William Shakespeare
Das Leben und der Tod des Königs Lear
William Shakespeare

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Zweyter Auftritt.

Des Herzogs von Albanien Palast.

Gonerill und Edmund.

Gonerill. Seyd willkommen, Mylord; mich wundert, daß mein sanftmüthiger Mann uns nicht entgegen gegangen ist.

Der Hofmeister kömmt.

Nun, wo ist euer Herr?

Hofmeister. Gnädige Frau, er ist drinnen; aber so verändert, daß es kaum glaublich ist; ich sagte ihm, die Feinde seyen angeländet; er lächelte dazu. Ich sagte ihm, Euer Gnaden kommen wieder an; desto schlimmer, war seine Antwort. Als ich ihm von Glosters Verrätherey und von der Treue seines Sohns Nachricht gab, nannte er mich einen Dummkopf, und sagte mir, ich hätte die schlimme Seite herausgekehrt. Was ihm am unangenehmsten seyn sollte, scheint ihm zu gefallen; und was ihm gefallen sollte, beleidigt ihn.

Gonerill (zu Edmund.)
So sollt ihr nicht weiter gehen. Es ist nichts, als die feige Zaghaftigkeit seines Geistes, welcher nicht Muth genug hat etwas zu unternehmen: Er wird keine Beleidigung fühlen, die ihn zu einer Antwort nöthigte. Auf diese Art können unsre Wünsche zur Erfüllung kommen. Zurük, Edmund, zu meinem Bruder; beschleunige dich, mustre seine Völker und führe sie an. Hier zu Hause muß ich die Waffen wechseln, und meinem Manne die Spindel in die Hand geben. Dieser getreue Diener soll unser Verständniß unterhalten; ihr sollt in kurzem von mir hören, wenn ihr Herz genug habt zu euerm eignen Vortheil, den Befehl einer Geliebten zu wagen. Traget diß (sie giebt ihm ich weiß nicht was,) sparet die Worte, (leise) drehet den Kopf ein wenig – – Dieser Kuß, wenn er reden dürfte, würde deine Lebensgeister in die Höhe treiben – – Verstehe mich und lebe wohl.

Edmund. Der Eurige bis in den Tod.

Gonerill. Mein allerliebstes Gloster.

(Edmund geht ab.)

Was für ein Unterscheid ist zwischen Mann und Mann! Du verdienst die Gunstbezeugungen einer Dame; mein Thor usurpiert meine Person.

Hofmeister. Gnädige Frau, hier kömmt Mylord.

Der Herzog von Albanien kömmt.

Gonerill. Bin ich nicht mehr werth gewesen, als meinem Bedienten zu pfeiffen, wie ich ankam?

Albanien. O, Gonerill, ihr seyd den Staub nicht werth, den euch der Wind ins Gesicht bläßt. Ich fürchte die Folgen eurer Gemüthsart; ein Geschöpf das seinen Ursprung verachtet, kan sich nicht in seiner eignen Natur erhalten; der Zweig, der sich selbst von seinem väterlichen Stamm abreißt, muß verdorren, und zu einem tödtlichen Gebrauch kommen.Eine Anspielung auf den Gebrauch, welchen, der Sage nach, die Hexen und Zauberer von verdorreten Zweigen zu ihren Bezauberungen machen sollen.

Gonerill. Nichts mehr, welch ein närrisches Gewäsche!

Albanien. Weisheit und Güte scheinen dem Nichtswürdigen verächtlich; Tygerthiere, nicht Töchter, was habt ihr gethan? Einen Vater, einen höchstgütigen alten Mann habt ihr, auf eine höchst barbarische, höchst unnatürliche Weise, zum Wahnwiz getrieben. Konnte mein Bruder zulassen, daß ihr es thatet, ein Mann, ein Fürst, der ihm soviel zu danken hatte? Wahrlich, wenn die Himmel nicht ungesäumt ihre sichtbar werdenden Geister herabsenden, so schändliche Uebelthaten zu straffen, so muß die Menschheit nothwendig, gleich den Meer-Ungeheuern, sich selbst aufzehren.

Gonerill. Du Milchleberichter Mann! der eine Wange für Maulschellen und einen Kopf für Beleidigungen trägt; der kein Auge hat, den Unterschied zwischen deiner Ehre und deiner Beschimpfung zu sehen; der nicht weiß, daß nur Thoren mit Bösewichtern Mitleiden haben, wenn sie gestraft werden, eh sie ihre Uebelthaten ausüben konnten. Wo ist deine Trummel? Frankreich spreitet seine Fahnen in unserm ruhigen Land aus; in befiederten Helmen beginnst dein künftiger Mörder seine Drohungen, während daß du, ein moralischer Narr, still sizest und rufst: Ach! warum thut er denn das? – –

Albanien. Sieh dich selbst, Teufel! Seine ihm natürliche Häßlichkeit scheint in einem Teufel nicht so abscheulich, als in einem Weibe.

Gonerill. O eitler Thor!

Albanien. Du verwandeltes, ausgeartetes Ding! Schäme dich wenigstens, deine Bildung mit so ungeheuern Gesinnungen zu schänden! Wenn es sich für mich schikte, diese Hände dem Trieb meines kochenden Blutes zu überlassen, sie würden fertig genug seyn dein Fleisch von deinen Knochen abzureissen – – Ob du gleich ein Teufel bist, so schüzt dich doch die Gestalt eines Weibes – –

Gonerill. Wahrhaftig, eine wolangebrachte Mannheit!

Ein Bote kömmt.

Bote. O mein gnädigster Lord, der Herzog von Cornwall ist todt, von seinem Bedienten erschlagen, da er im Begriff war, Glosters zweytes Auge auszutreten.

Albanien. Glosters Augen?

Bote. Ein in seinem Haus erzogner Bedienter, von Reue durchbohrt, widersezte sich der That, und zog sein Schwerdt gegen seinen Herrn, welcher voll Wuth über eine solche Kühnheit, ihn auf der Stelle tödtete, vorher aber eine Wunde bekam, die ihn nun das Leben gekostet hat.

Albanien. Diß zeigt, daß ihr dort oben nicht säumet, ihr himmlischen Richter, diese unsre unter euern Augen begangne Verbrechen zu rächen. Aber, o! der arme Gloster! Verlohr er das andre Aug auch?

Bote. Beyde, beyde, Mylord. Dieses Schreiben, Gnädigste Frau, fodert eine schleunige Antwort; es ist von eurer Schwester.

Gonerill (vor sich.)
Von einer Seite gefällt mir diß ganz wol. Und doch da sie izt Wittwe, und mein Gloster bey ihr ist, so könnte leicht das ganze Gebäude in meiner Phantasie über mein verhaßtes Leben einstürzen – – Auf einer andern Seite ist diese Neuigkeit nicht so reizend – – Ich will lesen und antworten.

(Geht ab.)

Albanien. Wo war sein Sohn, als sie ihn seiner Augen beraubten?

Bote. Er begleitete die Herzogin hieher.

Albanien. Er ist nicht hier.

Bote. Nein, Mylord, ich traf ihn unterwegs auf der Rükreise an.

Albanien. Weiß er die schändliche That?

Bote. Ja, Gnädigster Herr, er war es selbst der seinen Vater anklagte, und er verließ das Haus, nur damit ihre Rache freyern Lauf hätte.

Albanien. Gloster, ich lebe, dir für deine Liebe zu dem König zu danken, und deine Augen zu rächen. Komm mit mir, Freund, und sage mir was du noch mehr weissest.

(Gehen ab.)


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