Ludwig Thoma
Altaich
Ludwig Thoma

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Wie haben es aber die Mannsbilder leicht in Freude und Schmerz! Sie geben sich ihren Gefühlen hin oder beherrschen sie, und sie wissen es nicht anders, als daß auf heftige Gemütsbewegungen ein gutes Mahl zu folgen habe.

Sie überlassen es den Frauen, für die kleinen Sorgen des Lebens Kraft zu behalten.

So traf es auch jetzt Frau Margaret, an das Nächste zu denken, und sie lief aus der Küche in die Speisekammer und aus der Speisekammer in den Keller, sie holte Eier und Mehl und ein Stück Geräuchertes und besann sich darauf, daß es zu wenig sei, und holte noch eins.

Bald zischte das Schmalz in der Pfanne, und ein lieblicher Duft zog den Hausgang entlang und zwängte sich durchs Schlüsselloch in die Stube.

Drinnen saß Michel auf dem Kanapee, auf dem alten Ehrenplatze des Vaters; und Tisch und Stuhl, die Bilder an den Wänden, der Ofen in der Ecke stellten sich seiner Erinnerung so eindringlich dar, daß ihm zuletzt auf die wunderlichste Art ein Jahrzehnt ums andere in Unwirklichkeit versank.

Er redete nichts.

Aber wenn sein Blick auf einen Gegenstand fiel, mit dem er ein frohes Wiedersehen feierte, brummte er ein paar Worte vor sich hin.

»Die alte Kommod'! Der alte Of'n!«

Dann streckte Martin die Hand über den Tisch und legte sie auf die Hand des Bruders.

Konrad saß dabei und freute sich über den Prachtmenschen, der trotz allem, was in seinem Äußern an einen kantigen Eichenklotz erinnerte, wie ein Kind unterm Weihnachtsbaum da hockte.

Als Frau Margaret ihre Gaben auftrug, wurde es lebhafter, und Michel wandte sich der Gegenwart zu und zeigte, wie tauglich der Seewind einen Mann zum Essen macht.

Alle redeten ihm zu, bald im Chor, bald einzeln, und als die andern schon lange fertig waren, schnitt Michel immer noch mit Ruhe, ohne unschöne Hast, Stück für Stück ab.

»No, Gott g'segn' dir die Mahlzeit! G'schmeckt hat's dir!« sagte Frau Margaret fröhlich, als Michel Messer und Gabel weglegte und sich mit dem Handrücken den Mund abwischte.

Ob's ihm geschmeckt hatte!

So gut wie daheim war es nirgends, und dem Besten, was man draußen kriegte, fehlte das Eigentliche und die Hauptsache.

Und damit kam Michel ins Erzählen.

Er berichtete aber nicht von großen Reisen und von Abenteuern oder Gefahren.

Er hatte viel bessere Geschichten auf Lager, mit denen er seine Zuhörer erfreuen konnte.

Wie George Downie und Patrik Sgean und Fim Walker, der bei Nymagie einen guten Platz hatte mit ziemlich viel Schafen, und der von einem Deportierten abstammte, nämlich von einem englischen Sträfling, aber das gehörte nicht daher, und wie also George Downie und Fim Walker und Patrik Sgean, der ein Irländer war und mit Harry Dan einmal eine harte Sache hatte, aber das gehörte nicht daher, also wie sie vor einem Kaninchenbau standen, und jeder hatte einen Prügel in der Hand, einen guten Prügel aus Hartholz, und sie paßten auf Kaninchen, weil der Hund im Bau war, und auf einmal sauste ein Kaninchen heraus, und Patrik Sgean schlug zu und traf den George Downie und gab ihm eins über den Kopf, daß ihm die Sterne vor den Augen tanzten.

Die Erinnerung an dieses prachtvolle Erlebnis packte Michel so, daß ihm über seinem herzlichen Lachen die Pfeife ausging.

Und dann gab es eine Geschichte, wie er in der Lavender Bai lag auf einem Hamburger Schiff, auf der »Berta Schmitz«, und sie hatten Häute geladen, und da war ein Kerl aus Queensland, der verdammt frech war, und Michel kriegte einen Handel mit ihm und gab ihm einen guten Schlag zwischen die Augen.

Und andere Geschichten gab es von Haifischen und von Wallabies und Känguruhs und von Eingeborenen, die den Korroborri tanzen, und zwischenhinein kamen immer Dinge, die nicht hergehörten.

Martin horchte aufmerksam zu, aber viel merkwürdiger als jedes Geschehnis kam ihm der Umstand vor, daß sie sein Bruder erlebt hatte, der aus der Ertlmühle einen Weg in den australischen Busch gefunden hatte.

Immer wieder mußte er ihn anschauen und daran denken, wie leise ihm die Zeit verronnen war, indessen der andere Sohn seiner Mutter, unbehütet auf sich gestellt, in harten Umständen ein Mann geworden war.

Frau Margaret gab lange nach Mitternacht das Zeichen zum Aufbruch, und sie führte den Michel über die Stiege hinauf in ein kleines Zimmer.

Ja, wirklich in das gleiche Zimmer, aus dem er vierzig Jahre vorher als frischer Bub in die Welt hinausgegangen war.

Noch immer senkte sich die Decke schief über das Bett, das sich in die Ecke hineinschmiegte; auf dem Fensterbrette standen noch immer Blumentöpfe, und an der Wand hing das gleiche Bild, die Schlacht bei Wörth. Der Kronprinz Friedrich deutete mit der Tabakpfeife vorwärts, und die bayrischen Soldaten schwenkten die Helme. Etliche Turkos standen links in der Ecke und schauten stumpfsinnig vor sich hin. Wenn Michel als Bub aufgewacht war, hatte er mit verschlafenen Augen zu dem Bild hinübergeblinzelt und die Schrapnells angestaunt, die in der Luft platzten. Alles war, wie vor vielen Jahren. Nichts hatte sich geändert.

Der Kronprinz deutete vorwärts mit der Pfeife, und die Soldaten schwenkten die Helme.

Grüß Gott, Michel!

Aber damals stand kein Koffer mit einer Harpune darauf neben dem Waschtisch, und keine Boxerfäustlinge hingen vom Stuhle herunter.

Es lag doch allerlei zwischen damals und heute.

Alle schüttelten Michel die Hand und wünschten ihm gute Nacht. Er legte sich aber nicht nieder, als er nun allein war.

Es setzte sich auf den Bettrand und rauchte und dachte über viele Dinge nach.

Gerade so wie Martin, dem es auch nicht ums Schlafen war.

Margaret verstand sein Schweigen, und sie sagte zu ihm:

»Wer reist, weiß wohl, wie er ausfahrt, aber nicht, wie er heimkommt. Der Michel ist ehrlich und brav blieben, das kennt man ihm an, und das ist die Hauptsach', und alles andere wird recht wer'n. Ich weiß, was du denkst, Martin. Aber du mußt's jetzt net anders anschauen. Du hast ihm nix g'nommen und hast ihn nicht vertrieb'n. Er ist gangen, weil er gehen hat wollen. Drum denk nicht, was sein hätt' können, und freu' dich, daß er wieder daheim is...«

Und dann kam der Morgen nach der unruhigen Nacht.

Ein Sonnenstrahl schlich zwischen den Geranienstöcken durch und huschte dem Michel neugierig übers Gesicht.

Bist du wieder da?

Und drunten krähte ein Hahn; er hielt den Ton genau so wie sein Urahne, der einst den Buben aufgeweckt hatte. Er krähte auf gut Deutsch und ganz anders wie die Gockel in der Fremde.

Grüß Gott, Michel!


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