Ludwig Thoma
Altaich
Ludwig Thoma

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Er hatte wieder mehr Sicherheit gewonnen; und als sie am Hallbergerhause vorbeikamen und die Künstlerin zufällig am Fenster stand und ihren Gruß erwiderte, setzte er sogar zu einem frivolen Lächeln an.

»Herr Schnaase bemerkten vorhin was von einem Randewuh?«

»Bst! Diskretion Ehrensache! Ich kann mich doch darauf verlassen, verehrter Herr Kanzleirat, daß Sie nich 'n Ton...?«

»Selbstverständlich! Aber is es so weit...?«

»Möglich... möglich auch nich! Sie dürfen es mir nich verübeln, daß ich die erste Kavalierspflicht befolge...«

»Natürlich net! Ich ehre Ihren Standpunkt durchaus. Ich meine nur, wissen Sie, ich hab' eigentlich nicht den Eindruck, daß die Dame... ah... wie soll ich sagen?... daß die Dame da entgegenkommt...«

Schnaase lächelte. »Haben Se nich den Eindruck?«

»Aufrichtig g'sagt, nein. Zum Beispiel, was sie da erzählt hat von dem Fürsten in dem Kaffee. Das läßt doch gewisse Schlüsse zu...«

»Das läßt zunächst mal den Schluß zu, daß uns das gute Mächen was vorpinnen wollte. Das war kalter Aufschnitt.«

»Sie kann natürlich übertrieben haben, aber direkt erfunden scheint es mir nicht zu sein...«

»Nich?«

Schnaase blieb stehen und legte die Hand auf die Schulter seines Begleiters und blickte ihm tief in die Augen.

»Lieber, guter Herr Kanzleirat, das Leben is nich ganz so, wie Sie sichs vorstellen, und das große Leben, wissen Se, das is nu schon ganz anders...«

»Ja, natürlich in Berlin erlebt man wahrscheinlich mehr...«

»Erlebt man ooch. Das kann ich Ihnen versichern... Aber Sie, nehmen Se mir das harte Wort nich übel, scheinen mir in solchen Affären nich gerade die größte Erfahrung zu haben...«

»Das will ich net g'rad sagen...«

»Nanu!«

»Ich hab' zum Beispiel seinerzeit in München eine Schauspielerin gekannt, das heißt, sie war eigentlich nicht beim Theater, sondern bei einer Singspieltruppe als Tirolerin; eine sehr pikante Erscheinung, sehr üppig, wissen Sie. No ja... da hat man ja auch seinen Teil erlebt...«

»Ei wei Backe! Üppig, sagen Sie?«

»Auffallend sogar. Ja... und in der Westendhalle, die jetzt nicht mehr existiert, war eine Coupletsängerin aus Wien. Die war anerkannt fesch...«

»Hören Sie mal! Das hätte ich Ihnen nu gar nich zugetraut. Denn aufrichtig gestanden, wie Sie heute so da saßen, wie 'n Topp voll Meise, da sahen Sie nich gerade aus wie'n Dong Schuang...«

»Die Sache is doch von Ihnen ausgegangen...«

»Ging se auch; aber Sie konnten so 'n bißchen akkompanjieren...«

»Ich weiß net. Da hab' ich so eine gewisse Abneigung dagegen in Gegenwart von andern, und dann dürfen Herr Schnaase auch nicht vergessen, daß ich gewisse Rücksichten nehmen muß...«

»Das ist ja, was ich sage. Sie leiden an Hemmungen, verehrter Herr Kanzleirat...«

Unter diesen Gesprächen erreichten sie den Marktplatz.

Schützinger konnte noch einmal die Gewandtheit des Großstädters bewundern, der seiner Frau erzählte, daß er auf dem erquickenden Spaziergange seine starken Kongestionen reineweg verloren habe.

* * *

Herr von Wlazeck sah ein, daß er die Aufmerksamkeit der Berliner Damen etwas stärker auf sich lenken mußte. Das hübsche Fräulein schenkte ihm wenig Beachtung und überhörte in geradezu auffallender Weise seine ritterlichen Komplimente.

Auch die alte Urschl – so nannte der Oberleutnant in Selbstgesprächen Frau Karoline Schnaase – tat merkwürdig fremd; besonders in den letzten Tagen, seit sie dem unappetitlichen Federfuchser eine sehr merkwürdige Beachtung schenkte.

Wie die Familie dazu gekommen war, diesen nägelbeißenden Dichterling an ihrem Tische Platz nehmen zu lassen, das war schon unbegreiflich.

Das war vermutlich der Berliner Schwarm für sogenannte Interessantheiten.

»Aber bitt' Sie, wenn der Mensch auch noch eine Interessantheit vorstellt, dann möchte man schon am guten Geschmack verzweifeln. Mit nackete Füß in abgelatschte Schuh hineinschliefen, das beruht am Ende nicht auf dichterischer Begabung, sondern auf dem Mangel an Strimpfen... bloß dreckig sein is noch lange nicht genial... Der Grüllparzer hat Socken angehabt, und der Herr von Gäthe auch. Sogar sehr elegante, wann er doch schon in Karlsbad in allerersten Kreisen verkehrte...«

Wlazeck hoffte, daß ein stärkerer Hinweis auf seine militärische Vergangenheit Wandel schaffen könne. Er beschloß, vor den Damen einmal hoch zu Roß zu erscheinen.

»Gestatten mir eine Anfrage, Herr Posthalter, Sie haben doch Pferde?«

»Fünfi«, erwiderte der Blenninger Michel.

»Alsdann möchte ich gebeten haben, daß mir eines zur Verfügung gestellt wird. Ich muß wieder einmal ein Pferd besteigen. In mir erwacht der alte Reitergeist. Wollen Sie mir einen Cavallo gegen angemessene Bezahlung leihen?«

»Was is? Reit'n möchten S'?«

»Aber ja! Natierlich will ich keine Parforcejagd reit'n; was ich möchte, is ein kurzer Spazierritt zur Wiederbelebung...«

»Dös glaab i kaam, daß dös geht...«

»Wieso?«

»Von meine Roß is no koans g'ritt'n wor'n... Dös hoaßt, daß i 's recht sag, an Handgaul, der wo in der Karriolpost geht, den hat da Hansgirgl amal beim Georgiritt g'habt.«

»No also!«

»Dös is aber aa scho vier Jahr her.«

»Für meine Zwecke wird der Gaul geniegen. Sie kennen beruhigt sein; ich werde ihn aufs eißerste schonen...«

»I wer amal mit 'n Hansgirgl red'n.«

»Wann Sie nichts dagegen einwend'n, will ich selber mit dem Mann red'n. Hat er gedient?«

»Schwoli war a.«

»No schauen S' her! Da werden wir sehr schnell einig sein. Zwei alte Soldaten verstehen sich leicht.«

»Vielleicht, wenn S' a paar Markl ei'reib'n...«

»Lassen Sie nur mich mach'n! Alsdann, Ihre Einwilligung hab' ich?«

»Vo mir aus«, sagte Blenninger.

Wlazeck eilte über den Hof, um den Postillon aufzusuchen.

Der Stallbub sagte ihm, daß der Hansgirgl im Kutscherstübl sei.

Als der Herr Oberleutnant dort eintraf, schlug ihm ein anheimelnder Duft entgegen.

Leder, Schmieröl, Bier, Rettiche und qualmende Stinkadores halfen zusammen, um ihn an alte Zeiten und Wachtstuben zu erinnern.

Auf dem Kanapee lag Hansgirgl. Seine nackten Füße, die über den Rand hinausstanden, verdeckten ihn in der Perspektive.

Gegenüber saß Martl. Auf dem Tische stand ein Maßkrug, daneben ein Teller, auf dem ein eingebeizter Rettich lag und weinte.

Niemand sprang auf, als der Oberleutnant eintrat. Niemand stand in Habtachtstellung. Insofern war der Unterschied von einer Wachtstube sehr merklich.

Martl wandte den Kopf halbschief gegen den Besucher; Hansgirgl rührte sich überhaupt nicht.

»Särvus!« rief Wlazeck sehr herzlich. »Lassen S' Ihnen, bidde, ja nicht stören!«

Sie ließen sich nicht stören.

»Ich möchte mit dem verehrten Herrn Postillon was besprechen.«

An den zwei nackten Füßen krümmten sich die großen Zehen.

Das war ein Lebenszeichen und konnte die Erlaubnis zu weiteren Mitteilungen bedeuten.

Wlazeck fuhr fort:

»Die Sache is nämlich folgende. Ich habe mich mit dem Herrn Posthalter darüber geeinigt, daß ich demnächst mit Ihrem Handgaul ausreiten werde. Es handelt sich also darum, daß Sie die nötigen Vorbereitungen treffen.«

Hinter den Füßen tauchte langsam ein Kopf empor, aus dem zwei unfreundliche Augen auf den Eindringling blickten.

»Han?« fragte Hansgirgl.

»Ich habe mit dem Herrn Posthalter verabredet, daß ich nächstens Ihren Handgaul reiten werde...«

»An Schimmi? Mein Stutz!«

»Selbstredend werde ich den Gaul nicht strapazieren. Es handelt sich nur um einige wenige Spazierritte in die nächste Umgebung.«

Der Kopf verschwand wieder.

»Alsdann, Postillon, ich erwarte, daß Sattel und Zaumzeug in Ordnung sind, wenn ich ausreiten will...«

Hansgirgl gab keine Antwort, aber Martl, der seinen Freund kannte und zu ihm stand, wie es sich gehörte, sagte feindselig:

»Da wern S' net recht viel Glück hamm.«

»Was heißt Glück haben? Wann Ihnen Ihr Herr, der Posthalter, den dienstlichen Auftrag erteilt, dierfte die Sache erledigt sein...«

Herr von Wlazeck war ärgerlich. Diese grobschlächtige Art des passiven Widerstandes empörte den alten Offizier, und er vergaß, daß er jovial und kameradschaftlich hatte sein wollen.

»Ich möchte mich nicht wiederholen. Ich übermittle Ihnen hiemit einfach den strikten Beföll Ihres Dienstherrn, mir zum Zwecke des Ausreitens den Gaul sowie alles Notwendige in Bereitschaft zu stellen. Ich werde Ihnen Tag und Stunde bekannt geben, beziehungsweise, Sie werden das von kompetenter Seite erfahren...«

Die Zehen Hansgirgls verkrampften sich; wahrscheinlich deutete es den Eigensinn dieses verschlossenen und finsteren Charakters an.

Martl übersetzte die Gebärdensprache.

»Dös werd si scho aufweis'n«, sagte er.

Und um anzudeuten, daß er die Audienz für aufgehoben erachte, nahm er einen starken Schluck aus dem Maßkrug und schnitt sich bedächtig einige Blätter von dem weinenden Rettich ab.

Wlazeck schlug die Türe zornig hinter sich zu.

Er traf den Blenninger noch an seinem gewohnten Platze unterm Torbogen.

»Aber bidde, Herr Posthalter, was haben denn Sie für Leite? Was is denn das für eine Disziplin in Ihrem Hause? Ich erkläre Ihrem Postknecht, daß ich in Ihrem Auftrag', also gewissermaßen als Ihr Beföhlsträger, den Wunsch eißere. Glauben Sie, er findet es der Mühe wert, mir eine Antwort zu geben? Nicht die Spur!«

Der Posthalter lächelte breit und gemütlich.

»Ja... ja... Der Hansgirgl! Der hat seine Sekt'n.«

»Traurig genug, wann er sie haben darf! Ich möchte den obstinaten Burschen in meinem Zug gehabt haben, ich garantiere, daß er in acht Tagen aus der Hand gefressen hätte. Und dann dieser Azteke, der Martl!«

»War der aa dabei?«

»Aber ja! Sitzt daneben und verlautbart die Willensmeinung des Herrn Postknechtes!«

»Da glaab i 's freili, wenn der dabei war! Wissen S', wenn de zwoa beinand hock'n, red't ma si hart damit.«

»Gestatten mir die submisseste Bemärkung, daß ich das einfach nicht verstehe. Untergebene haben meines Erachtens keine Eigentiemlichkeiten zu haben, viel weniger hervorzukehren, sonst schwindet eben jeder Begriff von Subordination...«

»Lassen S' as no guat sei! I wer an Hansgirgl scho rumkriag'n...«

»Hoffentlich! Mir möchte das an Ihrer Stelle sehr wenig Schwierigkeiten bereiten...«


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