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Zweiter Teil.

Erstes Kapitel.

»Frau Prinzessin«

Gleich nach der Zeremonie begaben wir uns, von der Fürstin begleitet, auf eine Besitzung des Prinzen.

Ich unterlasse es, hier irgendwelche Betrachtungen über meinen Zustand anzustellen. Auch damals tat ich es nicht. Wer in einen Strom springt, um ein Menschenleben zu retten, reflektiert dabei auch nicht.

Das altertümliche Schloß lag in der Nähe der Residenz in einer lieblichen, waldigen Hügelgegend. Am Rand der Ebene stieg es empor, mit vielen Terrassen und Türmen. Von droben hatte man einen weiten Lug ins Land. In buntem Wechsel folgten sich in dem Bilde Felder, Wälder und Fluren. Ein breiter, Schiffe tragender Strom führte seine silberhelle Flut durch die Landschaft. An beiden Ufern lagen Städte und Dörfer, und Städte und Dörfer waren über die ganze, schimmernde Weite zerstreut. Am Horizont tauchten die Türme der Hauptstadt auf.

Mir war es immer wundersam, darüber hinwegzublicken, ein Stück Welt überschauend, daraus kein anderer Ton zu meiner Höhe hinaufdrang, als Sonntags das Geläut der Kirchenglocken. Ich dachte mir das brausende, flutende Leben unter mir und ich in der Höhe, ein vereinzelter Mensch, gewissermaßen zu einem freieren Denken erhoben. – – Dort unten leben und leiden sie alle, alle! Einem jeden erfüllt sich sein Los, ein jeder ist nur eine Welle im Meere des Daseins. Sie rauschen dahin, die einen ruhiger, die anderen bewegter und alle, alle verrinnen.

Vom Gefolge war nur der alte Leibarzt mitgenommen worden; aber es ging meinem Gemahl gut.

Der Sommer war wunderschön, so daß wir einen großen Teil des Tages im Freien zubringen konnten. Wir besaßen einen Überfluß von Lieblingsplätzen, von denen jeder seine besondere Stimmung hatte. Mit jedem Tage offenbarte sich mir die hoheitsvolle Seele meines Gatten mehr und mehr. Mit tiefem Jammer dachte ich daran, daß sein edles Leben abfallen sollte wie eine Blüte vom Baum.

Wie beglückte es ihn, mir das Verhältnis seiner Philosophen zu erschließen; wie beglückte es mich, ihm meinen geliebten Lessing vorzulesen.

Wir fuhren viel aus. Dann saß seine Mutter neben ihm. Aber mich sah er immer an.

Ich habe die Augen geschlossen, um die Bilder jener Tage an mir vorübergleiten zu lassen. Sie sind so sonnig verklärt durch die höchste Liebe eines edlen Menschen. Ich suche seine Gestalt in der Vergangenheit wie eine Schwester die des Bruders sucht. Ich finde sie. Sie ist mir entrückt und doch so nahe. Gott erbarme sich meiner – durch mich bist du ja gestorben!

Eines Sommerabends will ich hier gedenken. Wir, mein Gemahl und ich, saßen auf einer Terrasse und sahen die Sonne untergehen. Langsam, langsam versank das große, strahlende Himmelsauge. Noch glühten von dem letzten Sonnenblick Himmel und Erde. Diese lag da:

Entzündet alle Höhen,
Beruhigt jedes Tal.

Über uns der feierliche Äther, so klar, so licht, daß die Seele sich sehnte, den Körper zu verlassen, um hinaufzustreben in die festliche Freiheit. Die Brunnen plätscherten, die Rosen hauchten ihre Düfte aus. Als es immer dämmerungsvoller, immer friedlicher – immer festlicher um uns ward, trat ich an die Brüstung, hob mein Gesicht auf, sprach Goethes Nachtlied:

»Warte nur, balde
Ruhest du auch.«

Da hörte ich einen Seufzer hinter mir, einen so schmerzlichen Seufzer! Ich eilte zu ihm, ich kniete nieder, ich umfing ihn. Mit beiden Armen drückte ich ihn an mein Herz, mit einem Schmerz, mit einer Angst, wie eine Mutter ihr krankes Kind an sich reißen mag. Mit welchem Blick er mich ansah! Dann sagte er: »Jetzt geh' ich gern bald zur Ruhe. Weiß ich doch jetzt, daß du mich liebst. – – Du liebst mich?«

»Ja, ja, ja!«

Ich küßte ihn.

Und jetzt strahlte die untergehende Sonne seines Lebens noch einmal mit vollem Glanz auf. »Der Tag kommt« jubelte seine Mutter. Aber ich wußte es besser. Ich wußte, noch einmal leuchtet es auf über Himmel und Erde; dann wird es Nacht.

In der Residenz begannen die Ferien der Hofbühne. Obgleich ich mir verwehrte, daran zu denken, mußte ich doch im Geist die lustige Gesellschaft, die jetzt nach allen Richtungen hin fröhliche Komödiantenfahrten unternahm, auf ihren heiteren Irrwegen begleiten. Ich hätte auch dabei sein sollen.

Im Schlosse befand sich ein Theatersaal. Ich wußte es gar nicht und entdeckte es erst, als ich einmal an den offnen Türen vorüberging und drinnen pochen und hämmern hörte. Ich trat ein. Der Vorhang war aufgezogen, ich sah den öden Bühnenraum. – – Gleich darauf trat ich wieder zurück.

Einige Tage später ging ich gegen Abend allein spazieren. Ich wanderte die Landstraße, die durch den Park zum Dorfe hinabführte, das am Fuße des Schloßbergs lag. Plötzlich hörte ich Singen, Lachen, fröhliche Stimmen. Eine Gesellschaft kam durch die Waldung den Fußpfad hinauf. Gewiß Reisende, die nicht wissen, daß der Prinz im Schloß ist, dachte ich und wollte ihnen eben ausweichen, als sie bereits dicht vor mir durch die Dickichte auf die Landstraße traten. Sie sahen mich und brachen in Jubel aus. Erst jetzt erkannte ich sie.

Wir eilten aufeinander zu, wir begrüßten uns. Ich wäre dem einen und dem anderen von ihnen am liebsten um den Hals gefallen.

»Wie kommt ihr hierher? Herzlich willkommen!«

Unser Heldenvater drängte sich zu mir.

»Hab' ich's euch nicht gesagt, daß sie eine närrische Freude haben wird, uns zu sehen,« rief er triumphierend. »Hab' ich's euch nicht gesagt, daß sie noch die Alte ist?« Und er faßte meine beiden Hände: »Grüß Gott, liebe, liebe Kollegin!«

Ihre Kollegin – – War ich das noch?! – – Schauspielerin, Schauspielerin!

»Wie kommt ihr hierher? Ihr Gesindel!« bemühte ich mich zu scherzen. »Natürlich auf einer Komödiantenfahrt!«

Einige schienen mir verdutzte Gesichter zu machen; aber unser biederer Alter nahm für alle das Wort.

»Natürlich auf einer Komödiantenfahrt! Wir sind mit Sack und Pack aus der Residenz ausgewandert und durchziehen vagabundierend das Land. Gestern spielten wir in dem Nest du drüben. Aber unser jugendlicher Liebhaber war so schauerlich sentimental, daß ich mit dem jungen Manne ein ernstes Wort reden mußte. Denke dir. Rollchen, was er mir gestand – jetzt versucht er zu leugnen! – Da drüben auf dem Schlosse, meinte er, sitze seine jugendliche Liebhaberin und da – – du verstehst. Wie nun heute morgen die Sonne gar so heiter schien, schlug ich vor, unserer lieben Kollegin einen Besuch abzustatten, einen echten Komödiantenbesuch. Nun, und da sind wir! Und einen kräftigen Hunger bringen wir mit. Also, wo ist die Herberge?«

»Da man auch den schlechtesten Gast leidlich anständig behandeln muß,« erwiderte ich lachend, »so bemüht euch den Berg noch ein wenig höher hinauf. Freilich wird man droben auf einen solchen Schwarm von Landstreichern nicht vorbereitet sein; aber ich werde dennoch mit aller Würde die Hausfrau spielen.«

»Aber, Rollchen, wir sind nicht hoffähig,« bemerkte mein guter, alter Herr und machte ein schelmisches Gesicht. »Wir würden dir droben Schande machen. Wir haben dich gesehen, du hast dich gefreut; so schlage ich denn vor, daß wir ins Dorf zurückkehren. Überdies geht es dahin bergab.«

»Nichts da, mein dicker Herr! Helft mir ihn festhalten. Pfui, Deserteur aus Barmherzigkeit! Ohne Gnade bergauf mit ihm!«

Lachend wurde der Dicke umringt und zum Fortmarsch gezwungen.

»Weißt du, Rollchen,« flüsterte er mir zu, »du solltest mich umkehren und dich mitnehmen lassen: eine Entführung auf der Landstraße. Dort hinauf taugst du doch nicht, wir nehmen dich mit uns in die weite Welt hinaus und heute abend spielst du drunten im Dorf auf der ersten besten Tenne die Luise. Kannst du widerstehen?!«

Ich lächelte – nicht so ganz vom Herzen, wie ich wohl fühlte.

Hinter uns kamen Wagen; die ersten waren hochbeladen.

»Was ist das?« rief ich erstaunt.

»Ja, was ist das? Es wird wohl unser Gepäck sein,« erhielt ich gelassen zur Antwort.

»Euer Gepäck?«

»Wir haben die Gewohnheit, nicht ohne Gepäck zu reisen.

»Ganze Wagenladungen voll?!«

»Eh, jetzt wird die Sache wohl ernsthaft. – – Sollen wir nicht doch lieber umkehren, Rollchen?«

Um seine Mundwinkel spielte der Schelm; aber ich begriff es noch immer nicht. Da brachen alle in schallendes Gelächter aus. Jetzt erkannte ich auch, daß es fürstliche Wagen waren, denen einige Equipagen folgten.

»Ja, glaub's nur,« versicherte der Alte. »Wir sind leibhaftige, prinzliche Gäste! Habe Respekt vor uns!«

In meiner Freude begrüßte ich alle noch einmal. Das war eine Überraschung!

Unter Scherz und Geplauder wurde jetzt zum Schloß hinaufgestiegen. Auf der Terrasse kam uns mein Gemahl entgegen. Ich eilte auf ihn zu. Meine strahlenden Augen sagten ihm wohl, wie beglückt, wie gerührt ich war.

Bald waren alle in dem Gastflügel untergebracht und eine Stunde später kam das ganze hungrige Sommervölkchen zur Tafel geflattert. Danach stellte ich sie der Fürstin vor.

Noch an demselben Abend wurde unter Präsidentschaft meines Gemahls ein Repertoir zusammengestellt, welches in zwangloser Weise in einem Zeitraum von vier Wochen abgespielt werden sollte. Bei günstiger Witterung sollten die Stücke im Freien aufgeführt werden. Ich durfte wieder spielen, spielen!

Was kamen jetzt für gesellige, fröhliche Tage! An den Abenden wurde beraten und eingerichtet, an den Vormittagen in Szene gesetzt und einstudiert. Von der Residenz kam auf speziellen Befehl des Königs ein ganzer Wagenzug voller Requisiten; die neuen Kostüme wurden im Schlosse verfertigt.

Mein Gemahl und unser Heldenvater waren Regisseure; doch durfte jeder ein Wort mit dreinreden. Besonders wollte der Prinz alles mit mir beraten haben. Es schien ihm entschieden wohlzutun, so daß auch der Arzt diese Zerstreuung auf das höchste billigte. Die Fürstin war immer liebenswürdig, immer gütig.

Nach einigen Tagen traf aus der Residenz der Hofstaat meines Gemahls ein: Die Gelehrten, die Künstler, seine Freunde. Da es des Prinzen wahre Freunde waren, wurden es auch die meinen. Ich erfuhr damals von den Menschen nur Gutes.

Unvergleichlich schön waren die Aufführungen im Freien, zu denen unsere Künstler wahre Meisterwerke von Naturdekorationen lieferten. Tasso wurde auf einer Terrasse gespielt, wo die Büsten Vergils und Ariosts unter Palmen und hochstämmigen Lorbeerbäumen aufgestellt waren.

Ach, und ich spielte ja damals zum erstenmal die Iphigenie!

In dem Gemäuer der Ritterburg gaben wir Szenen aus Götz und Käthchen. Überraschend wirksam erwiesen sich die Aufführungen Goethescher Gelegenheitsstücke, wobei unser herrlicher Eichenwald zum Park von Tiefurt wurde. Einen völligen Erfolg errang die »Fischerin«, in einer warmen Vollmondnacht am Ufer eines Weihers aufgeführt.

Das liebe lustige Völklein schwärmte wieder fort.

Mein Gemahl hatte es so gut gemeint; ich war gewiß nicht undankbar; aber – –

Ich befand mich auf der Terrasse, als sie abreisten. Da hörte ich hinter mir den langsamen, leisen, müden Schritt, den ich so gut kannte. Ich wandte mich nach ihm um. In meinem Gesicht stand mein stiller Kummer gewiß nicht zu lesen, aber er mußte ihn doch kennen. Er sah mich an, so liebevoll, so traurig.

»Es dauert nicht mehr lange, Rolla.«

Ich fühlte mich als eine Verbrecherin.

Als es Herbst ward, erriet ich, daß es schlechter um ihn stand. So sehr ich dem Leibarzt vertraute, empfand ich doch lebhafte Sehnsucht die Meinung Fernows zu hören. Ich wußte, daß der Leibarzt ihn ungemein schätzte und konnte also mit diesem eine Konsultation Fernows besprechen. Der vortreffliche Mann war vollkommen damit einverstanden.

Nun galt es, die Fürstin nicht zu erschrecken.

Ich hatte meinem Gemahl viel von meinem Freund erzählt und der Prinz häufig den lebhaften Wunsch geäußert, ihn kennen zu lernen. Eine Bemerkung genügte, um an Fernow eine dringende Einladung ergehen zu lassen. Ich schrieb auch und legte ihm meine Sorge ans Herz. Seine Antwort kam umgehend und lautete bejahend: binnen kurzem dürften wir ihn erwarten.

An dem Tage, da er eintreffen sollte, schmückte ich sein ganzes Zimmer mit Blumen aus. Auf den Schreibtisch stellte ich eine Schale voller Rosen. Dann zog ich ein Kleid an, das er kannte und gern hatte und ging ihm entgegen.

Wie ich so durch den strahlenden Herbsttag dahinschritt, war mir's, als sei ich die Rolla von damals. Ich pflückte einen großen Strauß Herbstzeitlosen und lief wie ein Kind einem Schmetterling nach.

Ich hatte mich nicht getäuscht: er ging dem Wagen voraus, den Fußpfad vom Dorf her herauf. Bei meinem Anblick blieb er stehen, ich eilte auf ihn zu, faßte seine beiden Hände aber sagte nichts. Auch er blieb stumm. Wie Gespielen, die lange getrennt gewesen und sich plötzlich wiedergefunden, schritten wir Hand in Hand den Schloßberg hinauf.

Er sagte mir, daß ich sehr wohl aussähe; dann berichtete ich ihm von meinem Gemahl und fragte nach meiner Mutter. Der ging es gut, die ließ mich tausendmal grüßen. Meine gute Mutter! – – Und Luise?

Um Fernows Lippen zuckte ein Lächeln.

»Da folgt uns der Wagen – wollen Sie nicht einsteigen?«

Der Wagen kam. Er war zurückgeschlagen und drinnen saß jemand, eine Frau. Als sie mich sah, sprang sie empor, und hätte in ihrem Eifer, den Wagen anzuhalten, den Kutscher beinahe vom Bock gerissen. Und nun erkannte ich auch das gute, liebe Gesicht. Feuerrot leuchtete es mir entgegen und jetzt – – Der Wagen hielt, über den Schlag hinweg sprang sie auf mich zu, in einem Atem lachend und weinend.

»Es wäre eine der Taten des Herkules gewesen, sie zurückzuhalten,« bemerkte Fernow. »Sie hat übrigens das feierliche Gelübde ablegen müssen, keine Dummheiten zu machen.«

Die gute Seele war gar nicht zu beruhigen. Wir mußten die Equipage vorausschicken, ebenso Fernow. Sie wollte gar nicht von meinem Halse weg, hatte aber die Einbildung, daß ich völlig fassungslos sei und daß sie mich beschwichtigen müsse, wie sie das so oft mit dem Kinde getan. Dabei nannte sie mich abwechselnd bald vertraulich: ihre Rolla, bald mit ungeheurem Respekt: Frau Prinzessin.

Fernow erwartete uns am Parkgitter. Mit ernsthaftestem Gesicht berichtete er mir Luisens großartigen Triumph. Diese tue sich nämlich nicht wenig darauf zugute, mir schon als Kind prophezeit zu haben, daß ich einst eine Prinzessin werden würde und sei jetzt fest überzeugt, daß ich nur deshalb einen Prinzen bekommen.

Mein Gemahl und Fernow fanden großes Gefallen aneinander. Es wäre ja auch anders nicht möglich gewesen. Fernow hatte viele Gespräche mit dem Leibarzt. Mich suchte er mit der Versicherung zu beruhigen, daß für das erste nichts zu befürchten sei. Er wollte acht Tage bleiben und den Prinzen beobachten.

Was war es trotz aller Sorge und Angst für eine glückliche Zeit! Ich hatte ihn wieder, ich hatte ihn wieder! Auch die Fürstin gewann schnell volles Zutrauen zu ihm. So verlebten wir denn die besten, die edelsten Stunden. Er schüttelte eine Fülle von Leben über uns aus; dabei war es, als sei er immer bei uns gewesen, als sei er schon seit Jahren des Fürsten Freund. Diese beiden teuren Menschen so freundschaftlich beisammen zu sehen, war für mich ein Anblick eines sich stets erneuernden Glücks. Zwischen den beiden vornehmen Seelen bestand eine Wahlverwandtschaft, die ihren hauptsächlichen Ausdruck in der gemeinsamen Bewunderung der Griechen fand. Es waren köstliche Gespräche, denen wir Frauen lauschend beiwohnten. Die zwei verstanden sich immer. Oft brauchte der eine nur das erste Wort auszusprechen, um den anderen in seinem eigenen Sinne fortfahren zu hören.

Ich merkte Fernow die Erschütterung an, die das Geschick des Prinzen ihm einflößte. Unverhohlen sprach er seine Bewunderung über diesen freien, feinen Geist, diesen wahrhaft fürstlichen Menschen aus. Seine Teilnahme für den Kranken war so tief, so zart, daß die Fürstin dringend zu wünschen begann, den herrlichen Mann bleibend an sich und ihren Sohn zu fesseln.

Ich wußte, daß die beiden Männer manche nächtliche Stunde, in Gespräche vertieft, beisammen saßen, die ernsthaftesten Materien erörternd und sich in Disputationen über die höchsten Begriffe verlierend – daß mein Gemahl sich von Fernow auf den Tod vorbereiten ließ und ihm sein Glaubensbekenntnis ablegte; eine Unsterblichkeit in Platons Sinn. Ich hatte es ja immer gesagt, daß mein lieber Arzt auch ein Priester sei.

In diesen Tagen war es auch, daß mein Gemahl mir sein größtes Geschenk machte. – – In seinem Beisein fragte ich Fernow einmal nach der armen Anna, die sich noch immer in der Anstalt befand. Der Prinz erfuhr bei dieser Gelegenheit ihre tragische Geschichte, war davon tief bewegt und hatte über den menschlichen, sowie juristischen Fall lange Unterredungen mit Fernow. Sein Geschenk war seine fürstliche Versicherung, daß Anna, falls sie genesen würde, nie und nimmer eine Gefangene werden solle.

In solcher Weise angeregt, besprach er mit Fernow den Bau einer Irrenanstalt, die nach mir den Namen erhalten sollte. Mir persönlich teilte er mit, daß er als Direktor dieser Anstalt Fernow einzusetzen gedenke, nach dessen Prinzipien das edle Institut geleitet werden sollte.

Aus der einen Woche ward eine zweite. Manchmal, wenn mein Mann zu uns beiden sprach, fühlten wir, daß es sich um den letzten Willen eines Sterbenden handle.

Auch mir schenkte der Freund kostbare Stunden. Oft sprachen wir über den Prinzen, selten über meine Kunst, niemals über die Zukunft. Als er einmal ein Buch bei mir liegen fand, schien er mit meiner Lektüre zufrieden zu sein. Es war Shakespeare.

Natürlich hatte ich den Prinzen mit Luisen bekannt gemacht. Wahrend Luise Tränen der Rührung über den »Engel von Mann« vergoß, fand mein Gemahl großes Gefallen an ihrer leidenschaftlichen Empfindungsfähigkeit. Manchmal, wenn sie bei mir in meinem Zimmer saß, kam er zu uns herüber und Luise mußte dem »Herrn Prinzen« von »ihrer Rolla«, der jetzigen »Frau Prinzessin«, erzählen. Mein erster Laut, mit dem ich die Welt begrüßt, ward ihm ebenso treulich berichtet, wie meine erste große Deklamation als Lukrezia und Horatia. Mit feuriger Beredsamkeit schilderte ihm Luise mein kindliches Wundertum. Ich höre noch sein herzliches Lachen, als er vernahm, wie ich es nur Luisens Prophezeiung zu danken habe, Frau Prinzessin geworden zu sein.

Die Fürstin hatte mich beauftragt, mit Fernow zu reden und diesem in ihrem und des Prinzen Namen eine Stellung in seiner nächsten Umgebung anzubieten. Fernow schlug es aus.

»Als Arzt hat er mich nicht nötig und im übrigen besitzt er Sie. Ich habe andere Pflichten zu erfüllen.«

Er schied von uns, und ich war es nicht allein, die über sein Scheiden trauerte. Seine letzte Stunde verbrachte er bei dem Prinzen; dann kam er zu mir.

»Ich habe Abschied von ihm genommen,« sagte er mit bewegter Stimme. »Sie brauchen es noch nicht. Leben Sie wohl.«


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