Stendhal
Armance
Stendhal

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Fünfzehntes Kapitel

How am I glutted with conceit of this?
Shall I make spirits fetch me what I please?
Resolve me of all ambiguities?
Perform what desperate enterprise I will?
        Doctor Faustus

 

Octave suchte von Andilly aus Frau d'Aumale so oft in Paris auf, daß Armances Heiterkeit eines Tages durch eine leichte Regung der Eifersucht getrübt wurde. Als ihr Vetter abends zurückkam, beging sie einen Gewaltakt. »Wollen Sie Ihre Frau Mutter in einer Sache verpflichten, über die sie niemals mit Ihnen sprechen wird?« – »Gewiß.« – »Nun, dann lehnen Sie drei Monate, das heißt neunzig Tage lang, keine Einladung zu einem Balle ab, und verlassen Sie den Ball erst, wenn Sie getanzt haben.«

»Vierzehn Tage Haft wären mir lieber«, entgegnete Octave. »Sie sind leicht befriedigt«, versetzte Armance. »Aber versprechen Sie es oder nicht?« – »Ich verspreche alles, außer drei Monaten Beständigkeit. Da man mich hier tyrannisiert«, lachte Octave, »so werde ich desertieren. Ich habe eine alte Idee, die mich gestern auf dem prächtigen Fest des Herrn von . . . wider Willen fast den ganzen Abend beschäftigt hat. Dort habe ich getanzt, als hätte ich Ihre Befehle geahnt. Wenn ich Andilly für sechs Monate verließe, so hätte ich zwei Pläne, die unterhaltsamer sind, als nach England zu reisen.

Der erste ist, mich Herr Lenoir zu nennen. Unter diesem schönen Namen ginge ich in die Provinz und gäbe Unterricht in der Arithmetik, in der angewandten Geometrie, in allem, was man will. Ich würde über Bourges, Aurillac und Cahors reisen; ich bekäme ohne Mühe Briefe von mehreren Pairs und Mitgliedern des Institut de France, die dem Präfekten den gelehrten Royalisten Lenoir empfehlen würden usw.

Aber der andre Plan ist noch besser. Als Lehrer sähe ich nur begeisterte und launische Knaben, die mich bald langweilten, und bekäme ein paar Ränke der Kongregation zu spüren. Ich zaudre, Ihnen meinen schönsten Plan zu verraten. Nun, ich würde den Namen Pierre Gerlat annehmen und meine Laufbahn in Genf oder Lyon als Kammerdiener eines jungen Mannes beginnen, der dazu ausersehen ist, etwa die gleiche Rolle in der Welt zu spielen wie ich. Pierre Gerlat bekäme ausgezeichnete Zeugnisse vom Vicomte von Malivert, bei dem er sechs Jahre treu gedient hat. Kurz, ich nähme Namen und Dasein jenes armen Pierre Gerlat an, den ich mal zum Fenster hinausgeworfen habe. Zwei bis drei Bekannte von mir würden mir Gefälligkeitszeugnisse ausstellen, die sie mit riesigen Wappensiegeln aus Wachs versehen würden, und mit diesen Zeugnissen hoffe ich bei einem jungen Engländer anzukommen, der sehr reich oder Sohn eines Peers ist. Ich würde dafür sorgen, meine Hände mit verdünnter Säure zu verderben. Stiefelputzen habe ich von meinem jetzigen Diener, dem braven Korporal Voreppe, schon gelernt. Seit drei Monaten habe ich ihm alle seine Talente gestohlen.«

»Und eines Abends wird Ihr Herr betrunken heimkehren und Pierre Gerlat Fußtritte versetzen.«

»Und wenn er mich zum Fenster hinauswürfe, diesen Einwand habe ich vorausgesehen. Ich würde mich zur Wehr setzen, und am nächsten Tage würde ich meine Entlassung fordern und ihm gar nicht böse sein.«

»Da würden Sie einen sehr verdammenswerten Vertrauensbruch begehen. Man kann seine Charakterfehler einem Bauernjungen verraten, der ihre Eigenheiten nicht erfaßt, aber ich vermute, man wird sich wohl hüten, sich bei einem Standesgenossen ebenso zu benehmen.«

»Ich werde nie einem Menschen erzählen, was ich so erlauscht habe. Übrigens kann ein Herr, um mit Pierre Gerlat zu reden, leicht auf einen Spitzbuben hereinfallen, aber er wird nur einen Neugierigen finden. Erfahren Sie mein Elend«, fuhr Octave fort. »Meine Phantasie ist manchmal derart töricht und macht sich so übertriebene Vorstellungen von dem, was ich meiner Stellung schuldig bin, daß ich, ohne ein Souverän zu sein, nach dem Inkognito dürste. Ich bin Souverän durch mein Unglück, durch die Lächerlichkeit, durch die übertriebene Bedeutung, die ich gewissen Dingen beilege. Ich verspüre ein unbezwingliches Verlangen, einen andern Vicomte von Malivert handeln zu sehen. Da ich aber unglücklicherweise mit dieser Rolle verwachsen bin, da ich zu meinem großen und aufrichtigen Leidwesen nicht der Sohn des ersten Werkmeisters der Wollkratzerei des Herrn von Liancourt sein kann, brauche ich sechs Monate Dienstbotentum, um dem Vicomte von Malivert mehrere seiner Schwächen abzugewöhnen. Das ist das einzige Mittel. Mein Stolz errichtet eine diamantene Mauer zwischen den Menschen und mir. In Ihrer Gegenwart, verehrte Kusine, verschwindet diese Mauer. In Ihrer Gegenwart würde ich nichts übelnehmen. Aber leider habe ich keinen Zauberteppich, um Sie an jeden Ort zu versetzen. Ich kann Sie nicht als Dritten vorstellen, wenn ich mit einem meiner Freunde im Bois de Boulogne reite. Jeden von ihnen entfremde ich mir durch meine Unterhaltung bald nach der ersten Bekanntschaft. Haben sie mich endlich nach Jahresfrist sehr gegen meinen Willen ganz verstanden, so hüllen sie sich in die strengste Zurückhaltung und möchten wohl lieber, daß ihr Tun und ihre innersten Gedanken dem Teufel bekannt wären als mir. Ich möchte nicht beschwören, daß mehrere mich nicht, wie Herr von Soubirane zu witzeln pflegt, für Luzifer selbst halten, der eigens Fleisch und Blut geworden ist, um ihnen Grillen in den Kopf zu setzen.«

Während Octave seiner Kusine seine wunderlichen Ideen anvertraute, gingen sie im Walde von Moulignon spazieren, ein paar Schritte von den Damen von Bonnivet und Malivert entfernt. Armance gaben diese Torheiten viel zu denken. Als ihr Vetter am nächsten Tag nach Paris gefahren war, wich ihre freie, aufgeräumte Miene, die oft bis zur Ausgelassenheit ging, jenen starren, zärtlichen Blicken, von denen Octave, wenn er da war, die seinen nicht abwenden konnte.

Frau von Bonnivet lud viele Bekannte ein, und Octave hatte nun nicht mehr so viel Gelegenheit, nach Paris zu fahren, da Frau d'Aumale nach Andilly übersiedelte. Mit ihr kamen sieben bis acht Damen, die sehr in Mode waren, meist beachtet wegen ihres glänzenden Geistes oder ihres Einflusses in der Gesellschaft. Aber ihre Liebenswürdigkeit erhöhte nur den Triumph der reizenden Gräfin; ihr bloßes Erscheinen in einem Salon ließ ihre Nebenbuhlerinnen älter erscheinen.

Octave besaß zuviel Geist, um es nicht zu merken, und Armance hatte öfter träumerische Anwandlungen. »Über wen könnte ich klagen?« fragte sie sich. »Über niemanden, und über Octave noch weniger als über irgendwen. Habe ich ihm nicht gesagt, ich bevorzugte einen andern? Und er hat einen zu stolzen Charakter, um mit dem zweiten Platz in einem Herzen fürlieb zu nehmen. Er hängt sich an Frau d'Aumale; sie ist eine glänzende Schönheit, von der man überall spricht, und ich bin nicht mal hübsch. Was ich Octave sagen kann, ist recht wenig fesselnd. Gewiß langweile ich ihn oft oder interessiere ihn nur wie eine Schwester. Frau d'Aumales Leben ist heiter, eigenartig; wo sie sich zeigt, herrscht nie Langeweile, während ich mich im Salon meiner Tante wohl oft langweilen würde, wenn ich alles anhörte, was gesprochen wird.« Armance weinte; aber ihre edle Seele erniedrigte sich nicht dazu, gegen Frau d'Aumale Haß zu empfinden. Mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgte sie das Tun und Lassen dieser liebenswürdigen Frau und wurde oft zu lebhafter Bewunderung hingerissen. Aber jedesmal, wenn sie sie bewunderte, gab es ihr einen Stich ins Herz. Das ruhige Glück verschwand; Armance fiel allen Ängsten der Leidenschaft zur Beute. Frau d'Aumales Gegenwart verwirrte sie schließlich mehr als selbst Octaves Gegenwart. Die Qual der Eifersucht ist ja besonders schrecklich, wenn sie Herzen zerreißt, deren Neigung und Stellung alle etwas gewagten Mittel der Gefallsucht gleichermaßen verbietet.

 


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