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Achtes Kapitel.

Vor der Katastrophe.

Wir kehrten nach der Residenz zurück, wo ich versuchte, mein doppeltes Glück zu ertragen: meine Liebe und meine Kraft.

Ich trat zum erstenmal als Sappho auf. Nach Beendigung der Vorstellung ließ mir der Regent einen silbernen Lorbeerkranz überreichen. Auf jedem Blatte stand der Name einer meiner Rollen.

Bevor ich ein Wort über die künstlerischen Resultate dieses Herbstes und Winters sage, habe ich zu belichten, wie unsere Häuslichkeit um eine vierte Person vermehrt werden sollte. Es war Anna. Bereits seit einem Jahr aus der Anstalt entlassen, war sie in das Haus eines Landgeistlichen gebracht worden, welcher sich der schweren Aufgabe unterzog, die Unselige von neuem an das Leben zu gewöhnen. Nur einem wahren Priester konnte das gelingen. Was Fernow mir darüber erzählte, erfüllte mich mit Bewunderung für den Mann, so daß ich des Freundes Wunsch teilte, den vortrefflichen Seelensorger als Prediger für die »Rolla-Anstalt« zu gewinnen. Diese sollte im Frühling eingeweiht werden und die ersten Kranken empfangen.

Ich hatte nichts wieder von Frank gehört, auch Fernow in seinen Briefen seiner niemals erwähnt. Mit welchen Empfindungen sah ich der Ankunft des Freundes entgegen, der, da er mir gewiß Nachricht von dem Geliebten bringen würde, fast wie dieser selbst erschien. Zugleich fürchtete ich mich beinahe, dem Mädchen, das mit ihm kam, gegenüberzutreten. Sie so unglücklich, ich so glücklich; sie eine so schaurige Vergangenheit hinter sich, ich eine so selige Zukunft vor mir! Mein strahlendes Gesicht neben ihrem blassen, schwermütigen, das mußten schreckliche Gegensätze sein. Während aus meinen Augen meine geheime Wonne leuchtete, würden die ihren wohl noch Zuweilen den starren Blick stillen Irrsinns haben. Es tat gewiß nicht gut, uns zwei zusammenzubringen.

Fast hätte ich Fernow gebeten, sie noch länger bei dem Geistlichen zu lassen, wo sie so gut aufgehoben war, hätte ich mir nicht zu gleicher Zeit heftige Vorwürfe gemacht, daß ich in meinem Glück nur Glückliche um mich sehen wolle. Das war wenig edel empfunden, wenig hilfreich und menschlich. Weit schöner wäre es gewesen, wenn ich die Gegenwart der Unglücklichen gewünscht hätte, um an ihr meine Liebeskraft zu betätigen. Konnte ich dadurch die brutale Ungerechtigkeit des Schicksals, welche die eine so mit Glanz überschüttet, die andere so mit Jammer, nicht etwas ausgleichen? Ich sollte die trostlose Gestalt des Mädchens als Warnung und Mahnung nehmen, mich in meinem Glück nicht zu überheben, sondern dieses dankbar und demütig zu tragen. Dies mit aller Stärke empfindend, nahm ich mir vor, bei der armen Anna mir selbst zu beweisen, daß ich wirklich zu denen gehörte, zu welchen ich mich im stillen ja doch zählte: nämlich zu den besseren.

Sie kamen, über dem Mitleid mit der armen Genesenen unterdrückte ich den Jubel, den Freund wieder zu haben.

Während die Mutter Anna wie eine Tochter in die Arme schloß, stand ich mit einem unsagbaren Weh im Herzen daneben. – – Auch diese war einst eine Überglückliche gewesen und was war aus ihr geworden? Eine Mörderin, eine Wahnsinnige! Da nahm ich sie der Mutter sanft fort und führte sie in ihr Zimmer, das wir neben dem meinen für sie eingerichtet hatten. Hier blieb ich lange bei ihr, hier schlossen wir Freundschaft – Schwesterschaft.

Anna war von den neuen Eindrücken so ergriffen, daß sie tagelang nicht in unserer Mitte sein konnte. Um sie noch ein letztes Mal zu beobachten, blieb Fernow bei uns. Er beruhigte uns jedoch vollkommen, meinend, daß nur eine geradezu fürchterliche Erschütterung sie in ihren früheren Zustand zurückbringen könne, wo sie dann allerdings rettungslos verloren sei. Das schöne Werk, sie an unsere Liebe zu gewöhnen, vollbrachte die Mutter, die fast ausschließlich in ihrem Zimmer lebte und sich der Ärmsten ganzes Herz gewann. Reizend war es, wie die Mutter sie lehrte, Blumen zu machen und Anna sich gewissermaßen an Blüten in das Leben zurücktastete. Ich mußte an ihr verdorrtes Myrtenstöcklein denken, das ich sie damals hatte zur Sonne aufheben sehen.

Sehr behutsam mußten wir sein, sie keine Deklamation hören zu lassen, was sie überhaupt aufregte und ängstigte. Zum Glück war das Gemach, in dem ich meine Übungen hielt, in einem Teil des Hauses gelegen, wohin sie nie kam.

Wundervoll war wieder einmal Luise. Zuerst konnte sie nicht Worte genug finden, um ihre Empörung auszudrücken, eine solche Person in das Haus aufzunehmen. Auf das strengste von mir Zurechtgewiesen, schwieg sie, war aber sichtlich so auf Anna erbittert, daß ich mich mit ernsthaften Sorgen trug, wie ich den Rücksichtslosigkeiten, in denen Luise groß war, würde vorbeugen können. Dann kam Anna und bereits am ersten Abend fand ich Luise in Tränen zerfließend. Mit Zorn und Groll gegen die ganze Welt begannen ihre Lamentation, um mit Zorn und Groll gegen sich selbst zu enden. Leidenschaftlich begehrte sie von mir zu wissen: »Wie man so sein könne, da man ja doch von Natur kein Unmensch sei.« Nur schwer gelang es mir, sie wieder mit sich zu versöhnen und bezeigte sie sich noch lange Zeit in Gegenwart unserer neuen Hausgenossin völlig zerknirscht, was sie mit so vielem Schütteln des Hauptes, zornigem Murmeln und Wischen der Augen äußerte, daß die arme Anna auf den Gedanken kommen mußte, sie sei bei uns in eine Privatirrenanstalt geraten. Daß Luise Annas treueste, sorglichste, mütterliche Freundin ward, brauche ich daher wohl nicht zu erwähnen.

Noch lange Zeit, nachdem sie unser Haus betreten, erhielt unser Kreis eine weihevolle Stimmung, sobald die Unglückliche unter uns weilte. Ich mußte ihr blasses, rührendes Gesichtchen immer von neuem ansehen, es immer von neuem im Schmuck seiner blonden Flechten bewundern. Wie würden diese Haare ihn entzückt haben! Aber auch sonst war mir Anna eine liebe Erinnerung an Frank. Ich hatte ihm von ihr erzählt, allerdings nur ganz flüchtig, da ich voraussetzte, Fernow würde ihm ihre Geschichte ausführlich berichtet haben. Es hatte einen so starken Eindruck auf ihn gemacht, daß er mich ganz erschütterte. Dann hörte ich jedoch, daß Fernow zu Frank nicht von Anna gesprochen. Nun, es war ja gleichgültig. Er würde sie bei uns finden und mit uns die Sorge um sie teilen.

Fernow wußte von ihm nur, daß er wieder in jenem öden Alpentale sei, er hatte diese Nachricht nicht einmal direkt von ihm.

Die Rolla-Anstalt sollte, wie schon gesagt, im Frühling eingeweiht werden. Es würde mit großer Feierlichkeit geschehen, mit großem Pomp. Prinzen des königlichen Hauses wurden erwartet, seine Mutter, sogar der König. Da es ein Werk der Liebe meines Gemahls zu mir war, konnte man schließlich nicht unterlassen, auch die Witwe zur Eröffnung einzuladen. Natürlich wollte ich hin. Die Mutter fuhr fort, darüber zu jammern, daß die Anstalt meinen Namen tragen sollte. Es sei ein »Omen«. Ich neckte sie damit.

Eine große Freude war mir, daß Fernow mich wieder einmal spielen sah. Gerade in den Wochen seiner Anwesenheit bei uns war ich stark beschäftigt; so sah er mich denn als Sappho, Maria Stuart und Jungfrau. Er war zufrieden, er war glücklich – ja, das war er!

Er reiste ab – wie sollte er mich wiedersehen.

In diesem Winter erreichte mein Spiel seine künstlerische Höhe, so daß es die Theorie meines Freundes fast umgestoßen hätte: mein Glück erwarb mir meinen edelsten Lorbeerkranz! Ich erhielt endlich jenes Maß, jene Ruhe und Klarheit, die allein den wahren Künstler ausmachen. Statt meine Gestalten gleichsam im Fieber zu schaffen, wie ich das noch im letzten Jahre getan, bildete ich sie jetzt mit einer Heiterkeit, die mir unendlich wohl tat. Ich war entschieden um vieles weniger effektvoll (was die im Parkett sehr wohl bemerkten), aber dafür sicher um vieles wahrer geworden. Ein Hauch von Weihe lag über meinen Gestalten ausgegossen, die sie über die Erde emporhoben. Meine Schöpfungen beseelte eine Feierlichkeit und Festlichkeit, daß ich davon dem ganzen Hause mitteilte; und wenn ich je von einer priesterlichen Kunst reden darf, so durfte ich das damals. Verkündigte ich doch das Evangelium der Kunst: Liebe, Liebe, Liebe!

Ich spielte in diesem Winter außer den bereits genannten Rollen die Hermione im Wintermärchen, Lady Macbeth, Kleopatra; ferner Medea, die Perthenia in Halms »Sohn der Wildnis« und Racines Athalie. Wirb man mir nachfühlen können, wenn ich über den Erfolg, der mir zuteil ward, die reinste Freude empfand?! Er galt ja mir, die ich Sein war! Man feierte mich, die ich Ihn feierte! Jede Lorbeerspende schlang ich in das Gewinde meiner Liebe: alles war sein.


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