Ludwig Thoma
Altaich
Ludwig Thoma

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»Weiberred'n, armes Red'n«, sagte Natterer zu seiner Frau. »Mit deine Einfäll derfst dahoam bleib'n. Schickt s' mi zu dem Uhu nauf mit seine ledern' Augendeckel. Der schlaft a, wenn ma mit eahm red't! Und an Rat soll ma si von dem geb'n lass'n! Mei Liabl, wenn dir nix G'scheiters net eifallt...«

»Was woaß denn i?« erwiderte Wally. »Auf seiner Visitenkart'n steht amal, daß er Professa is von der Kunst. Mehra hab i net g'sagt.«

»Is scho recht. Aber mit deine Einfäll laßt mir mei Ruah!«

Leider ließen den Herrn Natterer auch seine eigenen Einfälle in Ruhe; er konnte sich besinnen, soviel er wollte, er fand keinen Ersatz für Konrad, und er dachte schon daran, nach Piebing zu fahren, und dem Verleger des Vilsboten sein Anliegen vorzutragen, als eines Nachmittags der leichtsinnige junge Mensch aus der Ertlmühle ohne Schuldbewußtsein seinen Laden betrat.

»Ah... da Herr Oßwald!«

»Grüß Gott, Herr Natterer! Ich muß mich doch amal erkundigen, was eigentlich los ist. Mein Vater hat mir erzählt...«

Natterer rieb sich freudig erregt die Hände und verbeugte sich immer wieder.

»Ich hab ja g'sagt, der Herr Oßwald kommt scho. Natürlich, a Künstler is kein G'schäftsmann, obwohl a bissel lang... aber no, ich hab a g'wußt, daß Sie uns net im Stich lass'n...«

»Natürlich net. Wenn ich Ihnen behülflich sei kann. Um was handelt's sichs denn?«

»Ja. Da muß ich etwas weiter aushol'n, sozusag'n... Aber, Herr Oßwald, im Lad'n könna mir net ungeniert dischkriern... Darf ich bitt'n?« Er öffnete die Türe zur Stube nebenan, bot aber noch geschwind dem Besuche eine Hammonia Superfina an.

Konrad saß nun dem Herrn Natterer gegenüber, der sich räusperte und zu reden begann.

»Ja also, Herr Oßwald, Sie wissen – net wahr – beziehungsweise Sie hamm selber den Aufschwung verfolgt, den wo unser Altaich genommen hat, wenn auch der Kulminationspunkt sozusag'n noch nicht erreicht is...«

»Sie meinen als Sommerfrische?«

»Als Luftkurort, jawohl. Sehen S', Herr Oßwald, ich will mich net selber lob'n, das is überhaupts net meine Art und Weise, aber Sie glaub'n net, was für Schwierigkeiten daß ich überwinden hab müssen, damit daß dieses Resultat erzielt worden is. Die Leute hier, wissen Sie, die hamm keinen Weitblick, die kennen die Neuzeit net, und natürli, zuerst hab i da mei liebe Not g'habt. Jetzt is ja die Konstellation besser, seitdem daß unsere Kurgäst eingetroffen sind. Bis jetzt hamm wir fünf... i weiß net, ob Sie unterrichtet sind?«

»Ich hab schon g'hört davon.«

»Fünf sind's. Lauter bessere Leut, die natürlich den Ort in ihren diversen Zirkeln wieder empfehl'n. Wir hamm sogar einen Dichter, der wo in der Lage ist, in der Zeitung für uns einzutreten. Er wohnt beim Schwarzenbeck. Und bei mir wohnt ein Professor von der Kunstgeschichte...«

»So?« fragte Konrad etwas aufmerksamer.

»Ja... von der Kunst. Natürlich, ob er hinsichtlich einer Propaganda zum brauch'n is, möcht ich bezweifeln, indem er den ganz'n Tag studiert... no ja... und in der Post is ein Oberleitnant und ein Kanzleirat, also lauter Leute von einer besseren Gesellschaftsschichte. Das is bloß der Anfang, und mir müss'n jetzt erst recht mit der Reklame beginnen. Net wahr?«

»Ja... ja... und was soll ich...?«

»Glei san ma soweit, Herr Oßwald. Sehg'n S', in der Reklame muß ma vo de andern lernen. Sie hamm doch gewiß schon öfter in die Bahnhöf diese Ansichtspanorama g'sehg'n, die wo eigentli von alle bedeutenden Kurort existier'n. Zum Beispiel in der Mitt' die Totalansicht des betreffenden Platzes und drum herum die idyllischen Punkte. Ich weiß net, ob...«

»Ich kenn's schon, Herr Natterer, und wahrscheinlich möchten Sie, daß ich...«

»Freilich! daß Sie mit Ihrer Künstlerhand die Sache arraschier'n. Mir versteh'n uns scho, net wahr, Herr Oßwald? Sie müss'n halt a bissel idealisier'n, daß ma zum Beispiel das Waldgelände a bissel größer rauskommen laßt, und daß ma 's Gebirg näher herzieht...«

»Schön. Ich will's amal versuch'n...«

»Und recht romantisch, gel'n S', Herr Oßwald? Zum Beispiel die Bilder so arraschier'n, daß so eins hinter dem andern vorschaugt...«

»Was für Plätze aus der Umgebung wollen Sie haben?«

»Den Sassauer See amal ganz g'wiß«, rief Natterer eifrig. »Zu dem passet halt a Mondnacht, Herr Oßwald, und a Schiff und vielleicht a Mönch drin? Waar dös net romantisch?«

»Je nachdem«, sagte Konrad lächelnd und stand auf. »Ich weiß jetzt, was Sie wollen, Herr Natterer, und will Ihnen gern behilflich sein...«

»Bleiben S' noch an Augenblick! Nämlich, mir brauch'n do aa was Weibliches auf dem Panorama. Könnte man da nicht ein Madel in der Tracht anbringen?«

»In welcher Tracht?«

»Im Gebirgskostüm, wissen S', und mit einem Busch Almrosen in der Hand... dös gebet ein Meisterwerk. Und bis wann meinen S'...?«

»Das kann ich net so bestimmt sag'n, aber wahrscheinlich können Sie 's in ein paar Tagen haben...«

»In ein paar Tag?« fragte Natterer unsicher.

»Schneller geht's nicht...«

»Net schneller... ich mein' net schneller... wissen Sie, Herr Oßwald, Sie derfen mi net falsch versteh'n. I weiß schon, daß der Künstler a gewisse Freiheit haben muß, aber weil's eine Reklame is, soll's halt an Publikum auch g'fallen. Desweg'n mein' ich, Herr Oßwald, Sie sollen 's net modern machen...«

»So, wie ich's halt kann, Herr Natterer. Wenn's fertig is, sehen Sie 's ja, und ich nehm's Ihnen net übel, wenn Sie mir sag'n, daß 's Ihnen net g'fallt...«

»Nein, nein, Herr Oßwald, Sie müss'n mich net falsch versteh'n. Ich red' net vom G'fallen und von mir. Ich mein' bloß wegen dem Publikum, und weil Sie sag'n, daß Sie bloß a paar Tag brauchen, erlaub' ich mir die Bemerkung, daß Sie quasi net modern...«

Konrad gab dem besorgten Mann lächelnd die Hand.

»Hoffen wir 's Beste, und wenn's fertig is, kommen Sie vielleicht zu mir runter...«

»Gern; überhaupts, wenn Sie irgend an Rat brauch'n... also vielen Dank, Herr Oßwald... habe die Ehre, guten Nachmittag zu wünschen... nochmals besten Dank...«

Unter der Türe fiel es Natterer ein, daß er einen Punkt vergessen hatte.

»Entschuldingen, Herr Oßwald... ich mein' bloß... unser Fremdenverkehrsverein is natürlich noch net so... mit Mitteln...«

Konrad lachte.

»Das hab ich mir schon denken können. Also einstweilen grüß Gott!«

Hm ja. Das war ja sehr nett und entgegenkommend von dem jungen Menschen. Überhaupt mußte man sagen, daß er durchaus liebenswürdig auf die Sache eingegangen war, aber... hm!

Ob er sich auch über die Idee ganz klar war? Und nicht am Ende so hudri wudri was machen wollte?

In ein paar Tagen?

Natterer trat in den Laden zurück.

»No, was is jetzt?« fragte Wally neugierig.

»Genau, wie ich g'sagt hab«, erwiderte Natterer. »Der junge Mensch freut si, daß ma ihm soviel Vertrauen schenkt...«

»Macht er's?«

»Macht er's! Natürli macht er's. Zweg'n was berat' i mi denn mit eahm? Da brauch i koan Kunstprofessor dazua. Auf de Idee hast übrigens bloß du kumma kinna...«

* * *

Vor Wally ihrem Manne hinausgeben konnte, trat Tobias Bünzli ein. Ein guter Beobachter hätte bemerkt, daß in dem Dichter etwas vorging, als er im Laden stand.

In seine Augen trat ein freundlicher Glanz, und seine Nase sog wohlgefällig den Duft der Spezereiwaren ein.

»Mit was kann ich Herrn Doktor dienen?« fragte Natterer.

Der Doktor gefiel Bünzli. Er lächelte freundlich und wünschte Zigarren.

Man legte ihm Hamburger vor und erkundigte sich, wie dem Herrn Doktor das Klima bekomme.

»Das Klima ischt mir ganz egal...«

»Und können der Herr Doktor hier angenehm dichten?«

»Ich brauche eben absolute Ruhe«, erwiderte Bünzli.

»In dieser Beziehung hätten der Herr Doktor keinen besseren Platz wie Altaich finden können.«

Der Dichter zuckte die Achseln.

»Der Fremdenzufluß scheint eben doch in erschreckendem Maße zu steigen...«

Das klang zu angenehm, als daß Natterer widersprechen wollte. Er meinte aber, es gäbe noch lauschige Plätzchen für Inspirationen.

Tobias horchte kaum zu.

Er befühlte einen Ballen Hemdenstoff, der auf der Ladenbuddel lag und sagte: »Baumwolle mit Leinenappret...«

Natterer wunderte sich über die Sachkenntnis, lenkte aber das Gespräch wieder auf den Fremdenverkehr.

»Bis jetzt ist es nicht so schlimm«, sagte er. »Die Saison hat nicht so lebhaft eingesetzt...«

»Es ist aber schon wieder eine Familie eingetroffen«, entgegnete Bünzli.

»Eine Fa-?«

»Ein Rentier aus Berlin mit seiner Frau und Tochter und mit einer Zofe.«

Rentier – Berlin – Zofe –

Die Ahnung von einer bedeutungsvollen Noblesse überkam Natterer, und er fühlte sich in seinem Triebe, ins Freie zu stürzen, durch den Dichter gehemmt.

Bünzli befühlte einen andern Hemdenstoff und sagte träumerisch: »Gingan.« Das stimmte wieder.

Natterer achtete nicht darauf.

»Eine Familie? Wann? Wo?« fragte er dringlich.

Bünzli gab Auskunft. Vor einer halben Stunde habe er die Nachricht von der Kellnerin in der Post erfahren.

Ein Rentier aus Berlin und Frau und Tochter und eine Zofe.

Nun hielt es den Kaufmann nicht mehr.

»Sie entschuldingen, Herr Doktor... Wally! Mein Huat, mein Spazierstecken!... Sie entschuldingen, Herr Doktor...«

Bünzli verabschiedete sich, und gleich darauf stürmte Natterer aus dem Laden und eilte über den Marktplatz weg zur Post.


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