Ludwig Thoma
Altaich
Ludwig Thoma

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Freilich, das bringen auch Gescheitere nicht heraus, was einem fünfzehnjährigen Buben die Gewißheit gibt, daß er ein Künstler werden müsse.

Es sind Geißhirten jahrelang auf den Almen herumgelegen, haben in den Himmel hineingeschaut und sich aus der blauen Luft eine Sehnsucht geholt, die sie hinunter in die Städte trieb und zu großen Künstlern werden ließ.

Wer aufmerksam dieses Wachstum betrachtet, wird verstehen, daß auch hier ein ins Ungefähr getragener Same in Licht und Luft besser aufgeht als einer, der künstlich in der Enge gepflanzt wird.

Selten wird aus einem Knäblein der Reichen, das man in Kunsterlebnissen aufzieht, was Rechtes; immer wieder lauft dem Herrlein ein barfüßiger Bauernbub den Rang ab; einer, der in Regen und Sonnenschein aufgewachsen ist und mit geschärften Sinnen Farben und Formen aufgenommen hat.

Vielleicht war Konrad in den Stunden, da er unter der Weide am Mühlbache saß, ein Künstler geworden, denn Wasser, das so geheimnisvoll fließt, sich ein bißchen dreht und ein bißchen murmelt und in die Ferne zieht, kann einen Buben wohl zum Bilden und Träumen anregen.

Jede Stimmung aber, die in Kinderherzen geweckt wird, gewinnt geheimnisvolle Kräfte, wenn sie sich nicht in Worte verliert.

Wir wollen den Heimlichkeiten nicht nachforschen, aus denen sich die Sehnsucht des Knaben formte; tröstete sich doch auch Frau Margaret mit dem Gedanken, daß Konrad eben ihres Martins Sohn sei.

Doch darf man erwähnen, daß ein Bild, das Deckengemälde in der Altaicher Kirche, nicht ohne Einfluß auf den Knaben geblieben war.

Es stellte die Schlacht bei Lepanto dar und war von einem Benediktinerpater aus dem Kloster Sassau um die Mitte des 18. Jahrhunderts gemalt worden. Es gab auf dem Bilde, das die ganze Decke der Kirche einnahm, unendlich viel zu sehen.

Fechtende Ritter, säbelschwingende Türken, schreiende Menschen, die im Wasser schwammen, Pulverrauch, lodernde Flammen, Engel, die um den Herrn Don Juan d'Austria schwebten und ihn mit Lorbeer krönten, sinkende Galeeren und oben in den Wolken den dreieinigen Gott, der auf den Christensieg herniederschaute. Wenn Weihrauch zur Decke emporwallte oder wenn heiter Sonnenschein durch die hohen Fenster auf einen Teil des Bildes fiel, indes ein anderer um so dunkler erschien, gewannen Personen und Dinge ein seltsames Leben, und der Orgelklang, der durch die Kirche brauste, verstärkte den Eindruck. Konrad weilte am liebsten auf dem Chore, wo sein Vater an Sonntagen die Geige spielte und dirigierte. Er bewunderte ihn, wenn er mit dem Fiedelbogen den Takt schlug und wiederum voll und kräftig die Saiten strich, daß sich der Lehrer auf seinem Sitz an der Orgel umdrehte und ihm beifällig zunickte.

Dann schien Herr Don Juan d'Austria sein Haupt noch stolzer zu erheben, und die Engel senkten sich tiefer herab, um ihm den Kranz um die Stirne zu winden.

Vielleicht faßte der Knabe in einem solchen weihevollen Augenblicke den Entschluß, auch einmal herrliche Bilder zu malen.

Nun waren alle Wünsche in Erfüllung gegangen, als er in die Akademie eintreten durfte. Er machte als Lernender alle Freuden und Leiden durch, die zwischen Wollen und Können liegen, und er war voll Eifer und Hingabe und getraute sich nicht, irgend etwas in der Kunst für nebensächlich oder überflüssig zu halten.

Er bewunderte seine Lehrer und die Genies, die in keiner Klasse fehlen, von denen man frühzeitig das Höchste erwartet und später nie mehr etwas vernimmt.

Ihn selber hielt man für guten Durchschnitt, für brav oder für recht brav, was bekanntlich keine Steigerung bedeutet.

Es fehlte ihm alles Frühreife, das Professoren, so oft sie auch enttäuscht werden, immer wieder überschätzen. Er war von guter Art, wie ein deutscher Apfelbaum, der Zeit haben muß zum Anwurzeln und zum Wachsen, bevor er Früchte trägt.

Darüber konnte er als junger Mensch keine Klarheit haben, und wenn er schon den Glauben an sich nicht verlor, so blieben ihm doch Zweifel nicht erspart, wenn neben ihm mancher üppig ins Geniale emporschoß. Je früher reif, je früher faul, ist eine Wahrheit, die man nur allmählich kennen lernt.

Es lag nicht im Wesen Konrads, daß er sich vorlaut über seine Vorbilder stellte und sich befreit fühlte, wenn ihn ein Fortschreiten von ihnen entfernte. Er suchte fast ängstlich mit einem Gefühle von Heimweh den alten Glauben und merkte mit Unbehagen, daß er ihn nicht mehr fand. Es war ein Gefühl, ähnlich dem, das ihn daheim überkam, als er nach längerer Abwesenheit zurückkehrte und das elterliche Haus kleiner, den Garten weniger schmuckreich und das Deckengemälde in der Kirche unbedeutender fand, als er es sich in liebevoller Erinnerung bewahrt hatte.

Aber, ob einer will oder nicht, sich losreißen von dem, was er verehrte, bleibt keinem erspart, der vorwärts geht, und es wiederholt sich so lange, bis einer sich selber gefunden hat.

Das kann ein langer Weg sein, der nicht schnureben läuft.

Auch Konrad suchte sein Ziel bald hier, bald dort.

Das lag in seiner Bereitwilligkeit, sich dem Ansehen der Führenden zu unterwerfen, begründet; wohl auch in der Art der Ausbildung, die heute mehr zur Nachahmung führt als ehedem.

Auch früher eignete sich der Schüler die Handschrift und handwerkliche Hilfen des Meisters an, aber in der Gegenwart ist der Lehrer zugleich Führer einer Richtung, die im betonten Gegensatze zu andern steht. So muß sich der Lernende viel mehr mit Haut und Haaren dem Meister, seinen Mitstreitern und Vorbildern verschreiben als in besseren Zeiten, wo sich das gedruckte Wort noch nicht die Herrschaft angemaßt hatte.

So setzte Konrad die seltsamsten Fabelwesen, die seinem Empfinden nichts bedeuteten, mitten in Waldwiesen und versuchte dies und das und nahm den Wortbrei der Mauschler viel zu ernst, bis er, dem recht elend zumute war, in der Heimat gesund wurde, indem er das suchte und fand, was seiner Natur gemäß war.

Jetzt erkannte er, daß er nichts Bedeutendes in die Dinge hineinlegen konnte, daß viel Schöneres in ihnen war, wenn er die heimlichen Zusammenhänge fand, die ihn mit allem, auch mit dem Unscheinbarsten, verbunden hielten, das dem gleichen Boden entstammte.

Das Kleine gewann Bedeutung, das Große wurde ihm durch Rückerinnerung vertrauter, und beglückt fühlte er, wie sein klares Erkennen an die Ahnungen der Kinderzeit anknüpfte.

Er mußte nicht mehr nach Ausdrucksmitteln suchen. Sie gaben sich natürlich und selbstverständlich, seit er wußte, daß jedes Kornfeld, das sich den Hügel hinaufzog, daß ein blauer Himmel, in dem eine Wolke verrann, nirgends in der Welt so war wie gerade hier, daß tausend Heimlichkeiten ihn zu einem Stück Heimat machten, wie den Rauch, der kerzengerade aus dem Kamine eines windschiefen Hauses aufstieg und sich als blauer Duft in maiengrünen Buchen verlor.

Jetzt konnte er über die Schriftgelehrten und ihre Rezepte lächeln, seit er wußte, daß wir von dieser Erde nur ein kleines Stück mit Herz und Sinnen besitzen und nur von da aus ins Weite schauen können.

Konrad veränderte sich in seinem Wesen, als er sah, wohinaus er wollte. Er war von einer inneren Fröhlichkeit, die den Eltern nicht entging, und der Frau Margaret, die sich oftmals über seine Niedergeschlagenheit bekümmert hatte, fiel ein schwerer Stein vom Herzen.

Martin hatte auch mit Sorge die gedrückte Stimmung an seinem Konrad bemerkt, aber jede Frage vermieden, denn er dachte, daß jeder mit sich selber fertig werden müsse.

In der Zeit war sein Sohn auch gegen ihn zurückhaltend und einsilbig gewesen, aber nunmehr sprach er wieder von Plänen und Hoffnungen, und eines Tages erklärte er zur Freude der beiden Alten, daß er auch im Winter daheim bleiben wolle.

Als er die frohe Stimmung behielt, merkte sein Vater recht gut, daß er nach innerlichen Kämpfen mit sich ins reine gekommen war.

Und an einem stillen Sonntagvormittag, als sie nebeneinander auf der Brücke standen und dem fließenden Wasser nachschauten, begann Konrad zu reden.

Er schilderte dem Vater, was er lange gesucht und jetzt gefunden habe.

Martin hörte ernsthaft zu.

Es war nicht seine Art, lange Sätze und gebräuchliche Worte zu reden.

Er sagte bloß: »Jetzt wird's wohl gehen, Konrad...« und sah ihm mit einem kurzen, freundlichen Blicke in die Augen und schaute wieder weg, denn er war von schamhafter Natur und wies seine Gefühle nicht gerne her.

Und wohl ging es.

Konrad streifte mit seinem Malkasten in der Gegend herum und war erstaunt, wie ihn liebevolles Verstehen von einem zum andern führte, und er lachte darüber, daß er ehedem Eindrücke gesucht hatte.

Die Altaicher Bürger jedoch hatten sich eine ungünstige Meinung über das Künstlertum Konrads gebildet. Sie kannten die Welt, so weit sie auch von ihr weg waren, und wußten, daß zum vollen Werte eines Künstlers die Anerkennung der Zeitungen gehört.

Weil man aber nichts las über Konrad Oßwald, war der Rückschluß bald gemacht.

So urteilte Natterer junior, der sich gewissenhaft fragte, ob er dem jungen Menschen Vertrauen in einer wichtigen Angelegenheit schenken dürfe. Es handelte sich darum, Ansichten vom Höhenluftkurorte Altaich und der Umgebung herzustellen, die man als Plakate in Bahnhöfen und Hotels aufhängen würde.

Die große Idee war eines Nachts über Natterer gekommen, so daß er mit beiden Füßen zugleich aus dem Bette sprang und den Plan niederschrieb.

Am andern Morgen eilte er fast atemlos vor innerer Bewegung zum Posthalter, um ihm den wichtigen Einfall mitzuteilen.

Blenninger öffnete schon den Mund zur Frage: »Was hast denn wieda für an Schmarrn?«, aber er schloß ihn und schwieg.

Seine Zurückhaltung hatte ihren guten Grund.

Es waren im Verlaufe zweier Wochen wirklich fünf Sommerfrischler, darunter einer mit Weib und Kind, eingetroffen, und das mußte man doch anerkennen.

Deswegen tat sich der Blenninger Michel einen Zwang an und ließ den Kramer zu Ende reden und sagte weiter nichts als: »Von mir aus tuast, was d' magst.«

Herr Natterer war nun verpflichtet, sich über die Qualitäten des Malers Konrad Oßwald klar zu werden, und er bedachte, daß vielleicht die Anhänglichkeit an den Heimatort das Können heben würde. Da er zudem für den Grundsatz: »Kauft am Platze!« eingenommen war, faßte er noch während des Gespräches mit dem Posthalter den Entschluß, dem jungen Manne die Ehre des Auftrags zukommen zu lassen.

»Meinst d' nicht auch?« fragte er den Blenninger. »Er is zwar koan anerkannter Künstler, aber ma kann ihn als Altaicher net auf d' Seit setz'n. Und übrigens bin ja ich da; ich überwach die Sache schon. Meinst d' net auch?«

Der Posthalter steckte die Hände in die Hosentaschen und pfiff seinem Tiras, der auf dem Marktplatz eine Bekanntschaft erneuern wollte, und dann sagte er: »Ja... ja... von mir aus tuast d', was d' magst.«

Natterer, der einen Entschluß immer auf der Stelle ausführen wollte, eilte mit fliegenden Rockschößen weg, am Martl vorbei, der ihm feindselig nachschaute und vor sich hin brummte: »Spinnata Kramalippl... hundshäuterner!«


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