Ludwig Thoma
Altaich
Ludwig Thoma

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»Kennen Sie Teddy Nabob von Dessauer?« fragte Henny.

Konrad verneinte.

»Den Roman der Saison kennen Sie nicht?«

»Er ist wunder-wundervoll!« fiel Frau Schnaase ein. »Vielleicht habe ich das Buch hier...«

»Aber Sie haben doch davon gehört?« fragte Henny wieder.

»Nein«, sagte Konrad schlicht.

Da wunderte sich auch die gutmütige Frau Schnaase darüber, wie lange die Kultur braucht, um über die Donau zu dringen.

»In Berlin sprach man von nichts anderm. Man mußte Teddy Nabob gelesen haben. Es ist wunder-wundervoll!«

»Jedenfalls ist es riesig geschickt«, erzählte Henny.

»Letztes Jahr hat kein Mensch von Lulu Dessauer gesprochen, und heute ist er obenauf. Er hat mir gesagt, wie er auf die Idee gekommen ist. Es mußte was Amerikanisches sein, weil da die ganz großen Verhältnisse sind; da läßt sich noch mit den Millionen phantasieren, sagte er. Und denn schilderte er einen Mann, der über Nacht Milliardär wird. Es ist wahnsinnig spannend...«

»Wunder-wundervoll!«

»Das is ja, was ich sage!« fiel Schnaase ein. »Wäre der Mann in Ruppin gesessen, dann wäre er nie auf die Idee gekommen. Aber in der Großstadt hat der fixe Bengel herausgefunden, daß der moderne Mensch, wenigstens in der Phantasie, mit den Millionen schmeißen will...«

Die kleine Welt, die um den Tisch saß und so viel Staunenswertes aus der großen hörte, blieb ungerührt.

Martin hatte nicht aufgemerkt, und Margaret hatte ungemein viel von ihrem Wohlwollen verloren.

Aber auch Konrad fühlte sich von Kellerluft angeweht. Er urteilte über den Geschmack Hennys gewiß nachsichtiger, wie sie über seine Kniehosen, aber, was er gehört hatte, war so fremd und so trennend und stimmte ihn nachdenklich.

Stille war nicht das, was Schnaase liebte.

»Haben Sie schon was gehört von Afko?« fragte er den jungen Mann und seine Eltern, die ja nun ordentlich breitgeschlagen waren.

»Afko?«

»Nich wahr, das kennen Sie nich! Altaicher Fremden-Komitee. Ich habe es mit Ihrem Natterer gegründet, damit wir den Verkehr hier in Schwung bringen. Übrigens, Frau Oßwald, Ihr vortrefflicher Kaffee bringt mich auf einen Gedanken. Wie wär's, wenn Sie hier so 'n kleinen Nachmittagsbetrieb aufmachen würden? Kaffee, Schokolade... in einem kühlen Grunde? Ich sehe hier schon alle Tische besetzt mit guter Gesellschaft...«

Frau Margaret sah das nicht, aber sie bemerkte, daß ihre Liese beim Wäscheaufhängen war, und sie eilte nach ein paar entschuldigenden Worten weg.

Mama Schnaase wandte sich freundlich an Martin.

»Ich finde Ihre Frau entzückend; sie hat so was Ausgeglichenes, Nervenloses... ach ja! das kommt doch wohl von dem Aufenthalte in dieser friedlichen Natur...«

»Na! Da haben wir ja Aussicht, daß du auch...«

»Gott, Gustav! Wenn ich den wahren Seelenfrieden finden sollte, müßte auch sonst noch manches anders sein. Was soll mir der vorübergehende Landaufenthalt nützen, wenn ich hinterher wieder von dem Hasten und Treiben aufgewühlt werde?«

»Ich will dir'n Vorschlag machen, Karline. Wir fragen unsern verehrten Gastgeber, ob du nich'n Winter hier bleiben kannst?«

»Mußt du immer solche Späße machen?«

»Nee, wirklich! In allem Ernste gesprochen. Du könntest diesem aufstrebenden Kurorte 'n kolossalen Gefallen erweisen. Denke dir, wenn du hier so die richtig gehende Wurstigkeit, den Seelenfrieden finden würdest, dann könnten wir's in die Zeitung bringen. Wunderbare Heilung oder fabelhafter Erfolg der Altaicher Höhenluft. Was?«

Frau Schnaase gab keine Antwort, und Henny erinnerte Konrad daran, daß er ihr Bilder und Skizzen zeigen wollte.

Als die jungen Leute ins Haus gingen, blickte Schnaase ihnen kopfschüttelnd nach.

»Sagen Sie mal, Herr Oßwald, wie kommt nu Ihr Sohn dazu, ausgerechnet Maler zu werden? Wenn ich mir so Ihr Etablissemang betrachte, is es mir offen gestanden schleierhaft.

»Er hatte eben den Drang in sich...«

»Karline, du bist fürs Sangtimang, ich bin fürs Reale, un hier sind Realitäten, angesichts deren meine Frage berechtigt ist...«

Martin lächelte.

Aber es war eine Saite angeschlagen, die in ihm fortklang und ihn zum Reden brachte.

Er erzählte, wie Konrad als Bub still und besonders gewesen sei und wie er immer Freude an Bildern gehabt habe. Die sei mit ihm gewachsen und groß geworden, und weil sie ernsthaft gewesen sei, hätten Margaret und er eingewilligt...

»Das is ja sehr schön und anerkennenswert, und ich möchte Ihren Entschluß selbstverständlich nich kritisieren. Ich sage nur, ich verstehe es nich...«

»Was ist dabei zu verstehen?« sagte Frau Schnaase. »Er hatte das in sich, und ich finde es wunderschön, wenn Eltern ihren Kindern das Recht auf Selbstbestimmung zugestehen...«

»Das is die ächte weibliche Inkonsequenz. Erst biste ganz Mühle und Bach und Natur, und denn findest du es wundervoll, daß 'n junger Mensch das alles im Stiche läßt...«
 

Henny, der Konrad seine Skizzen aus der Altaicher Gegend zeigte, fragte unvermittelt: »Waren Sie schon mal in Italien?«

»Ich hab's ein paarmal im Sinn gehabt, aber es ist nie was geworden«

»Da müssen Sie unbedingt hin. Wir waren auch letzten März in Florenz und Rom. Es war herrlich... Und für Sie als Maler ist das notwendig«

»Es kommt mir jetzt nicht mehr so notwendig vor«

»Nanu! Da sollten Sie mal Waschkuhn hören! Er sagt, er verdankt Italien alles...«

Da Konrad wieder so merkwürdig lächelte, schloß sie ungnädig: »Und überhaupt gehört das zur Kultur!«

Beinahe hätte sich der junge Mann angemaßt, einer großstädtischen Dame lehrhaft zu kommen, als ihn ein ungeduldiger Zug in ihrem Gesichte davon abhielt. Er zeigte ihr sein letztes Bild, auf das er viel hielt. Durch hohes Kornfeld führte ein schmaler Weg, und man sah es ihm an, daß er heimführte zu guter Rast.

Henny warf einen flüchtigen Blick darauf und fragte lebhaft: »Was denken Sie, Herr Oßwald, soll ich mich in ganzer Figur malen lassen?«

»In...«

»Oder Kniestück? Waschkuhn will mich porträtieren. Er is für ganze Figur.«

»Er soll Sie doch so malen... in einer Laube mit spielenden Lichtern...«

»In dem Kleide? Nee!«

Da sah man wieder die Provinz. Porträt in weißer Bluse! Doch in Gesellschaftstoilette und mit dem Kollier von Mama!

»Ich bin auch für ganze Figur«, schloß Henny. »Es ist immer schick, und wenn man schlank ist, soll es doch zur Geltung kommen...«

»Ja... ja...«, sagte Konrad. »Das werden Sie wohl mit Herrn Professor Waschkuhn vereinbaren...«

»Ich freue mich wahnsinnig darauf, wenn erst mein Bild in der Ausstellung hängt... Die Eröffnung ist immer todschick. Man sieht die neuen Frühjahrstoiletten... Alles ist da... Man trifft viele Bekannte und dann die Überraschung, wenn sie mein Bild sehen... Es wird einfach süß...«

Konrad stellte seinen Feldweg an die Wand und ging mit Henny zurück. Auch Frau Margaret hatte sich wieder an den Tisch gesetzt.

Man wechselte noch einige freundliche Worte, und dann gab Frau Schnaase mit der Versicherung, daß es sehr, sehr schön gewesen sei, das Zeichen zum Aufbruch.

* * *

»Was hat er denn?« fragte Martin, als Konrad verstimmt und nach wortkargem Abschied weggegangen war.

»Weiß man, was junge Leut haben?« erwiderte Frau Margaret.

Als wenn er einen Zusammenhang gesucht oder gar gefunden hätte, sagte Martin unvermittelt:

»Ein schönes Mädel is sie... das muß wahr sein...«

»Was nutzt die schönste Schüssel, wenn nix drin is?«

Das klang feindselig.

Wie die Margaret nur in der kurzen Zeit zu ihrer Abneigung gegen das hübsche Fräulein gekommen war?

Martin war doch dabei gesessen und hatte nichts gehört und nichts gesehen, was ihm aufgefallen wäre. Die Weiber haben ihre Mucken.

Auf dem Heimwege blieb Schnaase bald hinter der Ertlmühle stehen, stützte sich auf den Stock und holte zu einer längeren Rede aus:

»Nu will ich euch mal was sagen. Die alten Leute sind ganz nette Kleinbürger, der Kaffee war famos – aber der junge Mensch gefällt mir nich. Der hat 'n Frost in Kopp, und ich will euch sagen, was mit dem seiner Malerei un Kunst wird. Nischt wird es. Da is kein Ernst in der Sache, wenn einer bei Muttern bleibt un bloß die Leinwand bekleckert und von Schnee und Schornsteinen quasselt.«

Herr Schnaase war im rechten Fahrwasser und benützte den günstigen Umstand, daß seine Karoline beim Steigen außer Atem kam und ihn nicht unterbrechen konnte.

Hinter der Kirche hörte er plötzlich zu reden auf und brach seinen Satz mit einem erstaunten »Nanu!« ab.

Eine aufgeputzte Dame rauschte an ihm vorbei, ein betäubender Duft von peau d'Espagne umschmeichelte seine Nase.

Er wandte sich um und sah die merkwürdige Erscheinung im Hause des Schlossermeisters Hallberger verschwinden.

Nanu?

* * *

Als Henny in ihr Zimmer kam, sah sie einen Brief auf dem Tische liegen. Er trug den Poststempel Altaich. Überrascht und neugierig nahm sie ihn, hielt ihn gegen das Fenster und roch daran.

Er war nicht parfümiert.

Sie riß den Umschlag auf und fand zwei grobgezackte Blätter, die mit großen, genialischen Schriftzügen bedeckt waren.

Sie las:
 

An das Mädchen mit den hellen Nägeln.

Belangreiche unter den Belanglosen!

Ich pflanze Dir meine Blicke ins Gesicht. Mein Blick reißt deine Augenlider auf. Der völlig Entzündete fängt von der Entflammenden Feuer. Du siehst mich geschwungener Braue an und sprengst meine gedämpfte Existenz.

Ich schäume über und rase; mein Gefäß ist zersprengt. Mädchen mit den hellen Nägeln!

Der Entzündete.
 

Henny sah mit Vergnügen, daß sie angedichtet worden war von einem ganz Modernen.

Sie hatte die Heroen öfter gesehen, die im Café tote Wände anglotzen und mit blutenden Seelen darüber klagen, daß andere Leute arbeiten.

Von so einem angedichtet zu werden, das war doch rasend interessant!

Wie er sie duzte, frech wie Oskar!

Natürlich waren die Verse von dem Jüngling mit den dunkeln Nägeln, von dem Erotiker ohne Socken.

Am Ende war er wahnsinnig echt Boheme?

Jedenfalls konnte man ein bißchen mit ihm kokettieren, denn mit irgend etwas mußte man sich in dem langweiligen Neste die Zeit vertreiben.

Sie verschloß den Brief in ihrem Koffer.

Ob Tobias Bünzli mehr erhofft hatte?

Ob er geglaubt hatte, daß seine Worte wie züngelnde Schlangen das Mädchen anspringen würden?

Vermutlich nicht.

Denn in Bünzli steckte noch ein starker Rest von solider Winterthurer Nüchternheit.

Eine mäßige Erbschaft und eine hinter der Ladenbuddel aufgequollene Sehnsucht hatten ihn auf die Abwege der neuen Dichtkunst geführt, in der er gleich Meister wurde, ohne Lehrling gewesen zu sein.

Sein Erbteil schwand dahin, und er sah sich im Geiste wieder im Laden stehen.

Aber es war seltsam, wie wenig ihn der Gedanke erschreckte. Ja, manchmal ertappte er sich auf dem Wunsche, es wäre schon so weit.

Vorerst mußte er aber noch gewaltige Werte schaffen und Worte bilden, die junge Mädchen wie züngelnde Schlangen ansprangen.


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