht von mir wollte. In eleganter Form wurde Leichtes und Leichtestes ausgegeben und nichts anderes vom anderen verlangt. In dem Bewußtsein meiner Aufrichtigkeit konnte ich gelassen, ja heiter beobachten, wie sie um mich her aufrichtig waren. Es erwies sich, daß ich mich recht erkannt hatte: die Illusion einer Welt, wie sie sich mir auf glattem Parkett, unter Kerzenglanz und Parfüms mit flimmernden Ordensbändern und rauschenden Roben präsentierte, besaß ich nicht, konnte mir also gar nicht zerstört werden. Da ich keine großen Erwartungen mitgebracht hatte, blieben mir große Enttäuschungen erspart. Ich mußte mich fragen: Was wollen diese Menschen, was bezwecken sie? Und mußte mir antworten: Sie wollen ihr Leben genießen und das auf eine Weise, wie sie jedem bequem ist. Da mußte denn vor allem schwerfällige Ernsthaftigkeit und mühsamer Verbrauch von Gedanken und Empfindungen abgetan und verbannt werden. Vor allen Dingen keine Sentimentalität und vor allen Dingen leichte, anmutige Formen! Man wollte nicht unterhalten werden; man redete nicht, sondern man machte Konversation. Statt gründlich zu sein, war man mit Anmut oberflächlich; statt ernsthaft mit Vorsicht, pikant; wie man denn auch statt liebenswürdig galant war und statt in einem schönen Sinne menschlich, im aristokratischen vornehm. Immer bezeigte man sich zufrieden mit Form, niemals forderte man Wesen.

Es war für mich, die Schauspielerin, schließlich ganz lustig, zu sehen, wie sie um mich schauspielerten. Die Komödie, oder vielmehr das Spektakelstück: die Gesellschaft, war mit einem Glanz in Szene gesetzt, dagegen sich unsere Regisseure als wahre Pfuscher vorkommen mußten. Die Dekorationen waren kostbar, die Kostüme prachtvoll. Von dem Wirrwarr und dem Unerquicklichen hinter den Kulissen sahen selbst die Akteure nichts. Ganz vortrefflich, geradezu meisterhaft, war das Ensemble. Jeder hatte seine Rolle im Kopf, jeder wußte genau, was er zu sprechen, zu tun – was er zu denken habe. Jeder kannte genau seinen Platz, brauchte weder Souffleur noch Stichwort und spielte seinen übernommenen Saloncharakter, als ob er ihn lebe.

Was nun das Stück selbst anbetrifft, so fällt mir nicht ein, mich sittlich darüber zu entrüsten. Daß es den Stempel seiner französischen Mache trug, war allerdings nicht zu leugnen. Die meisten Gestalten waren typisch. Die treulose Frau, die vornehme Verschwenderin, die vornehme, problematische Natur, der Roué, der Parvenü, der aristokratische Gründer, die aristokratische Dirne und was dergleichen stereotype Personen eines »modernen« Sittengemäldes mehr sind.

Man pflegt unsere Geselligkeit Zerstreuung zu nennen und gibt damit dem Ding seinen Namen. Alle die Menschen, die sich so geräuschvoll um mich her bewegten, schienen nur von diesem einen Bedürfnis beseelt zu sein. Zugleich hörte ich, wie die Gesellschaft forderte, gewissermaßen als geheiligtes Institut betrachtet zu werden, als Repräsentantin höchster Sittlichkeit. Zu dem Adel des Namens legte man sich mit großem Nachdruck den Adel der Gesinnung bei. Indem man sich für das Zentrum aller Würde und Vornehmheit hielt, warf man sich zu der souveränen Machtgeberin auf, die nicht nur sich selbst ihre Gesetze gab, sondern auch allem, was nicht aristokratisch – also vasallisch – war, vorschreiben wollte: La monde, c'est moi.

Was mir persönlich am meisten in dieser distinguierten Gesellschaft auffiel, war der Umstand, daß ich nirgends auf volle und große Empfindungen stieß. Indem man nur nach außen hin lebte, verwahrloste man sein Inneres; indem man alles nur für die Konversation anwandte, sammelte man in sich selbst keinen Inhalt. Wurde zum Beispiel nach einem Buche gegriffen, so taten das die meisten nicht, weil sie Freude oder Genuß an einem guten Werke haben wollten, sondern hauptsächlich deshalb, um darum eine Meinung abgeben zu können, die, um möglichst bedeutend zu sein, möglichst verneinend ausfallen mußte. Denn um Gottes Willen nur keine Begeisterung, nur keinen warmen, unmittelbaren Ton, nur keine rechte Freude an einem Kunstwerk.

Ich hatte oft Mitleid mit ihnen.

Unsere Sprache hat so schöne Worte, wie ist es da möglich, die Phrase schön zu finden? Warum kann man sich nicht damit begnügen, den Körper Toilette machen zu lassen? Warum gehört zur Salonfähigkeit auch den Geist zu kostümieren. Arme Menschheit! Auch für deinen Geist machst du dir Moden!

Ich hatte den besten Willen, unter so vielen Hüllen nach dem reinen Menschen zu suchen – ach, ich fand ihn nicht! Dann sah ich mir diejenigen an, die mir vor der Allgemeinheit als außergewöhnlich schön oder liebenswürdig oder geistvoll bezeichnet wurden. Das erstere ließ ich gern gelten, ihren Anblick wie ein Kunstwerk genießend. Auch von der Liebenswürdigkeit ließ ich mich entzücken, so oft es gehen wollte. Allein bereits bei den ›Geistvollen‹ erlaubte ich mir, ehe ich mit dem bewundernden Ausruf bereit war, ein bescheidenes Fragezeichen dahinter zu setzen. Ähnlich erging es mir bei solchen Frauen, die alle drei Eigenschaften in sich vereinigen sollten. Hier muß ich nun meine Enttäuschung gestehen. Wenn ich von diesen für meine Kunst: Menschen darzustellen, hätte lernen müssen, so wäre es traurig mit mir beschaffen gewesen. Ja, Toiletten, distinguierte Manieren, wie man die Schleppe wirft, den Fächer hält, sein Haupt trägt, mit lässiger Anmut sich in einen Fauteuil schmiegt, mit höchster Kunst der Enthüllung weiße, tief entblößte Schultern zeigt, einen schönen Arm hebt, auf leeres Geschwätz mit leerem Geschwätz antwortet, mit ›vornehmem‹ Nicken dem Gruße eines Herrn dankt, daß ich, wenn ich der Mann wäre, nicht zum zweitenmal den Hut abziehen würde. – Dergleichen konnte ich freilich bis zur Meisterschaft lernen, alles Dinge, die ich indessen für eine Iphigenie oder Brunhilde wenig gebrauchen konnte.

Nicht viel besser erging es mir mit den meisten Männern. Viele davon mochten ja sein, was man sie nannte: geistreich, interessant. Ich ließ sie interessante Männer sein, ohne mich für sie interessieren zu können. Gegen diesen Repräsentanten der jeunesse dorée, wie sie in zahlreichen Exemplaren dieser angenehmen Männerspezies frisiert und parfümiert mit gekräuselten Stutzerbärtchen und langen, rosigen Nägeln, mit Binokel und Monokel die typische Staffage aller Salons bilden, besaß ich eine Antipathie, die leider nicht gegenseitig war. Ebensowenig reizvoll erschienen mir unsere jungen Halbgötter mit Sporen und Epauletten, die Helden des Kasinos und Jockeiklubs, die angehenden Diplomaten und angehenden Wüstlinge, die Männer von Welt mit Erfahrungen, welche die Ursache davon waren, daß sie frühzeitig ihre Haare färben und hinter ihren Augengläsern zwinkern mußten, sobald man in ihrer Gegenwart so jugendlich schwärmerisch von tugendhaften Frauen sprach. Fast jedem dieser Herren galt eine Schauspielerin für ein Weib, das auf der Bühne wie im Leben für schätzenswerte Eigenschaften bezahlt werden konnte, dort mit dem Gelde aller für ihre Kunst, hier mit dem Gelde einzelner für ihre Gunst.

Darauf war ich nicht gefaßt gewesen; nein darauf nicht!

Als ich die Entdeckung machte – machen mußte, war ich ganz außer mir. Ich erschien mir als Künstlerin wie als Weib gleich geschändet. Nicht, daß jene Menschen so schändlich von uns denken konnten, war es, was mich empörte – sie würden es ja nicht, besäßen sie für ihre Meinung keine triftigen Gründe, hätte ihnen mein Geschlecht nicht volle Ursache gegeben, zu glauben, daß jeder Wüstling uns begehren dürfe, jeder Lüsterne seine Hand nach uns ausstrecken könne, ohne befürchten zu müssen, von beleidigter Frauenwürde zurückgewiesen zu werden. Mit bebender Scham empfand ich, wie ich es nur meiner Persönlichkeit zu danken hatte, daß man nicht wagte, sich mir mit jenen abscheulichen Zudringlichkeiten zu nähern, die von anderen meines Berufes nicht immer als nichtswürdig empfunden werden mochten. Es war mir keine Beruhigung, daß man mich äußerlich wenigstens als ein tugendhaftes und stolzes Mädchen zu respektieren schien. Mußte ich doch den Argwohn hegen, daß so und so viele überzeugt waren, wie ich vielleicht nur ebendeshalb tugendhaft sei, weil der Rechte noch nicht gekommen war. Dieser »Rechte« mochte nach der Meinung der Gesellschaft ein Millionenmann oder eine Durchlaucht sein.

Und da sollte ich keinen Entrüstungsschrei ausstoßen?! Ich tue es noch heute!

 


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