Ludwig Thoma
Altaich
Ludwig Thoma

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Die Wirkung auf den Posthalter war sehr stark.

Zuerst schaute er harmlos und interessiert dem Herrn auf den Mund und bewunderte ihn, daß er die Worte so schnell hintereinander ausstoßen konnte, aber allmählich zog er den Kopf ein und schielte verlegen zum Martl hinüber, der mit weitaufgerissenen Augen den Vorgang beobachtete, und dann nahm der Blenninger die Mütze ab, kratzte sich hinter den Ohren und sagte, als Schnaase fertig war: »Ja... ja... und nacha wollen S' wahrscheinli dableib'n?«

»Das kommt auf Verschiedenes an, nich wahr? So Noblenz-Coblenz lassen wir uns nich mehr auf den Leim locken, aber jedenfalls müssen wir jetzt 'n paar Zimmer haben...«

Der Posthalter ersah die Gelegenheit zur Flucht, und um seinen Rückzug zu decken, schrie er in die Gaststube hinein:

»D' Fanny soll komma! Herrschaft'n san da... machts amal, daß d' Fanny außa kimmt!«

Dann schlüpfte er schneller, als es seine Gewohnheit war, in die Gaststube, wo er sich auf das Ledersofa am Ofen in einen ganz sicheren und gedeckten Winkel setzte. Er holte sich mit einer schwerfälligen Bewegung eine Zigarre aus der Tasche, und indes er den Rauch nachdenklich vor sich hinblies, hörte er wie von Ferne noch einmal das Schnellfeuer des Berliners.

»Ja, Herrschaftssax'n!... Resi! Sag' da Köchin, sie soll ma'r an Kaffee einaschick'n... Ja, Kreuzbirnbamm und Hollerstaud'n! Ja, Herrschaftseit'n überanand!...«

Martl ließ seinen Herrn im Stich, als er merkte, daß sich die Geschichte auf ihn und den neumodischen Bahnhofdienst hinüberreiben konnte.

Er zog sich zurück und entwischte in das Kutscherstübl zu seinem Freunde Hansgirgl, der als Postillon täglich von Altaich nach Sassau fuhr.

Im Kutscherstübl, an dessen Wänden alle möglichen Pferdegeschirre hingen, roch es gemütlich nach geschmiertem Leder. Ein Backsteinkäs, von dem der Hansgirgl bedächtig ein Stück nach dem andern herunterschnitt, und ein eingebeizter Rettich gaben ihre Düfte darein.

Martl setzte sich an den Tisch, und Hansgirgl schob ihm schweigend den Maßkrug zum Willkommen hin. Da tat Martl einen tiefen Zug, und wie er sich hernach den Schnauzbart abwischte, schaute er mit gläsernen Augen geradeaus.

»Saggera! Saggera!« sagte er.

»Magst koan Kas?« fragte Hansgirgl.

»Na. Koan Kas mog i jetzt net.«

Aber ein Bier mochte er, und er nahm den Maßkrug und tat wieder einen tiefen Zug.

»Saggera! Saggera!«

Er mußte an das Erlebnis unterm Tore denken und es innerlich verarbeiten.

Der Hansgirgl dachte an nichts.

Er aß ein Stück Brot und ein Stück Käs und etliche Blattl vom Rettich und fing die Reihenfolge wieder von vorne an.

Die beiden kannten einander so gut, daß ihnen das Beisammensein auch ohne Dischkrieren genügte. Aber den Martl trieb es doch, sein Erlebnis zu erzählen; er stieß seinen Freund mit dem Ellenbogen an.

»Da Blenninga is heint unter de Breiß'n eini kemma... Mei Liaba, den hat's dawischt...«

»Da Blenninga?«

»Ja.«

Martl trank.

Hansgirgl stützte das Messer auf den Tisch und schaute verloren vor sich hin.

Dann fragte er: »Was hat denn der Blenninga mit die Breiß'n z' toa?«

»Ja no... A Summafrischla. Woaßt scho, mit dera neumodisch'n Gaudi kemman allerhand Leut' daher.«

»A so moanst? A Summafrischla?«

Hansgirgl war mit dem Kas fertig und wischte sein Messer umständlich am Einwickelpapier ab, und dann trank er auch einmal.

»So... so... A Summafrischla«, wiederholte er.

»Dös ko'st da fei net denga, wia der Breiß an Posthalter z'sammbiss'n hat... mei Liaba!«

»Geh?«

»A so hat er'n scho nieda gredt, daß nix zwoats net gibt.«

»Ah! Zwegn was nacha?«

»Ja, woaßt scho. Der Breiß is mit 'n Zug kemma, und drei Weibsbilder hat a bei eahm g'habt, und weil neamd auf da Bahn g'wen is, weil ma's net g'schmeckt hat, net? Da is da Breiß belzi worn, und da is eahm unta da Haustür da Posthalta in Wurf kemma. Und hat'n scho g'habt aa und nimma auslass'n, mei Liaba!...«

»Geh?«

Hansgirgl stand schwerfällig auf und ging mit dem leeren Maßkrug zum Fenster hin. Er pfiff gellend durch die Finger.

Ein Stallbub lief über den Hof und nahm den Maßkrug.

»Holst a Maß! Aba net wieda z'erscht a Quartl abatrinka... Mistbua! Sinscht schlag' i da'r amal 's Kreiz o...«

»Rotzbua«, brummte er noch, wie er sich wieder neben Martl hinsetzte.»... So... so? An Blenninga hat der Breiß dabiss'n?«

»Ah... mei Liaba! Da ko'st da nix denga, wia'n der z'sammpackt hat. Und wia g'schwind daß der Mensch g'redt hat! An Stallkübl voll Wassa wannst nimmst und giaßt'n oan übern Kopf aus, nacha is aa net anderst. Zu'n Schnaufa kimmst d'nimma, wia di der z'sammpackt...«

»Geh?«

Sie saßen in Gedanken verloren nebeneinander, bis Seppl die frische Maß brachte.

Dann prüfte Hansgirgl mißtrauisch den Inhalt und trank einmal richtig, und auch Martl nahm wieder einen tiefen Zug.

»So... so? ja, was hat'n nacha da Blenninga g'sagt?«

»G'sagt! Der is nimma zum Sag'n kemma, mei Liaba! Was glaabst denn, wia der Breiß g'redt hat! An Vozz hat er überhaupts nimma zuabracht. Grad auf und o is ganga, und's Biß hat er eahm zoagt, wia da Hund an da Kett'n...«

»Geh?«

»Wann a d' as sag, an Stallkübl voll Trank balst über oan ausschüttst, is aa net anderst...«

Martl hatte sich genug erzählt, und Hansgirgl sich genug gehört. Sie hatten was zum Nachsinnieren und wunderten sich und tranken schweigend eine Maß dazu.

Sie hätten noch etliche getrunken und nachsinniert, aber ein paar Weibsbilder, die der Teufel immer herführen muß, wenn es einmal gemütlich wird, schrien im Hof herum nach dem Martl.

Da stand er mißmutig auf und ging.

* * *

»Kinner«, sagte Schnaase und wischte sich mit der Serviette behaglich den Mund ab, »Kinner, wenn ich so an allens denke, was wir eben gegessen haben, dann sage ich allerhand Achtung, und wir dürfen uns nich überstürzen mit der Abreise...«

»Wenn du das gleich gedacht hättest, wäre uns manches erspart geblieben...«

»In gewisser Beziehung sollst du mal recht behalten, Karline, aber'n bißchen warst du selbst schuld an dem Klamauk... Nanu, reg' dich nur nich auf! Ich weiß schon, die Hauptschuld trifft mich. Aber siehste, es war eben der momengtane Eindruck. Wie wir die Straße lang gezoddelt sind, überkam mir der Gedanke, daß man sich doch eigentlich nich als Kesekopp von den gerissenen Ureinwohnern betimpeln lassen soll. Und unter dem Eindrucke, Karline, habe ich den verehrten Gastgeber'n bißchen auf den Zug gebracht. Da war mir nu gleich leichter, und denn haben wir Zimmer bekommen, die in ihrer Art nich übel sind, wenn's auch nich so is wie bei Adlong... was sagste, Henny?«

»Ich finde, daß man auf gewisse Ansprüche nich verzichten kann. Kein laufendes Wasser, kein Bad, und... na ja!...«

»Hier sind doch Heilbäder. Wenn wir sie regelmäßig gebrauchen, können wir die andern entbehren«, sagte Frau Schnaase.

»Vorerst wissen wir das nur aus dem Inserat, Karline, un Inserat is Schwindel. Ich will dir nich zu nahe treten, aber hoffentlich is es mit den Heilbädern nich so oder ähnlich wie mit den Voralpen. Aber Mama hat recht, Henny, man muß die Dinge nehmen, wie sie sind. Und wenn kein laufendes Wasser im Zimmer ist, denn hat eben die Bedienung mehr Unannehmlichkeiten, aber nich du. Und was den... na ja... betrifft, der Gegenstand is wohl zu delikat, als daß ich ihn hier näher in Betrachtung ziehe, aber ich will dir nur sagen, du mußt mal'n bißchen groß denken. Und dabei kannste sehen, wie die Alten sungen, denn der Siegeszug des ›W.C.‹ durch Berlin is noch nich so lange her...«

»Vielleicht läßt du das Thema wirklich fallen, Gustav?«

»Ganz, was ich sage. Der Gegenstand is zu delikat. Ich möchte also nur betonen, Henny, daß man über Kleinigkeiten die Hauptsache nich aus dem Auge verlieren soll. Un die Hauptsache is das hier...«

Schnaase klopfte auf den Tisch – »diese Schnitzel und die süße Speise... Kinner, das war eins A... und deswegen sage ich, wir dürfen uns kein abschließendes Urteil bilden, und wir wollen mal sehen, ob sich auch in den Preisen die gewisse Solidität bemerkbar macht. Fräulein, kommen Sie mal her!«

Resi kam langsam an den Tisch heran, und weil sie vor den fremden Frauenzimmern Scheu hatte, suzzelte sie verlegen durch die Zähne.

Die Schnaaseschen achteten nicht so darauf wie Stine, die für solche Unans...ständigkeiten ein scharfes Auge hatte.

»Fräulein, rechnen Sie mal zusammen!« Resi zog einen Bleistift aus ihrem falschen Zopfe und netzte ihn mit der Zunge.

»Viermal Schnitzel macht zwoa Mark vierzgi und zwanzgi is zwoa Mark sechzgi und viermal Supp'n is sechzgi, san drei Mark zehni... na... drei Mark zwanzgi...«

Sie schrieb die Zahl auf die Tischplatte, denn einen Block hatte sie sich noch immer nicht angeschafft, trotz aller Ermahnungen des Herrn Natterer.

»Drei Mark zwanzgi und vier Rahmstrudel hamm S' g'habt, is a Mark zwanzgi, macht vier Mark vierzgi, und g'röste Kartoffi hätt' i bald vagess'n, san vierzgi, macht vier Mark achtzgi, und Bier hamm S' g'habt zwoa Halbi und zwoa Quartl, san sechsadreißgi, und wia viel Brot?«

Schnaase hatte aus dem schauderhaften Deutsch nur die Worte vier Mark und achtzig aufgefangen; sie stimmten ihn fröhlich, und er rief wohlwollend: »Brot? Rechnen Sie, so viel Sie wollen, sagen wir pro Nase zwei... also acht, verehrte Hebe!«

»Acht Brot san vierazwanzgi...«

Resi wischte mit dem nassen Finger eine Zahl aus, schrieb eine neue hin und rechnete angestrengt...Vier und sechs... san zehni... bleibt oans...

Zuletzt kam die Zahl »fünf Mark vierzgi« heraus.

Schnaase gab ihr sechs Mark und sagte, so sei es nun recht, was einen starken Eindruck auf Resi machte.


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