Ludwig Thoma
Altaich
Ludwig Thoma

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Als sie ihre Ledertasche zuklappte und wegging, sah sich Schnaase vorsichtig um und flüsterte:

»Karline! Sechs Märker! Nu denk' mal an Zoppot oder an die Schweiz. Nee, Kinner, wir wollen die Natur hier mit wohlwollenden Augen betrachten, und wenn se nich unter allem Muff is, denn bleiben wir... Was machst du für'n Flunsch, Henny?«

»Gott, ich weiß ja, wie das bei uns ist! Wir können nie hingehen, wo andere Leute sind... Das ist doch unsere Romantik...«

»Wenn du mich meinst«, sagte Frau Schnaase, »dann will ich dir mal was sagen. Meine Romantik ist, daß ich mich erholen will, und vielleicht habe ich 'n Recht darauf, nich wahr? Und wenn ich schon das ganze Jahr die Leute aus der Kantstraße und vom Kurfürstendamm genießen muß, dann möchte ich mal im Sommer'n paar Wochen für mich sein...«

»Mama hat recht. Ich bin ihr geradezu dankbar, daß sie mit dem gewissen Instinkte und ganz ohne Baedeker diese Oase der reellen Preise gefunden hat. Und das hat nu gar keinen Wert, Henny, daß du immer noch bei deinem gewissen... ›na ja‹ bleibst und über Mangel an Kultur trauerst...«

»Nu laß das, Gustav! Jedenfalls sind wir hier, und wir werden nich ohne Grund weggehen. Vielleicht kann Henny zur Abwechslung auch mal Rücksicht nehmen auf meine Wünsche.« Die Familie erhob sich, und Herr Schnaase sagte, er wolle mal mit dem Wirt 'n versöhnliches Wort sprechen.

»Fräulein, rufen Sie den Herrn Posthalter!«

Das ging nicht so leicht, denn der Blenninger Michel war über den Hof in einen geschützten Winkel entflohen. Er saß unter einer Hollerstaude hinterm Wagenschupfen, und beim Bienensummen und Fliegenbrummen war er eingeschlafen.

Die Resi rief der Fanny und die Fanny der Zenzi, und man suchte den Herrn im Stall und in den Städeln, und erst der Seppl, der die Gewohnheiten des Posthalters kannte, lief zu der Hollerstauden und weckte den Michel auf.

»Was gibt's? Füri kemma soll i? Zwegn was?«

»Zu de Herrschaft'n, de wo heut kemma san...«

Der Blenninger gähnte und stierte schlaftrunken vor sich hin. »Heut... kemma san?«

Allmählich wurde in ihm die Erinnerung wach an einen Menschen, der furchtbar schnell geredet hatte.

»Ah... der sell? Was wui denn der scho wieda?«

Er stand aber doch auf und ging langsam und verdrossen über den Hof.

Im Torweg stand Schnaase, der trotz des Vorsatzes, liebenswürdig zu sein, ungeduldig geworden war.

»Na endlich! Also verehrtester Herr Posthalter, ich möchte Ihnen zunächst das Kompliment machen, daß wir mit Ihrer Küche sehr zufrieden waren, und dann möchte ich Ihnen mitteilen, daß wir hier bleiben werden... zunächst mal ne Woche, wenn die Verpflegung auf der gleichen Höhe bleibt, wahrscheinlich länger...«

»So?« sagte der Blenninger.

»Natürlich, Ihr Einverständnis vorausgesetzt, wenn Sie die Zimmer frei haben...«

»Warum net?«

»Wie?«

»Warum nacha net?« wiederholte Michel. »De Zimma san scho frei.«

»Schön! Also das wäre abgemacht, was?«

»Vo mir aus.«

»Ja, wenn Sie einverstanden sind, und wenn also die Sache in Ordnung is, denn müssen Sie schon die Liebenswürdigkeit haben, unser Gepäck herschaffen zu lassen...«

Schnaase geriet unwillkürlich in einen gereizten Ton. Er konnte sich nicht so ohne weiteres in das Phlegma des Blenninger Michel schicken.

»Eahna Gepäck?«

»Jawollja... unser Gepäck. Wir haben nämlich die Hauptsache noch auf der Bahn stehen. Wir sind nich bloß mit Hemdkragen und Zahnbürste gereist...«

»Auf da Bahn drunt'n? Da muaß i's halt an Martl sag'n, daß a mit 'n Karr'n abi fahrt...«

»Vielleicht haben Sie die Güte, ja?...«

Der Blenninger hatte sie und auch das Bedürfnis nach Ruhe.

Er ging in die Küche und sagte der Sephi, sie solle es dem Martl sagen.

Davon kam das Geschrei der Weibsbilder, das Martl aus seiner Gemütlichkeit aufstörte.«

* * *

Herr Schnaase ging zu seinen Damen, die vor dem Tore standen. Man wollte auf einem Spaziergange den Markt und seine versprochene Schönheit kennen lernen.

Schnaase war etwas verärgert.

»Na, fassungslos vor Entzücken war der Lulatsch nich, wie ich ihm das sagte, daß wir hier bleiben wollen. Die Art Leute is mir rätselhaft...«

»Man muß sie eben nehmen, wie sie sind...«

»Nimm se! Das is doch das, was ich sage. Man kann se nich nehmen. Betrachte dir mal den Menschen, wenn ich mit ihm spreche. Ich bin aufgeregt und ärgerlich, er merkt's nich. Ich bin liebenswürdig und sage ihm was Angenehmes, er merkt's nich. Er kuckt an mir vorbei in de Luft, und wenn er schon mal Antwort gibt, denn is es so, daß ich mich frage: wozu redste eigentlich, Schnaase? Nee! Wenn sie alle so sind...!«

Sie waren nicht alle so.

Ein ganz anders geartetes, der Kultur sich viel mehr annäherndes Individuum eilte gerade jetzt über den Marktplatz und zog vor der Berliner Familie mit auffälliger Ehrerbietung den Hut, verbeugte sich öfters, lächelte ein herzliches Willkommen und ging eilig weiter.

»Nanu!« sagte Schnaase und drehte sich nach diesem Vertreter der Zivilisation um.

Auch das Individuum blieb nach einigen Schritten stehen und drehte sich nach den vornehmen Fremden um.

Er grüßte wiederum und verschwand im Torwege.

»Nanu!« sagte Schnaase und schritt etwas erleichtert neben Karoline her.

Natterer, der durch seine Höflichkeit eine ungünstige Meinung über die Altaicher gemildert hatte, stürmte in die Gaststube.

»Wo is der Herr Blenninger?«

»Hö... hö!« machte der Posthalter, der keine Aufgeregtheit leiden mochte.

»Also, Blenninger, das geht einfach nicht mehr! Wenn der Dichter net zufällig in mein Laden kommen wär, hätt' ich überhaupt nix erfahren, daß wieder eine Familie eintroffen is; dir is ja net der Müh' wert, daß d' mir a Nachricht gibst!«

»Dös hättst scho no z' wiss'n kriagt. So werd's net pressier'n...«

»Ich muß doch an Überblick hamm! Ich muß doch die Kurlisten führ'n! Oder führst as vielleicht du?«

»Gwiß net«, sagte der Blenninger ruhig und steckte die Hände in die Hosentaschen.

»Also muß Ordnung sei, net wahr? Und überhaupts müssen Formulare her, verstanden, wo die eintreffenden Kurgäst eingschrieben wer'n...«

»Was hast denn für an Schmarrn?«

»Bei dir waar alles a Schmarrn! Bloß die Einnahmen net, gel? Wer hat denn d' Leut herbracht? Wenn i net ganz anderne Tendenzen hätt' als wie du, nacha waar heut no koa Kurgast in Altaich...«

»Is ja recht. Ma laßt dir dei Ehr...«

»Ich brauch' keine Ehr. Ich arbeite für das Gemeinwohl und weil ich erkannt habe, daß jetzt die Epoche is, wo man Altaich als Kurort heben kann...«

»Also, vo mir aus. Du bist derjenige, wo...«

»Ich brauch keine Anerkennung, sag i. Aber Ordnung will i hamm, und de Formular müss'n druckt wer'n...«

»Druckst d' as halt...«

Der tiefe Frieden, den Blenninger ausstrahlte, wirkte auf Natterer, und er sagte ruhiger, daß er seine Notizen machen wolle. »Hamm sich die Herrschaft'n schon ei'gschrieb'n?«

»Ko scho sei...«

Fanny kam mit dem Fremdenbuche, das gleich wieder den Unwillen Natterers erregte.

Blenninger hatte das alte, vor vielen Jahren angelegte Buch behalten, weil es nicht bis zur letzten Seite beschrieben war.

Und so standen in der ersten Hälfte unter Geschäftsreisenden, durchziehenden Krattlern, Marktbesuchern auch Handwerksburschen aus aller Herren Ländern.

Und dicht unter einem Gottfried Schulze, Töpfergehilfen aus Perleberg, kamen der Oberinspektor Dierl aus München, der Oberleutnant von Wlazeck aus Salzburg, der Kanzleirat Schützinger aus München und, noch frisch mit Streusand bedeckt: Rentier Gustav Schnaase aus Berlin mit Frau, Tochter und Zofe...

»Hm! Rentier... Zofe... Das müssen feine Leut sein...«

»Wenn S' dös Ziefer erst sehg'n, de Zof'n«, sagte Fanny, »da wern S' a Freud hamm. De geht am ebna Bod'n, als wenn s' Stieg'n steiget, und bal ma s' was fragt, versteht s' oan net. Aba de werd si schneid'n, wenn s' glaabt, i trag ihr 's Wassa nach! De schaffet alle Aug'nblick was o! Und wia sa si gstellt, wenn s'was sagt! D' Aug'n druckat s' zua, de Loas, de greisliche...«

»Fanny«, sagte Natterer, »so derfen S' net red'n. De Leut san was Fein's g'wöhnt. Und vergessen S' net, daß da a guats Trinkgeld rausschaugt... Was i sag'n will, Michel, i hab Durscht. Geh ma in Gart'n hintri und trink'n a frische Maß.«

Damit war der Blenninger einverstanden, und sie setzten sich unter die drei Kastanienbäume, die in einer Ecke des Hofes ihren Schatten über drei Tische und etliche Bänke warfen.

Nur selten kam ein Gast dorthin.

Die Bauern blieben in der Stube, und die Marktbürger gingen an schönen Abenden in den Blenninger Keller.

Natterer sah es ungerne, daß der Platz vernachlässigt war, und daß die Hühner Tische und Bänke verunreinigt hatten.

»Sollt aa net sei, Michel, oder jedenfalls, es sollt nimma sei. Du muaßt di überhaupts mehr an den Gedanken g'wöhnen, daß jetzt eine anderne Epoche für Altaich komma is, wie ma sagt. Da g'höret'n gedeckte Tisch her und Palmen, vastehst? In Kübeln, wia ma's in die Hotel siecht.«

Der Blenninger gab ihm keine Antwort. Er blies bedächtig den dicken Schaum von seiner frischen Maß und schnaufte wohlgefällig, nachdem er getrunken hatte.

Natterer machte es ihm nach.

Diese echtesten Genüsse bleiben von den Zeitepochen unberührt.


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