Ludwig Thoma
Altaich
Ludwig Thoma

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Sechstes Kapitel

Auf der Nord- und Westseite des Sassauer Sees treten große Fichtenwälder ans Ufer heran, gegen Süden und Osten hemmen rasch ansteigende Hügel den Blick. Etliche Höfe liegen oben, deren Dächer über den Kamm herüber lugen.

Hie und da tönt von droben Hundegebell oder der Klang einer Glocke, die zur Mittagszeit die Ehhalten heimruft.

Aber wenn sich der Schall im Walde verliert, verstärkt er das Gefühl der Einsamkeit für einen, der am Ufer sitzend ins klare Wasser schaut.

Auf einer Halbinsel, deren Raum es beinahe ausfüllt, liegt das alte Benediktinerkloster Sassau.

Es stimmt eigen, wenn man ein mächtiges Gebäude, einstmals den Mittelpunkt eines nach allen Seiten hin wirksamen Lebens, verlassen und unbenutzt sieht. Man sträubt sich dagegen, daß alles, was man hier als Ergebnis der Arbeit, des Fleißes und der Kunstfertigkeit vieler Menschen erblickt, nur zum Verfalle dienen solle.

Daß hinter Marmorportalen in gewölbten Gängen und Sälen, in Werkstätten und Zellen alles Leben erloschen bleiben müsse. Die Zierate über den hohen Fenstern zeigen, daß wenige Jahrzehnte vor der Säkularisation kunstreiche Hände das Kloster noch für eine ferne Zukunft geschmückt hatten, aber die Leere, die hinter den Scheiben gähnt, das Gras, das im gepflasterten Hofe wuchert, da und dort abfallender Mörtel zeigen auch, daß hier keine Sorgsamkeit mehr waltet.

Besonders an der Außenseite, gegen den See hin, sind arge Spuren des Verfalles sichtbar, und was hier als Gebüsch zur Zierde gepflanzt worden war, ist wild in die Höhe geschossen.

Dereinst war das Kloster reich an Landbesitz gewesen.

Die Grundstücke wurden aufgeteilt, und die alten Leibgedinger kamen zu Wohlstand.

Für das große Gebäude fand sich kein Käufer.

Der Staat wollte es zu allerlei Zwecken verwenden, stand aber jedesmal von seinem Vorhaben ab, weil die Unterhaltungskosten zu hoch gekommen wären. Das Kloster war zu abgelegen, und die Zerstückelung des Besitzes hatte einen Zustand geschaffen, der hinterher für die wohlwollenden Absichten ein unübersteigliches Hindernis bildete.

So wie das Kloster nun da lag, zwecklos mitten in die Einsamkeit hinein gestellt und in Hoffnungslosigkeit begraben, tot und doch lebendiger Zeuge vergangener Tage, konnte es freilich ernste und auch mit dem Ernste spielende Gedanken wachrufen.

Es war romantisch, wie Natterer sagte, an den man wieder einmal erinnert wurde, weil Konrad malend am Ufer saß.

Er ließ die Mauern düsterer über dem Wasser emporragen und gab dem See ein bedeutenderes Aussehen, weil es ihm für ein Plakat richtig erschien und... »Bravo!« rief jemand, und als er sich umwandte, stand der rüstige Kaufmann vor ihm.

Aber nicht allein.

Zwei Damen, eine ältere und eine jüngere und ein dicker Herr, der seinen Kahlkopf mit einem Taschentuche abtrocknete, waren mit Natterer auf dem Waldwege unbemerkt herangekommen.

»Das is großartig, Herr Oßwald, daß ich Ihnen an dieser pittoresken Stelle triff...«

»Wollense uns nich bekanntmachen?« unterbrach Schnaase, und weil Natterer dazu nicht die rechte Gewandtheit zeigte, übernahm er es selbst.

»Rentier Schnaase aus Preußisch-Berlin; meine Frau, meine Tochter.«

Konrad verbeugte sich, und Natterer sagte:

»Die Herrschaft'n erlaub'n, das is der Herr akademische Kunstmaler Oßwald, unsere künstlerische Attraktion, wie man zu sag'n pflegt...« Schnaase schüttelte dem jungen Manne jovial die Hand.

»Freue mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen. Zu Hause verkehren wir auch viel in Künstlerkreisen. Meine Frau hat 'n Faible dafür und ich auch... Also Sie halten diese hübsche Stelle hier fest?«

Schnaase warf einen prüfenden Blick auf das Bild. »Wirklich sehr niedlich! Sieh mal, Karline, wie sich allens im Wasser spiegelt. Famos! Das is wohl pläng är?«

Konrad sagte in seiner bescheidenen Art, daß er für ein Plakat einige schöne Punkte der Umgebung male...

»Für unsern Fremdenverkehrsverein nämlich«, unterbrach ihn Natterer. »Ich habe diese Anregung geben, weil ich glaube, daß durch die Bekanntgabe von pittoresken Punkten das Publikum angezogen wird...«

»Das kommt dann so in die Wartesäle, nich wahr?«

»Natürlich. Ich sehe, daß Herr Schnaase gut Bescheid wissen...«

Henny hatte ihre Aufmerksamkeit von der pläng är-Skizze weg auf Konrad gerichtet, der, jung und schlank und von der Sonne gebräunt, das Anschauen wert war. Und Mädchen wissen es schon so einzurichten, daß ihr Gefallen nicht unbeachtet bleibt.

Es gibt ein Nervenfluidum, eine durchs Od übertragene Sympathie, und daher kommt es, daß Jünglinge merken, was ihnen nicht verborgen bleiben soll.

Auch Konrad fand Gefallen an dem Mädchen, das eine biegsame Figur hatte und ein frisches Gesicht mit lebhaften Augen und kecker Nase.

Er fragte, ob die Herrschaften das Kloster sehen wollten, und bot sich als Führer an.

Die Damen gingen freudig darauf ein, und es fügte sich, daß der junge Mann mit ihnen voraus ging, während Schnaase und Natterer nachfolgten.

»Sagen Sie mal, Sie wollen also Plakate mit den Altaicher Ansichten veröffentlichen?«

»Jawoll, Herr Schnaase; in die Hotels, wissen Sie, und in die Bahnhöf'...«

»M-hm...«

»Daß halt das reisende Publikum überall aufmerksam g'macht wird...«

»So? Hören Se mal, ich halte Sie für ne Art von Reklamegenie, ich habe Ihnen das schon mal gesagt...«

Natterer verbeugte sich geschmeichelt.

»Sie haben die Sache in Ihrer Art 'raus, aber diesmal sind Se auf dem falschen Wege.«

»Wie meinen Herr Schnaase?«

Der Berliner Rentier blieb stehen und schaute seinen Begleiter durchbohrend an.

»Sehen Sie mich mal an! Warum bin ich hier?«

»Wie mei –«

»Warum bin ich nich in Zoppot? In Ischl? Im Berner Oberland?«

Natterer wußte nicht, was der bedeutende Mann wollte, aber Schnaase klärte ihn gleich auf.

»Ich will's Ihnen sagen. Von wegen der Phantasie bin ich hier. Wie meine teure Gattin Ihr Inserat gelesen hatte, kriegte sie's mit der Phantasie. Der erfinderische weibliche Geist spiegelte ihr einen Höhenluftkurort mit allen Reizen vor. Und denn war nischt mehr zu machen, wir mußten einfach.«

»Hoffentlich hamm die Herrschaft'n ihre Erwartungen erfüllt... ah... gesehen...«

»Nee, Verehrtester! Absolut nich. Ich hatte sofort den starken Eindruck, daß Sie uns gehörig geblaßmeiert haben. Wo sind denn nu Ihre Voralpen und Ihre Höhenluft un Ihre Kuranstalten? Nich zu vergessen die großartigen Moor-Heilbäder! Nee, mein lieber Natterer, gemogelt haben Sie, daß es ne Art hat!«

»Entschuldigen Herr Schnaase, es tut mir sehr leid...«

»Das braucht Ihnen gar nich leid zu tun. Wir sind nu mal hier, und das is für Sie die Hauptsache und is der Erfolg Ihres Inserates. Aber nu wollen Se 'n Panorama von Ihrem Höhenluftkurort in die Welt schicken? Menschenskind, damit ruiniern Se ja das ganze Phantasiegebilde durch die nackte Wirklichkeit! Das soll so 'n ausgekochter Reklamechef wie Sie nich machen!«

Natterer schritt nachdenklich neben dem Berliner Gaste her. Der Mann hatte Weltkenntnis und hatte Menschenkenntnis, ja, er war eigentlich der erste, der seinen vollen Wert erkannt hatte.

Man mußte seine Warnung beachten.

»Hören Se mal«, sagte Schnaase wohlwollend, denn er sah den Eindruck seiner Worte, »hören Se mal, ich könnte Ihnen überhaupt 'n bißchen unter die Arme greifen. Wir könnten zusammen arbeiten, verstehen Se, und Erfahrung habe ich, darauf können Se sich verlassen...«

Natterer ging freudig darauf ein, und der Herr Rentier, der ein ausgesprochenes Talent zum Müßiggänger und Projektenmacher hatte, erhoffte sich angenehmen Zeitvertreib.

»Die Sache muß ins Lot gebracht werden«, sagte er, »und vor allem muß der moderne Mensch hier seine Befriedigung finden. Wir leben nu mal im zwanzigsten Jahrhundert, da ist nischt gegen zu machen, und danach müssen wir uns eben richten. Lassen Se nur uns beide die Sache dirigieren, Natterer, denn erleben wir noch Altaich mit Kurhaus und Kurgarten und Kurkapelle... na, da sind wir ja!«


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