William Shakespeare
Das Leben und der Tod des Königs Lear
William Shakespeare

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achter Auftritt.

Edmund. Alles, wessen ihr mich bezüchtiget habt, das hab ich gethan, und noch weit mehr, das die Zeit ans Licht bringen wird. Es ist nun vorbey, und ich auch. Aber wer bist du, dem das Glük diesen Vortheil über mich gegeben hat? Wenn du edel bist, so vergeb ich dir.

Edgar. Diese Gesinnung verdient erwiedert zu werden. Ich bin von Geburt nicht weniger als du bist, Edmund, und wenn ich mehr bin, so ist das Unrecht desto grösser, das du mir gethan hast. Mein Name ist Edgar und deines Vaters Sohn. Die Götter sind gerecht, und machen aus unsern wollüstigen Verbrechen Werkzeuge uns damit zu peitschen. Der finstre und unzüchtige Plaz, wo er dich zeugte, hat ihm seine Augen gekostet.

Edmund. Du hast recht gesprochen; es ist wahr, das Rad ist ganz umgelauffen, und ich bin hier.

Albanien (zu Edgar.)
Mich däuchte, dein Ansehen weissage einen königlichen Adel. Laß dich umarmen – – Kummer möge mein Herz zersplittern, wenn ich jemals dich oder deinen Vater gehasset habe.

Edgar. Würdiger Prinz, ich weiß es.

Albanien. Wo habt ihr euch dann verborgen gehalten, und woher erfuhret ihr den elenden Zustand euers Vaters?

Edgar. Indem ich ihn nährte, Mylord. Höret einer kurzen Erzählung zu, und wenn sie erzählt ist, o daß dann mein Herz bersten möchte! – – Der blutige Ausruf, der so nah auf meine Flucht folgte, lehrte mich (wie süß ist das Leben, daß wir lieber stündlich die Pein des Todes ertragen, als einmal sterben wollen!) lehrte mich in die Lumpen eines wahnwizigen Bettlers mich zu verkleiden, die Aehnlichkeit eines verschmähten Hundes anzunehmen; und in dieser Gestalt begegnete ich meinem Vater mit seinen blutenden Augen-Ringen, die nur erst ihre kostbaren Brillianten verlohren hatten; ich wurde sein Führer, leitete ihn, bettelte für ihn, rettete ihn vor der Verzweiflung, und entdekte ihm niemalen (o daß ich es gethan hätte!) wer ich sey, bis ungefehr vor einer halben Stunde da ich mich bewafnet hatte, und zwar in Hoffnung dieses glüklichen Ausgangs, doch nicht ohne Zweifel, um seinen Segen bat, und ihm meine Pilgramschaft von Anfang bis zu End erzählte. Aber ach! sein verwundetes Herz, zu schwach den Kampf entgegengesezter Leidenschaften auszuhalten, brach lächelnd zwischen Freude und Schmerz.

Edmund. Diese eure Rede hat mich gerührt, und wird vielleicht eine gute Würkung haben; aber fahret fort, ihr sehet aus, als ob ihr noch mehr zu sagen hättet.

Albanien. Wenn es noch traurigere Sachen sind, so haltet ein; denn das was ihr erzählt habt, ist schon bereit mein Herz aufzulösen.

Edgar. Für menschliche Gemüther möchte dieses zum äussersten Grad des Elends genug seyn; aber diejenigen, die ein Vergnügen an grausamen Schauspielen haben, möchten gern immer mehr dazu thun, und nur ein Jammer der sich nicht grösser denken läßt, kan ihr Mitleiden rege machen. Während daß ich vor Schmerz laut winselte, kam ein Mann, der mich in meinem schlimmern Zustand gesehen und meine verabscheute Gesellschaft geflohen hatte; izt aber, da er fand wer es war, der so viel erlidten hatte, heftete er seine starken Arme um meinen Hals, und schrie, so laut als ob er den Himmel zerspalten wollte; warf sich auf meinen Vater, erzählete die Geschichte von Lear und ihm, die kläglichste, die je ein Ohr gehört hat; und machte durch diese Vorstellung seinen Schmerz von neuem so heftig, daß die Stränge des Lebens zu reissen anfiengen – – Indeß erklang die Trompete zum zweiten mal, und ich verließ ihn ohne Gefühl seiner selbst.

Albanien. Wer war dann dieser?

Edgar. Mylord, es war Kent, der verbannete Kent, der in unkenntlicher Verkleidung seinem König folgte, und ihm Dienste that, die eines Sclaven unwürdig gewesen wären.


 << zurück weiter >>