Stendhal
Armance
Stendhal

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Sechzehntes Kapitel

Let Rome in Tyber melt! and the wide arch
Of the rang'd empire fall! Here is my pace,
Kingdoms are clay: our dung y earth alike
Feeds beast as men: the nobleness of life
Is to love thus.
        Antony and Cleopatra, Act I

 

Eines Abends nach einem drückend heißen Tage ging man langsam in den hübschen Kastanienhainen spazieren, die die Höhen von Andilly krönen. Diese Wälder werden bei Tage bisweilen von Neugierigen entweiht. In jener zauberhaften Nacht, die das stille Licht eines schönen Sommermondes durchglänzte, lagen diese einsamen Höhen in bezaubernder Schönheit da. Ein sanftes Lüftchen spielte in den Bäumen und vervollständigte den Reiz des köstlichen Abends. Aus irgendeiner Laune wollte Frau d'Aumale Octave beständig um sich haben. Mit Wohlgefallen und ohne Rücksicht auf die übrigen Herren erinnerte sie ihn daran, daß sie ihn in diesem Walde zum erstenmal gesehen hatte. »Sie waren als Magier verkleidet, und nie war eine erste Begegnung prophetischer«, setzte sie hinzu; »denn Sie haben mich niemals gelangweilt, und das kann ich von keinem andern Mann sagen.«

Armance, die mit ihnen ging, konnte nicht umhin, diese Erinnerungen sehr zärtlich zu finden. Es gab nichts Liebenswürdigeres als diese glänzende, meist so lustige Gräfin, wenn sie mit ernster Stimme über die großen Interessen des Lebens und die Wege, die zum Glück führen, sprach. Octave verließ die Gruppe um Frau d'Aumale und befand sich alsbald mit Armance ein paar Schritt von den übrigen Spaziergängern entfernt. Er begann ihr mit den geringsten Einzelheiten die ganze Episode seines Lebens zu erzählen, in der Frau d'Aumale eine Rolle spielte. »Ich habe diese glänzende Beziehung gesucht«, sagte er, »um nicht Frau von Bonnivets Klugheit zu verletzen, die mich ohne diese Vorsicht eines Tages vielleicht aus ihrem intimen Verkehr hätte ausschließen können.« So zärtliche Dinge sagte er, ohne daß er von Liebe sprach.

Als Armance annehmen konnte, daß ihre Stimme nicht mehr die tiefe Verwirrung verraten würde, die diese Erzählung bei ihr erweckt hatte, sagte sie zu ihm: »Ich glaube, lieber Vetter, glaube, weil ich muß. Alles, was Sie mir erzählen, ist für mich ein Evangelium. Trotzdem muß ich bemerken: Sie haben mit den Anvertrauungen Ihrer Unternehmungen nie gewartet, bis sie so weit gediehen waren wie jetzt.«

»Darauf habe ich eine Antwort bereit. Fräulein Méry von Tersan und Sie nehmen sich bisweilen heraus, sich über meine Erfolge lustig zu machen. So haben Sie mich an einem gewissen Abend vor zwei Monaten geradezu als Gecken hingestellt. Schon damals hätte ich Ihnen mein wahres Gefühl für Frau d'Aumale anvertrauen können, aber da wäre ich bei Ihnen schön angekommen. Bevor der Erfolg da war, hätte sich Ihr boshafter Geist unfehlbar über meine kleinen Pläne lustig gemacht. Heute fehlt nur Fräulein von Tersan, um mein Glück vollkommen zu machen.«

In dem eindringlichen, fast gerührten Ton, mit dem Octave diese nichtigen Worte sprach, lag eine so ernste Beteuerung, daß er die etwas herausfordernden Reize der schönen Gräfin nie würde lieben können, und eine so leidenschaftliche Ergebenheit für die Freundin, der er sich anvertraute, daß sie nicht den Mut fand, sich dem Glück, so geliebt zu werden, zu verschließen. Sie stützte sich auf Octaves Arm und hörte ihm wie verzückt zu. Nur so viel Besinnung blieb ihr, daß sie nicht sprach; der Ton ihrer Stimme hätte ihrem Vetter die ganze Leidenschaft verraten, die er ihr einflößte. Das leise Rauschen des Blattwerks im Abendwind schien ihrem Stillschweigen einen neuen Reiz zu verleihen.

Octave blickte in Armances große Augen, die sich in die seinen hefteten. Plötzlich nahmen sie ein leises Geräusch wahr, das schon seit einiger Zeit unbeachtet an ihr Ohr geklungen war. Frau d'Aumale, über Octaves Abwesenheit erstaunt, fand, daß er ihr fehlte, und rief ihn, so laut sie konnte: »Sie werden gerufen«, sagte Armance. Der gebrochene Ton ihrer Stimme bei diesen so einfachen Worten hätte jedem andern als Octave ihre Liebe zu ihm verraten. Aber er war so erstaunt über das, was in seinem Herzen vorging, so verwirrt von Armances schönem, kaum in leichte Gaze gehüllten Arm, den er gegen seine Brust drückte, daß er auf nichts achtgab. Er war außer sich, er kostete die Wonnen der glücklichsten Liebe und gestand sie sich fast ein. Er betrachtete Armances reizende Haut und blickte in ihre Augen. Niemals hatte er sich in einer Lage befunden, die für seine Schwüre gegen die Liebe gefährlicher war. Er hatte wie sonst mit Armance zu sprechen geglaubt, und plötzlich hatte der Scherz eine ernste, unerwartete Wendung genommen. Er fühlte sich hingerissen, er überlegte nicht mehr, er war auf dem Gipfel des Glückes. Es war einer jener raschen Augenblicke, die der Zufall den für kraftvolle Empfindungen geschaffenen Seelen bisweilen gewährt als Ausgleich für vieles Leid. Das Leben drängt sich dann in den Herzen zusammen, die Liebe läßt alles vergessen, was nicht göttlich ist wie sie, und man lebt in wenigen Augenblicken stärker als in langen Zeiträumen.

Von Zeit zu Zeit hörte man noch Frau d'Aumales Stimme »Octave« rufen, und der Ton dieser Stimme raubte der armen Armance vollends alle Besonnenheit. Octave fühlte, daß er den schönen Arm, der sich leicht an seine Brust schmiegte, nun lassen sollte: er mußte sich von Armance trennen. Es fehlte nicht viel, so hätte er zum Abschied ihre Hand ergriffen und sie an seine Lippen gepreßt. Hätte er sich diesen Liebesbeweis erlaubt, so hätte Armance in ihrer Verwirrung all ihr Empfinden für ihn gezeigt und es wohl gar gestanden.

Sie näherten sich den anderen Spaziergängern. Octave ging etwas voran. Kaum erblickte ihn Frau d'Aumale, so sagte sie leicht schmollend, ohne daß Armance es hören konnte: »Ich wundere mich, Sie sobald wiederzusehen. Wie haben Sie Armance meinetwegen verlassen können? Sie sind in Ihre schöne Kusine verliebt. Verteidigen Sie sich nicht, ich weiß Bescheid.«

Octave hatte sich noch nicht von dem Rausche erholt, der ihn ergriffen hatte. Immer noch sah er Armances schönen Arm an seine Brust geschmiegt. Frau d'Aumales Bemerkung traf ihn wie ein Blitzschlag, denn er trug den Beweis in sich, fühlte sich getroffen.

Diese leichtfertige Stimme dünkte ihm wie ein Schicksalsspruch, der vom Himmel kam. Er fand den Klang ungewöhnlich. Dies unerwartete Wort, das Octave den wahren Zustand seines Herzens enthüllte, stürzte ihn vom Gipfel der Seligkeit in furchtbares, hoffnungsloses Unglück.

 


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