Ludwig Thoma
Altaich
Ludwig Thoma

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Achtes Kapitel

Eines Nachts überkam den Kaufmann Natterer ein allerwichtigster, den Altaicher Fremdenverkehr fördernder Gedanke.

Man mußte ein Komitee gründen, in dem zwei hervorragende Vertreter der Kurgäste neben ihm als Präsidenten wirken sollten.

Gab es etwas Klügeres?

Was für ein inniger Zusammenschluß zwischen Einheimischen und Fremden war damit zu erreichen! Welche Fülle von Anregungen mußte aus den Beratungen hervorgehen!

Natterer hielt im Bette mit halblauter Stimme Selbstgespräche.

Eine Rede, die er an die Gäste richten wollte.

Meine Herren! Oder meine Damen und Herren, denn warum sollte man das weibliche Element nicht heranziehen?

»Meine Damen und Herren! Es liegt im Interesse eines verehrlichen Publikums, das unser liebliches Tal aufsucht, es liegt im Interesse all derer, die in unserm lieblichen Tale Erholung finden wollen, daß die Wünsche deponiert werden, welche...«

Frau Wally wachte durch das steigende Pathos auf und sah erstaunt auf ihren heftig bewegten Ehemann.

»Was hast d' denn, du Lattierl?« fragte sie besorgt.

Natterer kehrte dem stimmungsarmen Weibe den Rücken und faßte den Entschluß, das weibliche Element nunmehr doch nicht heranzuziehen. Er tat so, als ob er schliefe, und setzte seine Rede im stillen fort, bis sich seine Gedanken verwirrten und er in Schlaf verfiel.

Beim Morgenkaffee wiederholte Frau Wally ihre Frage.

»Was hast d' denn heut nacht für a Gaudi g'macht?«

»Was woaß denn i, wenn i schlaf?«

»Als wennst a Red' halt'n tatst, so laut hast aufg'red't. I glaab, daß di der Kas druckt hat, den wo du auf d' Nacht gessen hast...«

Das war die Erklärung eines Frauenzimmers für eine durch Gedanken verursachte Erregung. Natterer gab lieber keine Antwort, trank seinen Kaffee aus und ging.

Seine Frau war das einzige Wesen, gegen das er verschlossen sein konnte.

Er eilte zur Post hinüber und sagte sich auf dem Wege, daß er zuerst Herrn Schnaase ins Vertrauen ziehen müsse.

Der hatte Eifer und Rednergabe. Aber er war noch nicht aufgestanden. Vor einer Stunde dürfe sie den gnädigen Herrn nicht wecken, sagte Stine. Ob sie was ausrichten solle? Nein, oder doch das eine, daß Herr Natterer dem Herrn Schnaase eine sehr wichtige Mitteilung zu machen habe, und daß Herr Schnaase das Haus nicht verlassen möge, vor ihn Herr Natterer getroffen habe.

Damit eilte der rührige Mann die Stiege hinunter.

Im Hausgange stieß er auf Martl in einem überaus nachlässigen Aufzuge. Der Herr Hausknecht hatte nur eine lange Lederhose an und stand barfuß in den Pantoffeln. Natterer blieb stehen und schüttelte den Kopf.

Wie der Mensch in seinem karierten Hemd, ohne Kragen, sich unters Tor stellte, ja, mit einem nackten Fuß aus dem Pantoffel schloff und die Zehen spielen ließ, das konnte nicht in einem Kurort geduldet werden.

Er sagte in gütigem Tone:

»Martl, im Sommer, in der Hochsäson sollst so was net machen!«

»Was?«

»Du verstehst mi scho. Daß di a so herstellst, bloßfuaßet und überhaupts...«

»Im Winter geht's net«, sagte Martl, »da frierat mi in d' Zecha.«

»Spaß beiseit'! Das is dem Herrn Posthalter auch net recht...«

»Was geht denn dös di o, du Kramalippi? Du Salzstößla, du trapfter, du – – –«

Grobe Menschen sind in frühen Morgenstunden noch gröber. Martl sagte etwas so Hausknechtliches, daß ein Mann, der seit Stunden über feine Redewendungen nachgedacht hatte, angewidert werden mußte.

Natterer ging schweigend weg; und da zog Martl auch den andern Fuß aus dem Pantoffel und ließ die Zehen spielen.

Den Kaufmann überkam ein bitteres Gefühl, als er nun an dem schönen Morgen den Kirchenweg entlang schritt. Es war nichts in ihm von der Fröhlichkeit, die alle Vögel pfeifen und zwitschern ließ.

Dieses Altaich!

Ob man auch anderwärts dem Wohltäter eines Ortes so roh begegnen durfte?

Ob es anderwärts ein gemeiner Hausknecht wagen durfte?

Hier freilich war nicht dagegen anzukämpfen.

Wenn er sich beim Posthalter beschwerte, sagte der seelenruhig: »Dös is halt an Martl sei Spruch...«

Natterer gab sich seiner schmerzlichen Stimmung hin, als er, um eine Ecke biegend, vor Herrn von Wlazeck stand, der schon von einem Morgenspaziergange zurückkehrte.

»Särvus, Herr Kommerzialrat!« rief der Oberleutnant jovial. »Haben Sie sich zu meiner Kur bekehrt? Is sie nicht großoartig?«

Natterer erwiderte, daß er noch keine Zeit gefunden habe...

»Zur Gesundheitspflege hat man ganz einfach Zeit, Verehrtester! Jedes Verseimnis rächt sich, muß sich rächen...«

»Ich werde Herrn Oberleutnant demnächst folgen...«

»Tun Sie das! Woher habe ich denn meine Elastizität? Vom Karlsbader. In der Fruh das Quantum zu sich nehmen, alsdann eine Stunde spazieren laufen, das macht dinnes Blut. Das ist das ganze Geheimnis. Wie belieben?«

»Ich meine, ich habe das schon von ärztlicher Seite gehört...«

»Schon möglich. Auch Ärzte besitzen zuweilen Einsicht. Militärärzte natürlich ausgenommen. Aber ich behaupte: Alles, was den Menschen bedrickt, kommt vom dicken Blut. Ich habe einmal in Wien zu einem sehr bekannten Dichter gesagt: Ich bidde, Herr von..., na, der Name tut nichts zur Sache..., ich bidde, was wollen Sie eigentlich mit Ihrem Wöltschmerz? Der ganze Wöltschmerz is bloß mangelhafter Stuhlgang. Wann der Lenau Karlsbader getrunken haben möchte, hätte er humoristische Gedichte gemacht. Mit einem Pfund Glaubersalz reinige ich die gesamte Poesie vom Wöltschmerz... Aber wirklich!«

Natterer hörte mit so düsterer Miene zu, daß Herr von Wlazeck besorgt ausrief:

»Sie haben höchste Zeit, Verehrtester! Wie kann man an einem so entziggenden Morgen so melancholisch sein? Sie haben dickes Blut...«

»Ich fühle mich ganz wohl. Bloß, natürlich, man hat auch seine Gedanken und seine Sorgen...«

»Das is ja! Sorgen, Schwärmut, Wöltschmerz, sogar Verzweiflung, alles miteinander is nix wie Verstopfung. Verlassen Sie sich drauf!«

Die Teilnahme des Oberleutnants tat dem verbitterten Manne wohl, und es kam ihm der Gedanke, daß er den gewandten Offizier ins Vertrauen ziehen könnte. Nicht über die Schande Altaichs, sondern über sein Vorhaben.

»Wenn Herr Oberleutnant erlauben, dann möchte ich Ihnen etwas unterbreiten...«

»Aber bidde...«

»Es handelt sich sozusagen um den Ausbau unseres Marktes in seiner Eigenschaft als Kurort. Herr Oberleutnant kennen die Leute hier und wissen vermutlich, daß sich nur wenige ein Bild von den Erfordernissen machen können, die wo unerläßlich sind...«

»Ich verstehe vollkommen. Sie wollen sagen, daß diese Kanadier à la Blenninger, net wahr, die übertinchte Höflichkeit nicht kennen...«

»Ich meine überhaupt im allgemeinen, daß die Sache hier zu neu is, und daß folgedessen die Leute also die Erfordernisse eines Kurortes nicht kennen...«

»Aber das dirfte gerade der Vorzug dieses buen retiro sein!«

»Wie meinen Herr Oberleutnant?«

»Ich will Ihnen was sag'n, Herr von Natterer; wir wollen uns da ganz offen aussprechen. Unsere Winsche sind konträr, missen es sein. Ihr Ideal ist die Frequenz, mein Ideal ist das lauschige Versteck...«

»Natürlich, die Herrschaften lieben die Ruhe, aber wir müss'n doch etwas bieten...«

»Das kenn' ich, lieber Freind! Man sagt bieten und meint fordern. Die Teierung is die Tochter der Frequenz! Geraten Sie nicht auf diese schiefe Ebene!«

»Ich habe gehofft, Herr Oberleutnant würden mir zur Seite stehen...«

»Wieso, zur Seite stehen?«

»Nämlich, ich habe doch sozusagen die Sache ins Leben gerufen, und leider bin ich der einzige, der in dieser Beziehung sich betätigen kann. Aber diese Last is für meine Schultern zu schwer... Folgedessen möcht' ich Hilfskräfte finden unter den Herrn Kurgästen...«

»Ah so! Warum sagen Sie das nicht gleich? Sie wollen mir die Leitung übertragen? Aber gerne!«

»Ich habe gemeint...«

»Bedarf keine Begriendung, lieber Freind! Die Idee ist glänzend...«

»Ich hab' also gedacht...«

»Sie hab'n als Mann von Erfahrung und Kenntnissen die Beobachtung gemacht, daß verschiedene Kurorte unter der Leitung alter Militährs ausgezeichnet florieren. Diese Beobachtung ist durchaus richtig, Verehrtester, und Sie soll'n sich auch in mir nicht geteischt haben. Was zunächst die Hauptsache anlangt, so sage ich: ja. Alsdann...«

Natterer war überrascht über die Schnelligkeit, mit der die Soldateska sich des Regimentes bemächtigen wollte, und hielt es für angezeigt, die ausschweifenden Wünsche zu zügeln.

»Entschuldingen, Herr Oberleutnant, es handelt sich nicht um die Direktion, sondern...«

»Sondern?!«

»Betreff einer mehr beratenden Stellung. Nämlich insoferne zwei Herren, die aus freier Wahl hervorgehen, mit mir ein Komitee bilden, wo die allenfallsigen Wünsche deponiert werden und die Maßnahmen begutachtet werden.«

Herr von Wlazeck war enttäuscht.

»Nehmen S' mir die Bemärkung nicht übel, aber das scheint mir schon im Prinzip verföhlt zu sein. Was heißt denn: Wahl? Muß denn alles nach dieser Schablone gehen? Is jemals in der Wölt aus einer Wahl was G'scheites rausgekommen? Cliquenwirtschaft kommt raus, weiter gar nichts. Und warum denn zwei?«

»Indem, wenn wir drei sind...«

»Zwei den andern majorisieren können, net wahr? Da haben wir wieder diesen fatalistischen Glauben an das Allheilmittel der Majorität. Einer, Herr von Natterer, einer ist immer derjenige, der das Gute schafft...«

»Entschuldingen, Herr Oberleutnant, aber es sind da bereits Schritte geschehen, betreff eines dritten Herrn...«

»Wer ist denn der Gliekliche?«

»Der Herr Rentier Schnaase...«

»So?«

Wlazeck lächelte.

Der Vorschlag schien ihm nicht ganz zu mißfallen.

»So? Der Herr von Schnaase? Und Sie haben ihm bereits die Angelegenheit unterbreitet?«

»Die einleitenden Schritte habe ich gemacht, betreff dieses Ersuchens...«

»Alsdann will ich nicht opponieren. Ich habe zwar gegriendete Ursache zu der Annahme, daß Herr von Schnaase die richtige Berliner Bradlgoschen hat und die Beratungen sehr lebhaft gestalten wird, aber...« Wlazeck lächelte vielsagend... »aber der Vater einer so entziggenden jungen Dame is mir heilig.«

»Ich will ihn jetzt betreff dieser Sache aufsuchen...«

»Schön, und damit gleich der geschlossene Wille des Komitees zum Ausdrucke gelangt, werde ich Sie begleiten...«


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