William Shakespeare
Das Leben und der Tod des Königs Lear
William Shakespeare

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Sechster Auftritt.

Die vorigen, Edgar in einen tollen Menschen verkleidet.

Edgar. Aus dem Wege, der böse Feind folgt mir. Durch den scharfen Hagdorn bläßt der kalte Wind. Hans, geh in dein Bett und wärme dich.

Lear. Gabst du deinen Töchtern Alles, daß du in diesen Zustand gekommen bist?

Edgar. Wer giebt dem armen Tom etwas? den der böse Feind durch Feuer und Flammen, durch Furthen und Strudel, durch Sumpf und Pfuhl geführt hat; der Messer unter sein Küssen und Strike unter seinen Siz gelegt hat; der Mäusgift in seine Suppe gethan, und ihn übermüthig gemacht hat, auf einem braunrothen Gaul zu trotten, über vier zollbreite Brüken seinem eignen Schatten als einem Verräther nachzujagen – – Gott behüte deine fünf Sinnen; Tom friert. O da, di, da, di, da, di, – – Gott behüte dich vor Wirbel-Winden, bösen Sternen und Gefangenschaft; gebt dem armen Tom etwas Almosen, den der böse Feind plagt – – Hier möcht ich ihn izt haben, und da, und wieder hier und dort.

Lear. Wie? Haben seine Töchter ihn dahin gebrach t? Konntest du nichts davon bringen? gabst du ihnen Alles?

Narr. Nein, er behielt sich eine Windel vor, sonst wären wir alle beschämt worden.

Lear. Nun, alle die rächenden Plagen, die in der schwebenden Luft über den menschlichen Uebelthaten hangen, blizen auf deine Töchter!

Kent. Er hat keine Töchter, Mylord.

Lear. Tod! Verräther, nichts könnte die Natur zu einer solchen Erniedrigung heruntergebracht haben, als undankbare Töchter. Ist es erhört, daß ausgetriebene Väter so wenig Erbarmung gegen ihr eigen Fleisch tragen sollten? Wohlausgesonnene Straffe! Dieses Fleisch war es, das diese Pelican-Töchter zeugte.

Edgar. Pillicok saß auf Pillicoks Stein; holla, holla, la, la!

Narr. Diese kalte Nacht wird uns noch alle zu Narren und Wahnwizigen machen.

Edgar. Hüte dich vor dem bösen Feind, gehorche deinen Eltern, halte dein Versprechen, fluche nicht, halte nicht zu mit eines andern geschwornen Weibe, seze dein Herz nicht auf Pracht und Ueppigkeit. Tom friert!

Lear. Wer bist du gewesen?

Edgar. Ein Sclave, stolz von Herz und Sinn, der sein Haar kräuselte, Handschuh auf dem Hut trug, der bösen Lust seiner Buhlschaft frohnte, und das Werk der Finsterniß mit ihr trieb; so viel Schwüre that, als Worte aussprach, und sie vor dem milden Antliz des Himmels brach. Einer der in unzüchtigen Gedanken einschlief, und erwachte um sie auszuüben; den Wein liebt' ich tief, die Karten früh, und bey den Weibern übertraf ich den Türken. Falsch von Herzen, leicht von Ohr, blutig von Hand, ein Schwein an Unreinigkeit, ein Fuchs an Schelmerey, ein Wolf an Gefrässigkeit, ein Hund an Tollheit, und ein Löwe an Räuberey. Laß nicht das Knarren der Schuhe, und das Rauschen der Seide dein armes Herz an Weibsbilder verrathen. Halt deinen Fuß zurük von Hurenhäusern, deine Hand von Unterröken, deine Feder von den Zins-Büchern der Wucherer, und troze dem bösen Feind. Immer bläßt durch den Hagdorn der kalte Wind; sagt, Sum, Mun, Nonny, Delphin, mein Junge, Junge, Sessey, laß ihn antraben.

(Der Sturm daurt immer fort.)

Lear. Besser du wärst in deinem Grab, als deinen unbedekten Kopf diesem Unwetter entgegen zu stellen. – – Ist der Mensch nichts mehr als das? Betracht ihn recht! Du bist dem Wurm keine Seide schuldig, den wilden Thieren keinen Pelz, dem Schaafe keine Wolle, der Bisam-Kaze keinen guten Geruch. Ha! hier sind drey von uns solche Sophisten; du bist das Ding selbst. Der unaufgeschmükte Mensch ist nichts mehr als ein solch armes, naktes, gabelförmiges Thier wie du bist. Weg, weg, du geborgter Plunder, kommt, knöpft mich auf – –

(Er reißt seine Kleider auf.)

Narr. Ich bitte dich, Nonkel, sey ruhig; es ist keine hübsche Nacht zum Schwimmen. Ein kleines Feuer in einem Wald wäre izt gerade wie eines alten Hurenjägers Herz, ein Fünkchen, und der ganze übrige Leib kalt; sieh, hier kömmt ein feuriger Mann.

Edgar. Es ist der böse Flibbertigibbet, er fängt an wenn die Nachtgloke geläutet wird, und geht bis der Hahn kräht; er verursachet den Staar, macht schielende Augen, und Hasen-Scharten, milthaut den weissen Weizen, und stoßt die armen Geschöpfe auf der Erde. Sanct Withold u.s.w.Hier singt Edgar im Original etliche altenglische Reime, davon ungefehr der Inhalt, daß Sanct Withold indem er bey Nacht herumgespaziert, die Nachtfrau (Night-Mare) angetroffen, und genöthiget habe, die Leute welche sie im Schlaf zu drüken pflegt, in Ruhe zu lassen. Diese Begebenheit ist aus der Legende dieses Heiligen genommen, der deswegen als ein Schuzpatron wider den Alp angeruffen zu werden verdiente, so wie diese Reime als eine Art von Beschwörung wider die vermeynte Nachtfrau von dem gemeinen Volke gebraucht wurden.


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