Ludwig Thoma
Altaich
Ludwig Thoma

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Drittes Kapitel

In vielen Menschen lebt der Wunsch, von ihresgleichen niemanden zu sehen; er kann auf schöner Selbsterkenntnis beruhen oder auf der unedlen Meinung, daß die andern schlimmer seien.

Jedenfalls versteht der Sommergast unter Idylle einen Ort, wo es seinesgleichen nicht gibt, und diese Hoffnung war durch die Anzeige Natterers in Deutschland und Österreich erweckt worden.

Vielleicht hing sich daran die dunkle Ahnung, daß zwischen verborgenen Schönheiten und billigen Nahrungsmitteln Zusammenhänge bestünden.

Wie wäre sonst der k. k. Oberleutnant a. D. Franz von Wlazeck aus Salzburg auf den Einfall gekommen, nach Altaich zu reisen?

Kinder der Flora, Waldparzellen und magische Mondnächte gibt es auch im Lande des heiligen Rupertus. Wahrscheinlich auch Eisenoxydule und Eisenkarbonate, aber die österreichischen Pensionsbezüge stechen immer auffallender von den österreichischen Lebensmittelpreisen ab.

Darin ließe sich eine Erklärung für den sonderbaren Entschluß des Herrn von Wlazeck finden.

Er sah übrigens besser aus wie Herr Dierl; er war schlank, grazil und gut angezogen.

Pillartz, der als Schneider ein Auge dafür hatte, sagte, daß er auf den ersten Blick den österreichischen Offizier in dem Fremden erkannt habe.

»Die Hoße... Das Schagätt... wissen S', mein Vater war doch in Prag... und i habs in Linz gelärnt... die Hoße... das Schagätt... das is Österreich. Wanns ein Minchner anhaben tut, in zwei Täg is verkrippelt; aber so elegant abi falln, kirzengrad, nit voll, sondern, als wann die Hoße leer waar, das is halt Österreich...«

Auch die Gesichtszüge des Oberleutnants hatten etwas Soldatisch-Donaumonarchisches.

Sie waren liebenswürdig und drückten eine sprungbereite Höflichkeit gegen die Damenwelt aus. Über den dicken Lippen saß ein zugeschnittener Schnurrbart; die Augen quollen etwas vor, doch nicht in entstellender Weise, die Stirne ging in einen Kahlkopf über und gewann dadurch an Höhe.

Herr von Wlazeck nahm Wohnung in der Post und bezauberte am ersten Tage durch seine Ritterlichkeit alle weiblichen Angestellten.

»Alsdann... ich bidde... wie is der reizende Name? Fannerl? Aber bidde, der Name erinnert mich lebhaft an eine Jugendliebe... na... na. Hamm S' nur keine Angst! Tempi passati! Es is schon sähr lange her... leider!... alsdann, ich bidde... net wahr... jeden Tag in der Fruh ein bissel ein warmes Wasser...«

Nach dem ersten Mittagessen ging der Herr Oberleutnant in die Küche und erklärte, daß er noch nie einen besseren Nierenbraten gespeist habe.

»Ich muß der ausgezeichneten Kochkinstlerin mein Kompliment mach'n... aba ich bidde... lassen sich nicht stören, Freilein... Darf ich mir Ihren Namen für immer ins Härz schreiben? Josefa? Aber bidde... das is ja reizend! Meine Braut hat nemlich auch seinerzeit Josefa geheißen... Die Arme is ja leider noch vor Erfüllung ihrer Wiensche... beziehungsweise... natierlich meiner Wiensche gestorben... aber disser Name weckt immer wähmietige Erinnerungen in mir... alsdann ich mache wirklich mein Kompliment zu dem Nierenbradl... und darf ich frag'n... Freilein Josefa, ob Sie mit Ihren reizenden Patscherln auch a mal eine Möllspeise mach'n?... Rahmstrudel?! Aber bidde, das is ja das non plus ultra, das Ideal des Österreichers...!«

Sephi sagte hinterher zur Abspülmagd: »Das is ein Gawalier! Der woaß wenigstens, was si g'hört. De andern fress'n 's Sach nei und wischen si 's Mäu ab, und von koan dank schö hörst d' 's ganz Jahr nix. Höchstens schimpfa ko ma s' hörn, wenn s' net akrat dös kriagn, was s' woll'n, aba dös is a Gawalier...«

Jede Köchin setzt eine Gefühlswallung in gute Bissen und große Portionen um.

So erhielt auch Herr von Wlazeck am Abend eine Schweinshaxe vorgesetzt, von einer Größe, wie man sie in Österreich seit der Metternichzeit nicht mehr gesehen hat.

Dazu war sie mit Liebe gebraten, braun, resch und mit einer so herrlich duftenden Sauce begossen, daß die Aufmerksamkeit des Oberinspektors Dierl erregt wurde.

Der Anblick verstimmte ihn und vermehrte seine Abneigung gegen den ekelhaften Hanswurschten, wie er sogleich den sorgfältig gekleideten Oberleutnant innerlich genannt hatte.

Er setzte eine mürrische Miene auf und nahm sich vor, unnahbar zu bleiben.

Er täuschte sich.

Gegen die bezwingende Liebenswürdigkeit des Herrn von Wlazeck gab es keine Hilfe; unter dem Einflusse seines sonnigen Wesens schmolz jede Eisrinde.

Vorläufig aß er die Schweinshaxe und geriet durch den Genuß in erhöhte Wärme und Menschenliebe. Dann richtete er seine Blicke auf Dierl, über den ihm die Kellnerin schon Auskünfte erteilt hatte.

Er musterte ihn, während er sich hinter der Serviette die Zähne ausstocherte. »Dicker Münchner... etwas unsoigniert... Mittelklasse... auskömmliche Existenz habend... in Ermanglung besserer Gesellschaft noch brauchbar...«

Der Oberinspektor sah verdrießlich zur Seite, wenn sich die Blicke kreuzten und biß mit zorniger Energie die Spitze seiner Zigarre ab. Herr von Wlazeck zog mit einer hübschen Bewegung eine silberne Zigarettendose aus der Seitentasche, klopfte eine Memphis etliche Male auf den Deckel und zündete sie an. Nachdem er einige Züge inhaliert und den Rauch wollüstig durch die Nasenlöcher gestoßen hatte, war sein Entschluß gefaßt.

Er stand mit einem verbindlichen Lächeln auf, schlurfte nach alter Kavalierart über den Fußboden hin und machte vor dem überraschten Dierl eine tadellose Verbeugung.

»Gstatten, mich vorzustellen... Oberleitnant von Wlazeck...«

»Sehr angenehm... Oberinspektor Dierl...«

»Verzeihen, daß ich mir die Freiheit nehme, aber ich glaube, zu bemerken, daß wir in gewissem Sinne Leidensgefährten sind... Das heißt, bildlich gesprochen, denn bei einer so vorzieglichen Verpflegung ist das Wort nicht buchstäblich anzuwenden, – ich möchte bloß das Gefährten betonen, indem wir uns gemeinsam auf diesem unentdeckten oder vielmehr neu entdeckten Eilande befinden...«

Herr Dierl, der als Lebensversicherungsinspektor einen berufsmäßigen Blick für Annäherungsversuche hatte, mußte unwillkürlich Hochachtung vor der Meisterschaft des ekelhaften Hanswurschten empfinden.

Da ihm nicht gleich eine Antwort einfiel, grunzte er etwas Unverständliches, was auch als Erwiderung gelten konnte.

Das veranlaßte Herrn von Wlazeck, Platz zu nehmen und die Konversation fortzusetzen.

»Habe gehört, Herr Oberinspektor sind schon einige Tage hier und haben sozusagen Prioritätsrechte, die ich selbstverständlich respektiere...«

Dierl antwortete und war bald in ein anregendes Gespräch verwickelt, in dessen Verlaufe er die sein Ansehen hebende Mitteilung einfließen ließ, daß er vor etlichen Jahrzehnten bayrischer Leutnant gewesen sei. Daraufhin titulierte ihn Wlazeck als Herrn Kameraden, und der Oberinspektor der Artemisia kam nach dem sechsten Glase Bier in eine fröhliche Soldatenstimmung und wurde beim späten Schlusse ganz und gar alter Militär.

Als man sich kameradschaftlich getrennt und jeder sein Zimmer aufgesucht hatte, setzte sich Herr Dierl etwas durmelig auf den Bettrand, zog einen Stiefel aus und versank in Nachdenken, zog den andern Stiefel aus und sagte vor sich hin: »Dös is ja ein sehr ein angenehmer Mensch!«

* * *

Die beiden Soldaten blieben nicht lange allein auf dem Eilande. Wie, um Gegensätze hervorzuheben, führte das Schicksal etliche Tage später den blonden, zivilen Professor Horstmar Hobbe nach Altaich.

Er war Außerordentlicher für Kunstgeschichte in Göttingen und brachte seine Gattin Mathilde und eine zwölfjährige Tochter gleichen Namens und Aussehens mit.

Er mietete sich bei Natterer ein, da er stille Zimmer und einen Garten für sich haben wollte.

Zum Mittagessen ging die Familie Hobbe in die Post, abends zog sie es vor, daheim zum Tee Butterstullen und kalte Küche einzunehmen. Horstmar Hobbe arbeitete an einem großen Werke, das das letzte, entscheidende Wort über die Kunst als Kunst bringen sollte und den Titel trug: »Über die Phantasie als das an sich Irrationale.«

Wer zu einem so beträchtlichen Baue täglich mehrere Steine liefern muß, will nicht gestört werden und darf nicht jeden Abend unter banalen Menschen aus der Stimmung fallen, um erst nachts wieder hinein zu kommen.

Das vertrug sich nicht mit der Aufgabe und nicht mit der Absicht des Professors Hobbe, der lieber in Göttingen geblieben wäre und nur deswegen abgereist war, weil ihn bei der Untersuchung, ob Phantasie die Vorstellung der ideellen Form für die reale Erscheinung oder die Vorstellung der realen Form für die ideelle Erscheinung sei, eine längere Blutleere im Gehirn befallen hatte.

Der Arzt verordnete entweder völlige Einstellung des großen Werkes oder mäßige Arbeit in Landluft, und da Frau Mathilde zufällig in einer Berliner Zeitung den Hinweis auf das von ozonreichen Waldparzellen umgebene Altaich las, entschloß man sich, dorthin zur letzten Festlegung der bedeutenden Begriffe zu ziehen.

Die Familie fand bei Natterer die passenden Zimmer.

Von seiner Studierstube aus fiel Hobbes Blick über den kleinen Garten hinweg auf die große Holzwand der nachbarlichen Scheune, irrte also nicht in ungemessene Fernen, sondern hing sich an Linien und Astlöchern der grauen Bretter fest, was sein tiefes Nachdenken förderte.

Geräusche machten sich nicht bemerkbar; nur manchmal kreischte das Rad eines Schubkarrens, wenn die Magd des Nachbarn frischen Dünger auf den Misthaufen fuhr und umleerte, aber diese der seinigen so verwandte Tätigkeit störte den Kunstgelehrten nicht.

So war er vom ersten Tage an zufrieden und glücklich, und Mathilde die Ältere, wie Mathilde die Jüngere, die genau wußten, wie weit die Untersuchung über das Produkt im Verhältnisse zum Subjekte vorgedrungen war, ließen Stolz und Befriedigung in blauen Augen aufleuchten.

Unmöglich für Herrn von Wlazeck, an die Familie heranzukommen. Er hatte es bei ihrem männlichen Haupte versucht.

Horstmar Hobbe hatte mit seinen Damen die Post verlassen, war nach wenigen Schritten auf dem Marktplatze stehen geblieben und hatte seinen Blick gerade über den Brunnen weg auf ein Haus gerichtet.

Ahnte Wlazeck, daß der Professor in diesem Augenblicke darauf kam, daß das Genie in der Kunst ein Grenzbegriff sei? Er ahnte es nicht.

Er verbeugte sich ritterlich vor dem tiefen Denker und sagte:

»Gestatten, mich vorzustellen... Oberleutnant von Wlazeck... habe gehört, daß Herr Professor behufs Studienzwecken seinen Aufenthalt nach hier transferiert haben und glaube wirklich nach meinen gemachten Erfahrungen versichern zu können, daß sich der Ort ganz vorzieglich zu geistiger Produktion eignet...«

Er hätte noch länger ungestört reden können, wenn nicht Hobbe nach Überprüfung des Satzes wiederholt festgestellt hätte, daß Genie in der Kunst ein Grenzbegriff sei, und hinweg geeilt wäre, um den bedeutenden Fund schriftlich zu bergen.

Den höflichen Oberleutnant traf dabei ein derartig leerer Blick aus den Augen des Gelehrten, daß er entsetzt zurückprallte und auch hinterher viel zu verblüfft war, um sich gekränkt zu fühlen.

»Spinnt«, sagte er zu Dierl. »Ich bidde, lieber Herr Kamerad, der Kerl spinnt evident. Wann ich an Ochsen mit der Hack'n niederschlagen möchte... verzeihen den harten Ausdruck... aber, wann ich an Ochsen niederschlag, macht er ungefähr solchene Augen wie der Mensch... das heißt, bloß ungefähr, und immerhin noch bedeutend intelligentere.«

Es kam vor, daß Frau Hobbe mit ihrem Töchterchen spazieren ging, wenn die weihevollsten Stunden über Horstmar kamen und seine Gedanken sich so tief in das Irrationale der Phantasie bohrten, wie der Blick seiner entgeistigten Augen in die Astlöcher der Scheunenwand. Es kam vor, daß ihr dann zwei Herren begegneten und daß der Elegantere sie höflich grüßte. Dann dankte die außerordentliche Professorsgattin mit solcher Kälte, daß ein wärmerer Blick, der sie streifen wollte, auf dem halben Wege erfror.

»Ich bidde, Herr Kamerad«, sagte Wlazeck, »was is das für eine Art von Weiblichkeit? Ist das vielleicht Charme? Wahrscheinlich soll es Größe sein, aber bidde, was heißt Größe? Das wahre Weib muß einen Gruß halb entgegennehmen und halb parieren und auch auf Distance das reizvolle Spiel einer erlaubten Koketterie entfalten, das heißt, wann sie das kann, wann sie Charme hat, wann sie ein entzickendes Weib ist. Was meinen Herr Kamerad?«

Dierl, der als alter Junggeselle keinen Sinn für Nuancen des weiblichen Charakters hatte, antwortete etwas mürrisch: »Hätten S' halt die fade Wachtel net grüßt!«

»Aber bidde...«

Wlazeck setzte seinem Herrn Kameraden lebhaft auseinander, daß nichts auf der Welt ihn bewegen könne, unritterlich zu sein.

Am Ufer der Vils entlang wandelnd, gewährte er dem Inspektor der Artemisia Einblicke in das Wesen der Galanterie, die lehrreich hätten sein können, wenn sie nicht um Jahrzehnte zu spät gekommen wären.


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