Ludwig Thoma
Altaich
Ludwig Thoma

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Schnaase stand am Bachrande und horchte ängstlich.

Der Sturmwind rauschte so stark in den Baumkronen, daß er nicht merken konnte, wie sich die Stimmen entfernten, und er blieb lange in seinem Versteck, und wenn sich die Zweige heftiger bewegten, fuhr er erschrocken zusammen und glaubte, der zornige Vater breche durchs Gebüsch, um ihn zu suchen. Seinen Hut hatte er beim Sprunge verloren, und der Platzregen peitschte sein kahles Haupt.

In den rechten Schuh war schlammiges Wasser eingedrungen; bald klebten ihm Rock und Hose patschnaß am Körper, und dabei wagte er es noch immer nicht, sich zu rühren. Endlich kletterte er vorsichtig die Böschung hinauf, glitt aus, hielt sich am Gesträuch fest und zwängte sich durch. Wieder horchte er und überzeugte sich, daß der Dammweg frei war. Zurückgehen hieß dem Feinde in die Hände laufen; er mußte an der Mühle vorbei, um den Ort herum einen großen Umweg machen.

Bei dem Wetter!

Seufzend tappte er vorwärts. Es war so finster, daß man die Hand nicht vor den Augen sah, und der Regen fiel ihn wütend von hinten an und weichte ihm den Hemdkragen durch.

Hoppla! Ein Ast fuhr ihm unsanft über die Glatze.

Und immer so weiter in die dustre Nacht hinein, und nich Weg und Steg wissen?

Nee! Da war's am Ende doch klüger, umzukehren und sich am Hause des Schlossermeisters vorbeizudrücken.

Er blieb aufatmend stehen. Das Regenwasser lief ihm unterm Kragen den Rücken hinunter, und dabei schwitzte er vor Aufregung.

Ein Blitzstrahl beleuchtete taghell den Weg.

Da war ja ne Brücke! Und von drüben her blinkte Licht hinter ein paar Fenstern.

Das war doch die Mühle, wo er damals war; wo er die Eltern von dem jungen Menschen besucht hatte.

Gott sei's getrommelt und gepfiffen! Dort konnte er unterstehen. Die Leute waren doch nett gewesen, und man hatte sich gut verstanden.

Schnaase tastete sich am Geländer über den Steg, ging auf das Licht zu, stolperte über Baumscheiben und stand endlich vor der Haustüre, die verschlossen war.

Er klopfte.

Frau Margaret kam gerade aus der Küche und hörte es.

»Wer is da?«

»Ich bin's.«

»Wer?«

»Rentier Schnaase aus Berlin. Bitte, lassen Sie mich nur 'n Momang unterstehen!«

Margaret öffnete und sah mit herzlichem Mitleid den barhäuptigen, ganz aus dem Leim gegangenen Mann vor sich stehen.

Das Wasser lief an ihm herunter und rann über den Fußboden.

»Mahlzeit, verehrte Frau Oßwald! Sie wer'n sich denken...«

»Is Ihnen was passiert?«

»Nee, das heißt: ja. Ich bin so'n bißchen aus der Fassong geraten, wie Sie sehen. Ich wollte meinen gewohnten Abendbummel machen, und denn kam das heillose Wetter... hören Se nur, wie's plantscht!«

»Aber so können S' doch net bleib'n in die nass'n Kleider! Martin!«

Die Türe der Wohnstube ging auf, und Konrad kam heraus. Die Mutter ließ ihm keine Zeit zum Fragen.

»Führ an Herrn Schnaase zu dir nauf und gib ihm was zum Anzieh'n. So dürfen S' net bleib'n, da müßten S' ja krank wer'n!«

»Sie sind zu liebenswürdig, aber das kann ich doch nich annehmen...«

»Na... na... gehen S' no gleich nauf und ziehen S' was Trockens an!«

Im Zimmer oben erzählte Schnaase dem teilnehmenden jungen Manne, wie er nach seiner Gewohnheit abends noch 'n bißchen ins Freie ging, und wie er das drohende Gewitter nich weiter beachtete, und plötzlich, wie er schon weit außen in den Feldern war, ging's los, aber nich zu knapp! Und denn Nacht un Dunkelheit, da kam er vom Wege ab. »'n wahres Glück, daß es nich hagelte. Denken Se sich, ohne Hut! Den hatte der Wind genommen, bei dem Feldkreuz, in der Nähe, und denn ging's druff, Donnerkiel! Na, weil ich nur unter Dach un Fach bin. Hören Se mal, Ihre Mutter is aber wirklich ne famose Frau! So was Liebenswürdiges! Und daß Sie mir nun trockne Kleider geben, das is alles mögliche... so... na, die Hose is'n bißchen knapp. Mit den Jahren kommt das Ambopoäng... Wie ich so alt war wie Sie, war ich schlank wie ne Tanne... ah! Und frische Socken! Das is 'n großartiges Gefühl... das kennt nu allerdings der große Erotiker nich... Verkehren Se übrigens viel mit dem Schenie?«

»Mit wem?«

»Na, mit dem Menschen mit den Kulleroogen, der sich hier fälschlicherweise als Dichter ausgibt. Is nämlich gar keener, kann ich Ihnen nur sagen. Meine Frau hat ihn protegiert, weil se alles, was nach Literatur riecht, protegieren muß... aber ich wer' den Schieber rausschmeißen... Sind Se froh, wenn Se ihn nich kennen... So... Nu den Rock. Zuknöppen kann ich 'n nich... meine Frau wird kieken, wenn ich in den Kledaschen ankomme...«

»Sie müss'n noch wart'n, Herr Schnaase, bis der Regen aufhört.«

»Ja? Karline wird sich allerdings ängstigen... aber es gießt immer noch wie mit Kannen.«

Sie gingen in die Wohnstube, wo Herr Schnaase seine Erlebnisse auf freiem Felde mitten im entfesselten Sturme schilderte, mit stärkeren Worten, als sie Michel, der rauchend in einer Ecke saß und zuhörte, all sein Lebtag für die grimmigsten Taifuns gefunden hatte.

Der Regen ließ nach, und Konrad erbot sich, den Gast auf dem kürzesten Wege über die Sattlerstiege heimzuführen.

Schnaase nahm die Freundlichkeit gerne an und verabschiedete sich wortreich von den braven Leuten.

»Da wären wir nu glücklich«, sagte er aufatmend zu Konrad, als sie auf den Marktplatz kamen und die gastfreundliche Laterne der Post sahen.

»Sie haben mir einen großen Dienst erwiesen, nee wirklich! Und so was vergesse ich nich, und wenn Se mal nach Berlin kommen und irgendwie, es kann ja mal vorkommen, in ne Situation geraten, dann wenden Se sich vertrauensvoll an mich! Das verlange ich ganz einfach von Ihnen.«

Er schüttelte dem jungen Manne väterlich die Hand und schritt, aus so dringenden Gefahren gerettet, sehr erleichtert, sehr gehoben, dem Eingange der Post zu.

Freilich, oben im Schlafzimmer brannte Licht, und das bewies, daß man ihn erwartete; vermutlich mit einer Mischung von Angst und Empörung, und er sah ein strenges Examen voraus.

Aber das konnte Gustav Schnaase nicht erschrecken. Was Examina anlangte und forschende Fragen, da konnte ihm nichts Schlimmes passieren. Da war er gefeit, denn im Schildern, Ausmalen und Erfinden tat es ihm keiner zuvor.

Von Stine erfuhr er schon an der Türe, daß seine Frau Herzkrämpfe habe.

Das Mädchen sah ihn seltsam an. War's wegen des Anzugs – – oder?

Na, wenn Stine schon was wußte, würde sie nicht petzen. Dagegen gab's Mittel.

»So... so... Herzkrämpfe?«

Das war das stärkste Hausmittel, um ihn zu zerschmettern, aber es war nicht mehr neu.

Er schlich sich auf den Zehenspitzen ans Bett. Karoline sah starr zur Decke empor und stöhnte; eine Hand hatte sie an die Herzgrube gepreßt, mit der andern krallte sie über die Decke, um ihre Schmerzen anzudeuten.

»Karlineken!« flüsterte Schnaase.

Die Kranke verriet durch keine Bewegung, daß sie sein Kommen bemerkt hatte.

»Warum haste keinen heißen Umschlag? Das ist doch immer das Beste! Henny könnte es wirklich wissen. Stine!«

»Laß das!« sagte Frau Schnaase knapp und bestimmt.

»Na, wenn du nich willst, aber du weißt doch, der Arzt hat dir heiße Umschläge empfohlen. Ist dir schon etwas besser?«

Keine Antwort.

Er setzte sich auf einen Stuhl ans Bettende und drehte die Daumen übereinander. Mal vorwärts, mal rückwärts.

»Tja... ja...«, sagte er.

Ein starkes Verlangen nach einem Glase Bier und einer Zigarre überfiel ihn.

»Hör mal, Karline, es is doch besser, ich schicke dir Stine mit 'n heißen Umschlag...«

Keine Antwort.

»Außerdem«, sagte Schnaase, »muß ich was zu mir nehmen. Ich bin total erschöpft...«

Die Kranke wandte sich fast ungestüm gegen ihn.

»Das sähe dir ja ähnlich, diese Rücksichtslosigkeit. Nicht genug, daß du mich in die tödlichste Angst versetzt hast, willst du nu wieder gehen und kneipen...«

»Na! Denn nich...«

Er fiel auf seinen Stuhl zurück und mußte ein paarmal heftig niesen.

»Da haben wir die Bescherung. Ich krieg'n Schnuppen.«

Karoline fühlte kein Mitleid. Sie sagte ohne krankhafte Schwäche im Tone:

»Ich reise morgen ab.«

»Wie meinste?«

»Ich reise morgen ab.«

»Schön. Ich habe doch nischt dagegen. Reisen wir eben. Hoffentlich hast du dich bis morgen so weit erholt...«

»Auf meine Gesundheit hast du wohl noch nie Rücksicht genommen. Aber... wie siehst du denn aus?«

Sie musterte mit entsetzten Blicken den fremden Anzug, der die Fülle ihres Mannes zusammengepreßt hielt.

»Wie man eben aussieht, wenn man auf freiem Felde vom Gewitter überrascht wird, und wenn die Blitze rechts und links einschlagen, daß man betäubt is un sich gerade noch in ein fremdes Haus flüchtet und von mitleidigen Menschen 'n trockenen Anzug bekommt. Es waren übrigens die Eltern von dem jungen Maler, und ich muß sagen, sie haben sich tadellos benommen und waren von einer Nettigkeit... Tja... Karline... ich hätte den Tod davon haben können, aber du bist ja nich in der Laune oder nich in der Lage, mich anzuhören, und wenn ich dir sage, daß ich erschöpft bin und was zu mir nehmen muß, denn findest du mich rücksichtslos...«

»Du kannst dir von Stine etwas heraufbringen lassen, denn wieder warten, bis es dir gefällig ist, endlich zu kommen, das fällt mir nich ein. Vielleicht erinnerst du dich, daß ich dir schon beim Abendessen sagte, ich habe mit dir über eine sehr wichtige Angelegenheit zu sprechen?«

»Also, dann rasch 'n Glas Bier und kalte Platte, und ich hätte zu gerne... aber Rauchen kannste wohl nich vertragen?«

»Wie du nur fragen magst! Im Schlafzimmer und wenn ich Herzkrämpfe habe!«

»Immer noch?«

»Du weißt, daß es nich so schnell vorübergeht... ich sollte überhaupt nicht sprechen... aber die Angelegenheit ist so dringend...«

Nachdem Stine Bier und geräucherte Zunge gebracht hatte, erzählte Karoline, daß Tante Jule geschrieben habe, daß Fritz Giesecke um Henny anhalten wolle, und daß Gieseckes einverstanden seien, und daß man sich also entscheiden müsse...

Sie trug das meiste lebhaft und wie eine gesunde Frau vor; nur manchmal dämpfte sie die Stimme und griff sich mit einer schmerzlichen Gebärde ans Herz, um Schnaase nicht ganz von dem Bewußtsein der Schuld abzubringen.

Das war ratsam, denn er aß mit sichtlichem Wohlbehagen.

»Ich bin ganz mit einverstanden«, sagte sie. »Henny auch, und ich denke, du wirst nichts dagegen haben, denn die Partie ist gut, und was noch mehr ist, sie ist passend. Die jungen Leute harmonieren in ihren Neigungen, was ja doch die einzige Gewähr für eine glückliche Ehe bietet...«

Karoline seufzte bei diesen Worten.

»Er hat jedenfalls Pinke«, sagte Schnaase mit vollem Munde. »Un Pinke gibt die richtige Harmonie.«

»Also, wenn du keine Bedenken hast...«

»Nee, hab' ich nich. Im Gegenteil. Fritz is 'n tüchtiger Bengel, un Gieseckes Häuser in der Jakobstraße unterstützen den Antrag. Ich finde auch, es is höchste Zeit, daß mal Ernst wird, denn die zärtlichen Blicke von dem James Dessauer und den andern Ballschmeißern sin mir schon lange über...«

»Es kann noch Schlimmeres an einen herantreten«, sagte Karoline. »Also, dann schicke ich morgen früh 'n Telegramm an Tante Jule, und morgen mittag reisen wir ab...«

»Morgen?«

»Ja. Ich finde, die Sache muß sofort ins reine kommen, und dann – ich habe auch sonst meine Gründe. Abgesehen von deiner Rücksichtslosigkeit...«

»Na, Karlineken, als angehende Schwiegereltern könnten wir ja in dem Punkt mal Frieden schließen. Du hast keine Ahnung, was ich bei dem schauderhaften Wetter zu leiden hatte, sonst wärste froh, daß ich überhaupt noch heimgekommen bin. Und was die Abreise betrifft, – meinswejen. Sie kommt zwar etwas plötzlich, und ich hätte eigentlich Verpflichtungen wegen dem Feez, den wir doch vorhatten...«

»Das kommt wohl nich in Betracht...«

»Lassen wir's schießen und fahren morgen. Wir sind hiehergekommen, weil du es wolltest, und wir gehen, weil du es willst. Und ich muß sagen, der Abschied fällt mir nich schwer...«

Er hatte auch seine besonderen Gründe, aber er erwähnte nichts davon.

»Du sprichst so, als wäre das eine Laune von mir«, sagte Karoline. »Und doch bist du schuld, daß sich die Leute das herausnehmen...«

»Wer – was – herausnehmen?«

»Wenn du immer den Ernst wahren würdest, käme keiner auf die Idee, daß er sich auf Henny Hoffnungen machen darf...«

»Wer macht se?«

»Das ist es ja, daß du's nicht mal siehst! Herr Bünzli hat mir heute ganz unverblümt zu verstehen gegeben...«

»Daß er Henny zu Frau Bünzli machen möchte? Is die Möglichkeit? Und du? Was hast du gesagt?«

»Nichts. So was überhört man...«

»Ich hätt's nich überhört. Hurrjott, daß mir das entgehen konnte! Junger Mann, hätt' ich gesagt, Sie sin an die falsche Adresse gekommen. Für Sie gibt's nischt wie die Tochter von 'nem Strumpfwirker oder von 'nem Trikotagengeschäftsinhaber. Was Ihnen fehlt, hätt' ich gesagt, sind Socken... Und wann, Karoline, hat er den Überfall gemacht?«

»Heute nachmittag... er begleitete mich doch...«

Schnaase pfiff leise durch die Zähne. 'n Seifensieder ging ihm auf.

Also deswegen hatte der Lümmel seine Einfälle liederlich gefunden, weil es ihm mit den soliden Einfällen nich geglückt war?

»So 'n Flegel!« sagte er laut.

»Reg dich nich weiter auf!« sagte Karoline.

»Übrigens hat auch dein Oberleutnant Andeutungen gemacht...«

»Mein is er nich. Und bei dem is es nich Ernst; da is es nur die angebotene österreichische Liebenswürdigkeit.«

»Na... ich weiß nich. Wenn wir noch länger hier wären. Und dann glaubt Henny, daß auch der dritte noch kommen würde, der junge Maler...«

»Das glaub' ich nich. Ich muß sagen, er is 'n netter Mensch, und er hat sich heute famos benommen...«

Karoline zuckte die Achseln.

»Kann man's wissen?«

»Merkwürdig!« sagte Schnaase, als er schon im Bette lag. »Wie Henny auf die Süddeutschen wirkt. Ausgerechnet in dem Nest müssen wir die Flucht ergreifen vor Heiratsanträgen. In Zoppot, wo doch Betrieb war, hab' ich nie was gemerkt. Oder du?«

»Geflirtet hat man dort auch...«

»Eben. Das is es ja! Dort flirten se, und hier gehen se aufs Ganze. Is das nu ernstere Lebensauffassung oder Mangel an Kleingeld? Aber du willst wohl schlafen? Gute Nacht, Karline!«


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