Stendhal
Armance
Stendhal

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Elftes Kapitel

Somewhat light as air . . .
There's language in her eye, her cheek, her lip,
Nay, her foot speaks; her wanton spirits look out
At every joint and motive of her body.
O! these encounterers, so glib of tongue,
That give accoasting welcome ere it comes.
        Troilus and Cressida, Act IV

 

In der Gesellschaft, die dreimal jährlich zum König geht, gab es wenige Salons, in denen Octave nicht empfangen und gefeiert wurde. Ihm fiel die Berühmtheit der Gräfin d'Aumale auf. Das war die glänzendste und vielleicht geistreichste kokette Frau der Zeit. Ein galliger Ausländer hat gesagt, die Damen der vornehmen Gesellschaft Frankreichs besäßen alle etwas vom Geist eines alten Diplomaten. Aber im Wesen der Gräfin d'Aumale lag der Reiz der Kindlichkeit. Die Naivität ihrer Antworten und die ausgelassene Lustigkeit ihrer Handlungen, die stets vom Augenblick eingegeben waren, erregten die Verzweiflung ihrer Nebenbuhlerinnen. Ihre Launen waren von wunderbarer Unberechenbarkeit, und wie kann man Launen nachahmen!

Natürlichkeit und Unberechenbarkeit – das war keineswegs die glänzende Seite von Octaves Charakter. Er war ein geheimnisvolles Wesen. Nie beging er eine Unbesonnenheit, außer bisweilen in seinen Gesprächen mit Armance. Aber er mußte Sicherheit haben, nicht plötzlich unterbrochen werden. Man konnte ihm keine Falschheit vorwerfen; er hätte es verschmäht, zu lügen, aber nie ging er stracks auf sein Ziel los.

Eines Tages nahm Octave einen Diener an, der aus dem Hause Aumale kam, einen alten Soldaten, eigennützig und sehr schlau. Octave nahm ihn auf seine langen, oft sieben bis acht Stunden weiten Ritte in die Wälder der Umgegend von Paris mit, und in Augenblicken der Langweile erlaubte er ihm zu sprechen. Binnen weniger Wochen wußte Octave über den Wandel der Gräfin d'Aumale genau Bescheid. Diese junge Frau, die sich durch ihre grenzenlose Unbesonnenheit stark kompromittiert hatte, verdiente tatsächlich die Achtung, die manche ihr versagten.

Octave berechnete, wieviel Zeit und Mühe ihm die Gesellschaft der Gräfin d'Aumale kosten würde, und er hoffte, ohne allzuviel Unbequemlichkeit bald als der Liebhaber dieser glänzenden Dame zu gelten. Er richtete es so geschickt ein, daß Frau von Bonnivet auf einem Fest, das sie in ihrem Schloß in Andilly gab, ihn selbst Frau d'Aumale vorstellte. Die Art war romantisch und machte der unbesonnenen jungen Gräfin großen Eindruck.

Um Frohsinn in einen nächtlichen Spaziergang unter den herrlichen Bäumen zu bringen, die die Höhen von Andilly krönen, erschien Octave plötzlich als Magier verkleidet, umstrahlt von bengalischem Feuer, das geschickt hinter ein paar alten Baumstämmen verborgen war. Octave war an jenem Abend sehr schön, und Frau von Bonnivet sprach mit ihm unbewußt in einer Art von Begeisterung. Noch war kein Monat seit jener ersten Begegnung verflossen, und schon munkelte man, der Vicomte von Malivert sei an Stelle des Herrn von R . . . und so vieler anderer in die Gunst der Gräfin d'Aumale gelangt.

Diese leichtlebige Frau, von der weder sie selbst noch sonst jemand wußte, was sie in der nächsten Viertelstunde tun würde, hatte die Beobachtung gemacht, daß, wenn die Pendule eines Salons Mitternacht schlägt, die meisten langweiligen und soliden Menschen nach Hause gehen; deshalb empfing sie von Mitternacht bis zwei Uhr. Octave verließ den Salon der Frau von Bonnivet stets als letzter und fuhr seine Pferde zuschanden, um eher bei der Gräfin d'Aumale zu sein, die auf der Chaussée d'Antin wohnte. Dort fand er eine Frau, die dem Himmel für ihre hohe Geburt und ihr Vermögen lediglich deshalb dankte, weil sie ihr das Vorrecht verliehen, in jeder Minute des Tages zu tun, was ihr die Laune des Augenblicks eingab.

War die Gräfin auf dem Lande und bemerkte sie um Mitternacht, wenn alles den Salon verließ, beim Durchschreiten des Vestibüls, daß die Luft mild und schöner Mondschein war, so nahm sie den Arm des jungen Mannes, der ihr an jenem Abend am amüsantesten erschienen war, und lief mit ihm in den Wald. Nahm sich ein Dummkopf heraus, ihr auf ihrem Spaziergang zu folgen, so bat sie ihn kurz und bündig, seine Schritte anderswohin zu lenken. Hatte der Spaziergänger sie aber irgendwie gelangweilt, so sprach sie am nächsten Tage kein Wort mit ihm. Man muß zugeben, daß es bei einem so lebhaften Geist im Dienst eines solchen Brausekopfes recht schwierig war, nicht etwas trübsinnig zu erscheinen.

Das wurde Octaves Glück. Seine amüsante Wesenshälfte war völlig unsichtbar für Leute, die bei allem, was sie tun, stets ein Muster nachzuahmen suchen und stets an die Konvenienz denken. Hingegen konnte niemand empfänglicher dafür sein als die hübscheste Frau in Paris, die stets nach irgendeinem neuen Gedanken fahndete, durch den sie den Abend in anregender Weise verbringen konnte. Octave begleitete die Gräfin d'Aumale überallhin, selbst ins Italienische Theater.

Während der zwei bis drei letzten Vorstellungen der Frau Pasta, die ganz Paris der Mode wegen besuchte, sprach er absichtlich sehr laut mit der jungen Gräfin, um die Vorstellung zu stören. Die Gräfin belustigte sich über das, was er sagte, und war entzückt über die schlichte Miene, die er bei seiner Frechheit hatte.

Nichts schien Octave geschmackloser, aber er begann, sich nicht übel aus den Albernheiten herauszuziehen. Erlaubte er sich etwas Lächerliches, so achtete er wider Willen sowohl auf seine Ungezogenheit wie auf das vernünftige Benehmen, an dessen Stelle sie trat, und diese doppelte Aufmerksamkeit verlieh seinen Augen ein Feuer, das die Gräfin belustigte. Octave fand es spaßhaft, daß man überall munkelte, er sei toll verliebt in die Gräfin, und daß er dieser jungen, reizenden Frau, mit der er sein Leben verbrachte, nie ein Wort sagte, das mit Liebe das geringste zu tun hatte.

Erstaunt über das Benehmen ihres Sohnes, ging Frau von Malivert bisweilen in die Salons, wo er sich im Gefolge der Gräfin d'Aumale einstellte. Eines Abends, als sie den Salon der Frau von Bonnivet verließ, bat sie sie, ihr Armance für den nächsten Tag zu überlassen. »Ich habe viele Papiere zu ordnen«, sagte sie, »und brauche dazu die Augen meiner Armance.«

Am nächsten Morgen um elf Uhr vor dem Frühstück holte Frau von Maliverts Wagen, wie verabredet, Armance ab, und die Damen frühstückten zusammen. Als Frau von Maliverts Zofe hinausging, sagte ihre Herrin zu ihr: »Vergessen Sie nicht, ich bin für niemand zu sprechen, weder für Octave noch für meinen Gatten.« Und in ihrer Vorsicht riegelte sie sogar ihr Vorzimmer ab.

Als sie es sich in ihrem Lehnstuhl bequem gemacht hatte und Armance auf dem Stühlchen neben ihr saß, sagte sie: »Kleine, ich möchte mit dir von etwas sprechen, wozu ich schon lange entschlossen bin. Du hast nur 2000 Franken Rente, aber das ist auch alles, was meine Feinde gegen meinen leidenschaftlichen Wunsch sagen können, dich mit meinem Sohn zu verheiraten.« Mit diesen Worten warf sich Frau von Malivert in Armances Arme. Es war der schönste Augenblick im Leben des armen Mädchens; holde Tränen überfluteten ihr Gesicht.

 


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