Ludwig Thoma
Altaich
Ludwig Thoma

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Als sie draußen war, fühlte Schnaase sich verpflichtet, ein wenig unternehmend zu werden, damit der Kanzleirat merken könnte, was ein Lebemann sei.

Er sprang vom Kanapee auf und drückte feurige Küsse auf die ringgeschmückte Hand der Bummsdiwa.

»Mein Herr!«

»Nur bewundernde Verehrung, Gnädigste!«

»Behalten Sie, bitte, Platz!«

»Wie Sie befehlen. Aber Sie glauben ja gar nich, wie ich von diesem Zusammentreffen entzückt bin. Ich sage mir, das is nich Zufall, das hat so kommen müssen. Glauben Sie nich?«

»Das Schicksal führt uns oft eigene Wege«, erwiderte Mizzi.

Aber Konversation war nicht das, was Schnaase wollte. Und dem Knautschenberger, der neben ihm saß, mußte er doch ein Licht aufstecken.

»Liebes Kind«, sagte er zärtlich, »nu sagen Sie mal aufrichtig, was Sie in dieses schauderhafte Nest geführt hat? Dalles – was?«

Blitzschnell streifte ihn ein Blick.

»Ich verstehe nicht, was Sie meinen...«

»Na, Kleine, tun Sie man nich so!«

»Mein Herr!«

»Sehen Sie, wenn ich das Glück gehabt hätte, Sie in Berlin kennen zu lernen, dann wären wir ganz bestimmt nich hier...«

Mizzi verstand nicht, aber Schnaase sprang wieder lebhaft auf und bedeckte ihren Arm bis zum Ellenbogen mit Küssen.

Dem Kanzleirat wurde es peinlich zumute. Er fürchtete, daß die Dame in starke Entrüstung geraten werde, aber sie wies den stürmischen Berliner bloß auf seinen Platz zurück.

Freilich mit tiefem Ernste.

Und um ihn zur Besinnung zu bringen, erzählte sie, daß sie kurz vor ihrer Abreise von Berlin einen peinlichen Auftritt mit dem Fürsten Walewski gehabt habe.

Er war mit ihr und dem Grafen Planitz und Olly Hannsen im Kaiserhofe gesessen, beim five o'clock, und man hatte sich gut unterhalten, wie man sich eben in solchen Kreisen unterhält.

Mit einemmal, die Musik spielte gerade einen Turkey-Trott, mit einemmal kniff sie Walewski ins Bein.

Was glaubt so 'n Mensch? Weil er Fürst ist?

»Walewski!« sagte ich, »wenn Sie sich in meiner Gesellschaft befinden, dann betragen Sie sich auch darnach!«

Und dann war sie aufgestanden, und nur dem Zureden von Planitz war es gelungen, sie zurückzuhalten.

Aber Walewski konnte sich darauf verlassen, daß sie das letztemal mit ihm ausgegangen war.

Auf Schützinger machte die Erzählung starken Eindruck. Wenn nur sein Begleiter die rechte Nutzanwendung daraus zog und seine Begierde zügelte!

Schnaase dachte nicht daran. Er beugte sich lächelnd vor. »Wo hat Sie nu Walewski gekniffen? Hier... oder hier?«

»Mein Herr!«

»Aber liebes Kind!«

»Ich finde, Sie werden keck.«

»Oder hier... kss!«

»Es ist schrecklich«, sagte Mizzi Spera ganz unvermittelt, »ich habe hier zwei Pfund zugenommen.«

»Aber so was Reizendes kann doch gar nich genug zunehmen!«

»Eigentlich einunddreiviertel Pfund«, verbesserte sich die Künstlerin. »Man hat hier keine Bewegung, keinen Sport. Wenn ich meinen gewohnten Morgenritt machen könnte...«

»Im Tiergarten? Was? Aber nächstes Jahr müssen Sie unbedingt an die See! Und passen Sie mal Obacht! Wir treffen uns in Zoppot...«

»Vielleicht...«, sagte Mizzi lächelnd.

»Nee! Todsicher! Die Sache wird gemacht!«

Und wieder sprang Schnaase auf und wurde stürmischer als vorher. Seine Küsse auf Hand und Arme folgten sich schneller und wurden von Wonnelauten begleitet.

Er hatte wirklich mehr Erfolg, als der Fürst Walewski. Kein strenges Wort scheuchte ihn zurück.

Allerdings, man saß nicht im Kaiserhof in zahlreicher Gesellschaft, sondern in einer stillen Wohnstube.

In Schützingers Brust stritt sich leises Unbehagen mit dem anerkennenden Staunen über so viel Mut und Festigkeit im Umgange mit Damen. Wie er so neben Erfolg und Glück mit verlegener Miene da saß, kam es ihm zum Bewußtsein, daß er eigentlich zeitlebens daneben gesessen war, und ein bitterer Ernst verdüsterte sein Gesicht.

Aber nun kam die Hallbergerin mit Kaffee und Kuchen zurück.

Schnaase mußte ruhig auf dem Kanapee sitzen, und man war wieder im Banne gesellschaftlicher Vornehmheit.

»Ihr verehrtes Fräulein Tochter erzählte uns eben so interessant von ihren Studien«, log der gewandte Großstädter. »Ich muß sagen, ich bewundere nu erst recht ihr Künstlertum, nachdem mir 'n Einblick vergönnt war in die kolossale Energie... in das rastlose Schaffen, das dazu notwendig ist...«

»I woaß überhaupts net, wia si dös Madl alles a so mirka ko! Wia s' dös erstmal auftret'n ist in Minga, i hab g'rad a so g'schaugt. Is scho wahr! Jetzt i hätt dös nia z'sammbracht. I hab' mi scho hart to, wenn i in da Schul a G'setzl hab auswendi lerna müass'n...«

Schnaase nickte beistimmend und schob ein Stück Torte in den Mund.

»Sagen Sie mal... Sie müssen mir die Indiskretion verzeihen, Gnädigste.... sagen Sie mal, verehrte Frau Hallberjer, wie kam das nu eigentlich, daß 'n solches Talent in dieser Zurückgezogenheit erblühen konnte?«

Mizzi Spera wollte abwehren. Aber da wurde Schnaase eifrig.

»Ich muß dringend um Entschuldigung bitten, Gnädigste, aber so 'n bißchen was von Ihrem Werdegang zu erfahren, is 'n Genuß, den Sie uns nich verkümmern dürfen. Nich wahr, Herr Kanzleirat?«

»Jawohl«, sagte Schützinger etwas zu trocken.

Die Hallbergerin, in so dringender Weise aufgefordert, ihr Lieblingsgespräch zu beginnen, war nicht mehr im Zaume zu halten.

Das sah Mizzi ein und deswegen ließ sie ihre Mutter gewähren.

»Wia dös ganga is, daß ihra Talent aufkemma is? O mei! Wissen S', dös Madl hat ihrer Lebtag den Drang in ihr g'habt. Und mit die Büacha is sie überhaupts ganz narrisch g'wen... was sagst d'?«

»Du sollst dich doch nicht so ausdrücken, Mama!«

»Ja so... i muaß halt mei Sach sag'n, wia'r i ko, schau! Und de Herrn wer'n mi scho entschuldinga. Also wia sie z'ruckkomma is vom Institut, bei de Englisch'n Freilein in Piebing is s' g'wen, weil i g'sagt hab, sie soll a Buidung kriag'n, obwohl mei Mo... no ja, es hat a jed's seine Ansicht'n... also wia sie von de Englisch'n Freilein hoam kemma is, da hat's an ganz'n Tag g'les'n und is oft ganz tramhappet g'wen...«

»Aber Mama!« flehte Mizzi.

»No ja... ma sagt halt a so. Dös hoaßt, sie is g'wen, als wenn s' traamet. Was machst d' denn für a traurige Papp'n? hab' i s' oft g'fragt, und nacha hat sie g'sagt, daß der betreffende Liabhaba in dem Büachi g'storb'n is, oder ihr is was passiert, net da Marie, sondern dem betreffenden Liabhaba seina Braut oda Geliebten. No, und nacha is sie auf Minga nei, d' Marie, verstengan S', weil ihra Drang allawei größer wor'n is, und da hat sie Leut an da Seit'n g'habt, de wo ihra Begabung bessa kennt hamm als mir... freili, weil ja unseroans mit de Sach'n eigentli nia was z' toa g'habt hat, und diese betreffenden Leut hamm s' nacha so weit bracht, daß s' auftret'n is...«

»In München?« fragte Schnaase mit geheuchelter Teilnahme.

»Freili. In so an Kinstlakawaräh. I war drin, wia sie 's erstmal auftret'n is... Dös war schö! Wia s' ihra Gedicht aufg'sagt hat... Kannst as nimma, Marie?«

»Ich werde das alte Zeug noch können!«

»Is aber schad, weil's so lusti g'wen is, und d' Leut hamm klatscht und g'schriean, und a Herr hat zu mir g'sagt, daß sie geboren is zu dera Kunst, und durch dös is sie halt dabei blieb'n...«

»Gott sei Dank!« rief Schnaase. »Wir haben allen Grund, verehrte Frau Hallberjer, Ihnen dankbar zu sein, daß Sie unserer Mizzi Spera die Wege geebnet haben...«

»Gel? Sag'n Sie's aa? Aba sehg'n S', hier gibt's so Leut, de si g'äußert hamm, weil d' Marie zum Theata ganga is...«

»Laß sie doch!« sagte die Diva.

»Ma sagt bloß, weil de feina Herrschaft'n vui mehra Vaständnis hamm als wia de g'scheert'n Depp'n, de Altaicher Büffi. Is ja wahr! Wia kinnan denn de übahaupts mitred'n? De hamm ja ihra Lebtag no koa Kawaräh g'sehg'n! Aba g'schimpft werd. Natürli, wenn 's nach dena ganga waar, hätt' d' Marie dahoam hocka müass'n, bis amal Gnad'n da Herr Schuasta oder da Herr Nagelschmied ihr an Antrag g'macht hätt'...«

»Die Idee berührt einen komisch... Mizzi Spera und so 'n Altaicher Schuhmachermeister...«

»Ja, aber dös glauben S' net, was i da für Kämpf' g'habt hab' und no hab'... denn mei Mann, wissen S'... no ja... er is tüchtig in sein G'schäft, aber da is nix z'richt'n mit eahm. Und alleweil voll Zorn geht er umanand...«

»Das interessiert uns aber doch wirklich nicht«, sagte Mizzi und warf wieder einen fürchterlichen Blick auf die gesprächige Hallbergerin.

»Ma sagt bloß, weil 'n d' Leut' aufhetz'n. Und gar so oafach is net, dös muaß i dir scho sag'n. Es is ja oft a so, als wenn er mit der ganz'n Welt s' raffa o'fanga möcht und dreischlag'n...«

»Schenk' den Herren lieber Kaffee nach, als daß du solche Familiengeschichten erzählst«, unterbrach sie die Tochter, die ernstlich böse wurde.

»Ja so... dös hätt' i bald vergess'n...«

»Nee, danke wirklich... verehrteste Frau Hallberjer...«

Auch Schützinger wehrte ab.

Die Erwähnung des grimmigen Schlossermeisters hatte ihm Unbehagen verursacht.

Er warf einen Blick auf die alten Hallberger, die jetzt noch drohender auf ihn herunterschauten. Ihre Gesichter erschienen ihm röter, und jeder sah so aus, als ob er sich nichts daraus machte, einen frivolen Eindringling, und wenn er zehnmal Kanzleirat im Ministerium des Innern wäre, recht windelweich herzuschlagen und rücksichtslos über die Stiege hinunterzuwerfen.

Wenn der Nachkomme die Anlage von den wütenden alten Herren geerbt hatte, dann war von seiner Rückkehr das Schlimmste zu befürchten.

Das Frauenzimmer da versicherte freilich, daß er abends mit dem letzten Zuge heimkommen werde; aber waren nicht Zufälle möglich? Konnte er mit seinem Geschäfte nicht früher fertig geworden sein und jetzt schon die Kirchgasse heraufeilen?

Eine peinigende Unruhe befiel den würdigen Mann, und er sah sich der Möglichkeit eines Skandales ausgesetzt. Hastig stand er auf.

»Ich muß jetzt gehen«, sagte er. »Entschuldigen die Damen vielmals, aber...«

»Meine Zeit is leider auch um. Wenn ich 'ne Ahnung gehabt hätte, daß mich hier das Glück mit unserer verehrten Mizzi Spera zusammenführen werde, hätte ich mir selbstverständlich den Nachmittag frei gehalten. Heißen Dank, verehrte Frau Hallberjer, es war sehr, sehr schön, und gestatten, Gnädigste, daß ich der Hoffnung Ausdruck verleihe, daß ich Sie recht bald wiedersehen darf...«

Die Künstlerin erlaubte hoheitsvoll, daß ihr Herr Schnaase mehrmals die Hand küßte.

Sie war innerlich wütend über Mama, die mit ihren dämlichen Redensarten die Stimmung getrübt hatte, und sie hatte wirklich Mühe, ihre Haltung zu bewahren. Sie wies die Hallbergerin, die auch die Gäste hinausbegleiten wollte, mit dolchartigen Blicken zurück und ging allein bis zur Treppe.

Schützinger eilte die Stufen hinunter; er sehnte sich von unziemlichen Abenteuern und Gefahren weg nach frischer Luft und sah sich nicht mehr nach Schnaase um, der noch etwas länger bei Mizzi Spera verweilte und flüsternd mit ihr Verabredungen traf.

Er atmete auf, als er wieder vor der Kirche stand und sich vergewissert hatte, daß kein wutentbrannter Schlossermeister die Gasse heraufstürmte. Er wäre noch froher gewesen, wenn er Xaver gesehen hätte, der in der Werkstatt eine biegsame Vorhangstange durch die Luft pfeifen ließ und vor sich hinbrummte: »Eigentli sollt ma de alt'n Schöps'n g'höri umanand lass'n... ziahget dös G'schoß gar de alt'n Böck eina, weil da Moasta net dahoam is! I vertreibst eahna schon 's Speanzeln...«

Schnaase eilte hinter Schützinger her und rief: »Hallo, Herr Kanzleirat! Immer sachte!«

Als er ihn eingeholt hatte, zwinkerte er vielsagend mit den Augen.

»Was is denn los, daß Sie mit einemmal wegliefen, als wenn Sie das Donnerwetter regierte? Ich mußte doch noch 'n Rangdewuh deichseln...«

»Ich sag' Ihnen aufrichtig, mir hat die G'schicht' nicht mehr paßt. Man könnte da in Situationen geraten...«

»Erlauben Sie mal, was heißen Se Situation? Sie haben mit mir und in meiner Gesellschaft und auf meine Veranlassung einer zufällig hier weilenden Künstlerin im Beisein ihrer Frau Mutter 'ne Anstandsvisite gemacht. Wo ist da die Situation?«

»Allerdings, wenn man die Sache von dieser Seite betrachtet...«

»Betrachten Sie sie und sagen Sie ruhig, die Initiative ging von Gustav Schnaase aus Berlin, Hedemannstraße siebenundzwanzig aus... Übrigens mache ich Ihnen den Vorschlag, wir kehren um und gehen um den Berg rum. Dann kommen wir von der andern Seite heim...«

Schützinger war damit einverstanden.


 << zurück weiter >>