Ludwig Thoma
Altaich
Ludwig Thoma

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Vierzehntes Kapitel

Tobias Bünzli ließ den ersten und zweiten Tag nach dem Besuche des Herrn Schnaase seinen Pegasus immer noch ruhig im Stall stehen; er schüttete ihm nicht einmal Haber vor. Als Winterthurer wollte er sein Gewisses haben, bevor er dichtete, denn nur guter Lohn macht hurtige Hände. Er dachte aber an etwas anderes, als an Honorar und Geld. Es war eine Hoffnung in ihm erwacht; indessen, wie seine Mutter immer gesagt hatte, wer mit der Hoffnung fährt, hat die Armut zum Kutscher, und deswegen beschloß er, geraden Weges auf sein Ziel loszugehen.

Er wollte von Karoline Schnaase, die er für eine genügend dumme Person hielt, erfahren, ob ein in Zeitungen gerühmter Erotiker einer Berliner Familie als Schwiegersohn und sensationeller Zuwachs passen konnte. Am dritten Tage konnte er das, wie er meinte, harmlose Weibsbild zu einem Spaziergange verleiten. Sie gingen den Vilsfluß entlang, und nach den üblichen Seufzerlein über Schönheit, Natur und Frieden war Frau Schnaase dabei, über Literatur zu plaudern.

»Ich stellte es mir wunder-wundervoll vor«, sagte sie, »wenn Sie nach Berlin kämen. Wir würden Sie in sehr gute Kreise einführen, und vor allem müßten Sie an meinen Besuchstagen zu uns kommen. Ich habe den Mittwoch.«

»Ich danke Ihnen bestens für die freundliche Einladung-, erwiderte Bünzli. »Es könnten allerdings Verhältnisse eintreten, die mir eine Übersiedlung nach Berlin als wünschenswert erscheinen ließen...« Wenn ein Winterthurer hochdeutsch kommt, spricht er gewählt.

»O bitte! Kommen Sie wirklich! ja?« flehte Karoline. »Ein Mann, wie Sie, muß ins volle, rastlose Leben...«

Bünzli war erfreut, daß das Gespräch die gewünschte Richtung nahm. Er verhielt sich aber zurückhaltend und kühl, wie bei einem Handel. »Ich habe mir schon öfter gesagt, daß man eigentlich in Berlin leben sollte. Ich finde dort auch einen Kreis von Gleichgesinnten...«

»Und Verehrern, zu denen Sie uns zählen müssen. Und bei mir würden Sie die crême de la crême treffen. Auch Lulu Dessauer kommt regelmäßig...«

Tobias verzog das Gesicht, als wenn er auf was Hartes gebissen hätte. Immer redete die Person von Dessauer und Teddy Nabob, aber vorerst durfte er selbst als freier Schweizer der Wahrheit nicht die Ehre geben und sagen, daß Karolinens Lieblingsroman ein lausiges Gelump sei.

Sage nicht alles, was du weißt; es ist nötiger, den Mund zu bewahren, denn die Kiste und – Geld vor, Recht hernach.

»Auch Waschkuhn ist immer da, von dem ich Ihnen erzählte, und junge Leute mit literarischen Interessen. An Schriftstellern habe ich, wie gesagt, Dessauer und...« – Karoline dachte nach – »und Arnemann... und Schweckendieck von der Rundschau. Aber ein ganz Moderner fehlt mir noch. Sie sind doch Expressionist, nich?...«

»Allerdings, ich bin neo-kosmisch...«

»Sehen Sie! Und das wär' nu gerade das! Nein, wirklich, Herr Bünzli, Sie müssen mit dabei sein...«

»Wie gesagt, unter Umständen läßt es sich ermöglichen. Ich bin dem Gedanken, nach Berlin zu gehen, bereits näher getreten, aber...«

»Was ist dabei zu überlegen? Ist es nicht eigentlich selbstverständlich?«

»Es ist vielleicht ratsam und förderlich«, sagte Tobias. »Allein, um es zu ermöglichen, müßte man seine Existenz auf eine solide Basis stellen. Es haben schon manche den Versuch gemacht und sind dabei gescheitert.«

»Ihnen kann es doch nich schwer fallen, wenn Sie doch schon 'n Namen haben.«

»Die Welt ist oft sonderbar und nimmt keineswegs immer Notiz von unserm Können...«

»Wissen Sie was?« rief Karoline. »Schreiben Sie doch 'n gangbares Stück! Das ist immer ein gutes Geschäft.«

»Der Begriff gangbar ist sehr unbestimmt. Oft ist der lumpigste Kitsch gangbar, und das Literarische versagt vollständig beim Publikum. Da hat man keine sicheren Chancen...«

»Ich kenne doch so viele, die mit einem einzigen Erfolge berühmt wurden, und sehr, sehr viel Geld verdienten. Sie glauben ja nicht, wie dankbar man in Berlin für alles Neue ist!«

»Es mag einigen gelungen sein, aber viele sind unbekannt geblieben und in schlechte Verhältnisse geraten. Das ist keine solide Basis...«

»Könnten Sie nicht bei einer Zeitung...

»Nein! Das ist die absolute Sklaverei. Man verkauft seine Begabung und seine Phantasie. Oft um einen Hungerlohn...«

Karoline streifte ihren Begleiter mit einem mißtrauischen Blicke. Wohlhabende Leute sind in einem Punkte sehr feinfühlig und hören einen Pumpversuch nahen, auch wenn er noch so leise auf Socken heranschleicht.

Sollte der junge Mensch – – – –?

Jedenfalls lebte er nicht in Überfluß, und sie wollte auf ihrer Hut sein.

»Es ist ja nicht für immer«, sagte sie. »Und ich denke mir, in einem großen Blatte...«

»Nein! Daran denke ich nicht im entferntesten. Selbst unter den günstigsten Verhältnissen ist es eine Sklaverei. Man wird gezwungen, auf die Instinkte des Publikums zu achten...«

»Wie schade!«

»Es gäbe wohl auch anderes«, sagte nun Bünzli mit alpenländischer Offenheit. »Ein Bekannter von mir ist in die Lage gekommen, sich sorglos seinem dichterischen Berufe hinzugeben. Er hat einem wohlhabenden Mädchen die Hand zum Bunde gereicht und lebt nun als freier Mann...«

»Die Glückliche!« rief Karoline.

Sie rief es mit wirklicher Empfindung, denn sie atmete auf bei der seltsamen Wendung, die das Gespräch nahm.

Selbst wenn das Schlimmste eintrat, konnte man doch viel leichter einer Werbung als einem Pumpversuche entrinnen.

»Die Glückliche!«

»Ich glaube auch, daß sie die beste Wahl getroffen hat«, sagte Tobias. »Sie ist in einen geistig bedeutenden Kreis eingetreten, und auch ihre Familie ist dadurch aus einer gewissen Alltäglichkeit herausgehoben worden...«

»Das ist es doch!«

Bünzli fuhr im trockenen Tone eines Berichterstatters weiter. »Wenn der Mann, woran wohl nicht zu zweifeln ist, infolge seiner freien Stellung bedeutende Werke schafft, so partizipieren auch die Eltern der Frau an der allgemeinen Achtung, die ihrem Schwiegersohne entgegengebracht wird. Man wird eben sagen, daß sie die ersten waren, die seine Bedeutung erkannt haben, und man wird ihnen dankbar sein, weil sie den Dichter finanziell unabhängig gestellt haben...«

»Und dann die junge Frau! Ich denke es mir wunder-wundervoll, wie sie einem Genie die Wege ebnen darf, wie sie der Mann mit fortreißt in die Welt seiner Ideen...«

»Allerdings. Auch das muß in Betracht gezogen werden...«

»Denn es ist ja das Schönste!« sagte Karoline, die nach der überwundenen Beklemmung in wortreiche Begeisterung geriet. »Was kann es Herrlicheres geben, als in einer Ehe gemeinsame Ideale pflegen? Und wie anregend das sein muß, am Schaffen des Mannes teilnehmen zu dürfen! Ich denke es mir als das allerallergrößte Glück, das einer Frau widerfahren kann...«

»Es ist mir sehr sympathisch, daß Sie diese Auffassung vertreten...«

»Man muß doch eine harmonische Ehe für das größte Erdenglück halten... Es gibt nichts Schlimmeres, als die Ungleichheit der Seelen...«

Tobias räusperte sich.

»Würden Sie diese Ansichten auch auf die Praxis übertragen?« fragte er.

»Ob ich was?«

»Ob Sie diese Meinung von dem Glücke eines Bundes mit einem Schriftsteller in die Praxis übertragen würden, wenn zum Beispiel der Fall einträte, daß man Sie ernstlich fragen würde...«

»Daß man mich fragen würde, ob ich eine harmonische Ehe...? Aber Herr Bünzli!«

Karoline warf ihm einen vorwurfsvollen, aber doch auch koketten Blick zu, allein Tobias bemerkte ihn nicht. Er war jetzt im rechten Fahrwasser und steuerte weiter.

»Nehmen wir den Fall an, daß diese Frage allen Ernstes an Sie gestellt würde...«

»Das alles liegt hinter mir...«

»Ich meine, insoferne an Sie heranträte, als...«

Karoline legte die Hand milde auf den Arm ihres Begleiters.

»Herr Bünzli, wenn man mich gefragt hätte, als...«, sie stockte, – »nun ja, als es noch denkbar war, dann hätte manches anders kommen können. Das Leben hat mir gezeigt, was Harmonie bedeuten müßte..., aber es ist leider nicht von Poesie verklärt worden... Dort kommt ja Henny mit Herrn von Wlazeck! Wir wollen das Gespräch nicht weiterführen. Man darf so etwas nicht einmal denken. Nein... nein...«

Frau Schnaase trippelte rascher, als gereifte Damen sonst auf Stöckelschuhen zu gehen pflegen, auf die Ankommenden zu und schloß sich ihnen mit auffälliger Hast an.

»Herr Bünzli hat mich begleitet«, sagte sie zu Henny. »Wir haben uns sehr, sehr interessant über Literatur unterhalten. Aber nun darf ich Ihre kostbare Zeit nicht länger in Anspruch nehmen... vielen, vielen Dank!«

Der Sohn der Alpen verstand, daß man ihn entbehren wollte. Er schaute den Enteilenden mit zornigen Gefühlen nach und sagte laut vor sich hin: »Bygott! Ist mir so was schon vorgekommen? Hat man so was schon erlebt? Diese alte Schneegans...«

Aber es dämmerte in ihm die Ahnung auf, daß die Person nicht ganz so stupid war, wie er als geistig höher Stehender angenommen hatte, und daß sie ihn, den Überlegenen, aufs Eis geführt hatte. Er köpfte mit seinem Stocke Grashalme und schimpfte: »Diese infame alte Schachtel! Diese chaibe, alte Schneegans!« Er hörte nicht, wie Herr Schnaase herankam, und fuhr erschrocken zusammen, als ihm der joviale Mann die Hand auf die Schulter legte.

»Endlich allein? Nu wird wohl feste drauflos gedichtet?« fragte Schnaase.

»Was wollen Sie?« fragte Tobias rauh.

»Bloß mich erkundigen, was unser Schansong macht? Morgen is letzter Termin. Das haben Sie hoffentlich nich vergessen?«

»Machen Sie Ihr Gelump selber!«

»Wie... was?«

»Ich verbitte mir ein für allemal derartige Zumutungen. Wenden Sie sich gefälligst an andere Leute mit Ihren liederlichen Absichten...!« Und damit ging Tobias Bünzli.

Schnaase erholte sich nur langsam von seiner Überraschung. »So 'n Flegel!«

* * *

Herr von Wlazeck schritt neben den Damen her, und da er zu bemerken glaubte, daß Frau Schnaase erregt war, brachte er seine Ritterlichkeit in empfehlende Erinnerung.

»Darf ich fragen, gnädige Frau, ob Ihnen von Seite dieses Menschen was Unangenehmes widerfahren ist?«

»Wieso Unangenehmes?«

»Ich dachte nur, weil Gnädige verstimmt sind, und offen gestanden, ich traue dem Kerl eine Verletzung der Kavalierspflichten zu.«

»Ich habe mich mit ihm über Theater unterhalten; ich verstehe nich, wie Sie zu der Vermutung kommen...«

Karoline hatte eine entschiedene Abneigung gegen den diensteifrigen Mann.

»Alsdann pardon! Ich bidde, meine Frage nicht als indiskret aufzufassen. Sie war vom besten Willen diktiert, weil ich gegebenen Falles den Menschen gezichtigt haben möchte...«

»Gott, sind Sie noch temperamentvoll!« rief Henny lachend. Aber Wlazeck war schmerzlich berührt.

»Noch!« rief er. »Aus dem Munde einer jungen Dame ist dieses ›noch‹ ein Todesurteil!«

»Ich meinte nur...«

»Es is ein Todesurteil. Aber gestatten mir Gnädigste, zu versichern, es is auch ein Justizmord. Das Urteil beruht auf falschen Voraussetzungen.«

»Ja?«

»Gnädigste verallgemeinern und berücksichtigen das Individuelle nicht. Allerdings, es gibt Menschen, die mit vierzig Jahren alt sind...«

»Ich dachte wirklich nicht so tief darüber nach...«

»Nicht? Aber ich bin unglücklicherweise in das allgemeine Urteil einbezogen worden...«

»Ich finde Sie sehr gut konserviert«, unterbrach ihn Karoline.

»Ich weiß nicht, is das ein Kompliment oder...?«

»Noch sehr agil...«

»Ah so! Alsdann besten Dank, gnädige Frau... obwohl man ja über Konserven nicht immer günstig urteilt. Aber Scherz beiseite, ich gebe sofort zu, daß man mit vierzig Jahren alt sein kann. Es gibt sogar Leute, wie zum Beispiel dieser Inspektor Dierl, die sich vorzeitig alt fühlen. Das ist Faulheit. Aber ich wahre mich leidenschaftlich gegen diese Empfindung.«

»Da haben Sie recht. Man ist nie älter, als man sich fühlt«, sagte Karoline und hinderte Herrn von Wlazeck grausam daran, sich ausschließlich an Henny zu wenden.

»Man hat nicht bloß das Recht, man hat die Pflicht, sich die Elastizität zu erhalten. Gestatten die Damen, wie könnte man es sonst in einer kleineren Stadt, wie in Salzburg, aushalten?«

»Ich verstehe nicht, was das...«

»Mit der Größe einer Stadt zu tun hat, wollen Gnädigste sagen. Aber sehr viel! In kleineren Orten wird einem die Energie bedeutend erschwert, weil man immer wieder diesen früh alternden Bürgern begegnet, die dickes Blut haben, weil sie Tag für Tag frühschöppeln und abendschöppeln. Man hat immer das Menetekel vor Augen. Ich bidde, wann ich jeden Tag konstatieren muß, ob ich will oder nicht, daß der Herr Swoboda schon wieder zugenommen hat, oder daß dem Herrn Plachian schon wieder mehr Haar ausgangen sind. Ich hasse diese Feststellungen, und ich hasse diese Menschen...«

»Könnten Sie nicht auch in Wien leben?« fragte Henny.

»Warum sagen Gnädigste ausgerechnet Wien? Warum nicht Berlin?«

»Ich glaube nicht, daß Ihnen Berlin gefallen würde...«

»Aber großartig! Ich schwöre...«

»Sie sagten doch, daß Sie noch nie dort waren...«

»War ich auch nicht. Aber Berlin besitzt für mich eine unbeschreibliche Anziehungskraft...«

Er warf einen feurigen Blick auf Henny, der sie belustigte.

Aber Frau Schnaase, die ihn auch bemerkt hatte, lenkte ab. Ihre Klugheit, die sich nun schon zum andern Male bewährte, ließ sie einen Köder finden, auf den der Oberleutnant biß. Sie fragte ihn nach der österreichischen Aristokratie, für die sie sich immer sehr interessiert habe.

Man sah die Herrschaften sonntags vor der Hedwigskirche, und es waren so schicke Erscheinungen darunter.

Wlazeck antwortete zuerst etwas zögernd, aber bald wurde er wärmer, und er kannte so viele Komtessen Steffi, Mizzi und Vicky, und so viele Grafen Maxl, Franzl und Ferdl, daß er damit noch nicht zu Ende war, als man vor der Post anlangte.

»Der Mensch ist gräßlich«, sagte Frau Schnaase, als sie sich in ihrem Zimmer erschöpft niedersetzte. »Das fehlte gerade noch, daß der auch davon anfing.«

»Auch? Also war doch was los mit dem Barfüßer? Bitte...«

»Henny, laß doch diese Ausdrücke!«

»Bitte, bitte! Erzähle!«

»Was ist dabei zu erzählen. Der junge Mann dachte sich das wohl so...«

»Nein! Wie süß!« jauchzte Henny, die sich aufs Kanapee warf und mit den Beinen strampelte. »Hat er angehalten? Glatt wie'n Aal?«

»Nee! Das wußte ich schon zu verhindern; Redensarten hat er natürlich gemacht. Ich muß dir aber sagen, ich finde solche Taktlosigkeiten gar nich amüsant.«

»Ich schon. Denk mal: zwei Anträge! Und der dritte kommt nach. Wetten, daß?...«


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