Ludwig Thoma
Altaich
Ludwig Thoma

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Gustav Schnaase war schnell gewonnen, und Natterer begriff zu spät, daß sich's auf einem Throne besser allein als zu dritt sitzt.

Er sah, daß sich die beiden andern sogleich heftig bemühten, ihm das Zepter zu entwinden.

Der Berliner war eine Herrennatur, die keine Ideen neben der ihrigen aufkommen ließ, und die ältere österreichische Kultur war zwar anschmiegender, aber zäh und klebrig.

Es wurde Natterer klar, daß er selbst keine Einfälle mehr zu haben brauchte.

Er mußte vielmehr die sich überstürzenden Vorschläge der Mitregierenden bekämpfen und sein Werk vor unbedachten Neuerungen schützen.

Es war ein tragisches Schicksal für ihn, daß er so mit seinen eigenen Waffen bekämpft wurde und ganz wider seine Natur handeln mußte.

Auch Schnaase wies den Gedanken einer Wahl schroff ab.

»Mumpitz!« sagte er. »Warum soll ich mir von den beiden Münchner Knautschenberjern erst noch 'n Mandat übertragen lassen? Nee! Das machen wir von alleene. Hiemit konstituieren wir uns als Altaicher Fremden-Komitee. Halten Sie mal! Afko... Jawollja. Das is wie Bugra un Bedag. Ganz famos! Also nich wahr: Afko. Das kommt auf Briefbogen, Kuverts, das wird so inseriert. Afko. Das Publikum merkt sich so was leichter, als wenn es heißt: Altaicher Fremden-Komitee...«

»Eine vorziegliche Idee, Herr von Schnaase. Das Wort allein verrät schon die gewisse Routine und erweckt gespannte Erwartungen...«

»Man sagt sich, die Leute sin nich von gestern. Also: Wir bilden hiermit das Dreimänner-Komitee und nehmen die Sache in die Hand. Wir bestimmen die Kurtaxe, wir arrangschieren Feste, Ausflüge, Wasserpartien... Apropos, wir müssen einige Gondeln haben für den See, na, wo wir letzte Woche waren...«

»Sassau, meinen Herr Schnaase?«

»Richtig. Sassauer See. Sagen Sie mal, kann hier jemand Gondeln bauen?«

Natterer, dem es schwül wurde, schüttelte verneinend den Kopf.

»Nich? Aber hören Sie mal, das is doch das erste, wenn ich 'n Wasser in der Nähe habe! Da müssen von irgendwoher Gondeln beschafft werden... Warten Sie mal! Ich kenne 'n Hamburger Reeder, der weiß sicher Bescheid und dem schreibe ich noch heute...«

»Ans Ministerium haben wir noch immer nicht g'schrieben...«

»Ministerium? Was soll ich mit'm Ministerium?«

»Betreff der Umwandlung oder des Einbaues einer Restauration im Kloster...«

»Ach so, richtig. Na, das eilt nich so. Erst mal Gondeln her und...«

»Darf ich mir submissest die Frage erlauben, um welche Restauration es sich handelt?«

»Darauf komme ich noch zu sprechen, Herr Oberleutnant. Es war'n Vorschlag von mir, den ich Ihnen gelegentlich mal mitteilen werde... Was sagte ich eben? Gondeln... Jawoll und Brief nach Hamburg. M. W.!«

»Ich bewundere Sie«, rief Wlazeck. »Gestatten, daß ich Ihnen das unumwunden ausspreche. Aber das is eben das großoartige, preußische Organisationstalent, das uns Österreichern leider föhlt; dieses schnelle sich Entschließen und sofort Eingreifen, nicht lange hin und her. Ich gratuliere uns zu der bedeutenden Kraft, die wir in Ihnen gewonnen haben...«

»Wir werden das Kind schon schaukeln«, sagte Schnaase.

Es war ein Glück, daß dem Afko keine gefüllte Kasse zur Verfügung stand.

Natterer konnte gegen den Ideenhagel einen Schirm aufspannen, indem er die traurige Wahrheit mitteilte, daß man nicht ganz fünfzehn Mark Betriebskapital habe.

Gegen die Einführung einer Kurtaxe sträubte er sich hartnäckig, und Wlazeck unterstützte ihn. »Bidde zu bedenken, Herr von Schnaase, mit wölchen Elementen, daß wir es gegenwärtig zu tun haben. Die zwei Minchner sind erbitterte Gegner derartiger Reformen. Und der Professor? Es wirde uns kaum gelingen, ihm den Begriff Kurtaxe klarzumachen.«

»Aber hören Sie mal, mit fufzehn Reichsmärkern! Damit läßt sich doch nischt anfangen!«

»Ein schwacher Fundus, allerdings! Aber bidde, Herr von Schnaase, sollen wir vielleicht diesen sogenannten Dichter besteiern? Schenken wir ihm doch lieber Strimpfe im Interesse des Ansehens unseres Kurortes! Ich habe die Bemärkung gemacht, daß er keine anhat. Das soll wahrscheinlich Bohämm sein...«

Natterer beschwichtigte, wehrte ab, ernüchterte und wahrte die Gebote der Besonnenheit.

Als er sich entfernte, war er in sehr gedrückter Stimmung.

»Finden Sie nich auch«, fragte Schnaase, »daß der Mensch einen merkwürdigen Mangel an Begeisterung gezeigt hat? 'n Flunsch hat er gemacht, wie ich ihm die paar Direktiven gab...«

»Ein bläder Kerl, Herr von Schnaase. Verzeihen Sie das harte Wort!«

»Wenn man so'n Menschen uf'n Trab bringen will, kommt immer die süddeutsche – ich meine natürlich die bayrische – Gemütlichkeit raus...«

»Auch die österreichische! Bidde, bleiben nur bei dem Sammelbegriff süddeitsch... auch bei uns ist sehr vieles mangelhaft... Dieses beriehmte Mocht nix... Was habe ich für Kempfe gehabt beim Militähr! Das war ja der Grund, warum ich meinen Abschied genommen habe, weil ich diese Sisyphusarbeit nicht mehr leisten mochte. Ich ging lieber. Allerdings hat mir der Graf Kielmannsegge – nicht der Max Kielmannsegge, sondern der Georg, der gölbe Schurl, wie ich ihn tauft hab' – beim Abschied gesagt: Alsdann, was is jetzt, Franzl? Du gehst, aber die Zustende bleiben... No ja, das war ja richtig in gewisser Beziehung, aber man trägt nicht alles, was man nicht ändern kann...«

Schnaase sah den Oberleutnant unmerklich von der Seite an.

Wächst mir hier 'ne Pommeranze?

Aber Wlazeck sah es nicht, und der Rentier ergriff das Wort:

»Ich sage immer, der erste Eindruck is der richtige. Wie ich hier ankam, und der Schlummerkopp von Posthalter sich so demlich anstellte, wußte ich allens. Hier is kein Zeitgeist. Und dieser Natterer is zwar in gewisser Beziehung 'n gerissener Junge, der harmlose Reisende mit seiner Reklame betimpeln kann, aber weiter reicht's nich... Nee, Herr Oberleutnant, die Sache müssen wir beide deichseln. Da wollen wir mal Nord und Süd vertreten und, wenn ich so sagen soll, von entgegen gesetzten Polen her auf die Sache wirken. Aber nu entschuldigen Sie mich! Ich höre meine Frau...«

»Gehorsamster Diener, Herr von Schnaase, und bidde, Handkuß der Gnädigen und dem reizenden Fräulein Tochter!«

* * *

»Also«, sagte Schnaase, wie er neben seinen Damen aus der Post schritt, »also ich muß Noblenz-Coblenz den Eltern des hoffnungsvollen Künstlers einen Besuch machen? Wie komme ich dazu?«

»Diese schreckliche Last kannst du am Ende noch auf dich nehmen«, antwortete Frau Karoline.

»Es handelt sich nich um die Last; es handelt sich ums Prinzip. Wie komme ich dazu, in Altaich gesellschaftliche Verpflichtungen zu haben? Das is doch das, was ich nich haben will; weswejen wir in die Einsamkeit geflohen sind...«

»Du kannst ausnahmsweise mal Rücksicht auf uns nehmen...«

»Uns? Also Henny mit inbegriffen? Da möchte ich doch 'n ernstes Wort sprechen.«

»Sprich es lieber nich! Ich möchte wirklich keine unzarten Bemerkungen hören...«

»Aber 'n paar zarte. Ich finde, der junge Mann is 'n bißchen sehr aufmerksam...«

»Das fällt dir unangenehm auf?«

»Angenehm, Karline, wenn er dir den Hof macht. Aber ich kann diesen schwerwiegenden Verdacht nicht fassen. Ich bin gezwungen, Henny für den Gegenstand seines schmeichelhaften Interesses zu halten, und...«

»Du kannst dir natürlich nich vorstellen, daß ein junger Mann ohne jede Nebenabsicht froh ist, wenn er sich mal wieder gebildet unterhalten kann?«

»Nee!«

»Nachdem er das monatelang entbehren mußte?«

»Nee! Den Bildungsdrang kenne ich, wenn'n hübsches Mädchen mitten mang is...«

»Am Ende ist es kein Verbrechen, wenn er auch Henny in zarter Weise...«

»Auch? Karline?«

»Ich verbitte mir deine Witze!«

»Is keen Witz... im Gegenteil... also um wieder darauf zurückzukommen...«

»Darf ich bitten, daß ich dabei aus dem Spiel bleibe?« unterbrach Henny ihren Vater. »Warum darüber reden? Es lohnt sich nich.«

»Eben, weil die Sache keinen moralischen Hintergrund hat, will ich nich haben, daß du mit ihm kokettierst.«

»Wieso kokettiere ich?«

»Oder sagen wir, daß du nich genügend Distanxe hältst. Er setzt sich Raupen in den Kopp, und das is bei 'nem jungen Mann in der Provinz ne andere Sache als in Berlin...«

»Aber wirklich, Papa! Die Predigt ist gräßlich...«

»Es muß mal sein, und...«

»Gar nich muß es sein. Ich unterhalte mich hier, so gut es geht; ich würde viel lieber in Zoppot Tennis spielen, als hier von Natur und Heimat quasseln. Aber ich bin doch nich schuld, daß wir in dem schauderhaften Nest sitzen...«

»Du wirst das auch kaum zu bestimmen haben«, sagte Mama Schnaase mit Schärfe.

»Ruhe im Saal! Dieses Thema wollen wir nich schon wieder behandeln. Mamas Wunsch war maßgebend, da is nich daran zu tippen. Du kannst wohl 'n paar Wochen leben ohne Bälleschmeißen?«

»Ich komme ganz aus der Übung...«

»Du kommst schon wieder rin.«

»Aber ich muß Rücksicht nehmen auf meine Partie, nich wahr? Wenn James erfährt, daß ich den halben Sommer keinen Ball geschlagen habe, sucht er sich eine andere Partnerin. Muß er doch!«

»Laß ihn man! Den James Dessauer mit seine Seebelbeene!«

»Gott!«

»Überhaupt so 'n Keesekopp! Sein Vater handelte noch mit alten Kledaschen ufn Mühlendamm, und der Bengel hat sich was als James und Tennisfatzke...«

»Jedenfalls hat er in Wiesbaden die Meisterschaft gewonnen...«

»Was ich mir dafür koofe! Wir werden uns trotzdem erlauben, aufs Land zu gehen, ohne Rücksicht auf Tennis un den Lord vom Mühlendamm. Übrigens, Karline, das muß ich doch sagen, du, mit deiner Sehnsucht nach Ruhe und Schweigen im Walde, solltest dich nich so ins Altaicher Gesellschaftsleben stürzen...«

Die Familie Schnaase hatte sich der Ertlmühle genähert. Konrad eilte ihr entgegen und führte sie über den Hof in den Garten, wo seine Eltern die Gäste freundlich empfingen.

Für Frau Margaret waren die Berliner keine unbekannten Erscheinungen mehr; sie hatte sie zweimal von einem Laden aus gesehen und so genau betrachtet, wie es einer in Mitleidenschaft gezogenen Mutter zukam.

Von dem, was sie dabei herausgefunden hatte, redete sie nicht. Das Mädel war aus einer andern Welt und gehörte in eine andere Welt, und das war so ausgemacht und sicher, daß sie fast ein wenig lächeln mußte über ihren Konrad. Aber darüber sprechen nützte nichts; es war besser, wenn er selber zu der Einsicht kam.

Darum hatte sie geschwiegen, und als sie jetzt die Familie begrüßte, tat sie es ohne Befangenheit, als rechte Herrin in ihrem Reiche.

Sie stand über der Situation, hätte Schnaase gesagt, wenn er die kleine Bürgersfrau beachtet hätte.

Martin bewunderte wieder einmal seine Margaret, die sich in alles schickte und so sicher auftrat, als hätte sie jeden Tag Gäste aus Berlin.

Auch Konrad war froh über den Verlauf der ersten Begegnung, die ihm, er wußte nicht warum, Sorge gemacht hatte.

Man setzte sich an den gedeckten Tisch, auf dem ein leuchtend brauner Gugelhupf, ein auf grünen Blättern ruhender Butterwecken und etliche Gläser voll Honig ländliche Wohlhäbigkeit verrieten.


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