Ludwig Thoma
Altaich
Ludwig Thoma

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Frau Schnaase ließ ihre Blicke in der Runde schweifen und rief:

»Wie hübsch es hier ist! Das ist also eine wirkliche Mühle im kühlen Grunde, und der Bach rauscht, wie man sich's nach dem Liede vorstellt. Hier müßte man immer leben!«

»Du kannst ja das Experiment machen«, sagte ihr Mann. »Aber ich wette 'ne Stange Gold, nach vierzehn Tagen kehrst du reumütig in die Hedemannstraße zurück.«

»Ich aus einer solchen Stimmung in die Hedemannstraße...?«

»Denk an den Fünfuhrtee, Karline, und ans Theater und an die Vorstellungen, wo die Dingsda, die Mannekänks mit den neuen Kleidern, herumspazieren. Nee, in acht Tagen haben wir dich wieder...«

»Gott! Wenn du wüßtest, wie schal mir das alles vorkommt!«

»Den Zahn lass' dir man ausziehen! Du kannst es nich entbehren, und Mannekänks, das is nu mal die Poesie, die für dich Bleibe hat. Nämlich« – Herr Schnaase sagte es zu Margaret »nämlich meine Frau hat'n Schwarm für den reinen Naturjenuß. Aber ich sage, das is Phantasie. Das wirkliche Landleben kannste nich verknusen, Karline; das is nischt für unsereins, das muß von Jugend auf gelernt sein.«

»Das ist vielleicht deine Ansicht...«

»Es is die Macht der Gewohnheit; was ich dir immer sage. Natur is ja hübsch und kann sogar sehr hübsch sein, aber wir Großstädter vertragen nur ne Dosis davon, und hinterher brauchen wir wieder Nachtleben un Radau...«

Konrad kam der Frau Schnaase zu Hilfe.

»Ich glaube, daß man die Stadt schnell vergißt...«

»Nee...«

»Das heißt...«

»Nee, verehrter Herr Kunstmaler, nehmen Sie mir's schon nich übel, das kann einer nich wissen, der nich mitten drin war, so nach zwölfe in der Friedrichstraße. Diese Ruhe hier erträgt man auch, wenn man in Stimmung is. Aber ich behaupte, sogar die paar Wochen auf dem Lande sind nich unjemischte Freude...«

»Du mußt eben opponieren«, sagte Frau Schnaase und wandte sich an Margaret. »Er hat das so. Er muß partout das Gegenteil behaupten...«

»Ich muß nur ab und zu mal was richtig stellen, denn ihr Damens seid nich konsequent und nich aufrichtig. Sag mal selbst, wie wir hier mit der Zottelbahn ankamen, wer wollte da gleich wieder weg?«

»Aus andern Gründen, das weißt du gut, und übrigens mußte ich doch erst die Gegend kennen lernen...«

Konrad kam wieder zu Hilfe und sagte, daß die Landschaft nicht sofort einen starken Eindruck mache. Aber wenn man sie länger kenne, würde sie einem lieb...

»Das ist gerade das, was ich sagen wollte«, rief Frau Schnaase. »Nanu! Es ist genau das, was ich gesagt habe. Man muß es gewohnt sein...«

Er unterbrach sich, als das Dienstmädchen den Kaffee auftrug.

Der duftete so köstlich, und Butterbrot und Gugelhupf schmeckten so gut dazu, daß über Schnaase eine milde Stimmung kam.

Frau Margaret, die nach altbürgerlicher Art glaubte, daß sich gleich zu gleich halten müsse, knüpfte ein Gespräch mit Frau Schnaase an. Durch kluge Fragen erfuhr sie, wie diese Mitschwester ihr Leben führte, und sie erkannte ihr Wesen und die Ursache ihrer Seufzerlein. Zeit totschlagen ist eine Arbeit, bei der man selten lustig bleibt, und auf weichen Pfühlen sitzt man sich bald müde.

Karoline Schnaase, die ihre Liebe zu stimmungsvollen Mühlen noch eine Weile aufrecht hielt, schenkte dem bescheidenen Weiblein neben ihr ein wohlwollendes Gehör, und fand Vergnügen daran, vor ihm den Vorhang über der gleißenden Pracht ihres Berliner Lebens aufzuziehen. Sie merkte nicht, wie sie durch staunende Teilnahme immer weiter herausgelockt wurde.

Frau Margaret erfuhr also, wie hilfreich sich eine große Gesellschaft gegenseitig unterstützt, um die Zeit zu vertreiben, wie viele Sorgen das Vergnügen macht, und was für einen erbitterten Kampf man gegen die Langeweile zu führen hat.

Sie sah, daß es für diese Leute nicht Regen noch Sonnenschein gibt; daß Frühling, Sommer, Herbst und Winter ihnen nichts bringen als neue Kleider und Hüte und eine Abwechslung im Zeitvertreib, die wieder Gewohnheit wird und dann schmeckt wie abgestandenes Bier. Sie sah diese Menschen sich abmühen im Nichtstun, und der Blick in eine Arena, darin einer hinterm andern zwecklos im Kreise herumlief, machte sie so ernsthaft aussehen, daß Frau Schnaase glaubte, sie habe in dem bescheidenen Wesen Sehnsucht nach der großen Welt erregt.

Weil sie aber gutmütig war, wollte sie ihm das Unerreichbare nicht gar zu verlockend erscheinen lassen und sagte: »Aber wissen Sie, gute Frau Oßwald, es is nich alles Gold, was glänzt, und unsereinen trifft manche Sorge, und man sehnt sich nach der schönen Ruhe, die Sie genießen.«

Da nickte Frau Margaret nachdenklich mit dem Kopfe und streifte mit einem Blicke das Mädchen, mit dem sich ihr Konrad unterhielt.

Henny beklagte sich darüber, daß sie in Altaich so gar keine Möglichkeit zum Tennisspielen habe.

Ein Brief von ihrer Partnerin Dolly Hirsch hatte sie lebhaft an ihre Pflicht erinnert. Es war zu gefährlich, wenn sie so ganz aus der Übung kam. Sie mußte bei den Wettspielen im Herbste schlecht abschneiden. Eigentlich durfte sie gar nicht daran teilnehmen, weil sie die Chancen ihrer Partie gefährdete, aber wenn sie ihre Unterlassung eingestand, mußte sie ausscheiden, und dann wußte sie nicht, wo eine neue Partie zu finden war. Das ging nicht so einfach...

Konrad nahm Anteil an ihrem Kummer. Wenn er nur dem hübschen Mädchen hätte helfen können! Konnte man nicht doch so eine Art Tennisplatz anlegen und konnte nicht er als Spieler aushelfen?

Das fragte er ganz ernsthaft eine Siegerin in zwei Schöneberger Turnieren, und dabei gestand er, daß er noch nie ein Rackett in der Hand gehabt habe!

Junge Herren, die Eindruck machen wollen, müssen in ihren Äußerungen ungeheuer vorsichtig sein, denn ein Mangel kann andere Mängel beleuchten oder aufdecken.

Konrad hatte ahnungslos peinliche Zusammenhänge hergestellt. Sein naives Anerbieten stimmte zu dem Mangel an Schick, der ihm anhaftete, zu der schlecht geschnittenen Kniehose, die er statt Breeches trug. Ein Lächeln, das keine Hochachtung ausdrückte, huschte um die Mundwinkel Hennys, so flüchtig, daß es niemand bemerkte als Frau Margaret, die schnell und gründlich, wie es Mütter können, eine Abneigung gegen das Mädchen faßte.

Konrad hatte nichts gesehen. Er ahnte nicht, daß er blitzartig mit einem tiptop gekleideten James Dessauer verglichen und in unabsehbare Weite hinter ihn gestellt worden war.

Herr Schnaase hatte derweil dem zerstreuten Martin anerkennende Worte über bayrische Süßrahmbutter gespendet, aber der Mensch saß ja mit verträumten Augen da und bewies durch keine Antwort, daß er bei der Sache war!

Da wandte sich Schnaase von ihm ab und lenkte doch lieber die Aufmerksamkeit der andern auf sich.

»Richtig ja! Das habe ich ja noch gar nich erzählt... Da is doch hier der Dichter mit den großen Horchlappen, der so unmenschlich viel essen kann... na... der Pfünzli... Pünzli... über den is doch 'n Artikel in der Zeitung gestanden...«

»Wie interessant!« rief Frau Schnaase.

»In so ner literarischen Rundschau, und das Käsblatt, was drüben in Piebing erscheint, hat es abgedruckt...«

»Warum erzählst du das erst jetzt?«

»Natterer hat mir's gezeigt, vor ner Stunde...«

»Wie interessant! Und was sagt die Kritik?«

»Ich habe mir nich allens gemerkt, aber es heißt, er is der Erotiker der Zukunft.... Na! ich muß sagen, das wird wohl sehr theoretisch sein...«

»Man muß ihn einladen«, sagte Frau Schnaase.

»Den gräßlichen Kerl?« fragte Henny.

»Wieso gräßlich?« verwies sie die Mutter.

»Herr von Wlazeck behauptet, daß er nich mal Socken an hat.

Ich habe natürlich nich darauf geachtet...«

»Wenn er geistig bedeutend ist, und wenn man von ihm spricht, kann er Eigentümlichkeiten haben. Ein pensionierter Leutnant hat nicht das Recht dazu...«

Frau Schnaase wandte sich wieder an ihren Mann. »Erotiker der Zukunft, sagst du? Das is wohl Lyriker?«

»Ich weiß nich. Wahrscheinlich, denn was mit Theater zusammenhängt, kennst du ja... Übrigens das mit den Socken hat mir Wlazeck auch anvertraut. Eigentlich sonderbar! n' Erotiker stelle ich mir mit durchbrochenen Strümpfen vor...«

»Nun fang du nicht auch damit an!«

»Es is 'n interessanter Fall, Karline. Is das nu Erotik aus Erfahrung oder aus Unmöglichkeit? Das is hier die Frage...«

»Vielleicht wirst du dich über dieses Thema nicht mit deiner gewohnten Gründlichkeit verbreiten?« sagte Frau Schnaase sehr strafend. »Jedenfalls müssen wir mit dem Manne bekannt werden!«

»Aber Mama!«

»Ja, sage ich dir. Er kann dann im Winter zu meinem jour fixe kommen...«

»Vielleicht ist er gar nicht in Berlin...«

»Dann kommt er hin. Als Dichter, der genannt wird...«

»Sehen Sie!« rief Schnaase, indem er sich an Konrad wandte. »Hier haben Sie's! Was ich Ihnen immer sage, es geht nu mal nich ohne Berlin. Meine Frau sagt das ganz unwillkürlich, mit der weiblichen Selbstverständlichkeit...«

»Was is mit Berlin?« fragte Frau Margaret.

»Liebe, verehrte Frau Oßwald! Reden Sie um Gottes willen Ihrem Sohne nich ab! Es is unerläßlich, daß er nach Berlin geht, denn es is nu mal Metropole, und wenn München noch so gemütlich ist...«

»Er geht ja gar net nach München...«

»Ich bleibe im Winter hier«, ergänzte Konrad.

»Hier?! Aber Verehrtester, Sie brauchen doch Anregung! Hören Sie mal, als Künstler!«

»Herr Oßwald wird das besser beurteilen können...«

»Nee, Karline, da gibt's nu wirklich keine Meinungsverschiedenheit. Der Künstler gehört ins Zentrum der Kultur. In künstlerisches Miliöh. Das sagt uns die Erfahrung. Nee! Machen Sie so was nich! Hier müssen Sie ja versauern...«

Um Konrads Mund spielte ein Lächeln, das ihm gut stand, aber einem erfahrenen Weltmanne nicht gefallen konnte. Dabei erzählte er, als ob er's besser wüßte, daß er sich allerlei vom Aufenthalt verspreche.

Er wolle nach langer Zeit wieder einmal die Heimat verschlafen und verschneit sehen, Wald und Hügel und die Bauernhäuser, die sich unterm Schnee zusammenduckten und bloß durch den Rauch, der aus den Schornsteinen kräuselt, verrieten, daß behagliches Leben in ihnen stecke...

»Alles sehr schön«, erwiderte Schnaase. »Meinswejen sogar poetisch. Aber das ändert nischt an der Devise: Der Künstler muß hinein ins volle Leben. Er muß wissen, was los is. Glauben Sie mir altem Praktikus: Mit den Idealen alleene macht man's nich. Davon raucht der Kamin nich, weil Sie schon von Schornsteinen sprechen. Der Künstler muß wissen, was die Mode will, was gefällt. Das erfahren Sie in Berlin; hier erfahren Sie's nich!«

Konrad wollte gegen so viel Erfahrung nicht ankämpfen und schwieg.

Herr Schnaase aber vervollständigte seinen Sieg.

»Es handelt sich nich bloß darum, daß Sie sehen, sondern auch darum, daß Sie gesehen werden. Die Leute mit dem großen Portemonnaie müssen von Ihnen sprechen, der Kunsthändler muß Sie lanxieren, denn können Sie sagen: Es ist erreicht...«

»Vielleicht urteilst du doch zu nüchtern, Gustav? Es hat auch große Künstler gegeben, die nur ihren Idealen dienten...«

»Hat, Karline. Dadruff lege mal den Nachdruck! Hat gegeben, gibt's nich mehr...«

»Warum soll die Welt mit einemmal so prosaisch geworden sein?«

»Is se nich. Aber praktisch is se geworden. Wenn man die nötigen Moneten hat, denn kann man sich's so poetisch machen, wie man will. Sehen Sie, da is mein Freund, der Professor Waschkuhn, von dem Sie doch wohl gehört haben... Der hat's erfaßt. Der malte un malte drauf los; immer die Damen vom Theater, immer die Säsonggrößen. Lange war's nischt. Aber mein Waschkuhn sagte sich, mit Geduld un Spucke und ließ nich locker. Auf einmal, mit 'n Bild von... von...«

»Lolo Hillmers«, sagte Henny.

»Ganz richtig! Mit 'n Bild von der Hillmers machte er's. Nu kamen die Damen von der Finanz, die mit das ville Geld, un jede wollte so aussehen wie die Hillmers. Nach dem Rezept malte er nu und verdiente aasig, denn wenn's mal so weit is, darf's auch was kosten. Das wollen die Leute sogar. Ich habe oft mit Waschkuhn darüber gesprochen, und er sagte mir: ›Alter Freund, der künstlerische Erfolg is und bleibt das ewige Geheimnis. Er is das große Los; un die Hauptsache is, daß man immer wieder setzt...‹«

»Zum Beispiel Dessauer!« rief Henny.

»Richtig ja! Der Bruder von deinem Tennisfatzke... das is auch so 'n Fall...«


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