Ludwig Thoma
Altaich
Ludwig Thoma

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Herr von Wlazeck stand vor der verschlossenen Stalltüre und klopfte heftig mit dem Spazierstocke an.

»Sie, ich mach' Sie aufmerksam, daß sich dieser Widerstand gegen Ihren Brotherrn richtet. Wenn Sie nicht sofort öffnen und die Befehle ausführ'n werden, können Sie sich auf das Schlimmste gefaßt machen. Was fällt Ihnen denn ein? Was erlauben Sie sich denn? Einfach die Stalltüre zu schließen!«

Hansgirgl saß drinnen auf der Haberkiste und ließ den Oberleutnant klopfen und schimpfen.

»Sie, ich mach' Sie aufmerksam, treiben Sie die Sache nicht auf die Spitze! Man wird Sie mit Brachialgewalt deloschieren, wenn Sie die Autorität Ihres Dienstherrn verhöhnen!«

Wlazeck horchte.

Es blieb zuerst still, und dann hörte er die leisen Töne eines Posthorns. Hansgirgl probierte einen Schleifer. Allmählich schwollen die Töne an, und zuletzt schmetterte es lustig und altbayrisch im Stalle, daß die Gäule munter wurden und in ihren Ständen scharrten.

»Also das is der Gipfelpunkt der Unverschämtheit!«

Herr von Wlazeck eilte in grimmiger Entschlossenheit über den Hof, ins Haus, in die Gaststube.

»Wo is der Herr Posthalter?«

Die Kellnerin wußte es nicht. Er stürzte in die Küche.

»Ich bidde, wo is der Herr Posthalter?«

»Ich weiß wirkli net. Aber was hamm S' denn, Herr Baron?«

»Was ich habe?«

»Sie san so aufg'regt...«

»Bin ich auch! Ich bin wietend. Ich bin außer mir!«

»Ja, was waar denn net dös? So a gmüatlicher Herr!«

»Es gibt Dinge, liebes Freilein Josefa, die mich in einen wahren Daumel der Wut versetzen; die ich einfach nicht ertrage. Und dazu gehört die Flegelhaftigkeit eines untergeordneten Subjektes. Aber wo kann ich denn den Posthalter finden? Ich muß ihn sofort sprechen...«

»Vielleicht is er beim Dings drüben, beim Bader Möhrl...«

»Das is nebenan? Also ich danke bestens. Ein andersmal komm' ich schon zum Plauschen in Ihre Kuchel...«

Wlazeck eilte hinaus und prallte im Hausgang auf den Blenninger Michel.

»Herr Posthalter, ich appelliere an Ihre Autorität. Ich lege Beschwerde ein bei Ihnen, und ich verlange die unnachsichtliche Bestrafung dieses Menschen, der Ihren Befehlen Hohn spricht...«

»O – hö – hö! Was is denn?«

»Was is? Bidde, kommen Sie! Gehen Sie mit zum Stall! Sie werden die Türe versperrt finden trotz Ihrer ausdriecklichen Anweisung, daß ich heute morgen Ihren Gaul ausreiten soll...«

»Herrschaftseit'n! Hat der Malafiz Hansgirgl...?«

»Zug'sperrt hat er. Posthorn blast er. Pfeif'n tut er. Auf Sie, verehrter Herr Posthalter, und auf Ihre Befehle.«

Blenninger schob seine Hauben nach vorne und kratzte sich hinter den Ohren.

»Jetzt, da schau' her! Es is aber scho wirkli a Kreiz mit de bockboanig'n Luada!... Zuagsperrt hat a? Ja, was tean ma'r jetzt da?«

Die treuherzige Frage erregte bei Wlazeck neue Entrüstung. »Was wir tun? Bedauere, darüber keine Auskunft geben zu können. Wann Sie überhaupt noch im Zweifel sind, alsdann bin ich nicht in der Lage, Ihnen Direktiven geben zu können. Was ich täte, wenn ich Dienstherr wäre, das weiß ich. Ich möchte diesen obstinaten Flegel mit Brachialgewalt über den Hof herüberbefördern und bei jener Öffnung hinausschmeißen. Sie scheinen aber duldsamer zu sein.«

»Ja no, dös san so Sach'n...«

»Gewiß. Aber jedenfalls darf ich annehmen, daß Sie mir die versprochene Benützung des Pferdes ermöglichen. Was Sie sonst für Maßnahmen gegen die eklatante Verhöhnung Ihrer Autorität ergreifen, und ob Sie überhaupt die Verpflichtung fühlen, in Ihrem Hause die Gesetze der Disziplin aufrechtzuerhalten, das ist Ihre Sache. Mich geht das, Gott sei Dank, nichts an.«

»Jessas na! Solchene Zwidrigkeit'n in aller Fruah! Ja, was sagt er denn eigentli, warum er net mag?«

»Nix sagt er. Posthorn blast er. Hohnsprechen tut er Ihnen.«

»Passen S' auf. I geh amal num und red damit. Na, wer' ma's scho sehg'n...«

»Ich möchte Sie begleiten. Ich finde, daß Sie ihn in meiner Gegenwart zur Abbitte zwingen müssen.«

»Na... na! Dös is nix. Da machet'n mir an Krach bloß irga. I geh num dazua, und Sie wart'n daweil. Na wer'n Sie 's Roß scho kriag'n. Gar so pressiert's ja net!«

»Wie Sie meinen. Am Ende haben Sie recht. Es ist wirklich besser, wann ich bei dieser Art von Auseinandersetzung nicht präsent bin. Mir mangelt das Verständnis für diese Art des Umganges mit obstinaten Untergebenen...«

Wlazeck wollte noch einiges sagen, aber der Blenninger schritt schon gemächlich zum Stalle hinüber. Vor der Türe pfiff er.

»Hansgirgl!«

»Was is?«

»Mach amal auf! I hätt' mit dir was z'red'n...«

Der Schlüssel kreischte im Schloß, und die Türe ging langsam auf. Blenninger trat ein und schaute kopfschüttelnd seinen rauhhaarigen Hansgirgl an.

»Was machst d' ma denn da für a Gaudi her?«

»I mach koa Gaudi.«

»Net? Wenn ma der ander den größt'n Krach hermacht!«

»Von dem lasset i mir scho nix sag'n...«

»Ja no, i hab's eahm halt amal vasprocha, schau! Was liegt denn dro? Laß den spinnat'n Deifi reit'n, wann er scho reit'n muaß.«

»Und an Stutz hab i nacha krummb im Stall.«

»Von oamal werd a net krumm, und a zwoatsmal kriagt er 'n nimma. Dös vasprich i dir.«

Der grimmige Hansgirgl schaute noch immer finster vor sich hin.

»Für mi waar's a Blamaschi...«, bat der Posthalter.

»Na soll er'n halt nehma, der Hanswurscht, der dappige! Aber dös is ausg'macht. I sattel eahm an Stutz net. Vo mir aus, wer mag!«

»Hast wenigstens 's Sach herg'richt?«

»Da hint' flackt's.«

»No also«, sagte der Blenninger aufatmend. »Nacha is ja all's recht. Da Polizeideana hat g'sagt, er sattelt 'n scho.«

»Da Muckenschnabl? Der werd was vasteh'!«

»No, er war do lang gnua bei de schwar'n Reita.«

»M-hm. Weil 's de so guat kinnan! Na... da satt'l i an Stutz liaba selm. Aba da herin im Stall, und bal er firti is, führt 'n der Sepp außi. Sehg'n mag i 's net, wia der Gschwollkopf aufsitzt.«

Der Posthalter lächelte, aber verstohlen.

Denn sehen durfte es der Hansgirgl nicht, sonst hätte er die Haare wieder aufgestellt.

»I woaß ja, du bist ganz recht«, lobte ihn der Blenninger. »Mit dir muaß ma bloß richtig dischkrier'n. Der ander werd di halt in d' Höh trieb'n hamm?«

»Der? Ja! In da Fruah waar er alle halbe Stund daher kemma, befehl'n hätt' er mög'n, mit 'n Stecka hätt' er an d' Tür hi' g'schlag'n. Schlag no zua, hon a ma denkt, du damischa Ritta, du gschwollkopfata! Moanst d' vielleicht, du bist in da Kasern. Erst recht net, hon a ma denkt...«

Der Posthalter nickte beistimmend mit dem Kopfe.

»Was si so a Mensch ei'bild't?« sagte er. »Du bist do net für eahm do! Waar scho guat! Aba etza, gel, tuast d' mir den G'fall'n und machst de G'schicht firti...«

Hansgirgl knurrte was vor sich hin, und der Blenninger ging erleichtert ins Haus zurück und sagte zu dem ungeduldig wartenden Wlazeck:

»No also! Es feit si ja nix! Sie kriag'n an Gaul, und de G'schicht hat si g'hob'n. Wenn i amal was sag, nacha g'schiecht's aa; da hätten S' koan Zweifi net z' hamm braucht...«

»Wirklich? Da darf man also gratulieren, daß Sie dieses Entgegenkommen doch noch erreicht haben.«

»Da hat's gar nix braucht. I kenn an Hansgirgl, und da Hansgirgl kennt mi...«

»Sehr schön, aber in Ihrem eigenen Interesse wäre es, daß sich dieser unverschämte Kerl bei mir entschuldigen mießte...«

»Na... na! De G'schicht'n mag i net. I möcht jetzt mein Ruah, und Sie kriag'n an Gaul...«

Damit drehte sich der Posthalter gleichmütig um und ging ins Gastzimmer.

* * *

Nach einer Viertelstunde führte der Stallbub den Stutz in den Hof. Hansgirgl ließ sich nicht sehen. Er stand hinter der Türe und schaute durch einen Spalt zu, wie der Gschwollkopfete aufsaß, und wie der Stutz unwillig seine Ohrwaschel zurücklegte. Bäumen mochte er sich nicht; dazu war er viel zu faul, aber er wieherte laut und klapperte langsam durch den Torweg.

Draußen blieb er wieder stehen.

Herr von Wlazeck preßte die Oberschenkel an, aber auf solche Geschichten ließ sich der Stutz nicht ein. Erst wie ihm der Posthalter mit der Hand eins hinten hinauf klatschte, ging er weiter.

Der Plan des Herrn Oberleutnants war, bis zur Einmündung der Sassauer Straße zu reiten, dort umzukehren und dann den Platz in vornehmer Haltung zu überqueren. Vor der Post wollte er die Schnaaseschen Damen ritterlich grüßen und in schlankem Trab nach links abreiten.

Der Plan war gut, und das Geschick war günstig, denn die Schnaaseschen Damen standen oben am offenen Fenster.

Aber am Stutz fehlte es.

Er war als bayrischer Postschimmel rauh und kratzbürstig geworden, und wie alle älteren Staatsdiener beherrschte ihn die Einbildung, daß er übers Gewohnte und Hergebrachte hinaus zu nichts verpflichtet sei.

Als er an die Sassauer Straße kam, auf der er seit sechs Jahren Tag für Tag den Postwagen zog, mußte er glauben, daß er als Reitpferd den gleichen Weg zu gehen habe.

Herr von Wlazeck, der umkehren wollte, faßte die Zügel kürzer und zog.

Es half ihm nichts.

»Dummer Kerl«, dachte der Stutz. »Ich muß doch besser wissen, wo es nach Sassau hinausgeht.«

»Bästie!« murmelte der Oberleutnant, der ahnte, daß viele Augen auf ihn gerichtet waren. Oben waren die Damen, unterm Tore stand der Blenninger, drüben ließ sich Herr Natterer sehen, an verschiedenen Fenstern zeigten sich Leute.

»Schinderviech!«

Hätte er gewußt, daß hinterm Blenninger der Martl und der Hansgirgl standen und grinsend alles beobachteten, wäre sein Unwille noch gewachsen.

Der Seppl lief herbei.

»An schön' Gruaß vom Posthalter, ob Sie umkehrn möcht'n?«

»Aber ja! Ich wäre schon umgekehrt, wann dieses Viech nicht eine Haut hätte wie ein Rhinozeros... Dreh den Heiter um!«

Seppl tat es.

»Gegen zwei kann man nix mach'n«, dachte der Stutz. »Wenn er net nach Sassau will, was will er dann nachher?«

Quer über den Platz zur Fensterpromenade wollte Herr von Wlazeck; ritterlich grüßen wollte er und links abreiten.

Der Stutz ging mürrisch etliche Schritte vorwärts. Die Geschichte gefiel ihm gar nicht. Was waren denn das für neumodische Sachen? Überhaupt gehörte der Hansgirgl zu ihm. Der verstand ihn und blies ihm auf dem Posthorn schöne Lieder vor, bei denen sich's gemütlich traben ließ.

Und jetzt saß ein fremder Mensch auf ihm, der einmal riß und einmal zog und ihm die Beine an die Rippen preßte, und der in unbekannte Gegenden reiten wollte.

»Das ist nichts«, dachte der Stutz, und er versuchte es einmal mit seinem probaten Mittel, das er immer anwandte, wenn der Hansgirgl zu lange Trab haben wollte.

Er blieb stehen und schützte eine Notwendigkeit vor, die man achten muß. Als alter Schimmel hatte er das so los, daß man ihn nicht leicht als Betrüger entlarven konnte.

Der Hansgirgl war dabei immer voller Rücksicht und pfiff für ihn eine anregende Weise.

Herr von Wlazeck pfiff aber nicht, sondern wollte zornig das Geschehnis verhindern.

»Bästie elende!« fluchte er und riß am Zügel und schaute verstohlen zum Fenster hinauf.

Er mußte den Schinder an seinem Vorhaben verhindern.

Aber das gab es beim Stutz nicht.

Erst recht nicht, weil man ihm den Absatz in die Seite stieß.

Er streckte sich in die Länge und auf einmal hörte er die anregende Weise.

Der Hansgirgl pfiff sie unterm Tore.

Martl lachte. Der Posthalter schmunzelte.

Oben am Fenster tauchte Herr Schnaase auf.

»Sieh mal, Karline«, sagte er, »was man dir für ne pompöse Fensterpromenade abhält...«

»Du bist taktvoll, wie immer«, erwiderte sie und zog sich unmutig zurück. Auch Henny verschwand. Sie warf sich auf einen Stuhl und lachte so laut, daß man sie auf dem Platze unten hören mußte.

Es war eine infame Situation.

Bog nicht der Stutz den Kopf zurück und lächelte zum Hansgirgl hinüber?

Und Herr von Wlazeck saß unbeweglich hoch zu Roß wie ein Denkmal auf dem Altaicher Marktplatze.


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