Stendhal
Armance
Stendhal

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Achtundzwanzigstes Kapitel

This is the State of man; to-day he puts forth
The tender leaves of hope, to-morrow blossoms,
And bears bis blushing honours thick upon him.
The third day, cornes a frost, a killing frost;
And then he falls – see his character.
        King Henry VIII, Act III

 

Schon am nächsten Tage früh fuhr Frau von Malivert nach Paris, um ihrem Gatten Octaves Heirat vorzuschlagen. Er kämpfte den ganzen Tag dagegen an. »Ich bin freilich schon längst auf diesen ärgerlichen Vorschlag gefaßt«, sagte der Marquis. »Es wäre also falsch von mir, den Erstaunten zu spielen. Fräulein von Zohiloff ist zudem nicht ganz vermögenslos, ihre russischen Onkel sind zur rechten Zeit für sie gestorben. Aber dies Vermögen beträgt nicht mehr, als wir anderswo finden könnten, und was für meinen Sohn sehr folgenreich ist, es ist keine Familienverbindung. Ich sehe nur eine verhängnisvolle Charakterähnlichkeit. Octave hat in der Gesellschaft nicht Verwandte genug, und sein ganz auf sich gestelltes Wesen verschafft ihm keine Freunde. Er wird nach seinem Vetter und mir Pair werden, aber das ist auch alles, und wie du weißt, meine Liebe, ist in Frankreich ein Mann soviel wert wie seine Stellung. Ich gehöre zur alten Generation, wie man frech sagt. Ich werde bald verschwinden und mit mir alle Bande, die meinen Sohn mit der Gesellschaft verknüpfen können, denn er ist ein Werkzeug unsrer lieben Marquise von Bonnivet, aber er bedeutet nichts für sie. Bei Octaves Verheiratung müßte man noch mehr auf gesellschaftliche Beziehungen als auf Vermögen sehen. Er besitzt, wenn du willst, den hervorragenden Vorzug, sich allein durchzusetzen. Ich habe aber stets gefunden, daß solche hervorragenden Menschen der Anpreisung bedürfen, und mein Sohn schmeichelt nicht etwa den Leuten, die einem Menschen Ruf verleihen, sondern er sucht vielmehr ein boshaftes Vergnügen darin, ihnen Trotz zu bieten. So kommt man nicht weiter. Mit zahlreicher und einflußreicher Verwandtschaft wäre er in der Gesellschaft eines Ministerpostens für würdig befunden worden, so aber rühmt ihn niemand, und er wird nur ein Original sein.«

Frau von Malivert begehrte über diesem Ausdruck auf. Sie sah, daß irgend jemand ihren Gatten bearbeitet hatte.

Er ließ nicht locker. »Ja, meine Liebe, ich will nicht darauf schwören, daß Octave, der so leicht verletzt ist und solche Leidenschaft für das hat, was man Grundsätze nennt, seit die Jakobiner bei uns alles, auch die Sprache, auf den Kopf gestellt haben, daß Octave, sage ich, sich eines Tages nicht zur schlimmsten aller Torheiten verleiten läßt, nämlich der sogenannten Opposition beizutreten. Der einzige bedeutende Mann, den Eure Opposition gezeitigt hat, Graf Mirabeau, hat sich schließlich verkauft. Ein übles Ende, das ich meinem Sohn nicht wünsche!« – »Das ist auch nicht zu befürchten«, entgegnete Frau von Malivert lebhaft. – »Nein, das Vermögen meines Sohnes wird just von dem entgegengesetzten Abgrund verschlungen werden. Diese Heirat wird ihn zum Spießbürger machen, der sich fern in der Provinz in sein Schloß vergräbt. Sein düsterer Charakter treibt ihn schon ohnedies zu sehr zu dieser Lebensweise. Unsre liebe Armance hat wunderliche Anschauungen; statt Octave das abzugewöhnen, was ich an ihm tadle, wird sie ihn in seinen kleinbürgerlichen Angewohnheiten bestärken, und durch diese Heirat wird unsre Familie ruiniert.« – »Octave wird ins Herrenhaus kommen und dort ein stolzer Vertreter der französischen Jugend sein; durch seine Beredsamkeit wird er sich persönliche Achtung erwerben. Man drängt sich danach; all die jungen Pairs streben nach Beredsamkeit. Ach, mein Gott! sie werden im Herrenhaus genauso sein wie in der Gesellschaft, äußerst höflich und feingebildet, aber das ist auch alles. All diese Vertreter der französischen Jugend werden die größten Feinde Octaves sein, der wenigstens seine selbständige Denkweise hat.«

Frau von Malivert kam sehr spät nach Andilly zurück, mit einem reizenden Brief für Armance, worin Herr von Malivert für Octave um ihre Hand bat.

Obgleich von ihrem Tagewerk sehr erschöpft, beeilte sich Frau von Malivert, noch bei Frau von Bonnivet vorzusprechen, denn sie sollte diese Heirat nur aus ihrem Munde erfahren. Sie zeigte ihr den Brief ihres Gatten an Armance; es war ihr sehr lieb, diese Vorsichtsmaßregel gegen Leute anwenden zu können, die ihren Gatten noch hätten umstimmen können. Übrigens war dieser Schritt nötig, denn die Marquise war gewissermaßen Armances Vormünderin. Dies Amt verschloß ihr den Mund. Frau von Malivert zeigte sich dankbar für die Freundschaft, die Frau von Bonnivet Octave bewies, da sie diese Heirat im Grunde ihres Herzens ja doch nicht zu billigen schien. Die Marquise beschränkte sich auf große Lobeserhebungen über Armances Charakter. Frau von Malivert kam wohlweislich auf den Vorschlag zurück, den sie Armance vor Monaten gemacht hatte, und auf die vornehme Ablehnung der damals noch vermögenslosen jungen Waise.

»Ach! es sind nicht Armances edle Eigenschaften, derentwegen meine Freundschaft für Octave der Belebung bedürfte«, sagte die Marquise. »Sie stellt nur durch uns etwas dar. Solche Familienehen schicken sich nur für schwerreiche Bankiers. Da das Geld ihr Lebenszweck ist, sind sie gewiß, es ohne Prozeß zu bekommen.«

Frau von Malivert entgegnete: »Wir gehen einer Zeit entgegen, wo die Hofgunst, wenn sie nicht durch dauernde persönliche Bemühungen erkauft wird, für einen Mann von vornehmer Geburt, der Pair von Frankreich und sehr reich ist, nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Sehen Sie unsern Freund Lord N. Sein ungeheures Ansehen in seinem Lande beruht darauf, daß er elf Abgeordnete für das Unterhaus ernennt. Den König aber sieht er nie.«

Das war auch Frau von Maliverts Antwort auf die Einwände ihres Bruders, dessen Widerstand viel heftiger war. Wütend über die Szene vom letzten Abend und entschlossen, sich die Gelegenheit nicht entgehen zu lassen, um heftigen Zorn zu heucheln, wollte er seinen Neffen mit dem Gewicht ewiger Dankbarkeit belasten, wenn er sich beschwichtigen ließ.

Er hätte Octave auch von selbst verziehen, denn schließlich mußte er entweder verzeihen oder auf die Vermögensträume verzichten, die ihn seit Jahr und Tag ausschließlich beschäftigten. Betreffs der nächtlichen Szene hätte seine Eitelkeit bei seinen Freunden den Trost gefunden, daß Octave, der die Lakaien seiner Mutter zum Fenster hinauswarf, für völlig verrückt erklärt wurde.

Aber der Gedanke an Armance, die das Herz eines sie leidenschaftlich liebenden Gatten völlig beherrschte, bestimmte den Komtur zu der Erklärung, er werde zeitlebens nicht mehr in Andilly erscheinen. Man war dort sehr glücklich darüber, nahm ihn beim Wort, und nachdem man sich in jeder Weise entschuldigt und ihm großes Entgegenkommen bezeigt hatte, vergaß man ihn.

Seine Abneigung gegen Fräulein von Zohiloff war zu Haß geworden, seit er Unterstützung durch die Ankunft des Chevaliers von Bonnivet erhalten hatte, der ihn mit guten Gründen und bei Bedarf mit fertigen Phrasen versah. Er verzieh Armance die Anspielungen auf die Tapferkeit der Russen vor den Mauern von Ismailow nicht, indes die Malteserritter, die geschworenen Feinde der Türken, sich auf ihrer Felseninsel ausruhten. Diese spitze Bemerkung, deren Anlaß der Komtur selbst gewesen, hätte er wohl vergessen, aber tatsächlich steckten hinter seiner ganzen Wut auf Armance Geldrücksichten. Sein ohnedies recht schwacher Kopf war völlig verdreht durch den Gedanken, sich ein großes Vermögen an der Börse zu machen. Wie bei allen gewöhnlichen Seelen, war bei ihm mit dem fünfzigsten Jahre jedes Interesse an den Dingen der Welt erloschen, und die Langeweile hatte sich eingestellt. Wie noch jetzt üblich, hatte der Komtur abwechselnd Schriftsteller, politischer Intrigant und Liebhaber der italienischen Oper werden wollen. Ich weiß nicht, infolge welches Versehens er kein verkappter Jesuit geworden war.

Endlich kam das Börsenspiel an die Reihe und erwies sich als Allheilmittel gegen die übermächtige Langeweile. Doch um an der Börse zu spielen, fehlte es ihm bloß an Kapital und an Kredit. Da war die Entschädigung gerade zur rechten Zeit gekommen, und der Komtur hatte darauf geschworen, seinen Neffen, der ja nur ein Philosoph war, leicht zu lenken. Er rechnete fest damit, einen guten Teil dessen, was Octave aus der Entschädigung seiner Mutter erhalten würde, zur Börse zu tragen.

Als seine Leidenschaft für die Millionen in höchster Blüte stand, war Armance als unüberwindliches Hindernis dazwischen getreten. Nun vernichtete ihre Aufnahme in die Familie auf immer seinen Einfluß auf seinen Neffen und zerstörte seine Luftschlösser. Der Komtur verlor seine Zeit in Paris nicht; er hetzte gegen die Heirat seines Neffen bei der Herzogin von C . . ., der Schirmherrin der Familie, bei der Herzogin d'Ancre, Frau de la Ronce und Frau von Claix, denen er nicht von der Seite wich. Das Unpassende dieser Heirat stand alsbald bei allen Freunden der Familie fest.

Binnen acht Tagen war die Partie des jungen Vicomte allgemein bekannt und wurde nicht weniger allgemein getadelt. Die vornehmen Damen, die heiratsfähige Töchter hatten, waren wütend.

»Frau von Malivert«, sagte die Gräfin von Claix, »ist so grausam, den armen Octave zur Heirat mit ihrer Gesellschafterin zu zwingen, offenbar um sich das Gehalt zu sparen, das sie ihr sonst hätte geben müssen. Es ist ein Jammer!«

Inmitten dieses allgemeinen Geschreis hielt sich der Komtur, der in Paris vor Langeweile umkam, für vergessen. Das Herziehen über Octaves Heirat konnte ja auch nicht ewig währen. Es galt, aus dieser allgemeinen Erregung Nutzen ziehen, solange sie anhielt. Beschlossene Ehen bringt man nur aus nächster Nähe auseinander.

Alle diese guten Gründe und mehr noch die Langeweile bestimmten den Komtur schließlich, eines schönen Morgens nach Andilly zurückzukehren, wo er sein Zimmer wieder bezog und sein gewohntes Leben aufnahm, als ob nichts geschehen wäre. Man war sehr höflich gegen den neuen Gast, und dieser verfehlte nicht, seiner künftigen Nichte aufs eifrigste entgegenzukommen. »Freundschaft hat ihre Illusionen nicht minder als Liebe«, sagte er zu Armance. »Habe ich ein gewisses Vorhaben anfangs getadelt, so geschah es, weil auch ich Octave leidenschaftlich liebe.«

 


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