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Zwanzigstes Kapitel.

Ich lebe

Auch die hohe Aristokratie eröffnete mir ihre Salons; das heißt: sie beehrte mich mit Einladungen zu ihren Diners, Soupers und Routs. Aber obgleich man sich sehr liebenswürdig – sehr herablassend gegen mich benahm, war ich für die Auszeichnung wenig dankbar. Sehr bald schlug ich diese Einladungen gänzlich aus. Ich machte nämlich einige recht schlimme Erfahrungen. Wurde ich doch von vielen Herrschaften unter der stillen Voraussetzung gebeten, daß ich die Ehre Trüffelpastete und Mockturtlesuppe mit ihnen speisen zu dürfen, durch eine Deklamation gewissermaßen abzahle. In andern Salons wiederum verwandte man mich lediglich zur Dekoration: ich war die gefeierte Hofschauspielerin.

Was ich außerdem etwa sein mochte, war völlig gleichgültig.

Oft genug kam es vor, daß man mich für Salonproduktionen honorieren wollte. Diese waren wenigstens noch die Ehrlichen. Aber das verhinderte mich nicht, sie abzuweisen.

In diesem ganzen Verkehr mit der großen Welt mußte ich deutlich wahrnehmen, wie jene gewisse rotseidene Schnur, welche ihrer Zeit die französische Aristokratie von der in ihren Salons aufwartenden Kunst trennte, auch hier noch unsichtbar zwischen jenen und meinesgleichen gezogen war. Da ich diese Art von glänzendem Pariatum einfach für abscheulich hielt, ließ ich mich nicht lange dadurch entwürdigen. Ich reflektierte dabei so: War ich eine Künstlerin oder war ich das nicht? Ist die Kunst etwas Schönes, Großes und Geweihtes oder ist sie das nicht?! Und wenn sie das ist – und wer möchte den Glanz der Sonne bezweifeln? – wie sollte sie sich dann nicht dem Besten und Höchsten ebenbürtig fühlen?!

Seine liebe ›Idealistin‹ hatte mich Fernow oft genannt; ich erwehrte mich anfangs dieses Namens, da ich mich desselben nicht so würdig hielt. Nun ich die Welt kenne, weiß ich, daß er recht hatte, daß ich damals wirklich Idealistin war; ja, es heute noch bin. Trotzdem ich manche Illusionen gar nicht besaß, blieben doch noch immer genug, um schmerzliche Zerstörungen erleiden zu müssen. Ein junger Mensch ohne Ideale – das wäre ja auch zu traurig! Mit warmem Herzschlag und junger Begeisterung in der Brust an keine beste und schönste Welt zu glauben – wer möchte dann leben? Der Gottheit Göttlichkeit, der Menschheit Menschlichkeit, Würde, Kunst, reines Glück, Treue, wer könnte, wenn er jung ist, dieser schönen Illusionen, dieser ›Ideale‹ entbehren?! Und so vieles davon ist ja auch mehr als nur Ideal und Illusion. Wohl ist es wahr; mancher holde Wahn wird grausam, unerbittlich zerstört, aber ebenso manche glückselige Einbildung in Wirklichkeit verwandelt. Wie vielen, die an der Menschheit verzweifeln müssen, bleibt die Gottheit. Wie viele, die der Jammer des Lebens entsetzt, preisen die Arbeit des Lebens! Und welcher Mensch vermöchte an der Gottheit der Kunst zu rütteln? Sie, die in ihrem Ursprung Glück ohne Leid, Lust ohne Schmerz ist, ist immer Erhabenheit und höchster Ausdruck des besten Wesens der Menschheit! Daß wir noch besitzen, was Phidias geschaffen, daß Raffael seine Madonnen und Michelangelo seine Erschaffung Adams gemalt, daß Sophokles die Antigone, Shakespeare den Hamlet, Goethe den Faust gedichtet – wer kann der Menschheit diesen köstlichen Besitz je schmälern oder gar rauben?

Und Liebe und Treue. – Ich habe beides besessen, ich weiß es! Noch heute ist das eine das heilige Feuer, die auf dem Altar meines Herzens als Opferstamme lodert; noch heute ist das andere der feste Stab, auf den ich mich stütze, als reiche mir ein Gott seine Hand – – Vergib mir, ewiges Schicksal, wenn ich jemals in einem ungerechten Augenblick dich angeklagt und mich elend genannt habe.

 

Vier Jahre war ich an der Hofbühne gewesen, als ich einem guten Menschen einen schweren Schmerz zufügen mußte. – – Mein lieber Faust wollte sich seine Spielkameradin zur Lebensgefährtin gewinnen. Ich konnte das harte Nein, das ich ihm geben mußte, nicht einmal durch ein schwaches Hoffnungswort mildern. Kaum, daß ich für den reichen Schatz, den er mir bot, mit meinem armen Scherflein Freundschaft zu danken vermochte. Der treue Mann war ein gebrochener Mensch! Wie freute ich mich für ihn, daß er seine Kunst hatte, diese Heilerin vieler Wunden. Er konnte seine Verbindung mit dem Hoftheater nicht sofort lösen und ich war noch um vieles strenger gefesselt. Noch ein ganzes halbes Jahr mußte er bleiben und viele, viele Abende spielten wir zusammen. Wie oft mußte er mich beglückt in seine Arme reißen, wie oft neigten unsere Lippen sich zum scheinbaren Kusse zusammen! Gott im Himmel, wie der Mann spielte! Ein vortrefflicher Künstler war er immer gewesen – in jenem halben Jahre ward er ein großer Künstler! Jawohl hatte der Freund recht! Das Haus jubelte ihm zu, der Hof, die Residenz; die Intendanz wollte ihn nicht fortlassen – und ich mußte alles sehen, alles wissen, alles fühlen! Manchmal glaubte ich, es nicht ertragen zu können. Ich bat Gott, mich krank werden zu lassen, um ihm und mir die Qual jener Spielabende zu sparen. Wenn ich ihn anlächeln mußte, zärtlich gegen ihn sein und dabei in seinen Blicken las, dann war mir zumute, daß ich mich oft bezwingen mußte, ihm nicht mitten im Spiel vor die Füße zu stürzen, ihm den grausamen Hohn abzubitten, den ich seinem Herzen antun mußte. Was waren es für Augenblicke, wenn ich in meiner Rolle um ihn verzweifelte und starb! So der letzte Akt in Kabale und Liebe, wo er den Ferdinand spielte, so in Emilia Galotti, wo er den Prinzen gab, so in Romeo und Julie, in Egmont, Othello und vielen anderen Stücken.

Unsere Szenen waren daher das Ereignis des Abends; denn auch ich spielte, wie ich niemals früher gespielt hatte. – – Wohl hatte Fernow recht.

Ich durfte diesem nichts sagen und mußte nun erleben, wie er immer verwunderter, immer betroffener ward. Endlich mochte er's erraten. Wie soll ich meine Empfindung ausdrücken, als ich eines Tages erfuhr, daß die beiden Freunde geworden. Auch jetzt sprachen wir nicht darüber. Ich bat die Mutter, ihm alles zu sagen. Da ich es nicht ändern konnte, waren Worte überflüssig gewesen.

Endlich kam das Schwerste, die Abschiedsvorstellung – Faust. Er war grausam gegen sich und mich, trotzdem bestand er darauf. Das Haus war ausverkauft, der ganze Hof anwesend, die Aufführung selbst eine Festvorstellung. Und er und ich, Faust und Gretchen, Held und Heldin des Abends! Ehe begonnen ward, kam er in meine Garderobe und nahm Abschied von mir. Dann ging er hinaus und spielte. In der Gartenszene konnte ich plötzlich nicht weiter: es war bei der Stelle, wo Faust meine Hände faßte:

O schaud're nicht! Laß diesen Blick
Laß diesen Händedruck Dir sagen,
Was unaussprechlich ist!

Das Publikum hielt meine halbe Besinnungslosigkeit für Spiel und wollte in seinem Beifall nicht enden. Dann kam die Kerkerszene. Ich wollte nicht mit ihm fort, er wollte mich nicht lassen. Diesmal spielte ich das Gretchen als Wahnsinnige. Als er mich nicht küßte, aber ich es wußte, gab ich ihm den Abschiedskuß. Das war ein Abend! Das war ein Spiel! Wie er einst mich, so mußte jetzt ich ihn immer wieder und wieder vorführen; mit seiner Hand in der meinen stand ich da, nicht wagend, aufzublicken, um nicht sein totenbleiches Gesicht sehen zu müssen. Als er unter dem Tusch des Orchesters seinen schönsten Lorbeerkranz mir gab und dann, immer sein Auge auf mich geheftet, immer seine Hand in der meinen, dem Publikum mit erstickter Stimme dankte und sagte: wie glücklich er in der Hauptstadt als Künstler und Mensch gewesen sei; da war mir's, als müsse das ganze Haus mir meine Schuld gegen ihn auf der Stirn ablesen können.

Nach der Vorstellung gab ihm die Intendanz ein großes Bankett; ich überreichte ihm im Namen aller ein Prachtalbum.

Bei der Tafel saß ich neben ihm, reich geschmückt, Blumen im Haar, daß ich hätte als seine Braut gelten können.

 

Meiner Mutter mußte ich bei meinem gesellschaftlichen Leben ihre häusliche Ruhe erhalten, und konnte ihr nicht zumuten, ihre Tochter als deren Chaperonne in die Salons zu begleiten. Ich hörte, wie mir das von verschiedenen Seiten verübelt wurde, dachte jedoch die Sorge für meine Moral selbst bewachen, nötigenfalls beschützen zu können.

In meiner Harmlosigkeit hatte ich dann und wann Fernow aufgefordert, mich zu begleiten.

»Wollen Sie als meine Geliebte gelten?« fragte er in seiner rauhen Offenheit.

Ich hätte beinahe erwidert: »Und ich bitte Sie dennoch.«

Wie ich später die Welt kennen lernte, muß ich zu ihrer Ehre bezweifeln, daß ich dann nirgendwo empfangen worden wäre. Später sollte ich auch erfahren, daß es nicht erst seiner Begleitung bedurft hätte, um mich und ihn zu verleumden.

Ich sprach davon, daß auch ich meinen ›Salon‹ eröffnete. Sonnabend war gewöhnlich Lustspielabend, Sonnabends empfing ich also.

Erst nach acht Uhr kamen die erstern. Allmählich füllten sich die Zimmer: Gelehrte, Künstler, Schriftsteller, wenig Aristokraten, mehr Männer als Frauen. Man kam und ging mit größter Ungezwungenheit. Die Gesellschaft sonderte sich in wechselnde Gruppen; nur wenn ein Musiker eine Komposition, ein Dichter ein Gedicht vortrug, versammelte man sich im Salon. Hier präsidierte die Mutter. Sie hatte ihren bestimmten Sitz am Teetisch und war so liebenswürdig! Nie waren die Stühle um sie her leer; alle Besseren drängten sich zu ihr, so daß mein kleines, sanftes Mütterchen förmlich Hof hielt.

Später begab man sich in das Speisezimmer, wo ein Büfett aufgestellt war.

Fernow erschien jeden Sonnabend; aber gewöhnlich nur auf Augenblicke. Er war dann überaus schweigsam und zurückhaltend und hielt sich fast nur im Kreise der Mutter. Diese behandelte ihn nicht wie einen Hausfreund, sondern wie einen Sohn. Und ich – solange er nicht da war, suchten ihn meine Augen bei jedem Öffnen der Tür. Kam er endlich, so merkte er – alle, wie sehnlich er erwartet worden war.

Einmal saß Fernow bei mir, zerstreut in die Schale greifend, welche mit Visitenkarten gefüllt, vor ihm stand. Er las mechanisch Namen auf Namen, bei einem schien ihm etwas aufzufallen. Mir die Karte reichend, sagte er: »War diese Dame bei Ihnen?«

»Wahrscheinlich, da ihre Karte hier liegt.«

»Haben Sie sie empfangen?«

»Sie war zweimal hier und verfehlte mich jedesmal. Ich war so unartig, ihren Besuch bis heute noch nicht zu erwidern.«

»Wissen Sie, wer sie ist?«

»Wie wunderlich Sie sind! Es ist die Gräfin A...«

»Sie ist Pariserin.«

»Wirklich?«

»O, es ist eine merkwürdige Frau!«

»Sie interessieren sich für sie? Also werde ich hingehen.«

Ich lachte laut auf.

»Lachen Sie nicht, die Sache ist ernsthaft.«

»Das scheint mir auch so. Der Zufall hat mich doch nicht etwa mit einer Dame zusammengeführt, deren Namen allein Ihnen Herzklopfen verursacht!«

»Die Gräfin? Welcher Verdacht!«

»Pfui, wer wird eine Dame verleugnen wollen! Oder ist es Diskretion?«

»Bei der Gräfin ist Diskretion keine Ehrensache.«

»Aber Fernow!«

»Sie sind doch nicht etwa neugierig?«

»Ich sage nicht nein.«

»Haben Sie Mut?«

»Ich spiele Heldinnen, mein Herr.«

»Also über jeden Zweifel erhaben. – – Wollen Sie mich heute abend zu dieser Dame begleiten?«

»Wie kann ich das? Ich habe ihr noch keinen Besuch gemacht.«

»Durchaus nicht notwendig, wäre höchst überflüssig.«

»Sie machen mich verwirrt. Sind Sie so intim mit ihr?«

»Intim mit der Gräfin?! – – Ich bin heute abend zu einem thé dansant bei ihr eingeladen. Da ist dieses Billetdoux! Sehen Sie: Feinstes englisches Papier, wunderbarstes Parfüm, geniale Schriftzüge, liebenswürdiger, schmeichelhafter Inhalt. Wenn Sie der Dame das Glück gönnen wollen, mich heute abend bei sich zu sehen, so müssen Sie mit mir gehen. Sie brauchen sich nur zehn Minuten zu zeigen, sehen genug und werden nicht – zu sehr kompromittiert. Haben Sie noch immer Mut?«

»Man wird ja wohl fliehen können?«

»Nach zehn Minuten.«

»Um wieviel Uhr soll ich bereit sein?«

»Nicht viel vor Mitternacht. Wir dürfen erst kommen, wenn man sich dort im vollen Vergnügen befindet.«

»Muß man Toilette machen?«

»Schwarzes Seidenkleid, keine Blumen im Haar, Es wird wieder eine Lektion sein.«

Um elf Uhr holte Fernow in einem Wagen mich ab.

»Aber wollen Sie mir nicht vorher ein Wort über die Gräfin sagen?«

»Erst die Illustration, dann die Geschichte. Zehn Minuten, wie gesagt, genügen. Nur auf eins möchte ich Sie vorbereiten: seien Sie nicht zu sehr erstaunt, wenn Sie die Wohnung nur mäßig möbliert finden, Madame la Komtesse befindet sich augenblicklich – – «

»Im Umzug?« fragte ich lachend.

»In unfreiwilligem. Gläubiger sollen nicht immer die höflichsten Leute sein.«

»Aber in solchen Situationen gibt man doch gerade keine thés dansants

»Aber man ist nicht ›man‹ und wie man eben ist, geniert das nicht weiter.«

»Aber unter solchen Umständen kann ich wirklich nicht hingehen; nicht um meinetwillen, sondern um der Dame willen.«

»Unnötige Empfindsamkeit! Madame wird entzückt sein.«

»Nun denn, in Gottes Namen!«

»Ihnen wird etwas beklommen zumute? Denken Sie nur immer an die zehn Minuten.«

Der Wagen hielt. Es war eine elegante Straße und ein elegantes Haus. Der Portier musterte uns und war nicht gerade sehr respektvoll. Die Gräfin wohnte in der ersten Etage; schon auf den Treppen vernahmen wir die Töne des thé dansant, das ziemlich bacchantisch zu sein schien. Ein Lohndiener öffnete uns. Ich gestehe: schon im Vorzimmer verspürte ich eine heftige Anwandlung, bereits in der ersten Minute schmählich die Flucht zu ergreifen.

»Sehen Sie ja nach der Uhr,« bat ich den Freund.

Dieser befand sich in der besten Stimmung, sah aber ungemein ehrbar aus – der Heuchler!

Das nur von Garderobegegenständen gefüllte Vorzimmer, darin das einzige Möbel, ein Spiegel mit Wachskerzen auf ungeputzten messingnen Leuchtern, bereiteten mich vor. Ein zweiter Lakai riß geräuschvoll die Flügeltüren vor uns auf und meldete uns. Einen Augenblick ward es drinnen stiller, Fernow reichte mir seinen Arm, wir traten in ein weites Gemach, dessen einzige Dekoration die Gesellschaft bildete: sehr viele Herren, sehr wenig Damen. Alle befanden sich in vollständigster Balltoilette.

Da rauschte die Wirtin auf uns zu. – – Fernow hatte recht: es war Madame la Komtesse nicht im geringsten unangenehm! Ich wurde mit einem Händeschütteln ganz vertraulich gegrüßt, darauf der Doktor desgleichen. Sodann wurde ich einigen Herren und Damen vorgestellt. Ich hörte jedoch wieder einmal keinen einzigen Namen. Fernow führte mich gleich fort in einen diskreten Winkel, wo wir uns auf – Koffern postierten.

Nun sah ich mir die Sache an; das heißt: ich machte heldenmütige Versuche, frei um mich zu sehen. Fernow gab mir den Kommentar; aber ich wagte nicht, ihn anzublicken: diesmal bereute ich doch, ihm gefolgt zu sein.

Die Herren waren sämtlich in Zivil. Durchaus nicht alle hatten elegante Manieren, aber fast alle hatten jenes gewisse Etwas, das mich hätte zurückschaudern machen, wenn einer von ihnen mir vertraulich genaht wäre. Es waren Jünglinge darunter. – – Hatten sie denn keinen Mahner, keinen Retter?! Unaussprechlich widerwärtig waren die älteren Herren, die nicht einmal alt zu sein brauchten, um junge Greise zu sein. Wie sie sprachen, welchen Ton sie in der Unterhaltung mit den Frauen wagten. War dergleichen denn möglich?!

Allerdings: wenn ich mir diese Damen ansah, so konnte ich es vielleicht begreifen. Keine einzige war jung, keine einzige hübsch. Sie trugen Seidenroben, deren Schleppen durchaus nicht immer über reinliche Böden gerauscht haben mochten (auch das Parkett bei der Gräfin zeigte bedenkliche Spuren!), Geschmeide von zweifelhafter Echtheit umschimmerte sie. Aber wie sie sprachen, wie sie sich bewegten – – Plötzlich verstand ich den Ton der Männer.

Für die auffallendsten Gestalten gab mir Fernow die Erklärung. Es war niederländische Malerei; aber der Gegenstand war keiner anderen würdig.

Am aufmerksamsten betrachtete ich mir die Wirtin. Diese Dame sprach nicht, sondern schrie. In ihren Gesten schien sie Frauen nachzuahmen, die gewöhnlich nichts weniger als Gräfinnen sein mochten. Einst mochte sie schön gewesen sein. Ich war ihr fast dankbar, daß sie, sowie die meisten anderen, französisch sprach.

Das einzige Möbel in diesem Zimmer war ein Klavier. Jeden Augenblick saß ein anderer davor, klimperte dies, trällerte das. Jetzt ward mit vieler Ostentation eine nicht mehr sehr jugendliche, fette Dame hingeführt. Es wurde still. Die fette Dame sang eine Meyerbeersche Arie: prächtige Stimme, abscheulicher Vortrag! Als sie geendet, ward ihr zugejubelt, daß ich glaubte, in einem Zirkus zu sein.

In einem Nebenzimmer war ein Büfett aufgestellt, das heißt, auf einem Tisch war ein Wirrwarr von allen möglichen Delikatessen und Leckereien, Weinen und Likören zusammengehäuft. Die Herren schleppten für die Damen herbei. Champagnerpfropfen knallten. Die Damen hatten ihre Teller vor sich auf den Knien oder ließen sie sich von den Herren halten. Als Tafelmusik ward ein leichtfertiger Walzer gespielt. Plötzlich kam die Gräfin ganz wild hereingestürzt, sich heftig beklagend, daß im Nebenzimmer die Dienstboten zu tanzen begonnen.

Auf einmal ergriff ich Fernows Arm.

»Um Gottes willen sehen Sie: da ist ein Kind!«

»Die Tochter der Gräfin,« erklärte Fernow.

Es war ein Mädchen von etwa zehn Jahren, in einem rosa Seidenkleid, mit Äpfelblüten garniert. Es hatte das reizendste Engelsköpfchen mit langen blonden Locken. Das kleine Wesen trug Ballschuhe, Fächer und bis an den Ellbogen reichende Handschuhe.

Ich war so erschrocken, daß ich nicht ging; trotzdem die zehn Minuten vorüber waren.

Es wurde getanzt. Auch das Kind drehte sich kokett in den Armen eines jungen Mannes. Als der Tanz zu Ende, trat die Gräfin unter die Paare und rief mit lebhaften Gestikulationen: es sei ein fades Leben, ein langweiliges Dasein! Sie werde nächsten Winter nach Rom gehen und dort in den Termen des Caracalla im Mondschein lebendige Statue stehen. » N'est-cepas, Mimi,« wandte sie sich an das Kind,

» Mais oui, Maman!«

Jetzt wollte ich fliehen. Da kam die Gräfin auf mich zu, die Tochter mit ihr. Ich mußte noch bleiben.

Die Dame setzte sich neben mich auf Fernows Platz und begann ein ästhetisch-philosophisches Gespräch. Bei Dingen, auf die ich ihr keine Antwort zu geben gewußt hätte, wandte sie sich an das Kind mit einem stereotypen: » N'est-cepas, Mimi

Je nach Laune antwortete dieses kleine Geschöpf: » Mais oui, Maman – mais non, Maman

Ich stand auf und empfahl mich, dieses Mal ohne die Hand zu nehmen, die mir gereicht ward.

Im Vorzimmer hörten wir die Gesellschaft laut lachen. Madame la Komtesse begann eine Deklamation.

Als wir fortgingen, kamen neue Gäste: ein ganz junges Mädchen mit ihrer Mutter und einem Herrn, der Fernow grüßte. Er und das Mädchen waren ein Brautpaar!

Wir schickten den Wagen fort und gingen auf einem Umweg zu Fuß nach Hause. Ich mußte mich fassen, ich mußte mich reinigen in der stillen Nacht, der klaren Luft, den Sternenhimmel über mir, den Freund an meiner Seite.

Fernow erzählte mir die Geschichte dieser Gräfin. Mag sie verschwiegen bleiben, sie ist – aristokratischer Salonschmutz.

Aber das Kind! das Kind!

 


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