Ludwig Thoma
Altaich
Ludwig Thoma

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Dreizehntes Kapitel

»Es is mir grad' recht, daß unser Konrad mit dem Michel fort ist«, sagte Frau Margaret, als sie mit ihrem Manne im Gartenhause Kaffee trank. »Denn ich muß dir's endlich sagen, so geht's nicht weiter. Ihr schleicht um die Sach' herum, wie die Katz' um den heißen Brei, und ihn drückt was, und dich drückt was. Und warum? Weil ihr nicht offen miteinander redet, über was geredt sein muß.«

»Ich weiß schon, was du meinst...«

»Freilich weißt du's, und der Michel weiß 's auch. Was soll werden? Er ist kein Bub, der in die Vakanz heimgekommen ist, und Gast sein, wo man daheim ist, das tut einem weh. Aber wie kann's anders gelten, und wie soll er bleiben? Darüber müßt ihr ins reine kommen, er, und du erst recht, Martin. Denn dich kenn' ich. Du hast am ersten Tag geglaubt, daß von Rechts wegen der Michel hergehört, und du nicht mehr. Red' net! Ich seh' dir's an. Aber es is net wahr, denn er hat's aufgegeben und hint'lassen, und du hast's übernommen und rechtschaffen geführt. Die Wehleidigkeit hintendrein hat keinen Wert, und du sollst net mit ihm umgehen, wie mit an g'schürft'n Ei. Offen reden, das muß jetzt sein...«

»Was soll ich denn sagen, Margret? Wenn ich anfang', könnt' er meinen, er wird uns zu viel...«

»Sag' ihm schnurg'rad, daß er dableiben muß. Was soll er denn sonst tun? Daß er nimmer zum Wallubischießen und zum Herumboxen taugt, sieht ma doch. Wenn er auch die größt'n Fäustling dabei hat. Das alte Leb'n kann er nimmer führ'n, und in der Welt drauß' was Neu's anfang'n, dazu is er zu alt und zu müd'...«

»Daß er dableib'n muß, sagst du?«

»Was denn? Oder hast du geglaubt...? Geh! Ich könnt' doch dir net so weh tun, und ihm gönn' ich 's Ausrast'n. Er hat sich lang g'nug 'rumtrieb'n. Aber einen Sinn muß die Sach' hab'n, und wie und was muß er wiss'n. Sonst kann ihm net wohl sein...«

Martin streckte ihr die Hand über den Tisch entgegen.

»Wie mich das freut, Margret, daß du so red'st. Freilich hat's mich druckt, wenn ich mir's so vorgestellt hab', daß er wieder gehen müßt', und dann g'wiß zum letztenmal...«

»O ihr Mannsbilder! Sagt ma immer von de Weiber, aber ihr seid tausendmal zimpferlicher und könnt herumgehen mit euern Kümmernissen. Nur ja net reden und frischweg die Sach' anfass'n...«

»Recht hast. Wie allaweil, Margret. Und weißt was, das best' is, wenn du mit dem Michel red'st...«

»Nein...«

»Schau, dann sieht er gleich...«

»Nein. Das mußt schon du tun, denn es g'hört sich. Wenn ich red', schaut's so aus, als hätt' ich die Genehmigung hergeb'n. Das paßt sich net für mich und net für dich...«

»Ja... ja... na red' schon ich...«

»Sagst ihm: Michel, schau, du mußt dei G'wißheit hamm. Fortlass'n tu' ich dich net, sagst, und wo willst auch in dei'm Alter hingehen? Und, sagst, du kannst mir an die Hand geh'n; es gibt allerhand z' tun, wo man Leut' braucht, auf die man sich verlass'n kann...«

»M... hm... ja... das werd' ich sag'n...«

»Heut' noch, Martin.«

»Heut'? Aber es soll sich halt von selber geb'n. Meinst net?«

»Bei euch zwei gibt sich so was net von selber. Wenn ihr zwei beinand'hockt, verschluckt jeder das Beste, was er sag'n möcht.«

»Wenn ich nur wüßt'...«

»Fang nur an, Martin, hernach gibt ein Wort das andre.«

Und dann ging es doch von selber.

Als Michel heim kam, erzählte er, wie ihn das gefreut hätte, etliche Bauernhäuser so wiederzufinden, wie er sie in der Erinnerung gehabt habe. Ganz unverändert, und sogar einen Birnbaum hätte er wiedererkannt, auf den er mehr wie einmal heimlich gestiegen sei. Das kleinste freue ihn, und er könne sich's kaum mehr vorstellen, wie er das Heimweh ausgehalten habe...

»Warum du nie mehr g'schrieb'n hast? Das hab' ich dich schon oft frag'n woll'n«, sagte Martin.

»Jo... g'schrieb'n. I hab' kein Grund g'habt, g'wiß net. Amal übersieht ma's, und nachher kommt harte Zeit, und ma will net, und es kommt bessere Zeit, und ma kann net, und auf amal is 's so lang' her, daß ma g'schrieb'n hat, und da find't ma kein Anfang mehr...«

»Mir hamm allaweil g'wart' und an dich denkt...«

»Net öfter, wie ich daher denkt hab'. Amal, da war ich in den Darling downs, und das is der beste Platz für d' Schaf, und der Mac Lachlan hat drei oder vier Paddoks g'habt mit Platz für acht- oder zehntausend Schaf, und sei Schwester, sie hat Ruth g'heiß'n, die war a richtig's Frauenzimmer, nimmer jung oder so, aber dös g'hört net da her. Und da war i a paar Monat beim Mac Lachlan, weil er mi halt'n hat wollen und die Ruth auch, und i war gern dort, und wenn's in der Woch' oanazwanzgmal Schaffleisch geb'n hat, war's mir gleich, aber dös g'hört net da her. Und da is Weihnacht'n g'wes'n, aber net Winter, wie bei uns, sondern verdammt heiß, und ma war froh um an jed'n Schatt'n, und da hat der Mac Lachlan mit mir g'redt wegen der Ruth, weil sei Frau tot war, und Kinder hat er net g'habt, und da sagt er, es wär' ihm ein Ding, wenn ich die Ruth heirat'n möcht, und ihr wär's auch recht und so. Aber da is mir eing'fall'n, wie's daheim is, wenn überall Schnee liegt und der Christbaum anzündt is, und da hab' i g'wußt, daß i net bleib'n kann, und hab's ihm g'sagt, warum. Der Mac Lachlan hat mich net verstand'n und hat g'meint, wenn ich gute Zeit hab', denk i nimmer dran und so. Aber i hab' net können...«

»Und jetzt weiß ich erst recht«, sagte Martin, »daß d' nimmer fortdarfst, und daß d' dableib'n mußt.«

»Jo... dableib'n. I hab' zwoa Meinunga...«

»I hab' bloß eine, und mir müssen das tun, was der Mutter und dem Vater recht wär'. Was tät'n die sag'n, wenn i di nochmals geh'n lasset?«

»Aber schau, i kann net da sitz'n...«

»Mithelf'n kannst. Da find't sich leicht was; und wie lang' dauert's, dann geh' ich in Austrag, und nachher schau'n wir den Jungen zu...«

Michel rieb sich mit dem Handrücken die Stirne, aber Martin war jetzt lebhaft und beredt.

»Du mußt dir die Sach' net lang' überleg'n. Es geht, und i bin froh, daß 's geht. I wär' net da, wenn du net gangen wärst.«

»Du bist verheirat und hast Kinder, schau...«

»D' Margret war die erst', die g'sagt hat, daß du nimmer weg darfst, und sie hat g'sehn, daß mir die G'schicht' im Kopf 'rumgangen is und dir auch, und sie hat g'sagt, ich müßt' mit dir red'n...«

»Wenn ein Frauenzimmer schon amal gescheit is«, sagte Michel, »hernach is s' aber g'wiß g'scheiter wie mir.«

Er gab dem Bruder die Hand, und dann war's abgemacht, und wie es das gescheite Frauenzimmer vorausgesehen hatte, wurden nun die zwei gesprächig, wie Leute, die was vom Herzen weg haben.

Sie machten Pläne, wo Michel wohnen sollte, denn im Haus war's doch zu eng, und was Eigenes haben, war besser; auch hatte der Schreiner Harlander ein Zuhäusel, das leer stand und für billiges Geld zu mieten war. In der Mühle war gleich Beschäftigung für Michel zu finden. Getreide abnehmen und Mehl ausliefern und das Lager in Ordnung halten. Dazu gehörte nicht viel Schreiben und Rechnen, aber Ehrlichkeit.

Die Aussicht, daß er arbeiten und nicht unnütz herumhacken werde, stimmte Michel froh, und er malte sich mit dem Bruder eine tätige, schöne Zukunft aus.

Wie Margaret dazu kam, erfuhr sie, daß nun alles in Ordnung sei. Man hätte es ihr nicht zu sagen brauchen, denn wie Michel übers ganze Gesicht lachte und ihr beinahe die Hand zerquetschte, wußte sie's gleich.

»Und denk' dir grad'«, erzählte Martin nach einer Weile, »in Australien drüben hätt' der Michel ein nettes Mädel heiraten können, und hätt' eine Farm kriegt mit zehntausend Schaf...«

»Zwischen acht- und zehntausend«, verbesserte Michel. »Amal waren's mehr, amal weniger. Aber nettes Mädel kann ma net sag'n. Die Ruth war schon hoch in die Dreißiger und ziemlich mager und boanig...«

»Schau! Schau!« dachte Frau Margaret. »So sind die Mannsbilder. Es kann ihnen noch so schlecht gehen, heiklig wären s' doch...«

* * *

Der Hallberger hämmerte an einer Eisenstange herum, als ein breiter Schatten über den Boden der Werkstatt fiel und Michel unter der offenen Türe stand.

»Je... der Michel...«

»Grüß Gott, Karl. I hab' amal herschauen woll'n zu dir.«

»So is recht; geh' no eina...«

Die zwei begrüßten sich, und Xaver, der hinten an einem Schraubstock stand, stellte sachverständig und bewundernd fest, daß der Bruder vom Ertlmüller, von dem er schon allerhand gehört hatte, weitaus die größeren Pratzen hatte, wie der Meister, und daß er überhaupts, wie er so dastand, schon ein teuflisches Mannsbild war.

»Dei Haus is no grad' so, wie's war, Karl...«

»Hab' nix umbaut; bloß der Lad'n hat um a Fensta mehra, aber sunst is 's beim alt'n blieb'n... hätt' aa koan Wert net g'habt... no ja... und wie g'fallt's nacha dir dahoam?«

Ein behagliches Lachen ging über Michels Gesicht. »Gut, Karl. So gut, daß ich meiner Lebtag nimmer furtgeh'...«

»Ja, was sagst da? Dös is amal recht. Werst auf de alte Tag do wieder an Altaicher.«

»I hab' a bissel lang' braucht dazu...«

»Spat is besser, wie gar net. Aba woaßt was? Auf dös nauf trink' ma 'r a Maß, bals dir recht is, im Blenninger Keller.«

Der Hallberger band sich die Schürze los.

»Gern«, sagte Michel. »Aber i hab' dei Frau no net g'sehg'n, und a Tochter hast auch?«

Über den braven Schlossermeister kam eine Verlegenheit, die er nicht recht verbergen konnte.

Er warf einen raschen Blick auf den Gesellen, der unbekümmert drauflos feilte.

Den Lehrbuben ertappte er dabei, wie er neugierig über eine Kiste wegblinzelte.

»Was suachst denn du da?« fragte er ihn barsch.

»A Ding... a... Schraub'nmuatta...«

»Net so lang suacha, gel! Sunst hülf i dir. Kohl'n san aa wieder koa herob'n... muaßt du umanandsteh' und faulenz'n?«

Er schloff in seinen Janker und holte eine verrußte Mütze vom Nagel herunter.

»Kumm!« sagte er zu Michel und ging voran zur Türe hinaus.

Der Seppl schaute ihnen nach.

»Hast'n g'hört?« fragt er Xaver.

»Nix hab' i g'hört, und Saubuab'n, de gar so vui hör'n und aufpass'n, nimmt ma bei de Ohrwaschl, bei de windig'n...«

Zwischen Lehrbub und Gesellen kommt es nie zu netter Vertraulichkeit.

Auf der Straße sagte Hallberger, nachdem er sich noch geräuspert hatte:

»Mei Frau... de siehgst scho an andersmal, und... ah... mei Tochta... de bleibt net lang da, und wenn'st as net siehgst, is aa'r a so.«

Michel merkte, daß er eine wunde Stelle berührt hatte, und nichts hätte ihn vermocht, noch eine Frage zu stellen, die dem alten Kameraden weh tun konnte. Er blieb stehen und suchte in seinen Taschen umständlich nach dem Tabakbeutel und fand ihn lange nicht, und dann klopfte er seine Pfeife leer, obwohl sie kaum halb ausgeraucht war, und stopfte sie wieder, denn das gab ihm Zeit, sich auf was anderes zu besinnen.

»Wie geht's eigentli an Blenninger?« fragte er.

»Guat. Wia's eahm allaweil ganga is, plagt und kümmert hat den seiner Lebtag nix.«

»I kann mi no gut erinnern, wie er als Bua war. Staad und faul, und wenn mir g'spielt hamm, hat er net mittun mög'n. ›Es is mir z' fad‹, hat er allaweil g'sagt.«

»So is er blieb'n. D' Lebhaftigkeit mag er heut' no net.«

Sie kamen im Sommerkeller an, der noch beinahe leer war.

Nur zwei Leute saßen neben der Schenke; der Martl und der Hansgirgl, die es erfahren hatten, daß frisch angezapft war.

Hallberger und Michel setzten sich unter eine mächtige Linde, und als ihnen die Kellnerin zwei überschäumende Krüge gebracht hatte, stießen sie miteinander an.

»So... so... also jetzt bleibst bei uns? I glaab, es hätt' dir nix Bessers eifall'n kinna.«

»I bin froh über dös, Karl, daß i richtig dableib'n ko. Denn i hätt' eigentli net g'wußt, wo i sunst was find'n hätt' soll'n.«

Und Michel erzählte, wie er wohl vom ersten Tag an den Gedanken und den Wunsch gehabt, aber wie er sich's doch kaum gehofft habe.

Wie dann der Martin so brüderlich gewesen sei und ihm obendrein zu leichtem Verdienst geholfen habe, so daß er seinen Leuten nicht auf der Suppenschüssel hocken müsse.

Der Hallberger hörte ihm zu, und da fiel ihm ein, was er zuerst vom Staudacher als dumme Meinung gehört hatte, und was dann auf einem Umwege durch den ganzen Markt wieder als fest verbürgtes Gerücht zu ihm gedrungen war, daß der Michel Oßwald sich in fernen Weltteilen als Sklavenhändler viel Geld zusammengerafft habe und als steinreicher Mann heimgekehrt sei.

Da saß der schreckhafte Mensch vor ihm und freute sich auf Arbeit und Wochenlohn.


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