Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel.

Der neue Tag.

Wie sich meine Seele langsam den Banden des Schlafes und Traumes entwand, bat ich mich selbst, doch noch weiter zu schlafen. Denn ein Traum mußte es gewesen sein, daß ich weit offenen Auges in die Sonne geschaut. Sie schien mir auch jetzt ins Gesicht; aber als ich die Augen öffnete, mußte ich sie gleich wieder schließen: im Traum hatte ich ungeblendet hineinblicken können.

Als dann allmählich Besinnung und Bewußtsein kamen, drang das Glück in mir ein, wie ein Strom mich durchglühend und durchflutend. Mit geschlossenen Augen blieb ich noch eine Weile liegen; mußte ich mich doch erst an den Gedanken meines neuen überherrlichen Daseins gewöhnen: ich war nicht tot – ich lebte!

»Mein Schwan singt auch im Tod: Penthesilea!« flüsterte ich und tastete mit ersticktem Jubel nach meinem Herzen. Das schlug, als ob es mir die Brust zersprengen wollte.

Nun stand ich auf. Als ich das Fenster öffnete, glaubte ich, daß die Welt über Nacht neu geschaffen worden: so schön war sie gestern gewiß nicht gewesen – so schön nicht! Mit unserem ganzen klingenden Wortschwall können wir es doch nicht nennen. Die Blume atmet sich selbst aus in Duft, die Leiche jubiliert sich in den Himmel hinauf, der Mensch kann nur sagen: ich bin glücklich!

Es mochte bereits Mittag sein. Ich zog mich gleich fertig an und da ich mich in einer Stimmung befand, in der mir alles zum Symbol wurde, wählte ich ein lichtes, fast weißes Seidenkleid und steckte eine Rose an die Brust, die über Nacht in der Schale aufgeblüht war.

Da klopfte die Mutter. Ich öffnete und stand ihr in meinem Schmuck gegenüber.

»Was ist denn heut für ein Fest?« fragte sie verwundert.

»Kein anderes, als daß solch ein Sonnentag ist.« Und ich küßte ihre liebe Hand.

»Ich war schon zweimal an deiner Tür; aber du hörtest nicht. Wir fürchteten schon, dein Spiel und dein toller Ritt haben dir geschadet; du seist krank. Man sollte zwar deine Extravaganzen endlich gewöhnt sein, aber zuweilen treibst du es eben doch zu arg.«

»Komödiantenblut, gute Mutter, du mußt es nicht so ernsthaft nehmen.«

Ich hatte ihre zarte Gestalt umfaßt und sie ins Zimmer gezogen.

»Ist etwas vorgefallen?« rief ich, als ich ihr voll ins Gesicht sah.

»Nein, nein. Nur daß Fernow eine Nachricht erhalten hat, die ihn bald von uns fortruft. Vielleicht reist er heute noch.«

»Wir haben ihn diesen Sommer lang gehabt; es war eine glückliche Zeit.«

Die Mutter sah mich mit ihren klaren Augen groß an.

»Für ihn war es eine schwere Zeit.«

»Wie meinst du das?« Meine Stimme klang unsicher.

»Solltest du das nicht wissen? Solltest du das gar nicht einmal bemerkt haben?«

Ich mußte mich abwenden. Gott verzeih mir: ich hatte es wirklich nicht bemerkt! Erst jetzt begriff ich, in welchem Traum und Taumel ich gelebt. In mein junges Glück fiel der Schmerz wie Frost auf Frühlingsblüten. Ich nahm meine Rose ab und entblätterte sie.

»Wir wollen hinuntergehen,« ermahnte die Mutter und stand seufzend auf. »Fernow wird dir sonst einen ärztlichen Besuch machen.«

»Ja, komm hinunter! Aber ich möchte mir dieses Kleid wieder ausziehen. Es scheint ein trüber Tag zu werden.«

»Tu' das, nur eile dich, damit wir noch möglichst lange mit ihm zusammen sind.«

So legte ich denn den frohen Glanz wieder von mir.

Darauf suchte ich die beiden Freunde im Garten, wo sie in ernsthaften Gesprächen auf und ab gingen. Nur Fernow gab ich die Hand. Aber ich sagte ihm nicht, wie leid es mir tue, daß er uns verlassen müsse. Er teilte mir mit, daß er noch vor Abend abreisen werde, jedoch nicht von Frank begleitet sein wolle; dieser werde noch bleiben. Keiner von uns beiden entgegnete etwas darauf, aber ich dachte: So solltest du dich also doch schuldig fühlen müssen! Wo du geglaubt hast, den Blick frei zum Himmel erheben zu können, kannst du es nicht einmal zu den Augen deines Freundes?! Was dich über die Erde hinausträgt, was du als Gottheit in dir fühlst, solltest du verbergen, vielleicht gar verleugnen müssen?! Aber zuweilen ist Schuldgefühl eine Feigheit? Wie müßtest du vor dem Geliebten erröten, wenn er dich bei dieser Feigheit ertappen würde, er, der keiner Menschheit und keiner Gottheit das Recht zugesteht, einer großen Empfindung Schranken zu ziehen. Und es ist gewiß wahr: wo es sein höchstes Glück gilt, muß der Mensch rücksichtslos sein. Nicht immer ist Entsagung das Größeste.

Sein Blick traf mich. Ich senkte meine Augen in die seinen und unsere Seelen begegneten sich in einem Gedanken. Ruhig besprach ich dann mit Fernow in seiner Gegenwart manches, was mir auf dem Herzen lag. Später verließ uns Frank. Die letzten Stunden von Fernows Anwesenheit brachten wir zusammen im Zimmer der Mutter zu. Er lenkte das Gespräch auf seinen Freund.

»Ich habe ihn wieder von neuem lieben gelernt. Er ist eine große Natur, an der man sich versündigt, wenn man sie mit allgemeinem Maßstab mißt. Denn da man im Leben meist nur auf Kleinliches stößt, wird notwendigerweise auch unser Maßstab ein kleiner, nur zu oft ein kleinlicher. Tritt uns nun plötzlich ein ganzer, ein voller Mensch entgegen, so geschieht es leicht, daß wir verwirrt, daß wir mißtrauisch werden. Das Maß, unter das wir gewöhnlich die Menschen stellen, reicht hier nicht aus und ehe wir uns bequemen, ein größeres anzulegen, schreien wir lieber, daß wir uns etwas Maßlosem gegenüber befänden: der Mann muß ein gefährlicher Charakter sein, sei es auch nur deshalb, weil wir in Gefahr kommen, uns im Vergleich mit ihm als kleinliche Existenzen fühlen zu müssen. Nur die krasseste Philisterei kann von derartigen Naturen fordern, daß sie in denselben dumpfen Grenzen denken und handeln sollen, wie die liebe Spießbürgerei das tut.

Daß solche Menschen große Irrtümer begehen, ja, sich selbst einmal verlieren können, liegt in ihnen. Aber gewiß werden sie sich wiederfinden. »Der gute Mensch in seinem dunklen Drange ist sich des rechten Weges wohl bewußt.« Wenn man trivial sein und beim Faust von einer Tendenz reden will, so ist das Verirren und das sich Wiederzurechtfinden eines guten Menschen die Tendenz dieses höchsten Gedichtes. Er ist gerettet. Und wodurch ist er das? Durch die Liebe eines reinen Weibes.«

»Das durch ihn zugrunde geht,« murmelte die Mutter. »Ich bin eine alte Frau und kann es nicht begreifen: wie kann das ein edler Mensch sein, der sich nicht selbst zu retten vermag? Mir hat es immer gegraut vor solchen sogenannten faustischen Naturen, die stets über das Verderben anderer hinweg zu ihrem Glück gelangen, einem Glück, das sie dann schließlich nicht einmal finden. Für mich sind solche Naturen abscheuliche Egoisten, die wahren Verbrecher! Der Himmel möge verhüten, daß mein Kind einem solchen Faust in die Hände falle; denn mich würde man nicht überzeugen können, daß sie keine Schuldigen seien.«

Fernow war totenblaß geworden.

Bald darauf ging er. Ich begleitete ihn bis an die Stelle des Parkes, wo damals Frank aus dem Gebüsch getreten war. Hier sagte ich ihm Lebewohl und auf Wiedersehen.

Frank kam erst am nächsten Tag zurück. Während er fort war, hatte ich Gelegenheit genug, über die Mysterien der Liebe zu staunen. Sie überfällt das Herz und bevor dieses sie empfinden konnte, ist sie schon gewachsen, riesengroß, den Himmel in das Herz herabziehend und es mit einer ganzen Welt erfüllend.

Da saß ich nun und lauschte, ob ich nicht seinen Fußtritt, seine Stimme hörte. Dieser Fußtritt, diese Stimme, mir vor kurzem noch so fremd, waren mir plötzlich zu den Lauten geworden, die fortan meine Welt ausmachten, eine Welt, in der allein ich mein Schicksal zu erleben, mein Glück und Unglück zu suchen haben würde. Und da soll es keine Wunder geben? Sie erfüllen sich in jedem Menschenherzen, jedes Herz muß daran glauben! In der Nacht fühlte ich selbst in meinem Traum, daß er fort sei und daß er wiederkommen würde. Wenn ich erwachte, wehrte ich mich dagegen, wieder einzuschlafen, damit ich die überherrliche Wirklichkeit meines Glücks ja recht machtvoll empfände. So sammelte sich in jedem Augenblick ein Dasein, das zu schön war, um lange erlebt werden zu können.

Dann kam er zurück. Er brachte uns Fernows letzte Grüße. Wir sprachen den ganzen Abend von ihm; das heißt er und ich. Die Mutter hörte still zu, bis sie plötzlich sagte: »Dieser Mann ist durch eine Eigenschaft großartig, die sonst gewöhnlich nur wir Frauen zu besitzen pflegen.«

»Und welche ist das, liebe Mutter?«

»Seine Entsagungsfähigkeit.«

Nach einer Weile begann sie von neuem: »Du solltest Herrn Frank einmal das Gretchen vorspielen, das Fernow dir einstudiert hat.«

Sie sah ihn an, unwillkürlich tat das auch ich.

Was bedeutete das? Er war totenblaß geworden.

Meine Mutter stand gleich darauf auf.

»Ich gehe hinauf; bleibe du nur noch.«

»Nicht doch, Mutter. Ich gehe mit dir.«

»Bleib!« wiederholte sie fast hart. »Ich will allein sein.«

Sie ging. Da wir uns beide erhoben hatten, standen wir uns gegenüber.

Plötzlich warf er sich vor mir nieder, umfaßte mich, drückte sein Gesicht gegen meinen Leib, riß sich auf, stürzte hinaus.

Beim Tee trafen wir drei wieder zusammen.

»Frank wird fortgehen,« flüsterte ich der Mutter zu; aber er wird wiederkommen.

Wir waren beide fast heiter. Frank erzählte von einer Wanderung, die er nach seiner Rückkehr von Amerika durch die Schweiz und Tirol gemacht hatte. Er war auf derselben in ein wildes Tal gekommen, wo die Natur so großartig war, daß sie sein Gemüt fast zermalmte. Dennoch wollte er einmal dort leben. In seiner hinreißenden Weise schilderte er die Existenz in der Öde unter einem halbwilden Volk, das er, in stetem Kampf gegen eine feindselige Natur, der Kultur zuführen wollte.

Meine Blicke hingen an ihm, gewiß nicht minder strahlend als die seinen. Kaum, daß ich an mich zu halten vermochte, mich ihm nicht an die Brust zu werfen, nicht in einem Atem zu jauchzen und zu schluchzen: du bist groß, du bist gut! Und mich, du Großer und Guter, liebst du! Ich bin die Auserwählte. Ich werde dein sein und werde dir helfen, wie du mir helfen wirst, auch gut und groß zu werden! Nimm mich doch an deine Brust und halte mich fest, fest; denn dort ist für mich auf der Welt der einzige Platz.

Er sprach weiter, von seinem zukünftigen Leben in der Bergöde phantasierend. Wir bauten sogar zusammen das Haus in den stolzesten Plänen auf dem Papier, richteten die Zimmer ein, legten die Wege an, führten Bergstraßen aus, hielten Wasserstürze zurück, dämmten Flüsse, retteten Menschenleben, machten ein armseliges, stumpfes Volk von Hirten zu einer blühenden, glücklichen Gemeinde.

Darüber ward es Mitternacht. Da setzte er sich an das Klavier und nahm in Tönen Abschied von mir. Ich stand hinter ihm und hörte den Geisterstimmen seiner Seele zu, mit tiefem Seufzer zur Erde wieder zurückkehrend, als sie nicht mehr zu mir sprachen.

Jawohl – Abschied war's gewesen, Trennen, Voneinandergehen, Scheiden und Meiden. Ach, und dann Wiedersehen, Wiederfinden, ewige Vereinigung!

Dann sah ich in sein Gesicht – nicht zum letztenmal! Dann faßten sich unsere Hände – nicht zum letztenmal!

Ich ging mit der Mutter hinaus.

Sie warf sich an meine Brust, nannte mich ein über das andere Mal ihr armes, unglückliches Kind, küßte meine Lippen, meine Hände, bat mich um Verzeihung, verhieß mir zum Ersatz ihre doppelte, dreifache Mutterliebe und weinte bitterlich.

Ich konnte sie nicht trösten.


 << zurück weiter >>