Friedrich Theodor Fischer
Lyrische Gänge
Friedrich Theodor Fischer

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Prolog

für das Konzert des Kaufmännischen Vereins in Frankfurt am Main
am 31. Januar 1883, zum Besten der Ueberschwemmten des Rheinthales.

               

Uraltes Gut, der Wärme Quell, das Feuer,
Zum Drachen wird's in losgelass'ner Wut:
Graunhafter noch, ein schlingend Ungeheuer,
Tobt breit umher des Wassers hohe Fluth,
Noch banger blickt, hilfloser noch und scheuer
Der Mensch aus des bedrohten Obdachs Hut,
Wenn, angekündigt von des Donners Schlägen,
Sich endlos, endlos Regen drängt auf Regen.

Das Bächlein wird zum Bach, der Bach zum Flusse,
Der Fluß zum Strom, der Strom zum weiten Meer,
Erst leis, dann lauter in gehäuftem Gusse
Schwillt an und rauscht das graue Wellenheer,
Dumpf murrend nagt es an des Damms Verschlusse,
Schlägt an der Brücke Pfeiler, an das Wehr.
Es brüllt. Ein Wasserriese ruft dem andern:
Laß uns vereint zum wilden Ansturm wandern!

Es kracht; es bricht das Wehr, der Damm, die Brücke,
Schon in des Dorfes Gassen dringt der Schwall,
Reißt in den Stadtwall eine breite Lücke,
Des Hauses Mauer weicht dem Stoß und Prall,
Der Giebel wankt, er senkt sich, fährt in Stücke,
Aufschäumend grüßt die Woge seinen Fall,
Zum Himmel schreit aus halbzerriss'nen Kammern
Ein hilfeflehend, herzdurchschneidend Jammern.

Vom Haus zu Stall und Scheune fortgetragen
Rückt, schiebt und drückt der dichte Wogentroß,
Bang blöckt das Lamm, dumpf brüllend hebt ein Klagen
Das Rind, des Landmanns folgsamer Genoß;
Wer hilft mir? scheint in Todesangst zu fragen,
Die Kette zerrend, das gebundne Roß. –
Des Jahres Fleiß, mit ems'ger Hand geschichtet,
Die junge Saat verschwemmt, zerwühlt, vernichtet!

Doch Hab und Gut, wer wird's nicht gerne geben,
Roß, Rind und Lamm und Saat und Schrein und Haus,
Ach, für ein einz'ges theures Menschenleben! –
Weh! Menschenopfer dort im Wogengraus!
Seht, wie sie ringen! Eitles Widerstreben! –
Das Kindlein in der Wiege reißt's hinaus –
Es lebt. Die Mutter mit gekrampften Händen
Hängt todt an seines kleinen Fahrzeugs Wänden.

Nicht fehlt das brave, hilfbereite Wollen,
Wer nur die Hände frei hat, stürzt heran
Zum Liebesdienst, den Brüder Brüdern zollen,
Die Leiter steigt, beflügelt eilt der Kahn;
Doch wenn so hoch das Ungethüm gequollen,
Mit all dem Thun wie wenig ist gethan!
Ja, wer dem Feind ein Herz verleihen könnte!
Doch Mitleid kennen nicht die Elemente. – –

Gewichen sind der Wassergeister Horden,
Vollzogen ist, was ihre Wuth gedroht.
Es ist geschehen. Stille ist's geworden.
Oed liegt das Schlachtfeld, eisig, wüst und todt.
Der Rabe krächzt. – Vorüber ist das Morden,
Geblieben ist der Hunger und die Noth. –
Wir sind verschont von all dem Graus und Leide,
Wir sitzen warm im warmen Haus und Kleide. –

Es schwebt ein Geist – mir dünkt es, ihn zu sehen, –
Er neigt sein Haupt, sein Antlitz mild und bleich,
Er schwebt heran aus unbekannten Höhen
In's Erdenthal, an Lust und Schmerzen reich,
Ich höre ferner Schwingen leises Wehen,
Wehmüthig blickt er, gütevoll und weich,
Aus seinen Augen seh ich Thränen rinnen,
Er nickt und segnet, was wir ernst beginnen.

O Genius des Mitleids! Uns zu lenken,
Durchdring' uns ganz mit deinem sanften Hauch!
Mitleid heißt tief und inniglich gedenken:
Auch ich bin Mensch, auf meinen Scheitel auch
Kann jeden Tag des Jammers Wucht sich senken,
Wir alle bau'n auf Wasser, Luft und Rauch.
Laß uns mit Andacht, heilig reines Wesen,
Dieß Wort in deinem feuchten Blicke lesen!

Es sei die Kunst, es sei der Reiz der Töne,
Der heute sagt, was in dem Busen lebt.
Du weißt: kein eitles Spiel. Das ächte Schöne
Kommt hoch wie du vom Himmel hergeschwebt;
Eins fühlen sich der Erdenmutter Söhne,
Wenn sie des Einklangs heil'ge Macht durchbebt.
Mag er uns heut, wenn seine Wellen zittern,
In der Gemüther tiefsten Grund erschüttern!

Der Dichter auch sei uns zum Gast erkoren!
Die Ton- und Dichtkunst sind ja Schwesternblut.
Er, den der Welt die Stadt am Main geboren,
Er leih' uns seiner Seele reine Gluth!
Sein goldnes Wort, es sei uns unverloren:
O Mensch, sei edel, hilfreich sei und gut!
Blind walten der Natur verhüllte Mächte,
Du schaffe frei und nimmer müd das Rechte!

Schwer wandeln wir auf nächtlich irren Bahnen.
Wo ist ein Führer, wo ein Leitestern?
Das Edle, schreib' es auf der Menschheit Fahnen,
Gieb, heile, stütze, fördre, diene gern!
Das Göttliche, das wir in Ehrfurcht ahnen
In dunklem Bild hoch über uns und fern,
Tritt leuchtend vor aus seines Schleiers Falten,
Wird Gegenwart in jedem guten Walten.


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