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Achtzehntes Kapitel.

Die junge Hofschauspielerin

Nach dem Gretchen spielte ich noch Minna von Barnhelm und Marie Beaumarchais, Ophelia und Luise. Jede Vorstellung war ein neuer Erfolg. So ward ich denn unter den Trompetenstößen der Presse als erste jugendliche, tragische Liebhaberin ein festes Mitglied der Hofbühne.

Ich war gerade achtzehn Jahre geworden.

Mein junger Ruhm verbreitete sich binnen kurzem durch die ganze Theaterwelt. Der bedeutendste deutsche Kritiker, der Lessing unserer Zeit, schrieb in seinem vornehmen Blatte einen Artikel über mich, worin dieser scharfe, lieber tadelnde als lobende Mann sich in Ausdrücken über mein Talent erging, welche Freunde und Feinde dieser schriftstellerischen Macht durch ihren warmen, ja begeisterten Ton in Erstaunen versetzten. Mit einem Schlage war meine Stellung nach allen Seiten hin befestigt.

Auch unsere äußeren Verhältnisse erfuhren die größte Umwandlung. Als das Quartal um war, verließen uns die Herren, die aus unseren Pensionären unsere Freunde wurden. Wir gaben die Wohnung auf und bezogen in der Nähe des Schauspielhauses ein kleines, schönes Quartier.

Ein Zug meines Wesens, der bis jetzt keine Gelegenheit gehabt, sich zu entfalten, durfte sich nun frei entwickeln. Luxus hatte mich nicht gereizt – nach Schönheit hatte ich mich immer gesehnt! Edle Stoffe zu tragen, von edlen Gegenständen umgeben zu sein, deuchte mir den Menschen selbst zu veredeln. Plötzlich beinahe reich geworden, wollte ich zwar nicht verschwenden, aber auch nichts weniger als sparen.

Man wird sich mein Glück vorstellen können, als ich eines Tages meine Mutter in unsere neueingerichtete Wohnung führen durfte, mein und Fernows heimliches Werk; wo sich nun diese Teure im Alter von dem umgeben sah, was sie in ihrer Jugend besessen und meines Vaters wegen achtlos dahingegeben hatte. Ein kleines Gemach, das an ihr Wohnzimmer stieß, war von uns in ein allerliebstes Miniatur-Atelier umgewandelt worden, wo sie all das schimmernde und flimmernde Material, welches sie zu ihren kleinen Kunstwerken gebrauchte, in zierlichen Kästchen geordnet, vorfand.

Eine fast ebenso große Freude gewährte mir die Einrichtung von Luisens Küche, daneben eine ›ordentliche‹ Stube mit einem ›ordentlichen‹ Himmelbett und – Luise sank sofort darauf nieder – einem ›ordentlichen Kanabeh‹, in hochrotem Wollendamast glänzend.

Um uns ja keine Überraschung entgehen zu lassen, überraschte mich Fernow im Komplott mit meiner Mutter, mit der Ausstattung meines kleinen Salons. Hier bedeckten Teppiche den Boden, schön gemusterte Vorhänge verhüllten Fenster und Türen. Mein Schreibtisch, mit den Büsten meiner großen Dichter und deren Werken, stand von Blumen umgeben. Sehr beglückten mich einige Abgüsse griechischer Statuen und die vorzüglichen Stiche von Raffaels ›Amor und Psyche‹ aus der Farnesina, welche die Wände schmückten.

Herzlich mußte ich lachen, als ich nirgends einen Spiegel entdeckte. Fernow, der dieses Möbel haßte, hatte, wie mir die Mutter erzählte, durchaus nicht einsehen wollen, daß ein solches in dem Zimmer einer jungen Dame weder so sehr ungewöhnlich, noch ganz unnötig sei.

Die Mutter hatte bei dem jähen Glückswechsel unseres Schicksales die ganze milde Ruhe und Klarheit ihres Wesens bewahrt. Die zärtlichste Mutter, wie sie das war, konnte sie sich jetzt nicht versagen, auch eine stolze Mutter zu sein.

Statt eines braunen Scheitels legte sich ein silberner über ihre blasse Stirn. Da freute sie sich denn der schönen, weißbebänderten Spitzenhäubchen; wie sie sich's auch gönnte, ihr schwarzes Kleid mit den feinen, weißwollenen Gewändern zu vertauschen, die ihr dankbares Kind für sie anfertigen ließ. Wenn mein überreicher Erwerb mich beglückte, so war es hauptsächlich deshalb, daß ich der alten Frau, die seit dreißig Jahren nicht erfahren hatte, was ein sorgenfreier Tag sei, hoffentlich noch viele sorgenfreie Jahre geben konnte und so ihre fleißigen Hände endlich ausruhen durften. Doch die ruhten nicht aus! Nach wie vor sproßte Lenz auf Lenz in ihrem Zimmer auf: alle die vielen Blumen, die ihre Tochter zum Schmuck brauchte, waren von einer lieben, liebsten Künstlerin gefertigt. So schlang die Mutter durch das schnell verdorrende Laub meiner Lorbeerkränze ihre unverwelklichen, leuchtenden Blüten.

Und Luise?

Ich bekam nicht den Größenwahn: statt meiner bekam ihn Luise. Daß es sie nicht um den letzten Rest ihres Verstandes brachte, als wir plötzlich aus kleinen armen Leutchen ›Herrschaften‹ wurden, ist mir heute noch unklar. Ihr Respekt vor der Hofbühne war plötzlich ins Riesengroße gewachsen. Daß ich dort vor ›Königs‹ spielte, versetzte sie in Ekstase. Ihre neue Küche, in der sich jetzt sogar einiges Silber befand, machte sie lange Zeit fassungslos.

Daß ich, die es jetzt lang hatte, es auch lang hängen ließ, war für sie eine ganz besondere Genugtuung. Aber was waren alle Schleppen der Welt, verglichen mit ihrem schwarzen Seidenkleid, das auch gerade bis auf den Boden aufstieß.

Was der guten Seele vor allem in ihren nicht allzu starken Kopf stieg, war, daß sie fortan die Oberbefehlshaberin mehrerer Dienstboten sein sollte. Luise des Mittwochs und Sonnabends vormittags, gefolgt von einer Magd mit großem Korb, auf den Markt zu begleiten, hätte ich Dickens gegönnt. Sämtliche Geflügel-, Fisch-, Butter-, Gemüse- und Eierhändlerinnen erfuhren aus ihrem eigenen Munde, daß sie ›die Luise der Rolla sei, die bei Königs Theater spiele‹. Mit welcher Ehrerbietung sie da der ganze Markt bediente, läßt sich denken. Sie handelte nie mehr, während sie früher eines Groschen wegen die erbittertsten Fehden geführt. Man müsse den Leuten doch zeigen, wer man sei! meinte sie und zahlte den Preis. Daß sie jetzt täglich kochen und backen konnte, was früher kaum Festtags auf unseren Tisch gekommen, wurde von ihr mit stets neuem Genusse erlebt. Die Kasse der königlichen Hofbühne als die meine, respektive als die ihre betrachtend, verfuhr sie bei ihren Zuckereinkäufen zu ihren Einmachereien mit wahrhaft großartiger Rücksichtslosigkeit.

Des Nachmittags gehörte sie der Kunst an. Hatte ich am Abend zu tun, so packte sie eigenhändig den Garderobekorb oder sie gab der Schneiderin Audienz, ordnete meinen, von ihr stets mit großer Verachtung behandelten Schminkkasten; kurz, sie beschäftigte sich durchaus künstlerisch. Fuhr dann an meinen Spieltagen Punkt fünf Uhr der Theaterwagen vor, so befehligte sie das Herabschaffen des Korbes und begleitete mich in die Garderobe. Bald war sie hinter den Kulissen ebenso bekannt und respektiert, wie in ihrer Küche und auf dem Markt. Selbst der erste Held hegte eine Art von Ehrerbietung für ihre stattliche Person; mit Frau Marthe stand sie auf beständigem Kriegsfuß, unsere Tragödin, die mehr gefeiert wurde wie ich, haßte sie auf das grimmigste. Sie hatte hinter der dritten Kulisse ihren bestimmten Platz, den ihr keiner streitig zu machen wagte. Da stand sie denn während jeder Vorstellung, eine Kritik übend, gegen welche Lessingsche Satire eine Harmlosigkeit war. Leider muß ich gestehen, daß Luise sehr bald blasiert wurde. Höchst unzufrieden bezeigte sie sich mit dem Publikum: im Akademietheater sei es denn doch ganz anders gewesen! War vom Hofe niemand zugegen, so wurde sie in ihren Bemerkungen hierüber geradezu staatsgefährlich. Ich prophezeite ihr, einmal wegen Majestätsbeleidigung gefänglich eingezogen zu werden, konnte ihr jedoch damit nicht die geringste Furcht einflößen.

Auf der ersten Bank der letzte Platz an der Mitte, so daß sie nicht aufzustehen brauchte, gehörte der Mutter. Gleich daneben saß Fernow. Wie glücklich war ich damals!

Kaum minder freundlich als die häuslichen, waren meine Verhältnisse zur königlichen Bühne. Neid und Kabale bin ich wohl bereits damals begegnet. Da mich jedoch mein großes Glück nichts weniger als übermütig machte, ich mich vollkommen zurückhielt und jeden Anlaß vermied, der gegen mich hätte aufreizen können, so habe ich keine Klage zu führen. Daß die Intendanz mich stark beschäftigte, brachte mein Fach mit sich; daß das Publikum mich auszeichnete, die Presse mich ermutigte, waren wohl die Folgen meines ernsthaften Strebens. Übrigens kam ich gar nicht aus der Weihestimmung heraus, so daß mir die ganze Welt verklärt erschien.

Ich spielte in jenen ersten Jahren von Goethe: Gretchen, Klärchen und Marie Beaumarchais; von Schiller: Amalie, Leonore, Thekla, Luise, Eboli, Beatrice; von Lessing: Emilia, Minna, Sara, Recha; von Shakespeare: Desdemona, Ophelia, Cordelia. Gretchen blieb meine bedeutendste Gestalt.

Der Fernowschen Manier meines Einstudierens fügte ich manche neue Methode hinzu, die sich mir nun selbst aus der Praxis ergab. Ich eignete mir in derselben sehr bald jene Sicherheit an, die man mit dem unleidlichen Worte ›Routine‹ bezeichnet.

Die Tage, an denen ich spielte, brachte ich in größter Sammlung und Einsamkeit zu. Mit Vorliebe legte ich bereits am Morgen ein Gewand meiner Rolle an, um mich in deren Geist so intensiv wie möglich einzuleben. Ich traf jedesmal sehr frühzeitig im Theater ein, kleidete mich allein an, was ich auch, wenn irgend möglich, bei dem Kostümwechseln zwischen den Akten tat. Sobald die Musik begann, mußte ich fertig sein, um die letzten Augenblicke nicht an den Fall meiner Schleppe denken zu brauchen. ›Routiniert‹ wie ich spielte, betrat ich die Bühne dennoch nie ohne die heftigste Erregung, sprach ich das erste Wort nie ohne innerliches Beben. Der Beifall berührte mich immer wieder peinlich. Wenn ich die Überzeugung hatte: du hast gut gespielt, so war mir ein stilles Haus das liebste.

Sehr schwer fiel mir jedesmal das Wieder-Ausleben aus meiner Rolle und das mich Wieder-Einleben in die Wirklichkeit. Man wird daher begreifen, daß Fernow mein Spiel noch immer viel zu subjektiv fand; wie ich auch nicht verschweigen will, daß jene Ohnmacht nach der Kerkerszene sich noch nach manchem letzten Akt wiederholte. Kam es auch nicht immer gerade so weit, so war ich doch jedesmal über Gebühr erschöpft, zur ernstlichen Besorgnis der Mutter und, wie mir schien auch Fernows. Außer diesen beiden sah ich nach einer Vorstellung niemals jemand.

Wir saßen dann in dem traulichen Zimmer der Mutter. Die Teemaschine brodelte. Wir besprachen Dichtung und Spiel.

Schön waren auch die Abende, an denen ich nicht auftrat. Konnte Fernow nicht kommen, so befand ich mich im Zimmer der Mutter, mit dieser und Luisen zusammen. Es war ganz wie einst in meiner glücklichen Kinderzeit und doch wie so ganz anders! Du Rebenlaube an unserem Häuschen, wie grüntest du so schön! – – Die Mutter dämmerte im Lehnstuhl, Luise, prächtig geputzt, rührte ihre Nadeln. Verschleiertes Lampenlicht goß sanften Schein über uns aus. Gewöhnlich las ich vor, gewöhnlich ein Stück, in dem ich nächstens aufzutreten hatte.

War Fernow bei uns, so wurde die Sitzung zu mir herüber verlegt. Luise schloß sich aus. Sie war versöhnt, aber sie konnte nicht vergessen. Jener grausame Schnitt in ihre Schleppe war ein Schnitt in ihr Herz gewesen. An diesen Abenden las ich ganz in alter Weise mit Fernow; wie ich denn keine Rolle studierte, ohne dieselbe vorher mit ihm besprochen zu haben: Immer fühlte ich mich als Schülerin. Bei dem Bilden meiner Gestalten erging es mir wie jedem redlichen Künstler: sie erschienen mir stets unvollendet, stets unvollkommen. Niemals erreichte mein Können das Wollen. Oft, ich gestehe es, gab ich der Menge ungern das hin, was so ganz mein eigen war. Ich hatte dann das qualvolle Gefühl: da gibst du Seele von deiner Seele, Leben von deinem Leben und – man beklatscht dich dafür!

Pathos, Emphase, Pose hatte ich abgestreift, wie ein Gewand, dem ich entwachsen war. Treue Schülerin meines Meisters, suchte ich in allem nach Wirklichkeit und Wahrheit. Nach wie vor übersetzte ich mir die Dichtung in meine eigene Sprache: das ideale Wort in meine eigene Empfindung. Da mußte ich denn oft erkennen, wie meine Seele nur von einem Echo widerklang, während doch das Wort selbst darin hätte tönen sollen! Ich mußte oft einsehen, wie wahr des Freundes: Erlebe, Erlebe! war. Nur selbst den Stachel im Herzen, vermagst du überzeugend von blutenden Wunden zu sprechen, an blutende Wunden glauben zu machen. Erlebe! Erlebe!

So rief denn nicht nur des Freundes Stimme unaufhörlich mahnend mich an, meinen jungen Lorbeerkranz von Dornen durchwinden zu lassen – es war meine eigene Seele, die mich drängte, zu leiden. Wäre ich noch lange fortgefahren, glücklich zu sein, hätte mich mein Glück bald unglücklich gemacht.


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