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Drittes Kapitel.

Sie rückt und weicht.

Mit meinem Gemahl ging es besser. Es war beschlossen worden, nach Neapel zu gehen, bis zum Juli in einem Landhause am Posilip zu bleiben und dann in Sorrent Villeggiatur zu nehmen. In einigen Wochen sollte gereist werden.

Unser esquilinisches Landhaus erlebte jetzt sein Rosenmärchen. Es lag da, von einem Netz von Rosengewinden umsponnen. Hecken und Laubengänge bedeckte die schöne Glut. Sie umrankte die Stämme und schlug ihre schwankenden Gewinde von Zweig zu Zweig. Die Luft war eitel Wohlgeruch und die Nachtigallen flöteten Tag und Nacht. Es war ein Blühen und Singen ohne Ende.

Mein Gemahl wünschte seinen römischen Aufenthalt mit einem Fest zu beschließen. Er hatte im Laufe des Winters viele liebenswürdige und ausgezeichnete Persönlichkeiten bei sich gesehen, welche er, ehe sie nach allen Himmelsgegenden auseinander gingen, noch einmal um sich vereinigen wollte. So entwarf er denn mit uns Frauen und einigen Künstlern, die sich uns besonders genähert hatten, das Festprogramm. Waren die geselligen Freuden meines Gemahles bereits in seiner nordischen Heimat im wahren Sinn des Wortes edle Freuden gewesen, so wollte er sich das Glück gönnen: in Rom sich und anderen eine Feier zu bereiten, die an die glücklichsten Zeiten der Stadt erinnern sollte.

Unser Fest bildete das Gespräch der Gesellschaft; unter seinen Vorbereitungen verstrichen mehrere Wochen.

An einem der letzten Tage des Mai schien vor der Porta Capena um Grotte und Hain der Egeria das alte Rom wieder auferstanden und ein Teil seines Volkes am Bach Almo versammelt zu sein, dort das Fest der großen Göttin Cybele zu begehen. – – Aus dem Eichenhain wallte der Zug die blumigen Hügel zum heiligen Bach hinunter. Priesterinnen trugen das verhüllte Bildnis der Göttin. Im Festgewand folgten viele edle römische Frauen, Kränze tragend, selbst das Haupt bekränzt. Sie zogen zur Grotte, wo sie das Bild niedersetzten und es mit ihren Gewinden schmückten. Unterdessen war ein zweiter Zug den Hügel herabgekommen: Jünglinge im phantastischen Aufputz, mit Fellen über den Togen, Eppichkränze in den Haaren, umwundene Stäbe schwingend. In ihrer Mitte wurde eine abgehauene Fichte getragen, die mit bunten Bändern und Blumen verziert war. Die lustige Schar umringte den heiligen Baum, ihn zum Feld hinuntergeleitend, wo sie ihn vor der Grotte aufpflanzte und davor ihre Tänze aufzuführen begann.

Diese Zeremonie beendet, begaben sich Priesterinnen, Frauen und Corybanten wieder zum Hain hinauf, wo am Rand des düsteren Gehölzes Teppiche ausgebreitet und eine Anzahl von Triklinien aufgestellt waren. Nachdem man sich gelagert, ertönte feierliche Musik von Zimbeln und Flöten. Die Spieler traten aus dem Hain und schritten paarweise geordnet am Festplatz vorüber, über die Wiese den Abhang hinunter. Die Töne verklangen.

Jetzt sah man zwischen den Bäumen langsam eine hohe Frauengestalt einherwandeln. Es war Roma selbst im weißen Festgewand, die Purpurtoga umgeschlagen, die Mauerkrone auf dem Haupt.

Nachdem sie eine Ansprache gehalten, wandte sie sich und schritt langsam, feierlich davon, hinter dem Hain den Augen der staunenden und entzückten Versammlung entschwindend.

Während man noch von der herrlichen Erscheinung ganz überwältigt, ihre rollende Stimme zu vernehmen glaubte, zogen die Spieler von neuem über die Wiese. Auch ließ sich jetzt ein ferner, getragener Gesang vernehmen. Die Stimmen schienen aus dem Wald zu kommen, aber man sah niemand. Noch dauerte Gesang und Spiel fort, als plötzlich ein von Rosen durchranktes Eichengebüsch sich teilte und Egeria, die junge Nymphe des Ortes, hervortrat. Sie unterhielt sich mit ihren unsichtbaren Genien, denen sie mit leiser Klage verkündete, daß sie zum letztenmal ihren sterblichen Gatten Numa erwarte, welcher von ihr fort, zu den Göttern erhoben werden solle, zu denen sie ihm nicht zu folgen vermöge.

Dann kam der König. Er fuhr auf einer goldschimmernden Biga, die zwei weiße Rosse zogen, ein einziger Knabe begleitete ihn. Egeria ging ihm entgegen; darauf begannen Gatte und Gattin den Abschied zu feiern...

Plötzlich hörte ich einen lauten Schrei seiner Mutter. Ich sah die Verwirrung der Gäste und stürzte hin. – – Der alte Leibarzt beugte sich über ihn, die Fürstin kniete neben ihm: er hatte einen Blutsturz bekommen.

Weil wir ihn nicht aufheben und forttragen konnten, mußten alle den Platz verlassen. Nur die Ristori blieb zurück und hielt eine seiner Hände.

Die Mutter hatte sich seinen Kopf in den Schoß gelegt.

Ich ließ mich von seinem Blut überrieseln und schaute nur immer auf die geschlossenen Augen, ob sie sich noch einmal aufschlagen würden. Er tat es und sein erster Blick fiel auf mich – Gott im Himmel! – was hatte ich getan, daß er mich mit solchem Blick ansehen konnte, sterbend so ansehen konnte!

Er hatte die Sprache verloren und schien nichts mehr vom Leben zu erkennen und zu empfinden als mich. Das Flehen seiner Mutter vernahm er nicht. Ich konnte kein Wort hervorbringen.

Mit Almowasser reinigten wir ihn vom Blut. Die Ristori deckte ihn mit ihrem purpurfarbenen Mantel zu. Da der Arzt eine neue Blutung befürchtete, konnte er nicht transportiert werden. Nach Rom war um eine Sänfte geschickt worden.

Er schien etwas sagen zu wollen; eine Schreibtafel ward ihm untergelegt. »Mit Rolla allein lassen«, schrieben seine zitternden Finger. Die anderen traten zurück. Ich kniete neben ihm und sagte: »Was soll ich tun, um dich am Leben zu erhalten? Was habe ich getan, daß dein Blick mit solchem Vorwurf auf mir ruht? Ich liebe dich ja so herzlich.«

Er winkte, daß ich seine Hand leiten solle; von meiner Hand geleitet, schrieb er: Dein Spiel heute hat mir alles verraten; du hast mich nur aus Mitleid geliebt. Ich erhob meine Hände, ich wollte reden, da entrang sich seinen Lippen: »Du darfst nicht auch noch lügen aus Mitleid.«

Ich wollte aufschreien.

»Nein! Nein!« Da traf mich sein starrer, fast zorniger Blick. Ich verstummte, schlug die Hände vor das Gesicht.

Ein schrecklicher Ton machte mich auffahren, ein Röcheln, ein Sterberöcheln. Ich sah ihn an, ich stieß einen Schrei aus. Seine Mutter kam herbeigestürzt, alle anderen. Ich jedoch wußte nichts mehr von mir. – – Mit seinem zornigen Blick auf mich war er gestorben.

 

Es war Nacht, als wir seine Leiche im Wagen nach Rom brachten. Sie hatten alle ihre Kränze auf ihn gelegt. Seine Mutter wollte sein Haupt nicht aus ihrem Schoß lassen. Ich wagte nicht, ihn zu berühren. Mir war, als müsse er wieder zu bluten beginnen.

Von den Tagen, die jetzt kamen, will ich schweigen. Als er einbalsamiert worden, sollte seine Leiche nach Deutschland übergeführt werben. Eines grauenden Morgens brach der Trauerzug auf. Der Sarkophag wurde von sechs Pferden gezogen; ein Baldachin war über ihn ausgespannt, Lorbeerkränze und Palmenzweige bedeckten ihn, Rosen und Veilchen waren darüber geschüttet. Eine päpstliche Ehrenwache schritt neben dem Trauerwagen her, dem sich ein langer Zug Wagen anschloß. Wir, unser Gesandter, die Trauerdeputation fremder Reiche, die Geistlichkeit, unsere Dienerschaft – die Sänger der Sistinischen Kapelle.

Die Porta S. Pancrazio, durch welche wir Rom verließen, war schwarz verhängt. Eine lautlose Menge erwartete uns am Tor.

Bald darauf empfing unsern Toten die feierliche Ruhe der Campagna, die wir bis Civitavecchia durchzogen.

 

Wir hatten die Leiche meines Gemahls nach Deutschland übergeführt, wo sie in der Residenz beigesetzt werden sollte. Doch nur seine Mutter durfte den Toten bis zu seiner letzten Ruhestätte begleiten. Bereits an der Grenze, wo Prinzen des königlichen Hauses, Magistrate und Deputationen den Sarg empfingen, mußte ich, deren Gattinnenname plötzlich nichts als eine fürstliche Draperie war, mich von seinem Sarg trennen.

In der Nacht nahm ich Abschied. Es geschah heimlich und verstohlen: schien man mir doch selbst das Recht abzusprechen, um ihn trauern zu dürfen. Sein Sarkophag stand noch in dem schwarzen Reisezelt; darauf lagen noch die römischen Palmenzweige und Lorbeerkränze – freilich längst verwelkt. Offiziere seines Regiments hielten Wache bei ihm. Sie kannten mich nicht und ich mußte erst meinen Namen nennen, ehe sie mir gestatteten, an seinen Sarg zu treten. Dann zogen sie sich jedoch vor den Eingang zurück. – Aus den Kandelabern warfen die Pechpfannen wild aufflackernden Glanz ringsum. Ihr glühender Schein fiel auf die fürstlichen Insignien, die der König auf den Sarkophag hatte niederlegen lassen. Ich stand auf den Stufen und mußte immerfort auf den Hermelinmantel und die goldene Krone hinabstarren.

O du mein armer, toter Königssohn. – – Sie haben deinen Sarg mit der Pracht deines Lebens belastet. Keiner denkt daran, daß du einen Strauß Blumen schöner gefunden hättest. Für sie freilich ist vor allem der Fürst gestorben! Nur deinem Weibe, das kaum ein Recht hat, sich so zu nennen, starb in dir der Mensch.

Ich kannte dich und hätte dich doch besser kennen sollen. Vergib mir! Du lebtest in der Öde. Da fandest du die eine arme Blüte, die einzige, die dich schön dünkte und dir zu duften schien. Du strecktest deine Hand nach ihr aus; du wolltest sie pflücken. Als man dich nicht gewähren ließ, welkte deine Lebensblüte dahin. Da gab man mich dir. Aus Mitleid verschwiegen sie dir, daß es aus Mitleid geschah. Auch ich log die fromme Lüge mit und hätte dich doch besser kennen sollen. Ich hätte wissen sollen, daß du wirklich ein Fürst und ein stolzer Mensch seist, der kein Mitleid dulden durfte, namentlich nicht das Mitleid eines schwachen Mädchens. Vergib mir! Du weißt nicht, was es heißt, wenn eine Mutter für ihren todkranken Sohn bittet. Du kennst nicht das zärtliche, schwankende Gemüt einer Frau, das so leicht und willig in der schönsten menschlichen Empfindung zerschmilzt. Schienen doch deine eigenen traurigen Augen mich um die Lüge anzuflehen. Es ist nicht gut und bringt keinen Segen, daß wir Frauen so gern uns opfern, uns der Menschheit so ungestüm als freiwillige Märtyrerinnen aufdrängen. Vergib mir!

Liebe war das Leben, zu dem allein deine sterbende Seele sich hindrängte. – Liebe glaubtest du gefunden zu haben. Zuweilen zweifeltest du; aber immer wieder wußte ich dich zu beruhigen: zu belügen. Zuweilen schrecktest du auf aus deinem Traum; aber immer wieder wußte ich dich einzuschläfern: zu betäuben. Einmal die große Schuld begonnen, mußte ich sie vollenden. Es ist gut, daß du nicht weißt, wie ich gelitten habe.

Laß mich's an deinem Sarg aussprechen. Wie ein stolzer Mann durch das Mitleid einer Frau beschimpft und beleidigt wird, so geschieht das der Frau, hat sich diese nicht aus Liebe zur Gattin gegeben. Du, dessen Seele groß war, hättest es gewiß verstanden und mit mir Mitleid gehabt. Was sage ich: Mitleid? Du hättest es nicht geduldet. Du hättest mich von dir gewiesen und wärest in der Hoheit deiner Entsagung gestorben.

Hier stehe ich, lege meine Hand auf deinen Sarg und mir ist, als würde ich dir erst jetzt vermählt, als würde ich erst jetzt dein Weib – in der Liebe.

Als deine wahre Witwe verlasse ich dich. Von dir fort gehe ich in das Leben hinaus, das von diesem Augenblick an eine Trennung von dir sein wird. Ich schwöre dir nichts, ich gelobe dir nichts: weiß ich doch, daß du das nicht von mir willst. Nur das eine laß mich dir sagen: Bin ich auch nur deine Schwester gewesen, so will ich doch an dich denken, als hätte ich dir Kinder geboren.

Lebe Wohl. Du wirst schlafen, aber nicht träumen. Und solltest du einmal erwachen, so wird in dem erschlossenen Himmel, wo du keine Fürstenkrone trägst, sondern die Palme der Menschheit, der Gatte die Gattin finden.

 

Am Morgen verabschiedete ich mich von der Fürstin. Gern hätte ich mich an ihre Brust geworfen: Umarme die Witwe deines Sohnes; denn jetzt – erst bin ich das. Aber außer der Majestät der trauernden Mutter umkleidete sie der ganze Pomp der trauernden Fürstin, so daß sie mich, die der Tote am meisten geliebt hatte, empfing, als erteile sie mir eine Audienz. Sie redete mich »Baronesse« an und ich küßte ihre Hand. Darauf teilte ich ihr mit, daß ich entschlossen sei, mich auf das Schloß zurückzuziehen, welches mir mein Gemahl zum Witwensitz bestimmt. Noch den Tag vorher hatte ich im Sinne gehabt, das Vermächtnis abzulehnen.

Mein Vorhaben wurde von der hohen Frau gebilligt; dann empfing ich noch in ihrer Gegenwart den Adjutanten des Königs, der mir das Beileid Seiner Majestät auszudrücken hatte.

Als die Türe sich hinter mir schloß, brauchte mir keiner zu sagen, daß ich von nun an für jene Welt nicht mehr existierte.

Auf einer anderen Straße, als der Trauerzug sie nahm, entfernte ich mich von der Grenze. Aber auch zu meinem Weg hinüber tönten die Kirchenglocken, die in allen Dörfern geläutet wurden, durch welche der Zug kam. Jene Empfindung, die ich schon einmal am Grabe der Tragödin gehabt, überschlich mich von neuem: dort trauert ein ganzes Land um ihn und hier bin ich, einsam und unbekannt, in deren Armen er starb, durch die er starb.

Ich lag in die Kissen des geschlossenen Wagens gedrückt und sah in den sonnigen Junimorgen hinaus. Diese Wiesen standen voller Blumen, die Landleute mähten.

Das Leben tut es auch nicht anders! Lang bevor es Herbst geworden, schreitet der blasse Schnitter dahin, mäht und mäht. Und es sind so viele Blumen darunter. Andere erstarren im frühen Frost, verdorren in heißer Sonnenglut, oder werden zertreten.

Ich ließ sehr langsam fahren. War mir's doch bei dem Glockengeläut, als ob ich noch immer dem Toten folge. Da vernahm ich das Rollen eines Wagens hinter uns. Schnell kam es nah und näher. Der Kutscher wurde angerufen, der Wagen hielt – noch einen Augenblick und ich wurde von den teuersten Armen umfaßt, ich hielt die treuesten Hände in den meinen.

Sie wußten, was mir not tat, beide wußten es.

Meine Mutter saß neben mir, er mir gegenüber und ich erzählte ihnen, nichts verschweigend, auch nicht seine letzten Worte, seinen letzten Blick.

Am Abend des zweiten Tages unserer Fahrt tauchte das Schloß vor uns auf. Wir näherten uns demselben vom Gebirge her und überblickten es von einer Höhe mit allen seinen Wäldern und Fluren.

Von der höchsten Zinne wehte eine lange Trauerfahne herab. Still zog ich ein, wo sie mich einst an der Seite meines jungen Gatten mit Musik und Jubel empfangen hatten. Ehe ich das Schloß betrat, suchte ich, allein von seinem Geiste begleitet, alle die Plätze auf, wo er an meine Lüge geglaubt hatte und glücklich gewesen war. An jedem Orte flüsterte ich: Vergib mir!

Dann sah ich auf der Terrasse dem Sonnenuntergang zu, welcher über die Residenz, die heute seinen Leichnam empfangen, einen Baldachin von Purpur und Gold breitete.

Sie rückte und wich.

 


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