Ludwig Thoma
Altaich
Ludwig Thoma

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Zehntes Kapitel

Als Gustav Schnaase in die Gasse einbog, um ganz von ungefähr beim Schlosser Hallberger vorbeizukommen, sah er den Kanzleirat Schützinger vor der Kirche stehen.

»Sie hier?« fragte er ihn mit schlauem Augenzwinkern, das der würdige Beamte nicht zu verstehen schien, denn er sagte:

»Wissen Sie, dieses Portal is nämlich sehr interessant. Ich möcht' bloß wissen, ob unser Münchner Asam in gewisser Beziehung dazu steht...«

»Das is mir schnurz un piepe, Herr Kanzleirat. Für olle Klamotten habe ich für meine Person nischt übrig. Und vielleicht interessieren Sie sich auch 'n bißchen für so was?...« Er plinkerte nach dem gegenüberliegenden Hause, wo Mizzi Spera am offenen Fenster in einem Buche las.

»Wieso?« fragte Schützinger.

Aber seine Zurückhaltung hielt nicht stand vor dem humorvollen Augenspiele Schnaases, und er verzog den Mund zu einem vielsagenden Lächeln.

»Die Dame soll beim Theater sein. In Berlin...«, sagte er.

»Aha! Auch schon Erkundigungen eingezogen! Spiegelberg, ich kenne dir! Und mir wollense was erzählen von ollen Portalen!«

»Ich hab' durch einen bloßen Zufall...«

»Jawollja...«

»Glauben Herr Schnaase, daß eine Annäherung überhaupts im Bereich der Möglichkeit liegt?«

»Bereich der Möglichkeit? Hören Sie Mal, verehrter Herr Kanzleirat, Sie sind das, was ich ne komplizierte Natur nenne, und Sie haben starke Hemmungen, wie man zu sagen pflegt. Glauben Sie zum Beispiel, daß die junge Dame wirklich liest, oder sind Sie nich auch davon überzogen, daß sie uns aufs genaueste beobachtet?«

»Herr Schnaase scheinen ein gewiegter Kenner zu sein?«

»Man hat manches erlebt und gesehen und is mit Spreewasser getauft...«

»Es wär' vielleicht sehr int'ressant, wenn man mit dem Fräulein in ein Gespräch kommen könnt'.«

»Na, sprechen Sie sie doch an... Sehense nur, sie lächelt...«

»Ich hab' das auch schon in Erwägung gezogen, aber – erstens, man weiß halt doch nicht g'wiß, ob die Dame selbst... net wahr... eine derartige Freiheit hinnimmt, und zweitens, ob nicht die Eltern... net wahr... einen solchen Schritt übel auffassen...«

»Was ich Ihnen sage, Herr Kanzleirat, Sie leiden an Hemmungen. Denn erstens, nich wahr, is es klar, daß sich das Mädchen langweilt, und Langeweile is gut für unsere Pläne... un zweitens is es ausgemacht, daß sie keine zarten Rücksichten auf ihre Familie nimmt, sonst wäre sie vermutlich nich zum Bummstheater gegangen. Überhaupt: Familie spielt keine Rolle bei so was.«

»Man sollte es allerdings glauben...«

»Und Ihre letzten Zweifel werden bald behoben werden. Ich will mal das Terräng erkundigen...«

»Herr Schnaase, wollen wirklich...?«

»Ja, ich studiere hier nich Portale. Ich gehe jetzt in den Laden und werde schon sehen. Kommen Sie mit?«

»Ich weiß net, ob...«

»Herr Kanzleirat! Unter meiner Führung können Sie noch ganz andere Expeditionen unternehmen... sehense, sie lächelt... Ich kann doch im Laden 'n Vorhängeschloß kaufen oder so was. Immer rin ins Vergnügen!«

Schnaase ging flott voran; Schützinger folgte zögernd. Die Ladenglocke läutete schrill, und eine dicke Frau kam, die freundlich lächelte und die fremden Herren begrüßte.

»Sagen Sie mal, kann ich mir 'ne Eisenspitze an meinen Spazierstock machen lassen? Hier geht das immer so bergauf und ab, und da is mir die Beinzwinge doch zu schwach...«

»Eine Eisenspitz' woll'n der Herr?«

»Ne tüchtige Spitze, daß man in diesem sogenannten Voralpenlande sich ornd'lich drauf stützen kann...«

»Ich glaub' schon, daß ma dös mach'n kann.«

»Glauben Sie? Bong! Und wie lange dauert das wohl?«

»Leider is mein Mann g'rad heut' net daheim, aber i kann ja an G'sell'n frag'n...«

»Ihr Mann is nich zu Hause?«

»Leider net. Er hat a G'schäft in Piebing beim Klaiberbräu...«

»So? Na, dann komme ich 'n andersmal vorbei...«

»Aber da G'sell wisset dös scho auch...«

»Nee, so pressant is die Sache nich. Ich spreche nächstens wieder vor... ja... was ich noch fragen wollte! Wohnt nich bei Ihnen eine Dame aus Berlin?«

»Eine Dame aus...«

»Ich bin nämlich selbst Berliner, und ich hörte zu meinem freudigen Erstaunen, daß hier 'ne bekannte Künstlerin...«

»Dös is ja mei Marie! Der Herr meinen mei Tochta!« rief die Hallbergerin freudestrahlend... »Am End' kennen der Herr mei Tochta?«

»Persönlich habe ich leider nich den Vorzug... aber darf ich fragen, wie is denn nu gleich der Name?«

»Marie Hallberger.«

»Hallberjer... Hallberjer... ich muß doch den Namen gehört haben...«

»Als Künstlerin hoaßt si mein Marie net a so... do hoaßt sa si Mizzi Schpera...«

»Na also! Na natürlich! Unsere Mizzi Spera!«

Schnaase rief es so laut, als feierte er ein freudiges Erkennen.

»Wenn da Herr an Aug'nblick wart'n woll'n, nacha ruf' ich ihr...«

»Sehr verbunden.«

Die Hallbergerin eilte aus dem Laden, und Schnaase lächelte dem Kanzleirate zu.

»Na – was sagense nu?«

»Sie haben scheinbar eine große Übung in solchen Affären.«

»'n Schlummerkopp war ich nie, da könnense ruhig Gift druff nehmen. Übrigens unter uns. Die Bummsdiwa hat doch auf den Momang gewartet! Oder glaubense wirklich, sie hat Schillern gelesen?«

Mizzi Spera trat ein. Das heißt, sie trat auf.

Ihr Gesicht hatte einen hoheitsvollen, abweisenden Ausdruck; die Brauen waren zusammengezogen, eine Falte stand senkrecht über der Nasenwurzel. Man sah, daß eine Künstlerin nicht so mir nichts dir nichts zu sprechen war.

Der strenge Zug milderte sich, als Mizzi in Herrn Schnaase den echten Vertreter einer Lebensfreude erkannte, die nach Mitternacht im Friedrichstraßenviertel unter schiefsitzenden Zylinderhüten aufblüht. Er verschärfte sich wieder, als sie den Kanzleirat ansah.

Ungebügelte Hose, Banausenschuhe; Buchhalter – Beamter.

»Sie wünschen?« fragte sie eisig.

»Ich konnte es mir nicht versagen, unserer berühmten Mizzi Spera meine Aufwartung zu machen, und meine Huldigung darzubringen. Ich bin nämlich aus Preußisch-Berlin und begrüße den glücklichen Zufall, der mir hier in dieser verlassenen Ecke eine Gelegenheit bietet, nach der ich in Berlin vergeblich geschmachtet habe... übrigens gestatten Sie... Rentier Schnaase... nee wirklich, ich mußte ausgerechnet nach Altaich kommen, um endlich die Freude zu erleben...«

Schnaase hätte seinen Satz noch so lang gezogen wie flüssigen Zuckersaft, aber sein Gefährte trat vor und verbeugte sich, wie er es vierzig Jahre vorher in der Tanzstunde gelernt hatte.

»Erlaube mich vorzustellen, Kanzleirat Schützinger, im Ministerium des Innern aus München...«

»Nehmen Sie bitte Platz!« sagte Mizzi Spera mit einem müden Augenaufschlage. »Ach ja... es sind wohl keine Stühle hier?«

Die Hallbergerin, die entzückt daneben stand und sich innerlich fragte: »Jessas! Wo 's no g'rad dös Madl her hat?« sagte dienstbeflissen: »I hol' glei a paar Sessel eina.«

»Nicht in den Laden!« entschied Mizzi. »Man muß den Banausen nicht Anlaß zu törichten Reden geben. Wir wollen ins Gartenhaus gehen...«

»Wie Gnädigste befehlen...«

»Ich woaß net«, fiel die Hallbergerin ein, »da sechat ma von da Werkstatt aus nei, und da hätt' bloß der Lehrbua allaweil d' Nas'n am Fensta. Mir gengan ins Wohnzimmer nauf, wenn de Herr'n Zeit hamm...«

»Gut! Begeben wir uns in den ersten Stock!« sagte Mizzi mit einem einladenden Verneigen des Hauptes.

Man begab sich ins Wohnzimmer, und der noch unverdorbene Schützinger hatte in dem bürgerlichen, sauberen Zimmer doch das Gefühl, daß sein Abenteuer nicht recht in die Umgebung passe.

Das große Lederkanapee, auf dem er neben Schnaase Platz nahm, seufzte unter den leichtsinnigen Besuchern, denn es gehörte zum Ausrasten nach ehrlicher Arbeit. Über der Kommode hingen Bilder von alten Hallbergern, die aus hohen Krägen ihre geröteten, ehrbaren Gesichter hoben und ihn ebenso strafend anschauten wie die alten Hallbergerinnen, die Riegelhauben trugen und gewiß kein Verständnis hatten für fremde Männer und ihre Lüderlichkeiten.

Dazwischen hing ein Spiegel, der dem Kanzleirate das Bild eines erhitzten alten Herrn zurückwarf, der für Dummheiten nicht mehr jung genug war. Er rutschte unbehaglich vor und wischte sich mit dem Taschentuch über die Stirne.

Aber was war dieser Schnaase für ein gewandter Großstädter!

Die Rede floß ihm von den Lippen, und er wußte nichts von Bedenken, die langjährige Bürovorstände am richtigen Sichausleben verhindern.

»Nu sagen Sie mal bloß, Gnädigste, was machen Sie hier? Haben Sie sich hieher zurückgezogen, um in Einsamkeit und Stille die Sachen zu studieren, mit denen Sie uns Berlinern die Köppe verdrehen? Ich hätte Sie doch nur in 'nem Seebad gesucht. In Norderney oder auf Westerland...«

»Seebäder liebe ich nicht«, erwiderte Mizzi. »Der Ton ist mir, aufrichtig gestanden, zu frivol, und gerade als Künstlerin ist man peinlichen Aufmerksamkeiten zu sehr ausgesetzt.«

»Ach ja... Sie denken an Badekostüm, aber sehen Sie mal...«

»Ich finde es genant, in dem Kostüm beobachtet zu werden. Diese Herren mit Feldstechern finde ich unausstehlich.«

»Aber Gnädigste, das is doch nich so schlimm!« sagte Schnaase flehend. »Warum soll man nich ein ganz kleines bißchen die Nixen bewundern dürfen, die...«

»Chacun à son goût! Ich kann es nun mal nicht ertragen.«

Es lag soviel Hoheit in ihrem Tone, daß sich die Mutter wiederum wundern mußte.

»Jessas! Jessas! Wo 's no g'rad dös Madl her hat?«

»Ich gebe zu«, sagte Schnaase, »daß Gnädigste hier ungestörter leben, aber die Menschheit hat doch 'n Recht darauf, die mondänen Schönheiten zu sehen.«

»Vielleicht. Aber wir haben auch das Recht, uns von den Anstrengungen der Säson zu erholen. Ich wollte sogar ursprünglich nach Zoppot...«

»Zoppot! Da schlag eener lang hin! Das is doch mein gewohnter Aufenthalt! Das wäre nu wirklich Pech gewesen, Sie an der Ostsee und ich hier am Ufer des... na, wie heißt der Tümpel?«

»Sassauer See«, half der Kanzleirat aus.

»Am Ufer des Sassauer Sees... nee, da hat mich nu doch der Zufall nich so aufsitzen lassen.«

»Zufälle spielen oft seltsam«, sagte Mizzi. »Aber Mama, könnten wir den Herren nicht mit Kaffee aufwarten?«

»Nur keine Störung, meine Damen! Wir kommen Ihnen da hereingeschneit...«

»Wegen mir wirklich nicht!« rief auch Schützinger.

Die Hallbergerin war aber schon Feuer und Flamme.

»Na... na! Die Herr'n kunnt'n ja glaab'n, mir wiss'n net, was si g'hört! I mach gschwind an Kaffee, und an Lehrbuabn schick i zum Noichl nüber um a Tort'n...«

»Nee, verehrte Frau Hallberjer...«

»Mir wiss'n do, was si g'hört...«

Mizzi warf der Alten einen so fürchterlichen Blick zu, daß sie rasch in die Küche wegeilte.


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