Friedrich Theodor Fischer
Lyrische Gänge
Friedrich Theodor Fischer

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Dem Ende zu.

An meine Wanduhr.

                   

    Schwarzwaldtochter, gute, alte,
Gelt, wir kennen uns schon lange?
Haben redlich miteinander
In gesetzter Kameradschaft
Manches Jährchen ausgehalten.
Gute Zeiten, schlimme Zeiten
Haben wir verlebt zusammen.

    Und die schlimmste war von allen,
Als es soweit kommen mußte,
Daß wir ordentliche Freunde
Unter uns beinah' zerfielen.
Damals war es, als du draußen
In dem Hausgang dunkel hiengest
Und ich deines Pendels Picken
Fast nicht mehr ertragen konnte.
Weil die Stunden, die er zählte,
Stunden waren, wie Verdammte
In der Hölle Schlund sie zählen,
Damals, als ich nur mit Seufzern,
Schwer aus tiefer Brust geholten,
Ueber meine eigne Schwelle,
In des eignen Hauses Räume
Trat und als der Schritt zum Grabe
Leichter mir denn Heimkehr däuchte.

    Eines Tages aber glaubt' ich
Aus dem schläfrigen Genicke
Ein bekanntes, oft geles'nes
Dichterwort herauszuhören,
Das da heißt: die Stunde rinnt auch
Durch den rauh'sten Tag. Von da an
Sind wir wieder Freunde worden,
Und nachdem der Tage rauh'ster
Von dem Pendel war durchschwungen,
Hab' ich dich verpackt, in andre
Lande dich mit mir genommen
Und von da an, gute Alte,
Sind wir nun allein beisammen,
In der Stube, nicht im Hausgang
Hängst du, mußt sie nicht mehr sehen,
Der zulieb man dich verdrängte,
Jene Standuhr, jene eitle
Aufgeblasene Französin
Mit dem schlenkrigen, geschweiften
Zierrath, der in Golde flunkert,
Mit dem Schäferknaben drüber,
Dem empfindsam widrig süßen.
Jenes wälsche Prunkgebilde
Hast du immerdar, ich weiß es,
In der Seele Grund verachtet,
Und ich kann dir's nicht verargen.

    Tik, Tak, Tak, Tik, Tik, Tak, Tak, Tik!
Und so weiter und so weiter.
Oft auch klingt's, als wären' s Worte:
»Zeit ist Zeit und Zeit ist Zeit und
Nichts als Zeit« – O du gesunde
Trockenheit, du wasserklare
Nüchternheit! Beschwichtigender
Mohnsaft der gediegnen, guten
Langen Weile, der da wohnet
In dem immer, immer gleichen
Brunnenrohrgeplauderartig
Steten Messingpendelgange!
Was ich dir verdanke, weißt du.
Wenn ich einmal je versäume –
Es geschieht, bezeug' es, selten –
Die Gewichte aufzuziehen,
Und du bleibst auf einmal stehen,
So erschreck' ich just als fiel' ich
Aus der Zeit und ihrem Gleichfluß
In die Ewigkeit hinunter, –
Nicht die Ewigkeit des Himmels,
Nein, die Ewigkeit der Qualen,
In des Abgrunds Feuerofen,
Wo gluthaugige Dämonen,
Wo die Larven unsrer eignen
Menschenbrust entkettet hausen
Und sich selbst die Flammen schüren.
Ja, wie grausig geisterhafter
Lärm erscheint mir dann die Stille,
Wenn der Zeiten ich muß denken,
Wo ich, deines Raths vergessend,
Takt zu halten, Takt zu halten,
In das Chaos, in die wilden
Rhythmuslosen Wirbel stürzte.

    Ab und zu – nimm mir's nicht übel,
Meine gute, liebe Base! –
Hast du freilich auch Momente,
Wo der Eifer dich verleitet,
Eine Regel, die zum Takte
Doch auch billig wird gerechnet,
Vorschnell außer Acht zu lassen:
Wenn man spricht und wenn man mitten
Im Zusammenhang der Rede
Sich befindet und der Worte
Wichtigstes zu sagen ansetzt,
Fängst du an dich laut zu räuspern
Mit des Warntons Radgeschnurre
Und zerhaust mit deinem Schlage
Feinen Wortgewebes Faden.
Doch ich hab' nach kurzem Aerger,
Etwa einem derben Fluche
Dir's noch allemal verziehen,
Wohlerwägend, daß du eine
Frau bist und die Frauen alle
Doch nur äußerst ausnahmsweise
Warten können, bis der Andre,
Bis ihr Mitmensch ausgeredet; –
Welcher Punkt Geduld erfordert.

    Hast auch Zeiten miterlebet,
Die im Stande schon gewesen,
Nerven selbst von Stahl und Messing
Aufzuregen, ja bisweilen
Wirklich aus dem Takt zu bringen:
Zeit des Jahres acht und vierzig,
Als wir alle trunken waren,
Deutschen Parlamentes Wirren,
Niedergang der schönen Hoffnung,
Blinder Aufruhr, Sieg der alten
Ausgelebten traur'gen Mißform,
Die man deutschen Bund benamste,
Und die Jahre, wo herunter
Eine Last von Blei sich senkte
Und auf's Neue das zerspaltne
Deutschland zum Gelächter wurde
Für die Völker aller Zonen.
Endlich regt sich's in den Lüften,
Ostseewogen hört man rauschen,
Alte Sagen klingen wieder
Ferneher von Nordlandsrecken,
An dem Fuß der Düpplerschanzen
Blitzt ein Wald von Bajonetten,
Stürmt hinan und holt sich droben
Die begrab'ne deutsche Ehre. –
Aber ach, bald ward es wieder
Schwül und dunkel und, ich weiß noch,
Eines Tages war's, als bebtest
Du im Fieber, unbegreiflich
Bliebst du dann auf einmal stehen
Und am Abend, blutumwittert,
Kam die Kunde von Sadowa. –
Doch wie anders, anders war es
Uns an einem andere Tage,
Sonnigen Septembermorgen.
O wie war es uns zu Muthe,
Als du eben zehn Uhr schlugest
Und ein Freund zu mir in's Zimmer
Kam gestürzt und mit Verwundern
Mich am Schreibtisch ruhig sitzend
Fand und rief: Bist taub geworden?
Hörst das Laufen nicht und Rufen,
Nicht den hellen Jubel draußen?
Auf dem Kirchplatz, auf dem Markte
Wechseln Chöre und Fanfaren,
Fahnen flattern von den Giebeln!
Eingekreist von unsrem Heere
Wie bei einem Kesseltreiben
Hat der wälsche Lügenkaiser
Ausgeliefert seinen Degen!
Deutschland lebt, ist auferstanden!

    Aber nach den großen Zeiten
Kam es wieder trüb und trüber,
Wußte nicht, warum du so viel
Neigung spürest, nachzugehen,
Wie ich auch des Pendels Scheibe
Sorglich aufwärts schieben mochte.
Sumpfluft wehte durch die Fenster,
Aufgebrodelt aus dem Schlamme,
Aus dem Pfuhl, worin die Seele
Unsers Volks, die angefaulte,
Von den Siegen dumpf berauschte,
Thierisch wühlend sich gebettet;
Und vergällt war uns der reine
Feuerwein des Hochgefühles
Und der vollen Purpurrose
Duft war hin, als wär' darüber
Eine Wanze hergekrochen,
Und zu Ekel ward die Freude. –

    Wird es besser? Wollen's hoffen,
Wollen's glauben! Ach, wir werden
Die Genesung kaum erleben,
Denn vergiftete Gewissen
Brauchen Zeit, sich auszuheilen. –
Etwas heiser, gute Alte?
Ja, so starker Wetterwechsel,
Auch der letzte harte Winter,
Neben dir der heiße Ofen,
Die Erhitzung, die Vertrocknung
Deines Lebensöls, darauf dann
Unausbleiblich die Verkältung –
Ich begreif' es und in deine
Katarrhalischen Gefühle
Kann ich mich verständnisinnig
Theilnahmvoll hineinversetzen.
Warte nur, wir werden sorgen,
Denn es wird ja bald von Schramberg
Wohl dein Landsmann wieder kommen,
Weißt, der wackre Uhren-Jakob,
Der dich schon einmal kurirte,
Den du mehr als die gelehrten
Großstadtärzte liebst und achtest.

    Wie, Du schnurrst? Du rasselst? Warnest?
Richtig, ja die mitternächt'ge
Stunde weiset schon der Zeiger,
Ueber unsrem Zwiegespräche
Ist sie mit den Geistertritten
Unbemerkt herangeschlichen.
Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben,
Achte, neune, zehne, eilfe –
Was? nicht weiter? eilf nur schlägst du?
So zerstreut? Ei, ei, was treibst du?
Das ist stark, das hätt' ich wirklich
Nicht von dir erwartet, Alte!
Hätte gute Lust, zur Strafe
Heute dich nicht aufzuziehen –

    Aber halt! Nein, nein. Ich ahne,
Es ist gut gemeint, du willst mir,
Wie im Spiel man etwa vorgibt.
Wie der Kaufmann einem Kinde
Etlich Feigen oder Mandeln
Zu der Waare in die Hand legt,
Wie das Schaltjahr einen Tag uns,
Einen übrigen vergönne,
Willst mir so ein Stündchen schenken,
Zuwagstündchen, Gratisstündchen,
Unverhofftes Urlanbstündchen,
Prolongirung der Vakanzzeit,
Ausnahmsweisen Thorschluß-Aufschub.
Danke! Danke! Und ich will es
Mit Gemächlichkeit genießen!
Ja, wir wollen's miteinander
Noch ein Stündchen weiter treiben,
Wollen uns die dreingegebne
Spanne Zeit noch schmecken lassen
Und beim Thorschluß nicht erblassen.
Dir versprech' ich: eh' es schnarret,
Eh' die Angel ächzt und knarret,
Eh' in's Schloß die Flügel fallen,
Dich für deine langen, treuen,
Unverdroßnen, alten, neuen
Dienste werd' ich neben allen
Andern Freunden, guten, lieben,
Durch Vergessen nicht betrüben.
Vielmehr sogleich sitz' ich nieder,
Um mit festen Federzügen
Testamentlich zu verfügen,
Daß nach mir des Hauses Glieder
Immerdar dich sollen ehren.
Und, wenn einst in späten Tagen
Deine Kräfte dir versagen,
Dir das Gnadenbrod gewähren:
Sollen nimmer dich dem schnöden
Auswurfplunder, dem gemeinen
Alten Eisen zu vereinen
Sinn- und herzlos sich entblöden.

    Oder halt! ein bessrer Wille!
In demselben Augenblicke,
Wo ich nicke, wo ich knicke,
Stelle man den Pendel stille!
Statt in Rumpelkammerwildniß
Sollst du an der Wand dort hangen
Bei dem Bild mit vollen Wangen,
Meinem alten Knabenbildniß.
Wird ein später Enkel deuten
Nach der stummen Uhr und fragen,
Was sie schweigend will besagen,
Mag der Vater, der die Zeiten
Kennt, und wär' es nur vom Lesen,
Melden, was in Mannesjahren
Der dort Alles hat erfahren,
Wie es dazumal gewesen,
Was für Stunden ihm gezeiget
Und geschlagen hat im Leben
Einst die Schwarzwald-Uhr daneben.
Und der Enkel sinnt und schweiget.


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