Ludwig Thoma
Altaich
Ludwig Thoma

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Vielleicht kam es ihr so vor, daß Gefühle nicht so leicht anzubringen waren wie ehedem Eiszucker und Himbeerbonbons. Sie dachte darüber nach, warum denn ihr alter Schulkamerad gar nichts spannen wollte, und sie konnte bloß den einen Grund finden, daß sich schon eine andere einloschiert habe.

Darum sagte sie offenherzig, wie einmal ihre Natur war:

»I woaß scho, Eahna g'fall'n g'rad die Berlinarinna.«

Konrad lachte.

»Wie kommen S' denn auf so was?«

»I woaß 's halt. D' Postfanny hat's aa g'sagt.«

»Die muß 's ja wiss'n.«

»Weil s' Eahna scho öfter g'sehg'n hat mit de Summafrischla.«

»So?«

»I hab' Eahna scho aa g'sehg'n, wia S' auf und ab spaziert san damit.«

»Hamm Sie so gute Aug'n, Kathl?«

»Dös hat ma scho sehg'n müass'n. Sie san ja lang' gnua damit ganga.«

»Mir gehen ja auch miteinand'. Noch dazu bei der Nacht.«

»Ah gengan S'!«

»Is 's net wahr?«

Kathi kicherte.

»Wer woaß, was Sie von mir denk'n? Am End' glauben S' gar was!«

»Was?«

»Daß i mit Fleiß auf Eahna g'wart' hab'. Sie san scho so ei'bilderisch...«

Leider war Konrad nicht einbilderisch. Über die Bachbrücke ging er voran, ohne etwas zu sagen.

Da mußte es Kathi wieder an einem andern Zipfel anfassen.

»Mir g'fallt fei de Berlinarin gar net«, sagte sie.

»Net?« lachte Konrad.

»Na! Gelbe Haar hat s', und so mager is. An dera is gar nix dro. Und i glaab, daß s' recht stolz is. D' Fanny hat aa g'sagt, daß s' so g'schupft is. Mit dera gehet i fei net...«

»So, Kathl«, sagte Konrad, »da bin ich daheim. Gut' Nacht!«

»Begleiten S' mi net no a bissel?«

»Es geht net, meine Leut' wart'n auf mi.«

»Mitt'n bei da Nacht?«

»Grad desweg'n, d' Mutter hätt' am End' Angst.«

»Sie san oana! Jetzt soll i in da Dunkelheit alloa geh'!«

»Sie kennen doch den Weg. Und da vorn is glei wieder Mondlicht. Also gute Nacht!«

»Gut' Nacht!« sagte Kathi kleinlaut. Eigentlich hätte sie bös sein müssen, aber das brachte sie nicht fertig. »Herr Konrad!« rief sie dem ungalanten Menschen nach.

»Was?«

»Wann schicken S' ma denn a Botschaft, daß i zuschaug'n derf?«

»In de nächst'n Tag'.«

»Aba g'wiß!«

»Jawohl. Gut Nacht!«

Seine Schritte verhallten, und Kathi mußte sich entschließen, allein heim zu gehen.

Der Weg war recht einsam, und es kamen ihr alle möglichen Gedanken. Ängstliche und andere. Busch und Strauch warfen tiefe Schatten über den Weg. Überall hätte man unbemerkt stehenbleiben können, und kein Mensch wäre einem um die Zeit begegnet.

Aber es war schon so, daß sich der junge Maler die g'schupfte Berlinerin einbildete. Und es war abscheulich, daß eine Schulkameradin, die vor vielen Jahren ihre Taschen ausgekramt hatte, um dem Konrad liebreich zu sein, wegen einer zugereisten Person hintan gesetzt wurde.

Ach! Und so lau und schön war die Nacht, und Johanniskäfer flogen herum, daß es wie Lichterschein in den Haselnußstauden aufblitzte.

Kathi seufzte wieder und noch etliche Male und eilte auf dem Staffelweg hinter den Häusern zum Marktplatz hinauf.

Alle Fenster waren dunkel. Bloß beim Natterer hinten hinaus brannte ein Licht.

Sie eilte vorbei und schlich daheim über die leise knarrende Stiege in ihr Zimmer.

Sie schaute noch eine Weile zum offenen Fenster hinaus in die stille Nacht.

Irgendwo schrie eine Katze.

Wenn es ein Kater war, dann hatte er mehr Gefühl wie ein gewisser Maler.

* * *

Das Licht, das noch bei Natterer brannte, stand auf dem Tische, um den die Familie Hobbe saß. Es mußte etwas Bedeutendes geschehen sein, denn Vater, Mutter und Tochter hatten leuchtende Augen, und jedes drückte auf seine Art die gehobenste Stimmung aus.

Der Professor strich seinen Bart und sah zur Decke empor, als könnte sein Blick durch sie hindurch zu fernen Höhen dringen. Frau Mathilde blickte verklärt den Gatten an, und das Töchterchen sah so aus, als wäre der Geist der Kunstgeschichte über es gekommen.

»Horstmar, – also wirklich?«

»Ja, Mathilde.«

»Laß sehen, wieviel Uhr es ist! Zehn durch, du glaubst, in einer halben Stunde?«

»Längstens in einer halben Stunde. Ich werde nur mehr die beiden Schlußsätze niederschreiben.«

»Dann also wirklich! Altaich am letzten Juli, nachts halb elf.« Frau Mathilde sprach es halblaut vor sich hin, und ein stolzes Lächeln spielte um ihren Mund. Sie stand auf und trat ans offene Fenster. Da unten lagen im Dunkeln die Häuser Altaichs. Menschen schliefen hinter ihren Mauern unter dicken Bettdecken, Menschen schnarchten in ihnen, Menschen träumten in ihnen irgend etwas Kleinliches, etwas unsäglich Bedeutungsloses. Ihnen war es eine Nacht wie jede andere. Wenn sie erwachten, gingen sie wieder an ihre unsäglich bedeutungslose Arbeit. Hier oben aber brannte ein Licht und leuchtete weit hinaus über die gebildete Menschheit.

»Horstmar, ob jemand in diesem S...städtchen jemals erfahren oder wissen wird, welches Buch hier vollendet wurde? Am 31. Juli, nachts halb elf Uhr?«

»Ich glaube es nicht, Mathilde. Es liegt doch der Gedankenwelt dieser Menschen zu ferne.«

»Die Armen! Man fühlt unwillkürlich Mitleid mit Menschen, die immer im Dunkel leben.«

»Gewiß, Schatz. Das ist ein natürliches Gefühl. Wir dürfen uns aber der Hoffnung hingeben, daß in einer fortgeschrittenen Epoche die quantitativen wie die qualitativen Bestrebungen zum Geistigen größer werden, und daß die geistigen Gesamtströmungen auch über diese Dämme treten werden.«

»Glaubst du?«

»Gewiß! Die Grenzen jeder Epoche werden weiter hinausgeschoben oder, wie man vielleicht richtiger sagen sollte: jede Epoche schiebt ihre Grenzen weiter hinaus.«

Frau Mathilde atmete tief auf und sagte zu ihrem Töchterchen: »Komm! Nun wollen wir Papa gute Nacht sagen. Und merke dir als Erinnerung für das Leben, er vollendet in dieser s...stillen Nacht sein Werk: Über die Phantasie als das an sich Irrationale.«

»Ja, Mama!« sagte Tildchen und hüpfte zum Vater. Es hauchte einen Kuß auf seine große, bleiche Denkerstirne.

»Gute Nacht, Papa!«

»Gute Nacht!« sagte er schon etwas zerstreut, denn die Schlußsätze arbeiteten mächtig in ihm.

Seine Frau, mit dem Zustande vertraut, strich ihm über das Haar und entfernte sich lautlos.

Eine Weile brütete Hobbe vor sich hin, dann erhob er sich mit einem raschen Entschlusse und schöpfte tief Atem.

Nun trat er auch ans Fenster.

Der volle Mond hatte sich über das Dach der Nachbarscheune heraufgeschoben und schaute mit stumpfer Neugierde in die Stube des Gelehrten hinein.

So, als wollte er fragen: »Was machen denn Sie eigentlich?«

Dabei sah er nicht aus wie ein geistspendender Himmelskörper, sondern wie ein Spießbürger, der mit breitem Lachen Geheimnisse beobachtet und sich an Geschehnissen in Mägdekammern mehr ergötzt, als an der Vollendung eines großen kunstgeschichtlichen Werkes.

Kein Wunder, wenn man Jahrtausende hindurch Gemeinheiten sieht, die mit aufdringlicher Deutlichkeit geschehen, während sich das hohe Geistige im Verborgenen vollzieht.

Verzerrte nicht der alte Kenner der Menschen und ihrer Torheiten höhnisch sein Maul?

Hobbe hatte genug von seinem Anblicke und schob den Vorhang vor.

Er legte feierlich einen Bogen Papier vor sich hin, den letzten von so vielen, denen er sein Tiefstes anvertraut hatte.

Er tauchte die Feder ein und schrieb mit markigen Zügen:

»Das zum Minimum gebrachte Künstlerische ist das stärkste Abstrakte, das zum Minimum gebrachte Gegenständliche ist das stärkste Reale. Das quantitative Minus des Abstrakten ist gleich seinem qualitativen Plus!«

Darunter schrieb er mit großen Buchstaben: Finis, und machte einen mächtigen Schnörkel daran.

Nun holte er aus der Kommode das ganze dickleibige Manuskript hervor und ließ die tausend Blätter liebkosend durch seine Finger gleiten.

Das Quantitative entzückte ihn. Es war viel Papier und alles eng beschrieben.

Zwischen dem ersten Worte und dem Finis lagen acht Jahre, achtmal dreihundertfünfundsechzig Tage, von denen jeder ausgefüllt war mit den Gedanken an dieses Werk.

Zwischen dem ersten Worte und dem Finis lagen schmerzliche Wehen, frohe Entbindungen, Blutleeren im Gehirne, Störungen der Assoziationszentren, verzagte Stunden und jauchzende Erfüllungen.

Und was lag nun vor ihm?

Die Umwälzung der Kunstbegriffe.

Hobbe stand wiederum auf und lüftete den Vorhang.

Aber der Mond war weggezogen.

Er hatte den historischen Moment nicht abgewartet, sondern war auf die Suche nach irgendeiner Banalität gegangen.

Mochte er!

Hobbe horchte hinaus. Die Nacht war feierlich still, in der dieses die Grundfesten des Alten erschütternde, die Welt demnächst mit Lärm erfüllende Werk vollendet worden war.

So berührte ihn die Ruhe beinahe seltsam.

Aber horch! Das klang wie Menschenstimmen. Von dem Bauernhause neben der Scheune schien der Klang herzukommen.

Wer mochte es sein, der in dieser weihevollen Stunde so nahe der geistigen Geburtsstätte weilte?

Hobbe beugte sich aus dem Fenster und lauschte.

Ein leiser Piff.

»Liesei!«

»Was?« fragte eine weibliche Stimme.

»Schmeiß ma mei Schiläh oba! I hab's drommat lieg'n lass'n!...«

»Da! Host as?«

»Jawoi. Guat Nacht, Liesei!«

»Guat Nacht, Flori! Kimmst morg'n wieda?«

»Ko leicht sei. Pfüad di!«

Hobbe trat zurück.

Er verstand den Dialekt zu wenig, um den ganzen, ungeheuerlichen Kontrast, in dem das Gespräch zu seiner Welt und zu diesem Erfüllungsmoment stand, würdigen zu können.

Er merkte nur, daß etwas Bedeutungsloses, etwas niedrig Irdisches gesprochen worden war.

Durch so etwas wollte er sich nicht in seiner Stimmung stören lassen. Er löschte langsam und feierlich die Lampe aus und ging ins Schlafgemach.

»Horstmar, ist es soweit?«

»Ja, Mathilde.«

Dann schliefen auch diese Glücklichen.


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