Friedrich Theodor Fischer
Lyrische Gänge
Friedrich Theodor Fischer

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An das Mitleid.

                       

    Dich, der schaffenden Gottheit,
Nachgeborne bessere Schwester,
Mitleid, dich will ich preisen!

    Unergründlich an Geist ist jene,
An gestaltenzeugender Bildnerkraft,
Unergründlich an Grausamkeit;
Auf Wechselfolter und Wechselmord
Hat sie die strotzende, lebenstrunkne,
Jauchzende Schöpfung angelegt
Und als Meister in Mord und Folter
Obenauf den Menschen gesetzt.

    Die Schwester, da sie es werden sah,
Legte das Haupt ihr an den Busen,
Den marmorgleichen, und flehte, flehte.
Kein Wort, kein Hauch, kein Blick
Sprach von Erhörung. Sie wandte sich ab
Und seufze und schwieg und rührte die breiten
Silberschwingen und schwebte nieder,
Nieder zur Erde;
Himmlischen Balsams ein Gefäß
Trug sie sorgsam in weicher Hand.

    Als sie der Erde näher kam,
Wuchs an ihr Ohr eine Welt von Tönen,
Wie sie des Sterblichen eingeschränkte
Hörkraft nimmer und nie vernimmt.
Auch die Schaar der armen Geschöpfe,
Denen der Laut der Klage versagt ist:
Das edle Roß, das in Jugendfeuer
Stolz und wiehernd den Reiter trägt
Und im Alter langsam zu Tod gequält wird,
Weil es unter des Treibers Hieben
Den Schmerz in die Luft nicht heulen kann,
Der Wurm im Grase, der Schmetterling,
Der Fisch und die winzigen Thierchen all
Im Reich des Wassers, der Luft, der Erde –:
Ihrem Gehör, dem geisterfeinen,
Schwiegen alle die Stummen nicht;
Aber die andern, denen die Klage,
Denen der arme Trost gegönnt ist,
In Lauten zu sagen, was sie leiden:
Auch ihr leisestes Weh und Ach,
Auch das gepreßte, das halb erstickte
Stöhnen der wunden, tödtlich gekränkten
Menschenseele, Alles vernahm sie
Und Alles, wie fern es mochte verhallen,
Klang ihr, als tönt' es in nächster Nähe.

    Und nun – kein Wort hat die Sprache dafür,
Welch' ein Lärm, aus jeglichem Ton
Des Jammers gehäuft, aus Schluchzen und Aechzen,
Aus Wimmern, aus wildem Schrei und Gebrüll,
Aus markdurchbohrendem, dumpfem O!
Aufschlug an die Pforten ihres Fühlens,
Erdrückend mit grauser Uebermacht
Die Stimmen der Freude, die Jubelrufe
Aus den Kehlen beglückter Wesen.
Ihr war, als müßte krachend
Zerbersten das eherne Himmelsgewölbe.

    Ein Seufzer entrang sich ihren Lippen,
Nicht laut auftönend, aber so grundtief
Aus der zerrissnen Seele geholt,
Daß er durch all das Qualengeheul
Wie geschliffner Stahl hindurchschnitt
Und hinaus in die Weite des Weltalls drang.

    Sie sank zu Boden, sie lag wie todt.
Langsam kehrte ihr göttliches Selbst
Zu sich zurück. Sie raffte sich auf.
Entschlossen stand sie und sprach die Worte:
»Wenig, wenig vermag das Mitleid
In der also bestellten Welt:
Aber dieß Wenige ist nicht Nichts.
Ich will es thun. Nicht feig will ich sein,
Will hören lernen die fürchterlichen
Chöre des Jammers, schauen lernen
In die klaffenden grausen Wunden,
Und nimmer wanken und nimmer weichen!«
Sie ergriff das entglittene Balsamgefäß,
Mit nervigem Schritte ging sie fürbaß
Mitten hinein in des Lebens Schlachtfeld.

    O himmlischer Geist, verlaß uns nicht!
Weile, weile im Thal der Qualen,
Im Thale der Seufzer und des Stöhnens!
Deines Balsams göttlichen Heilsaft
Geuß in die Wunden! Lege die weiche,
Sanfte Hand an die kranken Herzen,
Auf des Leidenden eiskalt feuchte Stirne!
Der Blick des Dankes, der bleiche Strahl
Aus weinenden Augen sei dir Stärkung!
Dir werde zu Muth, als hättest du selbst dich
In unendlichem Weh gelabt und geheilt!
Auch sie vergiß'st du – ich weiß es – nicht,
Die mißhandelte, seufzende Kreatur,
Die mit Worten nicht danken kann!
Auch ihr dumpferes Auge vermag es,
Blicke des Dankes emporzurichten
Zu der helfenden Liebe mildem Antlitz.
Walte, walte im dunklen Leben!
Du waltest, o, du ermüdest nicht!
Durch schwüle, dampfende Todesschatten
Erblick ich deine reine Gestalt,
Schimmernd in bläulichem Lichte schwebt sie
Geschäftig dahin und neigt sich nieder,
Wo ein verwundetes Wesen schmachtet,
Und beugt sich über und flüstert leise
Worte des Trostes und lindert und heilt.


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