Ludwig Thoma
Altaich
Ludwig Thoma

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Die Bringer der Neuzeit betraten den Klosterhof, wo Konrad dabei war, den Bau des Klosters zu erklären.

Hier waren Kapitelsaal und Refektorium, dort die Wohnung des Abtes, Bibliothek und die Zellen der Mönche; im andern Flügel Werkstätten, Bäckerei und Brauerei.

Die Damen hörten aufmerksam zu; ein Menschenkenner hätte bemerkt, daß sie dem seltsamen Eifer des jungen Mannes und seiner Art, sich auszudrücken, mehr Beachtung schenkten, als seinen Worten.

Henny rief:

»Nein, wie süß! Horch doch, Mama! Die Mönche mußten alles selbst machen; waschen, putzen, kochen. Und da gab es also nie eine weibliche Hilfe?«

»Das war gegen die Ordensregel«, sagte Konrad.

»Aber Henny, das weiß man doch! Allerdings ihr mit euren französischen Romanen und mit Russen und Dänen und Gott weiß was erfahrt so was nich mehr. Aber zu meiner Zeit hat man Ekkehard von Scheffel gelesen, und da ist man doch mehr im Bilde. Nich wahr, Herr Oßwald?«

»Gewiß, gnädige Frau, und ich glaube, es waren auch Benediktiner.«

»Wie hier? Siehst du, Henny! Und das war doch so – nich wahr? – daß nich mal die Herzogin über die Torschwelle gehen durfte, und deswegen nahm sie doch der Mönch und trug sie ins Kloster. Is es nich so?«

Konrad bejahte, und Henny fand die Idee reizend, einfach so getragen zu werden.

»Aber das Gefühl, ganz allein mitten unter Männern, die uns hassen! Brr!«

»Das war nich so schlimm, wie du meinst«, erklärte Frau Schnaase. »Im Gegenteil. Man weiß doch, daß sehr viele Männer aus unglücklicher Liebe ins Kloster gingen. Ich finde es wunderwundervoll, wenn ein Mann so stark empfindet, daß er über ne Enttäuschung nich wegkommt und sich mit seinem Schmerze zurückzieht...«

»Ist das wahr?« fragte Henny mit einem sehr schelmischen Blicke auf Konrad.

»Es kann schon vorgekommen sein...«

»Es ist sehr häufig vorgekommen«, sagte die Mama. »Ich erinnere mich an Verschiedenes, was ich gelesen habe, und die Dichter müssen doch ihre Stoffe der Wirklichkeit entnehmen, und wenn solche Ereignisse immer wieder poetisch behandelt werden, können sie nich aus der Luft gegriffen sein. Wie...?« fragte sie etwas gereizt, da Herr Schnaase neben ihr eine Bemerkung gemacht hatte.

»Ich sage, daß einer 'n Schlummerkopp is, wenn er sich nich trösten kann. Es gibt so viele nette Meechens...«

»Bitte, laß das! Ja? Man muß doch nich immer und überall so prosaisch sein!«

»Ich bin nu mal nich für die alten Schmökergeschichten. Is ja doch allens nich wahr!«

»Du weißt, Gustav, daß ich darüber nicht mit dir streite. Jedenfalls hat es für einen gebildeten Menschen einen eigenartigen Reiz, wenn er ein altes Gebäude oder eine Ruine mit seiner Phantasie zu beleben vermag. Deshalb besucht man doch gerade solche Stätten.«

»Und stell dir vor, Papa«, fiel Henny ein, »wie das gewesen sein muß. Da oben am Fenster 'n bleicher Mönch mit dunkeln, traurigen Augen, weißt du, und...«

»Uff den Keese fliege ich nich. Der Mensch soll sich nich selbst betimpeln; das is mein oberster Grundsatz. Und was ich sehe, das sehe ich, und das hier« – Herr Schnaase deutete mit dem Stocke aufs Kloster –, »das hier is ne Klamottenkiste, und aus den Fenstern sieht überhaupt nischt mehr 'raus, weil nischt drin is, und nu frage ich einen vernünftigen Menschen, was soll mir daran gefallen, und was hilft mir die Phantasie, wenn so 'n Riesenkasten leer steht und pöh a pöh kaputt geht? Nee, Kinner! Wir leben für heute und nich für gestern, und ich bin mal fürs Praktische. Wenn ich die Kommode am Kurfürstendamm stehen hätte oder meinswejen auch in der Hedemannstraße, dann allerhand Achtung! Aber hier und leer und umsonst, das kann mir nu gar nich imponieren.«

Als Schnaase ausgesprochen hatte, traf ihn ein Blick, der den Schmerz einer edlen Natur über ihre Verbindung mit häßlicher Nüchternheit deutlich ausdrückte, aber in seiner langen Ehe war er gegen diese Augensprache unempfindlich geworden.

»Wie du meinst«, sagte Frau Karoline, »aber du wirst gestatten, daß ich anderer Ansicht bin. Ich wenigstens bin Herrn Oßwald sehr, sehr dankbar für seine interessanten Mitteilungen.«

Konrad war gleich bereit, den Damen noch mehr zu zeigen.

Ein schönes, schmiedeeisernes Gitter, das eine Hauskapelle vom Kreuzgange trennte, eine frühgotische Statue des heiligen Benedikt, etliche Barockvasen, kurz, so vieles, Mannigfaltiges und Unberlinisches, daß Frau Schnaase Mühe hatte, ein waches Interesse vorzutäuschen, und daß Henny unwillkürlich gähnte.

Sie wußte aber diesen Verstoß reizend zu gestalten, indem sie erschrockene Augen machte und das angenehmste Lächeln hinterdrein folgen ließ.

Schnaase blieb mit seinem praktischen Standpunkte im Klosterhofe stehen und sagte zu Natterer:

»Sehen Se, das war wieder mal echt weiblich.«

»Wie meinen Herr Schnaase?«

»Ich sage, da zeigt sich wieder mal die weibliche Natur im wahren Lichte. Wenn unsereiner so was sieht, was ihm Mus wie Miene is, denn sagt er's ehrlich und macht kein Theater. Was geht uns das finstere Mittelalter an? Nischt. Aber die weibliche Natur ergreift die Gelegenheit und macht sich interessant. Immer großartig! Na, die Strafe bleibt nich aus. Der junge Mann nimmt das Bildungsbedürfnis der Damenwelt ernst und läßt nich locker, und meine Olle muß Mittelalter schlucken, bis se nich mehr japsen kann. Sagen Sie mal, kann man sich hier nirgends 'n Glas Bier genehmigen?«

»Leider nicht, Herr Schnaase. Früher soll es hier ein gutes Klosterbier gegeben haben.«

»Früher! Daß die Brüder bong gelebt haben, will ich gerne glauben, aber was habe ich davon? Sehen Se, das wäre nu gleich was! Hier müßte wieder 'n Betrieb her! So 'n Restorang ›Zum Klosterbräu‹ oder ›Zum Alten Mönch‹ mit ner Terrasse am See und innen mit'n paar altdeutschen Räumen. Kommen Se mal mit rein! Hier links, da können wir ja sehen...«

Schnaase eilte voran und kam in das schön gewölbte Refektorium. Natterer, dem diese Art, Pläne zu schmieden, ungemein zusagte, lief geschäftig hinter ihm her, und war gleich Feuer und Flamme für jedes Projekt.

»Nu sehen Se mal!« rief Schnaase triumphierend, »das ist ja die geborene altdeutsche Bierstube! Hier lang muß allens vertäfelt werden, dazwischen kommen 'n paar Holzwände, dann haben wir lauschige Plätze. Da vorne 's Büfett, hier in der Mitte 'n großen Lüster... ach so, Elektrisches haben Se nich?«

»Nein, leider. Kein Elektrisches haben wir noch nicht.«

»Macht nischt. Dann nehmen wir ganz einfach Hängelampen, das paßt famos zum Stil, und runde Tische stellen wir rein, und dort beim Ofen machen wir die richtige gemütliche Ecke. Geben Sie mal acht, das wird großartig!«

»Ja«, sagte Natterer, »und durch die Wand könnt ma eine Tür durchbrech'n, betreff die Terrasse...«

»Natürlich! Ne Tür mit Glasfenstern, und die Terrasse möglichst groß. Da lassen wir an schönen Sommerabenden die Musik spielen, und auf dem See veranstalten wir mal ne venetianische Nacht mit Lampiongs und geschmückten Gondeln und mit Feuerwerk... Natterer, ich sehe die Sache schon ganz lebhaft vor mir.«

»In dem kleinen Saal danebn sollt ma die Küch einricht'n, daß ma die Gäst' auch warme Speisen bieten kann...«

»Un Kaffee un Tee un Kakao nachmittags, nich wahr? Denn is es der richtige Ausflugsort, und denn können Se mal wirklich loslegen mit der Reklame. Lassen Se nur uns beide die Sache deichseln!«

»Herr Schnaase meinen, daß es eine Attraktion is als früheres Kloster?«

»Natürlich! So was sucht doch das Publikum! Das hat'n prickelnden Reiz. Donnerwetter ja! Da fällt mir was ein!«

Schnaase schlug sich auf die Stirne und schaute Natterer mit glückstrahlenden Augen an.

»Wissen Se was?«

Er machte eine Pause.

»Wir lassen die Kellner im richtig gehenden Mönchskostüm servieren! Was? Das gibt Stimmung! Denken Sie sich mal das ganze Miliöh! Der gewölbte Gang, der Saal, und dann kommen die Kellner rein, ganz wie die ollen Mönche...«

»Ja«, sagte Natterer zögernd, »romantisch wär' das freilich, und sozusagen ein Unikum, aber...«

»Was aber?«

»Wissen Sie, mir hamm halt Kellnerinnen...«

»I wo...«

»Es is so der Brauch hier, und die männliche Bedienung hat ma hier überhaupts nicht.«

»Na, denn nich! Aber schade is es, das kann ich Ihnen sagen. Der Trick hätte kolossal gezogen. Denken Sie mal, wenn wir das Restorang zum ›Fidelen Mönch‹ getauft hätten... was? Glauben Sie wirklich, daß es sich partout nich machen läßt?«

»Es geht wirklich net...«

»Na, also nehmen wir Abschied von der Idee. Vielleicht läßt sich mit der weiblichen Bedienung was Nettes arangschieren... Sagen Sie mal, wem gehört denn die Kommode?«

»Wie meinen Herr Schnaase?«

»Wem das Kloster gehört?«

»Ah so! ja, ich glaub, dem Staat g'hört's.«

»So? Wissen Se was, dann setzen wir uns heute noch – nee, heute geht's nich mehr, aber morgen setzen wir uns auf die Hose und machen mal ne Bombeneingabe an das Ministerium. Wir machen ihm klar, daß es im Interesse der Hebung und der gesunden Entwicklung des Fremdenverkehrs liegt, daß hier 'n Etablissemang aufgemacht wird, verstehen Se? Und wir schreiben, daß die ganze Gegend emporblühen wird et cetera pp... Na wollen wir sehen, ob die Behörde nich zieht.«

Der Vorschlag war recht nach dem Herzen Natterers.

Ein Gesuch ans Ministerium richten, vielleicht gar in Audienz empfangen werden, und dann schildern, was geleistet worden war und noch geleistet werden sollte und geleistet werden wollte, das konnte ihm gefallen.

Der Gedanke beschäftigte ihn so, daß er nur mehr zerstreut zuhörte, als Schnaase beim Anblick des langen, gewölbten Kreuzganges erklärte, es müsse hier unbedingt eine Kegelbahn eingebaut werden, damit die Kurgäste auch bei schlechtem Wetter eine Unterhaltung finden könnten. Der Herr Rentier führte die Idee weitläufig aus und sprach noch, als er mit seinem Begleiter wieder ins Freie kam und seine Damen mit Herrn Oßwald antraf.

Frau Schnaase schwärmte.

»Es war wunder-wundervoll. Die Kirche mit ihren Rokokoornamenten und mit ihrer feierlichen Stille hat mir so recht gezeigt, daß man hier wirklich von den Stürmen der Welt und ihrer Leidenschaften ausruhen konnte...«

Diese Sprache des Herzens richtete sie nicht an ihren Gatten, sondern an Konrad, der achtungsvoll zuhörte. So erhielt er auf dem Rückwege nach Altaich einen tiefen Einblick in das Gemüt einer Frau, die sich in der Großstadtwüste ein schönes Empfinden bewahrt hatte, dessen Reichtum sie vor ihm ausbreitete.

Hinter ihnen schritt der unzarte Gatte und summte einen Vers:

»Ach Ernst! Ach Ernst!
Was du mir alles lernst!«

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